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Ausgabe:

September/2010

Spalte:

949-952

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Ipgrave, Michael [Ed.]

Titel/Untertitel:

Justice and Rights. Christian and Muslim Perspectives. A record of the fifth »Building Bridges« seminar held in Washington, D. C., March 27–30, 2006.

Verlag:

Washington: Georgetown University Press 2009. X, 181 S. gr.8°. Kart. US$ 24,95 17,25. ISBN 978-1-58901-489-3.

Rezensent:

Hanns Engelhardt

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Ipgrave, Michael [Ed.]: Building a Better Bridge. Muslims, Christians, and the Common Good. A record of the fourth Build­ing Bridges seminar held in Sarajevo, Bosnia-Herzegovina, May 15–18, 2005. Washington: Georgetown University Press 2008. X, 178 S. 8°. Kart. US$ 24,95. ISBN 978-1-58901-221-9.


Drei Jahre nach Erscheinen des Bandes über das dritte »Building Bridges«-Seminar (zu ihm und dem Gesamtunternehmen der durch den früheren Erzbischof von Canterbury, Dr. George Carey, ins Leben gerufenen christlich-muslimischen »Building Bridges«-Seminare vgl. ThLZ 133 [2008], 905) ist 2008 der vierte und 2009 der fünfte Band der Reihe erschienen; sie dokumentieren die Seminare, die im Mai 2005 in Sarajevo und im März 2006 in Washington DC stattgefunden haben. Nachdem die ersten drei Seminare sich mit Grundsatzfragen des christlich-muslimischen Dialogs, mit dem Verständnis von und dem Umgang mit heiliger Schrift sowie mit dem Phänomen der Prophetie in der Sicht der Bibel und des Korans beschäftigt hatten, haben die Teilnehmer sich nunmehr gesellschaftlichen Fragen zugewandt.
Das vierte Seminar behandelte in Sarajevo das christliche und das muslimische Verständnis des Gemeinwohls (»Common Good«). Dieses weitgespannte Thema – besonders aktuell in der ethnisch-religiösen Situation Bosniens – wurde unter drei verschiedenen Aspekten untersucht: »Gläubige und Bürger: Glaube und nationale Identität in christlicher und muslimischer Sicht«, »Auf der Suche nach dem Gemeinwohl: Governance und Gerechtigkeit in christlicher und muslimischer Sicht«, »Sorge für die Welt, an der wir gemeinsam teilhaben«. Diese Themen sind nicht nur von Bedeutung im Verhältnis von Christen und Muslimen zueinander, sondern auch für beide im Verhältnis zu säkularistisch dominierten Gesellschaften. Zum ersten Thema setzt sich Maleiha Malik (Leeds) aus muslimischer Sicht kritisch mit der liberalen Auffassung auseinander, nach der Bürgersein mit der öffentlichen und Religion mit der privaten Sphäre gleichgesetzt wird. Sie weist auf den engen Zusammenhang zwischen privater und öffentlicher Identität hin und zeigt auf, wie dieser Ansatz Islam und Modernität in einen gegenseitigen kritischen Dialog bringen könne. Aus christlicher Sicht beschreibt Michael Nazir-Ali (Bischof von Rochester), wie seit der biblischen Zeit eine ständige Wechselwirkung zwischen Kirche und Staat stattgefunden hat.
Für Christen wie Muslime stellt die Religion auch eine Kraft dar, die nach einer Veränderung der Gesellschaft trachtet. Christen wie Muslime wissen sich durch göttliche Gebote beauftragt und durch göttliche Werte geleitet, die der Aufgabe gewidmet werden müssen, die Welt zu verwandeln, in der sie leben. Wie dieser Anwendungsprozess vor sich gehen soll, ist freilich umstritten. Ein Muslim (Tariq Ramadan) und ein Christ (John Langan SJ) diskutieren die dafür maßgebenden theologischen Grundlagen; vier gebietsbezogene Studien von Governance und Gerechtigkeit folgen.
Die vier Beiträge des dritten Kapitels, wiederum zwei christlich-muslimische Paare, befassen sich mit den Einwirkungen der Tätigkeit menschlicher Gemeinschaften auf die Welt, an der alle teil­-haben. Der gegenwärtige Erzbischof von Canterbury, Rowan Will­iams, und Tim Winter (Cambridge) erörtern das theologische Problem der Armut als ein Zentralproblem der Ökonomie; Ellen Davis (Durham, North Carolina) und Aref Nayed (Cambridge) weisen auf die Notwendigkeit einer durch die Heilige Schrift geleiteten Ökologie hin.
