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Ausgabe:

September/2010

Spalte:

997-1000

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Ferguson, Everett

Titel/Untertitel:

Baptism in the Early Church. History, Theology, and Liturgy in the First Five Centuries.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2009. XXII, 953 S. m. Abb. gr.8°. Geb. US$ 60,00. ISBN 978-0-8028-2748-7.

Rezensent:

Otmar Hesse

In deutschen Haushalten leben heute Menschen zusammen, von denen längst nicht alle getauft sind. Es kann vorkommen, dass eine Familie aus getauften Kirchenmitgliedern, aus getauften Angehörigen, die aus der Kirche ausgetreten sind, und aus nichtgetauften Mitgliedern besteht. Hierzu hat die Austrittswelle in den westlichen Bundesländern ebenso beigetragen wie der Traditionsabbruch in der ehemaligen DDR. Manche Kirchengemeinden ver­-suchen, das Bewusstsein von der Taufe durch Tauferinnerungs­-gottesdienste zu stärken. Die heutige Taufpraxis mit ihren Sym­bolhandlungen – u. a. Kreuzeszeichen, Wassertaufe und Taufkerze – spricht moderne Menschen an.
Seit wann gibt es die Taufe? Was bedeutet die Taufe? Welche Bestandteile gehören zu einer Tauffeier? Warum praktizieren wir die Kindertaufe? Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Taufpraxis und Kirchenbau und Kirchenausstattung? Welche Bedeutung hat die Taufe für das Leben des Getauften?
Antworten auf diese Fragen kann man in Lexikonartikeln oder in Sammelbänden finden. In der Fachwelt wird zurzeit ein Werk über die Taufe erwartet, das auf Initiative von David Hellholm eine Gruppe von 60 Wissenschaftlern, vor allem aus den skandinavischen und deutschsprachigen Ländern, aber auch aus den USA, Großbritannien, Australien und Italien erarbeitet hat. Die einzelnen Beiträge wurden bei zwei Symposien in Rom (3.–7. September 2008) und auf Lesbos (3.–10. September 2009) diskutiert. Im Herbst 2010 werden als Beiheft zur ZNW zwei Bände unter dem Titel Ablution, Initiation, and Baptism in Early Judaism, Graeco-Roman Religion and Early Christianity erscheinen.
Wenn ein Wissenschaftler sich allein an eine solche Aufgabe wagt, muss er sich auf langjährige Erfahrungen berufen können. Im Jahre 2009 ist die bewundernswerte Arbeit von dem amerikanischen Gelehrten Everett Ferguson (Jahrgang 1933), emeritierter Professor für Kirchengeschichte an der Abilene Christian University, Abilene, Texas, erschienen. F. hat sich durch eigene Arbeiten zum Thema bekannt gemacht und seine Ergebnisse u. a. auf den International Conferences on Patristic Studies in Oxford vorgetragen. Als einer der Autoren des Beiheftes der ZNW kann ich diesem sprachlich gut verständlichen Werk meine Anerkennung zollen. Ich bin »überwältigt« (so könnte man übrigens βαπτιζόμενος auch übersetzen, vgl. 52–55) von F.s Gelehrsamkeit und Souveränität im Umgang mit dem umfangreichen Material. Mir gefallen die flüssig geschriebene Darstellung und die Möglichkeit, sich selbst eine Meinung zu bilden. F. zitiert ausführlich die wesentlichen Texte zur Taufe und bringt anschließend die Meinung der einzelnen Ausleger und Bearbeiter der Texte. Seine eigene Meinung ist immer klar erkennbar. Wenn er sich auf andere Arbeiten beruft, nennt er das.
Über seinen Umgang mit Quellen und ihren Übersetzungen ist anzumerken: Oft gebraucht F. eigene Übersetzungen, manchmal ändert er leicht eine vorhandene Übersetzung, aus einigen englischen Übersetzungen zitiert er längere Passagen (sie werden unter den acknowledgments, XXI f., erwähnt: z. B. Pseudo-Macarius: The Fifty Spiritual Homilies and the Great Letter, übersetzt, herausgegeben und kommentiert von George A. Maloney, 1992). Gerne übernimmt er auch die Übersetzungen aus der Sekundärliteratur. Er hat selten fremdsprachige Übersetzungen benutzt.
