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Ausgabe:

Juli/August/2010

Spalte:

910-912

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Kammeyer, Katharina

Titel/Untertitel:

»Lieber Gott, Amen!« Theologische und empirische Studien zum Gebet im Horizont theologischer Gespräche mit Vorschulkindern.

Verlag:

Stuttgart: Calwer Verlag 2009. 539 S. 8°. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-7668-4098-1.

Rezensent:

Friedrich Schweitzer

Dieses bemerkenswerte Buch, eine Dortmunder Dissertation (be­treut von Gerhard Büttner), verbindet drei Absichten miteinander: 1. Verknüpfung der Kindertheologie mit der sozial- und erziehungswissenschaftlichen Kindheitsforschung; 2. theologische Be­gründung des Gebetsverständnisses im Gespräch zwischen Systematischer Theologie und einem auf Kinder bezogenen phänomenologischen Ansatz; 3. Einsichten in das Kindern eigene Verständnis von Gebet. Insofern handelt es sich um eine Untersuchung, die weit über die in diesem Bereich bislang übliche (Praxis- und Anleitungs-) Literatur hinausgeht. Kennzeichnend ist das durchweg festgehaltene Interesse an einem theologisch begründeten und reflektierten Blick auf das Beten von Kindern und mit Kindern, der zu­gleich ganz bei den Kindern ansetzt.
Das Buch ist in drei Hauptteile gegliedert. Der erste zeichnet den Ansatz der Kindertheologie in den »Rahmen aktueller Kindheitsforschung« ein (23–122). Der zweite legt den Schwerpunkt auf eine »theologische Begriffsklärung«, daneben aber auch auf die Beschreibung empirischer Arbeiten zum Gebet bei Kindern (123–327), während der dritte dann »kindertheologische Gespräche zum Gebet« ins Zentrum stellt und darüber hinaus den eigentlichen Ertrag der Studie bieten soll (328–518). Die Darstellung ist durchweg sehr sorgfältig gearbeitet und um das Gespräch mit der einschlägigen Literatur bemüht. Trotz des Umfangs ist die Lektüre nur dort etwas ermüdend, wo die Vfn., immer wieder auch unkommentiert, längere Passagen aus der Literatur wiedergibt. Im Übrigen beeindruckt jedoch der gut durchgehaltene Argumentations- und Spannungsbogen von der Systematischen Theologie hin zur Kindertheologie.
Wie die Kindertheologie insgesamt ist auch die Vfn. besonders daran interessiert, den eigenen theologischen Beitrag von Kindern zur Geltung zu bringen. Zu Recht grenzt sie sich jedoch von solchen Auffassungen ab, die deshalb ganz auf religionspädagogische Impulse verzichten und alles schon bei den Kindern selbst finden wollen. Sie betont vielmehr, »dass gerade dann Gespräche fruchtbar und differenziert werden, wenn Kinder biblische Inhalte einbringen bzw. die erwachsenen Gesprächspartner solche einbringen und die Kinder sie aufnehmen« (41). Allerdings bleibt die Klärung des Theologieverständnisses hinsichtlich der Kinder theologie etwas unscharf: Einerseits hält die Vfn. fest, dass es wenig sinnvoll wäre, einfach alle Äußerungen von Kindern – seien sie nun sprachlich oder nicht – als »Theologie« zu bezeichnen; andererseits ist ihr aber auch sehr daran gelegen, dass Kinder ihre Theologie nicht nur in einem »reflexiven sprachlichen Modus« zum Ausdruck bringen, sondern auch etwa im Spiel (498). Ob es wirklich hilfreich ist, den Theologiebegriff so auszuweiten? Was unterscheidet dann noch religiöse Vorstellungen von ihrer theologischen Durchdringung?
Zumindest für die von der Vfn. durchgeführte Untersuchung in einem evangelischen Kindergarten im Ruhrgebiet (385) leuchtet es jedoch unabhängig von terminologischen Fragen ein, dass neben Kleingruppengesprächen auch das Spiel mit Playmobilfiguren samt Videodokumentation zum Einsatz kommt (350). Denn auf diese Weise wird ein Zusammenhang erzeugt, der die Kinder zu eigenem Ausdruck und eigener Reflexion anregt.
