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Ausgabe:

September/2010

Spalte:

1009-1011

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Frohschammer, Jakob

Titel/Untertitel:

Religionsphilosophie. Mit textkritischem Apparat sowie Namen- und Sachregister. Editorisch bearbeitet, eingeleitet u. hrsg. v. R. Lachner.

Verlag:

Tübingen: Francke 2009. IX, 665 S. m. Tab. gr.8° = Nachgelassene Schriften, 1. Geb. EUR 118,00. ISBN 978-3-7720-8321-1.

Rezensent:

Gunther Wenz

Im März des Jahres 1863 wurde der katholische Theologe und Philosoph Jakob Frohschammer (1821–1893) vom Erzbischof von München-Freising seines Amtes als Professor an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität enthoben. Vorangegangen war ein Schreiben Pius’ IX. vom 11. Dezember 1862, in dem diverse Lehren F.s verworfen wurden, und zwar vor allem unter zwei Gesichtspunkten: Dieser erkenne erstens der menschlichen Vernunft Kräfte zu, die ihr in diesem Maße keineswegs zukämen, und räume ihr zweitens eine solche Freiheit ein, alles zu meinen und sich stets zu allem möglichen zu erdreisten, »ut ipsius Ecclesiae iura, officium et auctoritas de medio omnino tollantur« (DH 2850), dass die Rechte, das Amt und die Autorität der Kirche selbst völlig aufgehoben würden. In den Folgesätzen des Breve »Gravissimas inter« wird exemplifiziert, was damit näherhin gemeint ist. Es wird zum einen klargestellt, »daß diejenige Auffassung der Lehre der katholischen Kirche völlig fremd ist, aufgrund deren derselbe F. nicht zögert zu behaupten, alle Glaubenssätze der christlichen Religion seien ohne Unterschied Gegenstand des natürlichen Wissens oder der Philosophie, und die nur historisch ausgebildete menschliche Vernunft könne – sofern diese Glaubenssätze nur der Vernunft selbst als Gegenstand vorgelegt worden seien – aufgrund ihrer natürlichen Kräfte und ihres Prinzips zum wahren Wissen von allen – auch den verborgeneren – Glaubenssätzen gelangen.« (DH 2857) Die Freiheit der Philosophie, die ihr rechtmäßig zukomme, sei auf den rationalen Bereich beschränkt und erstrecke sich nicht auf die suprarationale Sphäre der Offenbarung und des Glaubensdeposits, dessen authentische Bewahrung und Bezeugung dem Lehramt der Kirche anvertraut sei. Aufgrund der ihr von ihrem göttlichen Urheber übertragenen Vollmachten habe die Kirche daher »nicht nur das Recht, sondern vor allem die Pflicht, sämtliche Irrtümer nicht zu dulden, sondern zu ächten und zu verurteilen, wenn es so die Unversehrtheit des Glaubens und das Heil der Seelen erfordern; und jedem Philosophen, der ein Sohn der Kirche sein will, und auch der Philosophie obliegt die Pflicht, niemals etwas gegen das zu sagen, was die Kirche lehrt, und das zu widerrufen, weswegen sie die Kirche ermahnt hat.« (DH 2861)
F. verweigerte den geforderten Widerruf. Den päpstlichen »Syllabus errorum« von 1864 (vgl. DH 2901–2980), in dem 80 sog. Irrtümer der Zeit, darunter solche, die ihm zur Last gelegt wurden (vgl. DH 2909–2911), pauschal und ohne nähere Begründung verworfen wurden, kritisierte er ebenso heftig wie die beiden Papstdogmen des I. Vatikanischen Konzils. In der Folge wurde er 1871 mit der Exkommunikation belegt. Der sich bildenden altkatholischen Bewegung blieb er gleichwohl fern; er lehnte sie als »halbherzig« (K. Unterburger, Art. Frohschammer, Jakob, in: RGG 4 3, Sp. 386) ab. Neben einer Vielzahl von publizierten Arbeiten, unter denen das früh indizierte Werk »Ueber den Ursprung der menschlichen Seelen. Rechtfertigung des Generatianismus« von 1854 und die beiden Programmschriften »Einleitung in die Philosophie und Grundriß der Metaphysik. Zur Reform der Philosophie« und »Ueber die Freiheit der Wissenschaft« von 1858 bzw. 1861 hervorragen, hat F. zahlreiche Dokumente hinterlassen, darunter eine Reihe ungedruckter Vorlesungsmanuskripte. Sie sind in der Universitätsbibliothek München aufbewahrt. Eine der wichtigsten Handschriften ist zweifellos diejenige zur Religionsphilosophie; sie ist »nicht nur die umfangreichste, sondern in ihren ältesten Teilen auch die frühes­te« (5). Im Übrigen war die religionsphilosophische Thematik zentral für F.s Denken insgesamt. Von 1851 an hat er 15 Jahre lang fast jedes zweite Semester mehrstündig über sie vorgetragen (vgl. das Verzeichnis von F.s Münchener Lehrveranstaltungen im Anhang der Edition); ungeklärt ist, warum er nach 1866 kein religionsphilosophisches Kolleg mehr angeboten hat.
Die lehramtliche Verurteilung F.s war mit einer damnatio memoriae verbunden, die das Werk des Münchener Gelehrten noch zu seinen Lebzeiten weitgehend der Vergessenheit anheimfallen ließ. Erst seit geraumer Zeit ist neues Interesse an seinem Denken zu verzeichnen, was durch R. Lachners Forschungen entscheidend befördert wurde. Lachner hat nicht nur F.s Biographie und Werkgeschichte detailliert aufbereitet (Jakob Frohschammer [1821–1893]. Leben und Werk, St. Ottilien 1990), sondern auch dessen Offenbarungs- und Vernunftverständnis einer genauen Analyse unterzogen (Zwischen Rationalismus und Traditionalismus. Of­fenbarung und Vernunft bei Jakob Frohschammer, Münster 1995). Nun legt er mit der editorisch bearbeiteten und eingeleiteten Religionsphilosophie F.s den ersten Band von dessen nachgelassenen Schriften vor. Ein textkritischer Apparat sowie Namen- und Sachregister sind beigegeben. Die Editionskriterien werden präzise benannt, eine ausführliche Beschreibung der Vorlesungshandschrift und eine kompositorische Analyse einleitend dargeboten. Es steht zu hoffen, dass bald weitere Quellentexte für die Frohschammerforschung erschlossen werden.