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Ausgabe:

Juli/August/2010

Spalte:

904-906

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Albrecht, Michaela

Titel/Untertitel:

Für uns gestorben. Die Heilsbedeutung des Kreuzestodes Jesu Christi aus der Sicht Jugendlicher.

Verlag:

Göttingen: V&R unipress 2007. 347 S. gr.8° = Arbeiten zur Religionspädagogik, 33. Geb. EUR 49,90. ISBN 978-3-89971-401-2.

Rezensent:

Christoph Gramzow

Bei dieser Publikation handelt es sich um die 2007 von der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth angenommene Dissertationsschrift der Autorin Michaela Albrecht. Durchaus in Anlehnung an Forschungsarbeiten des Doktorvaters Werner H. Ritter greift A. mit der Thematisierung des Kreuzestodes Christi und seiner Deutungen eine Fragestellung auf, deren Randständigkeit in neueren empirischen Studien wie im Denken heutiger junger Menschen sie zu Recht konstatiert.
Ausgangspunkt der Überlegungen sind die Wahrnehmung einer wachsenden Kritik an der traditionellen Kreuzestodlehre sowie in der Literatur vorgetragene Forderungen nach einem »Ab­schied vom Verständnis des Todes Jesu als Opfer« (14). Als Religionspädagogin und Lehrerin hat A. in ihrer Untersuchung vor allem die Einstellung Jugendlicher zu Sterben und Tod Jesu Chris­ti im Blick: Was bedeutet das Kreuz für Jugendliche? Im engeren Sinne besteht ihr Erkenntnisinteresse darin, zu erheben, welche Bedeutung Jugendliche der gymnasialen Oberstufe (16–20 Jahre) dem Sterben Jesu Christ am Kreuz für ihr Leben beimessen. Dabei sollen auch die bei den Jugendlichen auftretenden Probleme mit der traditionellen Kreuzestodlehre und mögliche Konsequenzen für den unterrichtlichen Umgang mit Glaubenssätzen berücksichtigt werden. Mit der qualitativ ausgerichteten empirischen Untersuchung verbindet A. eine doppelte Zielstellung. Zum einen geht es ihr um eine Bestandsaufnahme dessen, was Jugendliche wirklich glauben; zum anderen aber auch um Anregung, Inspiration und Herausforderung für die wissenschaftliche Theologie durch die Gedanken und Gefühle der jungen Menschen (15 f.).
Leiten lässt sich A. von Überlegungen George A. Lindbecks, der christliche Religion und ihre Theologie als eine Art »Sprachsystem« betrachtet, das nach bestimmten »Grammatikregeln« funktioniert. Lehrende und Schülerinnen und Schüler sind als Sprecher dieser Sprache anzusehen: »Ich betrachte die Jugendlichen als ›kompetente Sprecher‹ der christlichen Sprache und will erkunden, welche Möglichkeiten sie im Sprachsystem entdecken.« (17) Im Gebrauch dieser religiösen Sprache unterlaufen den Jugendlichen an der einen oder anderen Stelle Fehler; zugleich ist es aber auch möglich, dass sie »Grammatikfehler«, die sich über einen längeren Zeitraum im »theologischen Sprachgebrauch« eingeschlichen haben, aufdecken.
Entsprechend ist es dann vor allem die Sprache, über die sich A. in Gestalt von Schüleraufsätzen Zugang zum Denken und Empfinden der Jugendlichen verschafft. Nach Vorgabe eines Impulstextes zum Kreuzestod Jesu und dreier Fragen dazu sollen die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Gedanken in Form eines Aufsatzes niederschreiben. Diese nehmen die Aufgabe mehrheitlich bereitwillig an, wobei sich die Mädchen nach den Beobachtungen von A. intensiver und ausführlicher auf die durchaus ungewöhnliche Herausforderung einlassen. Die offene Form der Befragung gestattet es den Jugendlichen, ihre besonderen Gewichtungen und Relevanzzuschreibungen in der Auseinandersetzung mit der Thematik selbständig und authentisch zu artikulieren. Insgesamt haben 77 Schülerinnen und Schüler der 11. und 12. Jahrgangsstufe einen Beitrag verfasst. Sie besuchen die Fächer Evangelische Religion, Katholische Religion und Ethik. Bei der Auswertung der Aufsätze folgt A. den Prinzipien der dokumentarischen Methoden nach Ralf Bohnsack und arbeitet im Rahmen der reflektierenden Interpretation über maximale und minimale Kontrastierung drei unterschiedliche Typiken als relevant heraus: »So scheinen das Geschlecht, die Konfession und die individuelle Positionierung des Jugendlichen zum christlichen Bezugssystem Einfluss auf das Denken und Empfinden über den Kreuzestod Jesu Christi zu nehmen« (100).