Das auf dem farbigen Umschlagbild abgebildete Mosaik von der Kuppel der arianischen Taufkapelle in Ravenna, das die Taufe Jesu darstellt (schwarzweiß als Tafel 12) macht deutlich, dass F. nicht nur auf schriftliche Zeugnisse zurückgreift, sondern auch die christliche Kunst und Taufkapellen, Taufbecken usw. mit heranzieht. So finden Kunsthistoriker und Archäologen die Objekte ihrer Betrachtung nicht nur in der Spezialliteratur, sondern auch in den Rahmen der zeitgenössischen christlichen Theologie gestellt (Bilder von der Taufe Jesu, 123–131, sowie Tafeln 1–12, Kapitel VII »Baptisteries«, 819–852, mit den Tafeln 13–24). Auch die Philologen werden dankbar sein für die ausführliche Untersuchung des Wortstammes βαπτ- (38–59).
F. breitet sein Material in sieben Kapiteln aus, die 55 Abschnitte enthalten. Vorher erfolgt eine Übersicht über die Literatur (1–22). Im ersten Unterabschnitt nennt er Gesamtdarstellungen und größere Lexikonartikel. Aus dem deutschsprachigen Bereich werden erwähnt: Erich Faschers PRE-Artikel »Taufe« (1932) sowie Lothar Heiser, »Die Taufe in der orthodoxen Kirche« (1987). Der zweite Unterabschnitt widmet sich Studien zur Taufliturgie. Nach dem katholischen Beitrag von Alois Stenzel, »Die Taufe. Eine genetische Erklärung der Taufliturgie« (1958), wird die Arbeit von Georg Kretschmar, »Die Geschichte des Taufgottesdienstes in der alten Kirche« (1964–1966), ausführlich gewürdigt. Der dritte Unterabschnitt geht auf Spezialuntersuchungen ein, die von F. später nicht mehr er­wähnt werden: zur Typologie (Per Lundberg), die Taufe als Rechtsakt (Othmar Heggelbacher), Taufe und Firmung (Burkhard Neunheuser), Sündenvergebung und ikonographische Aspekte (Ernst Dassmann) sowie die Taufe als Initiationsfeier (August Jilek).
Die sieben Kapitel, deren Abschnitte in den Klammern genannt werden, behandeln: I. Vorläufer der christlichen Taufe (Reinigungen im griechisch-römischen Heidentum; Worte mit der Wurzel βαπτ-; Jüdische Waschungen, Taufbewegungen und Proselyten­taufe; Johannes der Täufer), II. Taufe im Neuen Testament (zwei Kapitel über die Taufe Jesu; Andere Tauferwähnungen in den Evangelien; Taufe in den Paulusbriefen; Die Apostelgeschichte; Taufe in den restlichen neutestamentlichen Schriften), III. Das zweite Jahrhundert (Apostolische Väter; Christliche Pseudepigraphen und Apokryphen; Apologeten; Pseudo-Clementinen und jüdisches Christentum; Jüdische und christliche Taufen; Markioniten, Gnos­tiker – Valentinianer und Sethianer – und verwandte Gruppen; Irenäus; Clemens von Alexandrien), IV. Das vierte Jahrhundert bis Nizäa (Hippolyt; Tertullian; Cyprian; Ursprung und frühe Entwick­lung der Kindertaufe; Kontroverse über die »Wiedertaufe« im 3. Jh.; Origenes; Syrien im 3. Jh.; Quellen an der Wende zum 4. Jh.), V. Das vierte Jahrhundert (Ägypten im 4. Jh.; Jerusalem im 4. Jh.; Autoren auf Syrisch im 4. Jh.: Aphrahat und Ephraem; Die Schule von Antiochien: Theodor von Mopsuestia und Johannes Chrysostomus I und II; Verschiedene Quellen: Kirchenordnungen und »eunomianische« Taufe; Kappadokien: Basilius der Große, Gregor von Nazianz und Gregor von Nyssa; Der Taufaufschub: Krankenbetttaufe, Taufe von Gläubigen und Kindertaufe; Mailand: Ambrosius; Andere Norditaliener; Spanien; Einige andere lateinische Autoren), VI. Das fünfte Jahrhundert (Ägypten: Kyrill von