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Ausgabe:

Juli/August/2010

Spalte:

906-907

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Beuers, Christoph, Pithan, Annebelle, u. Agnes Wuckelt [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Leibhaftig leben.

Verlag:

Münster: Comenius Institut 2007. 205 S. m. Abb. gr.8° = Forum für Heil- und Religionspädagogik, 4. Kart. EUR 9,80. ISBN 978-3-924804-81-7.

Rezensent:

Gottfried Adam

Auf dem Hintergrund, dass im allgemeinen gesellschaftlichen Verständnis der gesunde, leistungsfähige und schöne Körper als erstrebenswert gilt, während der kranke, behinderte, schwache und alternde Körper als unerwünscht angesehen wird, hat sich das Forum für Heil- und Religionspädagogik auf seiner vierten Tagung mit dem Thema »Leibhaftig leben« beschäftigt. Ausgehend vom christlichen Verständnis des Menschen als »Ebenbild Gottes« wird dabei einerseits nach den biblischen und theologischen Traditionen gefragt, die Körpererfahrungen begleiten, fördern und spiegeln können, und andererseits werden Ansätze einer »leiborientierten wahrnehmungsbezogenen Bildung« präsentiert.
In vier theoretisch akzentuierten Beiträgen werden zunächst Fragen von Herkunft und Wirkungsgeschichte der Leib-Frage thematisiert. Eröffnet wird der Band mit einer kritischen Analyse der Geschichte der Verhältnisbestimmung von Leib und Seele im Chris­tentum, die sich in Aufnahme und Widerspruch von und zur antiken Philosophie vollzog (A. Wuckelt).
Der folgende Beitrag »Von der Scham, im eigenen Leib zu sein, zum Körper als Ort des Heils« (H. Kuhlmann) leitet dazu an, zwischen angemessener und unangemessener Scham zu unterscheiden und zu sehen, dass im Alten und Neuen Testament auch in schwachen und versehrten Körpern Heil erfahren wird. – Sodann wird gezeigt, wie die »Körperbilder im Alten Testament« (G. Baumann) uns im Blick auf heutige Sichtweisen des Körpers sensibilisieren können. – Dieser Fragestellung wird im Beitrag »Körperbild und Behinderung« (Chr. Mürner) in Bezug auf den idealen bzw. behinderten Körper im kulturgeschichtlichen Wandel der Kunst weiter nachgegangen.
Eine größere Zahl von Beiträgen, die einzelne Handlungsfelder der Arbeit mit behinderten Menschen übergreifen, schließt sich an. Dabei wird die Bedeutung der Leiblichkeit für den Zugang zu biblischen Texten einerseits an der Körperarbeit im Bibliodrama (G. M. Martin) und an leiblichen Zugängen zu Heilungsgeschichten (Chr. Labusch) andererseits herausgearbeitet. – Um die positiven Entwicklungsmöglichkeiten, welche mit dem Stichwort Bewegung in den Blick kommen, gruppieren sich weitere Beiträge. Der Artikel »Durch den Sport den (behinderten) Körper mögen« (R.Schmidt/ Chr. Beuers) verdeutlicht die aufbauenden Erfahrungen des Sports, der Beitrag »Mit dem Körper lernen« (P. Fuchs) entfaltet den Ge­winn der Bewegungsarbeit nach Elfriede Hengstenberg, der Beitrag »Tanz als physische und seelische Bewegung« (F. Maack) legt dar, wie Tanz zur Wertschätzung der eigenen Möglichkeiten führen kann. Im Artikel »Die Welt der Nanas« zeigt A. Nicht, wie mit Hilfe der Figuren von Niki de Saint Phalle durch kreative Methoden neue Zugänge zur eigenen Leiblichkeit eröffnet werden können. Mit »Godly Play an Sonderschulen« legt W. Schweiker ein Gesamtkonzept einer leibhaften Form religiöser Bildung vor.
Vier weitere Beiträge beziehen sich speziell auf die Arbeit mit geistig behinderten Kindern und Jugendlichen. Dabei geht es um die Sexualerziehung im Religionsunterricht (H. Fuchs), um integrative Körperarbeit im Konfirmandenunterricht auf der Basis der Integrativen Körperarbeit von Thijs Besems und Gerry van Vugt (Ph. Nessling) und die Verwendung von Leib- und Atemübungen in der seelsorgerlichen Arbeit mit geistig behinderten Erwachsenen (F. Schilles). Der Beitrag »Offenes Lernen – offen fürs Lernen?« (P. Kiesenhofer) gewährt einen Einblick in die religionspädagogische Arbeit mit geistig behinderten Schülerinnen und Schülern in Österreich.
Weitere Beiträge gelten der Musiktherapie mit Menschen im Wachkoma (M. Becker), dem Verständnis von Schülerinnen und Schülern mit selbstverletzendem Verhalten (M. Schultebraucks) und dem Einsatz von Science-Fiction-Serien in der Behindertenpastoral zu Fragen der gesellschaftlichen Integration (D. Janssen).
Der Band belegt erneut, dass das Forum für Heil- und Religionspädagogik, das vom Comenius-Institut in Münster und Deutschen Katecheten-Verein in München getragen wird, ein zentraler Ort für die Reflexion über und die Diskussion von grundlegenden Fragen ist, welche die religiöse Bildung und Begleitung von Menschen mit Behinderungen betreffen. Das Thema der Leiblichkeit ist dabei ein überaus aktuelles Thema auch für die Religionspädagogik. Im Bereich der pädagogischen Arbeit für und mit be­hinderten Menschen gewinnt es eine besondere Brisanz.
Die inhaltliche Bandbreite der Beiträge und die Vielfalt der vorgestellten Ansätze zeigen, wie fruchtbar die Vernetzung von Fachleuten aus Theorie und Praxis im Rahmen dieses Forums ist. Das gilt sowohl hinsichtlich der beteiligten Vertreter aus der Wissenschaft (aus Theologie, Pädagogik, Sozialwissenschaft und weiteren Disziplinen) als auch hinsichtlich der Vertreter von unterschiedlichen Berufsgruppen, die in den diversen Praxisfeldern der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen in Schule, Gemeinde und Einrichtungen tätig sind. Es würde der evangelischen und katholischen Religionspädagogik zweifellos etwas fehlen, wenn es diesen Ort der Kommunikation und des Gespräches nicht gäbe.