Der Ergebnisteil gliedert sich in Abschnitte zur Bedeutung des Kreuzestodes, zu Problemen mit bestimmten Aspekten der traditionellen Kreuzestodlehre und zu unterschiedlichen Umgehensweisen damit. Dazu kommen Beobachtungen zum Einfluss soziokultureller Faktoren auf die Ansichten der Jugendlichen sowie die Diskussion von Anfragen, die sich aus dem Bild der Jugendlichen von den traditionellen Lehraussagen ergeben. Die Daten zeigen, dass die traditionellen Deutungen des Kreuzestodes der überwiegenden Mehrheit der Jugendlichen bekannt sind, wobei freilich nur ein geringer Teil von ihnen zu einem vertieften Verständnis gelangt und »problematische Spitzen«, z. B. die Vorstellung eines stellvertretenden Strafleidens Jesu, ausgeblendet werden. Auf positive Resonanz stößt der Kreuzestod Jesu dort, wo dessen Beziehungsaspekt im Vordergrund steht: »Den SchülerInnen, die im Kreuzesgeschehen Jesu Dasein für andere, sein Eintreten für die, die ihn brauchen, seine bzw. Gottes Liebe zu den Menschen erkennen, ist die Verkündigung seines Todes in der Tat ein Evangelium« (141). Als weiterer Befund ergab sich, dass viele Jugendliche nicht wirklich wissen, was mit der Aussage »Jesus Christus ist für uns gestorben« gemeint ist. So hat das Kreuz für einen großen Teil der Schülerinnen und Schüler keine Heilsbedeutung. In konfessioneller Hinsicht wird in den Ergebnissen die stärkere Hochschätzung des Kreuzestodes durch die evangelischen, die der Auferstehung durch die katholischen Jugendlichen eindrucksvoll deutlich. Hier zeigen sich unterschiedliche christologische Akzentuierungen in Tradition und aktueller Verkündigung, die zumindest auf evangelischer Seite Anlass zum Nachdenken geben sollten. Nicht zu übersehen sind die Probleme einiger Jugendlicher, die nicht glauben können, was kirchlicherseits über Jesu Tod verkündigt wird. Ihnen zufolge sei der Kreuzestod Jesu nicht heilsnotwendig gewesen, u. a. weil Gott den Menschen auch auf anderen Wegen vergeben könne. Eine Einschätzung der tatsächlichen Relevanz bestimmter Einstellungen, die immer wieder mit aussagekräftigen wie unterhaltsamen Zitaten belegt werden, wird leider dadurch erschwert, dass Häufigkeitsangaben – dem qualitativen Paradigma geschuldet – über ein »viele«, »einige«, »ein Teil« u. Ä. nicht hinauskommen.
Auf dem Hintergrund ihrer Ergebnisse gelangt A. mithilfe einer »Relektüre der biblischen Aussagen zum Kreuzestod Jesu Christi« zu einer Reihe von »Konsequenzen für den Religionsunterricht«. Auf drei von ihnen sei abschließend kurz eingegangen. Zuzustimmen ist A., wenn sie ein Ziel religionsunterrichtlicher Praxis darin sieht, religiöse Ansichten aus Tradition und Gegenwart ohne Nö­tigung zur Übernahme vorzustellen. Vielmehr soll auf diese Weise ein produktiver Kommunikationsprozess, verbunden mit der Er­mutigung zur Entwicklung eigener theologischer Theorien und Neu­interpretationen, angeregt werden. Weiterhin fordert A. sprachliche Präzisierungen, da sich viele Begriffe der Kirchensprache für heutige Jugendliche als nichtssagend erweisen würden oder ihnen in der ursprünglichen Bedeutung nicht mehr verständlich seien, wie im Falle der Rede vom erlösenden Blut Christi. Hier wäre anzufragen, ob nicht auch der Verzicht auf bestimmte Redewendungen oder Metaphern geboten ist, wenn sich zeigt, dass ihr Gebrauch in der Kirchen- und Theologiegeschichte immer wieder zu Missverständnissen und fragwürdigen Vorstellungen von Gott und Christus geführt hat. Schließlich geht es drittens um ein vorbeugendes Bedenken des Status’ theologischer Lehre: »Theologische Aussagen sind nie völlig objektiv, sondern es handelt sich um die Ergebnisse von individuellen Überlegungen, Erfahrungen und Aneignungen.« (328) In der unterrichtlichen Auseinandersetzung mit entsprechenden »Lehren« ist freilich ebenso zu bedenken, dass ihnen meist ein längerer intensiver Kommunikationsprozess und die Suche nach Konsens zugrunde liegen, d. h. auch eigene Vorstellungen müssen kommunizierbar bleiben, wenn religiöses Verstehen auch künftig möglich sein soll.