Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2010

Spalte:

1002-1004

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Jones, Paul Dafydd

Titel/Untertitel:

The Humanity of Christ. Christology in Karl Barth’s Church Dogmatics.

Verlag:

London-New York: T & T Clark International (Continuum) 2008. XIII, 290 S. gr.8° = T & T Clark Theology. Geb. £ 65,00. ISBN 978-0-567-03321-5.

Rezensent:

Markus Höfner

Mit seinen auf das Menschsein Jesu Christi fokussierten Analysen zur Christologie Karl Barths in der Kirchlichen Dogmatik leistet der Vf. einen herausragenden Beitrag zur Barth-Forschung. Sein Buch gehört zweifellos zu den besten Untersuchungen der Theologie Barths der letzten Jahre. Die aus einer Dissertation an der Harvard Divinity School hervorgegangene Studie ist fundiert, weil der Vf. Barths Texte kenntnisreich analysiert und ihr Profil im Bezug zu anderen theologischen Ansätzen und philosophischen Denkmodellen eindrucksvoll herausarbeitet. Sie ist souverän, weil sich der Vf. dem komplexen theologischen Denken Barths mit kritischer Sympathie nähert und so eine äußerlich bleibende Barth-Destruktion ebenso vermeidet wie eine Barth-Orthodoxie, die sich in der Wiederholung (scheinbarer) dogmatischer Richtigkeiten er­schöpft. Die vorliegende Untersuchung ist schließlich im besten Sinne provokativ, weil der Vf. die Radikalität der Barthschen Christologie herausstellt und ihre Implikationen nicht nur für den Ansatz theologischen Nachdenkens, sondern auch für das Feld des Poli­-tischen pointiert. Dem Vf. gelingt so in der Tat der Nachweis, »that Barth’s Christology is stranger, stronger, more interesting, and … more politically vital than many have suspected« (7).
Nach einer Einleitung (1–15), in der der Vf. die Ziele, den Aufbau und den forschungsgeschichtlichen Kontext seiner Analysen um­reißt, gliedert sich die vorliegende Untersuchung in vier Kapitel.
Ein erstes Kapitel (»Approaching Barth’s Christology«, 16–59) hat einführenden Charakter und optiert zunächst für eine differenzierte Aufnahme von zwei gängigen Interpretationsmodellen: Mit Bruce McCormack unterstreicht der Vf. die Bedeutung der Anhypostasie/Enhypostasie-Formel für das Offenbarungsverständnis Barths, betont jedoch zugleich, dass dieser Formel nur eine sehr begrenzte Rolle in der positiven Entfaltung der Barthschen Chris­tologie zukommt und dass sie eine Entfaltung des vollen Menschseins Jesu Christi keineswegs behindert. Im Anschluss an George Hunsinger hebt der Vf. hervor, dass Barth Jesus Christus in Aufnahme der christologischen Festlegung von Chalcedon als »per­sonally simple and ontologically complex reality« (27 f.) versteht. Er betont aber auch, dass Barth über ein »chalcedonian pattern« hinausgeht, indem er die Rede von zwei »Naturen« zugunsten einer soteriologisch erweiterten und biblisch fundierten Beschreibung Jesu Christi als vere Deus und vere homo aufgibt. Den damit markierten Interpretationsansatz profiliert der Vf. sodann, indem er zentrale Motive der christologischen Überlegungen von KD I/2 – wie etwa die »reformierte« Betonung der Unterschiedenheit von Gottheit und Menschheit in der Person Jesu Christi – herausarbeitet, die Barths Darstellung der Menschheit Christi auch in den späteren Bänden der Kirchlichen Dogmatik leiten. Das Kapitel schließt mit Überlegungen zu Barths Verhältnisbestimmung von Dogmatik und Exegese, die Barths Rekurs auf den »Jesus of biblical faith« (56; im Orig. herv.) im Kontrast zur »Frage nach dem historischen Jesus« konturieren.
Sein zweites Kapitel (»Election and Christology«, 60–116) widmet der Vf. Barths Darstellung von »Gottes Gnadenwahl« in KD II/2, die er als Radikalisierung der Bestimmung Gottes als der »in Freiheit Liebende« in KD II/1 liest und auf eine doppelte Pointe hin zu­spitzt: Zum einen nämlich impliziert Barths Beschreibung Jesu Christi als »erwählender Gott« und »erwählter Mensch« die Selbstbestimmung Gottes, das menschliche Leben Jesu von Nazareth für das göttliche Leben konstitutiv sein zu lassen: »The identity of the divine Son is eternally inclusive of the concrete life of Jesus Christ. … God wills, in fact, that the life of Christ should transform God’s life …« (79 f.; Herv. im Orig.). Zum anderen be­stätigt gerade dieser Gedanke die Integrität der Menschheit Jesu Christi, die Barth – über die Affirmation des vere Deus – vere homo hinaus – als die Geschichte »bundeskonformen Menschseins« (»convenantal humanity«) beschreibt.
