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Ausgabe:

September/2010

Spalte:

1000-1001

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Ginther, James R.

Titel/Untertitel:

The Westminster Handbook to Medieval Theology.

Verlag:

Louisville: Westminster John Knox Press 2009. XXXI, 207 S. gr.8° = Westminster Handbook to Christian Theology. Kart. US$ 39,95. ISBN 978-0-664-22397-7.

Rezensent:

Volker Leppin

Das »Handbook« stellt ein Lexikon zu Personen und Gegenständen mittelalterlicher Theologie dar. Die Artikel stammen alle aus einer Feder: von James R. Ginther, der mittelalterliche Theologie an der jesuitischen St. Louis University lehrt.
Es ist zunächst beeindruckend, wie weit G. über den bisherigen Schwerpunkt seiner Forschungen im 13. Jh. hinausgeht: Die wichtigsten Namen der mittelalterlichen Theologie sind erfasst. Die ihnen gewidmeten Artikel sind überwiegend biographischer Natur, was dazu führt, dass etwa die Ausführungen zu Anselms »Proslogion« angesichts der umfassenden Diskussionen zum Status des Gottesbeweises darin enttäuschend kurz sind. In anderen Artikeln werden inhaltliche Fragestellungen etwas ausführlicher behandelt, etwa bei Wilhelm von Ockham, wo sich auch einige Ausführungen zur via moderna finden – ein Stichwort, das leider insgesamt ebenso wie sein Pendant via antiqua fehlt.
Angesichts einer respektablen Sammlung auf knappem Raum wäre es unangemessen, fehlende Stichworte aufzulisten – Vollständigkeit kann ein solches Werk kaum beanspruchen. Freilich ist es bemerkenswert, wie sich Aufgenommenes und Fortgelassenes zueinander verhalten. So erstaunt es, dass manche Realia ausführlich behandelt werden – etwa »papacy« oder »schism«, aber Ge­sichtspunkte wie »piety«, die etwa für die spätmittelalterliche Frömmigkeitstheologie von Bedeutung sind, fehlen. Diese scheint ohnehin gar nicht im Blick: Johannes von Paltz und sogar Gabriel Biel sucht man vergeblich – was nicht zuletzt auch Folge des eingeschränkten Blicks der Literaturauswahl sein dürfte, die fast nur englischsprachige Titel enthält. Berndt Hamm erscheint darin ebenso wenig wie Zenon Kaluza oder Alfonso Maierù. Diese leicht er­weiterbare Liste ist angesichts der starken internationalen Vernetzung der heutigen Mediävistik inakzeptabel – wer nicht französische, italienische oder deutsche Literatur liest, kann sich nicht auf aktuellem Forschungsstand bewegen.
Die Grenzen der Auswahl markieren aber auch eine inhaltliche Akzentsetzung, die den Leserkreis auf ein vorwiegend katholisches Publikum eingrenzt – darin liegt das eigentliche Problem des Werkes. Man kann dies leicht deutlich machen, wenn man etwa das Verhältnis von mariologischen Einträgen zu den rechtfertigungstheologischen betrachtet: Zum ersten Komplex findet man etwa »Blessed Virgin Mary« ebenso wie »Immaculate Conception«, während man beim Stichwort »Justification« auf »penance« und »salvation« verwiesen wird. Das ist insofern berechtigt, als der Eintrag zu »grace« nicht sehr aussagekräftig ist. Einen ähnlichen Vergleich kann man zur Herrenmahlslehre führen, die nicht nur unter »Eucharist« und »transsubstantiation«, ja, sogar »Azymite« behandelt wird, sondern auch unter »Impanation«. Das ist alles lesenswert, wenn auch etwa in der Darstellung des Verhältnisses von Erstem und Zweitem Abendmahlsstreit verkürzend, aber insgesamt ist die Gewichtung doch erstaunlich. Der geringen Bedeutung, die der Entwicklung der Rechtfertigungslehre beigemessen wird, entspricht auch die Personenauswahl: Gregor von Rimini und Thomas Bradwardine sind nicht mit einem eigenen Eintrag gewürdigt worden – was nicht zuletzt daran liegen dürfte, dass von Heiko Obermans Arbeiten im Literaturverzeichnis kaum etwas erkennbar rezipiert wurde.
Die stark auf katholische Leserschaft zielende Auswahl verbindet sich gelegentlich mit historisch fragwürdigen Einschätzungen. So notiert G. etwa über das Papsttum: »it was clear that when the pope decided to publish a decision, no one was supposed to dispute it« (139). Das ist für die komplexe Haltung mittelalterlicher Theologen bis zum Vorabend der Reformation zur Rolle des Papstes doch eine arge Verkürzung, die katholischer Theologie nach dem Ersten Vatikanum eher entgegenkommt als einem historischen Verständnis des Mittelalters. Gerade in diesen Fragen nimmt G. auch innerkatholisch eine recht spezielle Position ein: Dass Benedikt XII. (1334–1342) 1336 tatsächlich die Position Johannes’ XXII. (1316–1334) in der Frage der visio beatifica bestätigt habe (21), sieht jedenfalls der Denzinger-Hünermann zur Konstitution »Benedictus Deus« aus ebendiesem Jahr anders (Nr. 1000–1002). So bleibt eine der kritischsten Debatten über päpstliche Lehren im Mittelalter völlig unterbestimmt. Zu der Verwirrung trägt noch bei, dass G., in Umkehrung der zeitlichen Reihenfolge, erklärt, Wilhelm von Ockham habe nicht nur aus theologischen Gründen, sondern auch wegen der visio-Lehre die Armutslehre von Johannes XXII. verworfen (2).
Durch diese Fülle von Unschärfen und Verschiebungen wird das Buch insgesamt in seinem Nutzwert leider erheblich reduziert.