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Ausgabe:

September/2010

Spalte:

961-962

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Dschulnigg, Peter

Titel/Untertitel:

Das Markusevangelium.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2007. 432 S. gr.8° = Theologischer Kommentar zum Neuen Testament, 2. Kart. EUR 35,00. ISBN 978-3-17-019770-1.

Rezensent:

David du Toit

Der Bochumer Neutestamentler Peter Dschulnigg, dessen Dissertation Sprache, Redaktion und Intention des Markus-Evangeliums einen Meilenstein der neueren Markusforschung darstellt, hat nun in der Reihe Theologischer Kommentar zum Neuen Testament den Band zum Markusevangelium vorgelegt und so die Ergebnisse seiner jahrelangen Markusstudien gebündelt einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert. D. stellt in der Einleitung (7 f.) klar, dass die Schwerpunktsetzung der Reihe, die im Bereich des christlich-jüdischen Dialogs, der feministischen Exegese sowie der Sozialgeschichte Akzente setzen will, seinen eigenen Forschungsprioritäten entspricht. Darüber hinaus möchte er im Kommentar vor allem im Bereich der Form-, Gattungs- und Redaktionskritik Akzente setzen, während Literar- und Traditionskritik eher ausgespart werden. D. äußert Skepsis darüber, ob die Vorgeschichte des Mk sinnvoll erhellt werden könne. Er sieht seinen Beitrag eher im Bereich einer eingehenden Untersuchung von Komposition, Sprache und Stil des Evangeliums. Eine solche Untersuchung legt ihm zufolge ein deutliches Zeugnis von der literarischen Einheit des Evangeliums ab.
Wie üblich, ist auch diesem Kommentar eine Einleitung (33–56) mitsamt einem recht umfassenden Literaturverzeichnis (17–32) vorangestellt. Es folgt zum Abschluss ein Stellenregister (421–429). Im Kommentarteil wird das Evangelium sukzessive ausgelegt. D. unterscheidet sieben Hauptteile (1,1–13; 1,14–3,35; 4,1–6,56; 7,1–8,26; 8,27–10,52; 11,1–13,37; 14,1–16,8; die Begründung findet sich auf S. 33 f.), die in 79 Perikopen unterteilt sind. In einem Anhang (415–420) werden langer und kurzer Schluss des Evangeliums ausgelegt. Die Hauptteile werden jeweils mit einem knappen Überblick über den Inhalt des jeweiligen Teils eingeleitet. Anschließend werden die einzelnen Perikopen jeweils in deutscher Übersetzung dargestellt (grau unterlegt und durch einen anderen Schrifttyp abgehoben vom übrigen Text). D. ist in den Übersetzungen nach eigener Aussage um eine größtmögliche Nähe zum griechischen Original bemüht und nimmt dabei bewusst in Kauf, dass das Deutsch infolgedessen oft wenig flüssig und häufig sogar sperrig ist (vgl. 57, Anm. 1). Nach der Übersetzung folgen Abschnitte zu Form- und Gattungskritik (jeweils mit Petitsatz vom übrigen Text abgesetzt) sowie zur Redaktionskritik, ehe die einzelnen Verse ausgelegt werden. Fragen zur Textkritik werden nur vereinzelt in den Anmerkungen verhandelt (z. B. 58, Anm. 3 zu 1,1; 109, Anm. 145 zu 3,1). Zu 24 Stichworten gibt es knappe Exkurse (das jeweilige Stichwort wird durch Fettdruck hervorgehoben, die Exkurse stehen in der Regel im Petitsatz, ein alphabetisches Stichwortverzeichnis befindet sich auf S. 15). Sie erläutern zum Teil Aspekte der Zeitgeschichte (Pharisäer, Herodianer, Schriftgelehrte, Schabbat, Synhedrium), religionsgeschichtliche Motive (Evangelium, Heiliger Gottes, Sohn des Menschen, Taube, Verstockung) und Kompositionsstrategien (Streitgesprächsammlungen, Summarien, Verschachtelung, Wegmotiv). Weitere Abschnitte mit traditions-, motiv- und religionsgeschichtlichen Informationen werden jeweils ad locum in Petitsatz geboten (vgl. z. B. 106 zu 2,27; 146 zu 4,33 f., 229 zu 8,27–33). Exegetische Entscheidungen bzw. Alternativen werden mit knappen Hinweisen in den Anmerkungen belegt.
Zur Perikopenauslegung: In den formkritischen Abschnitten be­müht sich D. vor allem um eine Gliederung und ferner um eine Beschreibung der Formmerkmale des jeweiligen Textabschnittes. In den gattungskritischen Abschnitten wird jeweils eine Bestimmung der literarischen Gattung vorgenommen (vielfach mit Verweis auf R. Pesch, G. Theißen und K. Berger, häufig werden hier Positionen aus der älteren Formgeschichte zum Vergleich notiert). In den redaktionsgeschichtlichen Abschnitten wird die Funktion der jeweiligen Passage zusammenfassend dargestellt, und inter- und intratextuelle Zusammenhänge werden knapp erläutert. Damit ist das Profil der Auslegung hinreichend klar: D. bietet eine Auslegung der vorliegenden Gestalt des Markustextes. Der Kommentar zeichnet sich darin als »modern« aus, dass in ihm Redaktionskritik nicht im Sinne der klassischen redaktionsgeschichtlichen Kommentare (Pesch, Gnilka, Schmithals usw.) »Redaktion« von rekonstruierten »Traditionen« abhebt, um somit die Bedeutung des Textes vor allem in diesen redaktionellen Differenzen zu erkennen, sondern die Bedeutung wird »synchron« und funktional eruiert. Die Vers­auslegung ist sehr knapp gehalten. Die Auslegung erfolgt in Vers­abschnitten, die der in der Formkritik erarbeiteten Gliederung entsprechen. Verweise auf griechische, hebräische oder aramäische Wörter erfolgen in Umschrift.
Zum Schluss: Welche grundlegenden Entscheidungen dienen als Eckpunkte der Kommentierung? D. optiert für ein Entstehungsdatum zwischen 64 und 66 n. Chr. (56). Rom als Entstehungsort sei möglich, die AdressatInnen seien vielleicht Heidenchristen des Westens gewesen (54 f.), in der Verfasserfrage ist er unentschieden (52 ff.). Mir blieb unklar, ob die sozialgeschichtlichen Beobachtungen zu einer Unterschichtsherkunft der Jünger (38 f.) von D. als sozialgeschichtliche Spiegelung der Leserschaft verstanden werden oder als traditionsgeschichtliche Reminiszenz der Jesusbewegung. Gattungsgeschichtlich ordnet D. das Mk einerseits der antiken biographischen Literatur zu, andererseits den alttestamentlichen Geschichtsbüchern (49 f.), betrachtet es aber auch im Sinne Dibelius’ als »Buch der geheimen Epiphanien« (48 f.). Er rechnet mit einer 10,32–12,12 und 14,1–16,8 umfassenden vormarkinischen Passionsgeschichte (43–45). D. vertritt die verbreitete Theorie eines Jüngerversagens im Mk, flankiert dies jedoch mit der ungewöhnlichen These, dass die JüngerInnen (das inkludierende »I« gehört zum Standardduktus) »anders als die Jünger, vollkommene RepräsentantInnen (sic) der Jesusnachfolge« seien (37, vgl. auch zu 15,40 f. und 16,7 f.).
D. hat einen sehr empfehlenswerten Mk-Kommentar vorgelegt, der auch für ein nicht wissenschaftliches Publikum sehr wertvoll sein dürfte.