Diese Kontur des Menschseins Jesu Christi wird in einem dritten Kapitel (»Jesus Christ – Embodiment of Grace«, 117–186) vertieft. Mit guten Gründen konzentriert sich der Vf. dabei auf KD IV/2 und analysiert zunächst Barths Auseinandersetzung mit christologischen Differenzierungen der protestantischen Orthodoxie (communicatio idiomatum, naturarum, gratiarum und operationum). In seiner detaillierten Rekonstruktion dieser Auseinandersetzung kann der Vf. nachweisen, dass Barth diese orthodoxen Differenzierungen lediglich als Ausgangspunkt verwendet, um im eigenen christologischen Nachdenken ein aktualistisches Verständnis der personalen Einheit Jesu Christi zu profilieren, das menschliche Tätigsein Jesu im Horizont von Gnade, Dankbarkeit und Verantwortung zu deuten und das Geschehen der Versöhnung als Zusam­menwirken von göttlichem Logos und dem Menschen Jesus zu beschreiben.
Der Vf. profiliert den letzgenannten Gedanken, indem er Barths Beschreibung Jesu von Nazareth als »königlicher Mensch« in Entsprechung zu Gott entfaltet. Mit der Darstellung von »Ernsthaftigkeit und Stetigkeit« (»wholeheartedness«), Souveränität, Liebe und Befreiung als Kennzeichen des menschlichen Lebens von Jesus zielt er dabei auf die Einsicht, dass »Entsprechung« für Barth »Christ’s active human iteration of God’s reconciling action in the context of finitude« (153; meine Herv.) bezeichnet. Vor diesem Hintergrund kann der Vf. schließlich nicht nur zeigen, wie Barth in seiner Deutung der Sündlosigkeit Jesu die göttliche Initiative und das menschliche Tätigsein Jesu Christi integriert (»To say that the man Jesus ›could not sin‹ identifies, for Barth, a way of being and acting that is divinely and humanly actualized« [174 f.; Herv. im Orig.]). Vielmehr kann er auch die politischen Implikationen der Theologie Barths herausstellen, die nicht in direkten politischen Appellen, sondern im Aufruf zur aktiven Teilnahme am Geschehen der Versöhnung zum Ausdurck kommen.
Mit seinem vierten Kapitel (»Obedience unto Death: Achieving the Salvation of the World«, 187–244) wendet der Vf. den Blick zurück zu Barths Christologie von KD IV/1. Der Vf. akzentuiert die narrative Logik der Barthschen Christologie anhand seines Verständnisses von »Geschichte«, um sich dann Barths Beschreibung der Passion Christi als Ereignis göttlichen und menschlichen Ge­horsams zuzuwenden. Obwohl Barth seine Überlegungen durch hierarchische und sexistische Denkmuster belastet, gelingt es ihm nach der luziden Analyse des Vf.s, das Geschehen der Stellvertretung als Tat nicht nur des göttlichen Sohnes, sondern zugleich des Menschen Jesu von Nazareth zu beschreiben, der seinen Weg ans Kreuz aktiv annimmt: »Thus it is that Christ divinely and humanly effects justification.« (223; Herv. im Orig.) Eine abschließende Analyse von Barths Auslegung der Gethsemane-Perikope stellt diese menschliche Seite der Passion Christi eindrücklich heraus.
In seinen Schlussüberlegungen (245–265) fasst der Vf. seine Ar­gumentation konzis zusammen, benennt offene Probleme und Forschungsperspektiven und konturiert die politischen Implikationen der Barthschen Christologie durch die Überlegung, dass das Kreuz Jesu Christi als Strafe der Sünde die – etwa im »Krieg gegen den Terror« manifeste – Strategie ausschließt, Menschen oder Nationen als schlechthin »böse« qualifizieren und bestrafen zu wollen.
Die herausragende Leistung des Vf.s wird dadurch nicht ge­schmälert, dass seine Untersuchung auch kritische Rückfragen provoziert – etwa die, ob man das anselmische Erbe Barths wirklich so vorbehaltlos bestätigen sollte. Das flüssig und leserfreundlich geschriebene Buch wird durch zwei Anhänge (zum Aufbau der Barthschen Versöhnungslehre und zum genus majestaticum), ein Literaturverzeichnis und ein Register abgeschlossen. Es kann allen an materialer Theologie Interessierten zur Lektüre empfohlen werden – für Barth-Forscherinnen und Barth-Forscher ist es ein Muss.