Die Ergebnisse dieser kleinen Untersuchung sind aufschlussreich und insofern auch besonders wertvoll, als sie – anders als die entwicklungspsychologische Literatur – ausdrücklich theologische Interpretationen des kindlichen Nachdenkens über das Beten bieten. Besonders die Theologie G. Ebelings erweist sich für die Vfn. als wichtiger Gesprächspartner, aber auch andere theologische An­schlüsse werden plausibel hergestellt. Zu wenig reflektiert wird allerdings eine Spannung, die sich bei einem solchen Vorgehen zwangsläufig ergibt: Wie kann nicht-christlich geprägten Gebetsvorstellungen, denen die Kindertheologie der Vfn. doch ebenfalls forschend auf die Spur kommen will, noch entsprochen werden, wenn der eigene Blickwinkel allein christlich-theologisch be­stimmt ist? Die Vfn. ist sich des Problems durchaus bewusst, vertritt aber die Auffassung, die Kinder hätten sich ja auch anders – zum Beispiel atheistisch – äußern können (345). Gerade für eine hermeneutisch so reflektierte Perspektive wie die der Vfn. ist dieser Hinweis aber wenig überzeugend. Denn die theologische Position des Gesprächspartners/Interviewers bleibt den Kindern ja kaum verborgen, und zudem ist ein christlicher Interviewer und Interpret kaum in der Lage, junge Muslime ebenso sensibel im Gespräch anzuleiten wie christlich geprägte Kinder. Hier zeigt sich deshalb ein noch nicht genügend bearbeitetes Grundproblem, das den u. a. von der Vfn. erhobenen Anspruch von Kindertheologie als Forschungsstrategie (26 ff.) betrifft. Diese unterscheidet sich offenbar in grundlegender Weise von der u. a. im Sinne der Kindheitsforschung geforderten allseitigen Offenheit qualitativ-empirischer Verfahren. – Für die materialen Ergebnisse der Studie ist diese Frage insofern weniger bedeutsam, als die Vfn. nur mit christlich ge­prägten Kindern arbeitet. Durchgängig werden in den ausgewerteten Gesprächen mit den Kindern zwei Tendenzen beobachtet: »Die Kinder beschäftigen sich anlässlich der Gebetsthematik da­mit, wie Gott für die Menschen da ist.« Und: »Die Kinder gehen verschiedenen Aktivitäten nach, in denen sich Menschen als Gegenüber zu Gott verhalten.« (387) Diese allgemeinen Tendenzen werden in feinsinnigen Interpretationen der Gespräche mit den Kindern konkretisiert und weiter ausdifferenziert. Am Ende werden die Er­gebnisse wiederum mit den systematisch-theologischen Begriffsbestimmungen in Verbindung gebracht – im Blick auf Themen wie Gottes zuvorkommende Hilfe, Theodizee, Gemeinschaft mit Gott u. a. (444 ff.).
Das zentrale Ergebnis dieser facettenreichen Untersuchung kann man wohl im Beleg der These sehen: »Kinder finden eigenständige Schwerpunktsetzungen dessen, was das Gebet ausmacht« (494). Überzeugend ist dieser Beleg darin, dass er in einem beständigen Gespräch zwischen Kindertheologie, Kindheitsforschung und Systematischer Theologie gewonnen wird. Darüber hinaus enthält diese Arbeit eine Vielfalt von Reflexionen, Beobachtungen und Anstößen, die die Lektüre auch eines so umfangreichen Buches zu diesem Thema lohnend machen und die an dieser Stelle naturgemäß nicht wiedergegeben werden können.
Soweit es bei einem solchen Umfang überhaupt legitim ist, noch weitere Wünsche zu formulieren, müssen sie wohl in erster Linie die religionspädagogische Aufgabe betreffen. Obwohl die Vfn. nicht nur einen kindertheologischen, sondern ausdrücklich einen religionspädagogischen Anspruch formuliert (472 ff.), bleibt auch am Ende etwas unklar, wie mit den Befunden religionspädagogisch umgegangen werden kann und soll. Insofern wiederholt sich an dieser Stelle die inzwischen häufig zu hörende Frage: Soll Kindertheologie als neuer Begriff an die Stelle von Religionspädagogik treten? Oder ist dieser Ansatz ein zwar zentrales, aber eben deshalb zu Recht auch begrenztes Moment von Religionspädagogik?
In jedem Fall gilt: Die Lektüre dieses Bandes lohnt sich!