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Ausgabe:

September/2010

Spalte:

957-958

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Müller, Reinhard

Titel/Untertitel:

Jahwe als Wettergott. Studien zur althebräischen Kultlyrik anhand ausgewählter Psalmen.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2008. XII, 292 S. gr.8° = Beiheft zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 387. Lw. EUR 78,00. ISBN 978-3-11-020731-6.

Rezensent:

Beat Weber

Bei der vorzustellenden Monographie handelt es sich um die er­weiterte Fassung einer im Sommersemester 2008 an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität München angenommenen Habilitationsschrift. Woher kommt Jhwh, der Gott Israels? Diese Frage steht im Hintergrund dieser religionsgeschichtlichen Studie, welche anhand ausgewählter biblischer Psalmen die »althebräische Kultlyrik« zu erfassen trachtet. Dem Vf. wird diese, unter Einbezug des altorientalischen Vergleichsmaterials (u. a. aus Ugarit), greifbar in der Vorstellung von Jhwh als (königlichem) Wettergott und damit verbundener Motive.
In der Einleitung wird die Forschungsgeschichte gesichtet und die Vorgehensrichtung angezeigt. Im ersten und längsten Hauptkapitel, das den Titel »Triumph und Inthronisation Jahwes« trägt, werden die einschlägigen Theophanie-Schilderungen in ihren Psalmkontexten erarbeitet und mit anderen Texten aus dem Vorderen Orient verglichen. Es handelt sich zunächst um Ps 18,4:8–16:20 und Ps 77,14:17–20:21, ferner um Ps 93,1:3–4:5 und Ps 97,1:2–5:12, schließlich um Ps 29,1:3–9:11 und Ps 95,2:7–14*. Im zweiten Hauptkapitel mit dem Titel »Jahwes Königsherrschaft« werden der Reihe nach Ps 24,1:7–10; 98,1:4–9; 48,2–4:15; 36,6–10 und zum Ab­schluss unter der Überschrift »Der Wettergott und die umsorgte Welt« Ps 104 (mit V. 2–4.10 f.13 f.*32 als Kern) erörtert.
Das Ergebnis wird mit folgenden Worten eingeführt: »Die vorgestellten Texte zeigen, dass Jahwe ursprünglich als Wettergott verehrt wurde: Sie preisen den althebräischen Gott als gewaltigen Krieger, der die Herrschaft über die Erde und den Kosmos beansprucht, der die Fluten zähmt und den Regen spendet, der König wird, von den Göttern Huldigungen empfängt und von seinem Palast aus die Ordnung der Welt errichtet und verteidigt.« (236) Zu den ältesten Strata gehören mythische Vorstellungen des Wettergottes (in großer Nähe zu religionsgeschichtlichen Entwicklungen in der ersten Hälfte des 1. Jt.s v. Chr. in Israels Umwelt), die in einer zweiten Phase mit dem Motivkomplex der Königsherrschaft Jhwhs (Tempeltheologie) erweitert wurden (heilsgeschichtliche Theologie ist dagegen spät). Ein Schlüsseltext für die Entwicklung vom Wetter- und Königsgott zum Weltengründer und -schöpfer stellt Ps 24 dar. Zugleich wird an diesem Psalm die liturgische Inszenierung greifbar. Der Vf. denkt – in den Bahnen des kultdramatischen Ansatzes von Mowinckel – an ein Ritual am Neujahrsfest, bei dem Jahwes Triumph über die Fluten und seine Thronbesteigung als ewiger König der Erde gefeiert wurde. Neben dem Literaturverzeichnis helfen ein Stellen- und Autorenregister zur Erschließung des Bandes.
Diese Studie liegt innerhalb der neusten (jedenfalls kontinentaleuropäischen) Psalmenforschung, die sich einerseits in den Bahnen Gunkels bewegt, andererseits die Kanonwerdung des Psalters zu erhellen trachtet, einigermaßen quer in der Landschaft. Damit ist allerdings noch nichts über Berechtigung und Qualität ausgesagt. Die Arbeit besticht durch profunde Kenntnis religionsgeschichtlicher Stoffe und deren luzide Anwendung auf die Psalmentexte. Dass die poetisch geformten Theophanieaussagen gemeinorientalisches und altes Kolorit aufweisen, hat vieles für sich. Inwieweit die vom Vf. gezeichnete evolutive wie adaptive Entwick­lung der Religionsgeschichte Israels überzeugen kann, hängt nicht zuletzt an der Einschätzung von Parametern ab, die der Studie zugrunde liegen bzw. in sie einfließen. Hier kann nur weniges an­getippt werden. Der Vf. argumentiert religionsgeschichtlich und literarhistorisch parallel, indem er mehrschichtige Prozesse an den Psalmen literarkritisch zu plausibilisieren sucht. Ob man an poetischen Kleintexten wie den Psalmen bis zu sechs Schichten mit hinreichender Deutlichkeit differenzieren kann, ist eine Frage, an der sich die Geister scheiden.
Die Theophanieschilderungen selbst sind zwar recht gut von ihrem Kontext abhebbar; allerdings stellt sich auch dann die Frage, ob deren Andersheit literarkritisch (Kernstücke, die erweitert wurden) oder nicht eher kompositionskritisch in dem Sinn auszuwerten ist, dass alte Überlieferungen aufgenommen und einkomponiert wurden. An­gesichts seiner Eingangsfrage nach der Herkunft Jhwhs erstaunt es, dass der Vf. sich im Blick auf die Debatte, ob Jhwh ursprünglich vom Süden (Seir) her gekommen oder autochthonen Ursprungs ([nördliches] Palästina oder vom Zion) sei (dazu zuletzt M. Leuenberger in ZAW 122 [2010], 1–19), weithin bedeckt hält. Die Redeweise von der »brüchigen alttestamentlichen Überlieferung« im Blick auf die für die Promulgierung der Herkunft aus dem Süden wichtigen Texte samt deren Spätansetzung (vgl. 243) lässt aber die Einschätzung des Vf.s ahnen. Insgesamt liegt eine Monographie vor, der hohe Kompetenz zu bescheinigen ist. Nicht erstaunen würde es den Rezensenten, wenn damit auch eine große Kontroverse entfacht würde. Das wäre beileibe nicht das Schlech­-teste, was einer Studie widerfahren kann.