Alexandrien und der koptische Ritus; Autoren und Schriften auf Syrisch und Armenisch; Griechisch sprechendes Syrien; Taufe in der messalianischen Kontroverse; Kleinasien und Konstantinopel; Ravenna und Rom; Gallien und Nordafrika: Gennadius von Marseille; Einige afrikanische Konzilien und Quodvultdeus von Karthago). Da F. bewusst sowohl das östliche als auch das westliche Christentum bearbeitet hat, wird der rein theologische Teil – natürlich – mit zwei Abschnitten über Augustin von Hippo beschlossen. Am Schluss steht Kapitel VII über Baptisterien.
Leider fehlt eine systematisch-theologische Durchdringung des zentralen Themas der Kirchen- und Dogmengeschichte. Für den Leser des ganzen Bandes wäre es hilfreich, wenn häufiger aufeinander abgestimmte Zusammenfassungen vorlägen. Einzelne Ab­schnitte werden in einem summary oder einer conclusion zusam­mengefasst (I 3, II 9 und 10 sowie das ganze Kapitel II, III 16 und 19). Die conclusions für das ganze Werk sind als Abschnitt 55 des Kapitels VII fast versteckt. Hier findet man auf den Seiten 853–860 die Fragen zum Ursprung der Taufe, zur Tauflehre, zur Taufliturgie, zum Ursprung und zur Entwicklung der Kindertaufe, zu Art und Weise der Taufe beantwortet.
Im Rahmen einer Rezension ist eine Einzelkritik angesichts der Fülle des Materials nicht möglich. Nur einiges sei angemerkt: Im Kapitel 47 (724–744) werden neben den Messalianern, die F. voranstellt, folgende Kirchenväter erwähnt, die er in die Auseinan­- dersetzung mit den Messalianern einordnet: Pseudo-Makarius und Diadochus von Photike als »Moderate Voices«, Hieronymus als »Messalian Voice?« und Markus Eremites als »Antimessalian Voice«. Es wäre hilfreicher gewesen, die Autoren einzeln vorzustellen. (Makarius hätte ich am Ende des 4. Jh.s nach den Kappadokiern behandelt.) Im Übrigen ist es schon ungewöhnlich, über dieses Thema zu schreiben, ohne Hermann Dörries und Reinhart Staats zu nennen (anstelle von Werner Jaegers Ausgabe des Großen Briefes ist die Ausgabe von Staats vorzuziehen, 729, Anm. 20). – M. E. kann man über die Taufe bei den Messalianern nur sachgerecht berichten, wenn man die Stellung des Mönchtums zur Taufe in dieser Zeit untersucht.
Ein so umfangreiches Werk muss für den Leser zugänglich gemacht werden. Das erfolgt dankenswerterweise durch mehrere Register: Biblische Texte, Griechische und lateinische Autoren und Schriften, Jüdische Autoren und Schriften, Nichtkanonische christliche Autoren und Schriften (= Kirchenväter), Moderne Autoren sowie Begriffe (subjects). Sie nehmen insgesamt 92 Seiten ein (861–953). Stichproben erbrachten: Von den modernen Autoren sind einige nicht immer in das Verzeichnis aufgenommen (z. B. Hans Jörg Auf der Maur). Häufig werden fremdsprachige, be­sonders deutsche Titel fehlerhaft zitiert. Es liegt vor allem an den Umlauten, an der Groß- und Kleinschreibung und an der Zeichensetzung. Ein deutschsprachiger Korrekturleser hätte Abhilfe schaffen können. – Bei den Begriffen ist nicht angegeben, unter welchen Gesichtspunkten sie zusammengestellt sind. Z. B. gibt es deutlich mehr Hinweise auf gift of the Holy Spirit, als im Register aufgeführt werden. Neben efficacy hätte ich auch effects und effect erwartet; asceticism ist nicht vollständig. Diese Liste ließe sich fortsetzen. Natürlich schmälern diese kritischen Anmerkungen nicht den Wert des Buches.
F.s opus magnum wird nicht nur im englischsprachigen Raum als eine gelungene Einführung in »die Geschichte, Theologie und Liturgie der Taufe in den ersten fünf Jahrhunderten« angenommen werden.