In seiner kurzen abschließenden Betrachtung weist der Herausgeber, Archdeacon Michael Ipgrave von Southwark auf die besondere Beziehung des Gesamtthemas zur Situation in Bosnien hin. Ausgehend von der Zerstörung der berühmten Brücke von Mostar im Jahr 1993 stellt er die Frage: Können wir Brücken bauen, die besser sind als ihre Vorgänger? Die bosnische Situation lässt, so Ipgrave, drei Horizonte sichtbar werden, die Christen und Muslime im Blick halten müssen, wenn sie auf der Suche nach Gemeinsamkeiten vertrauensvoll zusammenarbeiten wollen. Erstens – im Blick auf die Vergangenheit – bedarf es einer Reinigung der Erinnerung. Zweitens – im Blick auf Gegenwart und Zukunft – müssen Christen und Muslime die positive Verpflichtung übernehmen, in Spannungszeiten, die zu Verdacht und Gegnerschaft führen, einander und andere Glaubensgemeinschaften zu schützen. Schließlich bedarf es einer gegenseitigen Anerkennung als Völker, die nicht nur menschliche Ziele verfolgen, sondern sich gleichermaßen Gott zuwenden – ungeachtet der scharfen und vielleicht unaufhebbaren Unterschiede im Verständnis Gottes.
Das fünfte Seminar befasste sich in Washington mit christlichen und muslimischen Gesichtspunkten zu Gerechtigkeit und Menschenrechten. In Übereinstimmung mit dem Muster früherer Seminare wurde ein Thema von sowohl aktueller als auch dauernder Bedeutung durch Vorlesungen von Gelehrten beider Glaubensrichtungen, durch gemeinsame Studien und Überlegungen zu Schlüsseltexten sowie durch Gruppen- und Plenardiskussionen angegangen. Der vorliegende Band bietet die Vorlesungen und die Texte mit Einführungen, die die Diskussionen im Seminar widerspiegeln. Er ist in drei Hauptteile gegliedert: Grundlagen in den Heiligen Schriften, sich entfaltende Überlieferungen, die moderne Welt.
Mohammad Hashim Kamali, Leiter des Internationalen Instituts für höhere islamische Studien in Malaysia, analysiert die Aussagen des Korans zum Verhältnis von Herrscher und Untertanen. Ellen F. Davis, Professorin für Biblische und Praktische Theologie an der Duke Divinity School (USA), erörtert biblische Perspektiven göttlicher Gerechtigkeit und politischer Autorität. Im Anschluss daran untersuchen verschiedene Theologen Texte des Alten und Neuen Testaments, des Korans und des Hadith.
Neu gegenüber den früheren Seminaren ist die Einbeziehung der weitergehenden theologischen Entwicklung in beiden Religionen. Vincent J. Cornell, Professor für Mittelöstliche und Islamische Studien an der Emory-Universität (Atlanta, USA), befasst sich mit religiöser Orthodoxie und religiösen Rechten im mittelalterlichen Islam. John Langlan SJ (Professor für katholische Soziallehre an der Georgetown-Universität (Washington, USA), stellt unter dem be­zeichnenden Titel »Une Foi, Une Loi, Un Roi« die Entwicklung politischer Autorität und religiöser Freiheit im Westen von Konstantin bis Jefferson dar. Den Abschluss dieses Teils bildet die Erörterung einiger Texte von Augustin, ibn Lubb, al-Ghazali und Luther.
Der dritte Teil enthält im Gegensatz zu den vorangehenden nur ein Grundsatzreferat. Die Ausführungen von Malcolm Evans, Dekan der Fakultät für Sozialwissenschaften und Recht an der Universität Bristol, über das Verhältnis von Menschenrechten und Religionsfreiheit greifen weit über den Problembereich des Verhältnisses von Christentum und Islam hinaus; sie können generell bei den Bemühungen um die Sicherung der Religionsfreiheit, insbesondere auf europäischer Ebene, Beachtung beanspruchen. Evans stellt fest, dass der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in seiner Rechtsprechung Demokratie und Menschenrechte mit Toleranz und Pluralismus zu identifizieren und mehr und mehr religiöse Manifestationen, die diese Tugenden nicht zeigen, als Bedrohung zentraler Werte anzusehen scheint. Pluralismus und Toleranz würden »no longer understood to mean respect by others for religion as much as respect by religion for others«. Er wirft dem Gerichtshof »eine Art von ›secular fundamentalism‹« vor und kommt zu dem Ergebnis, es bestehe »a need to recapture a vision of law as the just ordering of society in the light of existing conceptions, and that means taking those conceptions as our starting point rather than imposing increasingly alien solutions to questions upon believers in the name of human rights on the mistaken assumption that it is the only acceptable conception«.
Dieser Teil des Seminars wird durch die Erörterung der Barmer Erklärung, von Schriften des Imams Khomeini, der Erklärung des 2. Vatikanischen Konzils zur Religionsfreiheit und zweier islamischer Menschenrechtserklärungen abgeschlossen.
Zu den auch in Deutschland mit seinem wachsenden musli­mischen Bevölkerungsanteil notwendigen Bemühungen um ge­genseitiges religiöses Verständnis und dem dazu erforderlichen theologischen Dialog können die »Building Bridges«-Seminare weiterhin wesentliche Gesichtspunkte beitragen.