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Ausgabe:

Juli/August/2010

Spalte:

898-900

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Robben, Andreas

Titel/Untertitel:

Märtyrer. Theologie des Martyriums bei Erik Peterson.

Verlag:

Würzburg: Echter 2007. X, 291 S. 8° = Studien zur systematischen und spirituellen Theologie, 45. Kart. EUR 36,00. ISBN 978-3-429-02926-5.

Rezensent:

Harald Schultze

Der »Begriff des Märtyrers« sei »eine selbständige Kategorie in der Kirche« – er gehöre »notwendig zum Begriff der Kirche«. Diese programmatische These (in: E. Peterson, Zeuge der Wahrheit, Leipzig 1940, 19 f.) eröffnet einen zentralen Zugang zur Theologie des Konvertiten Erik Peterson.
Im ökumenischen theologischen Dialog der Gegenwart ge­winnt das Lebenswerk jenes Neutestamentlers und Patristikers erneut Bedeutung. In Bonn war Peterson enger Gesprächspartner von Karl Barth, er war theologischer Lehrer von Ernst Käsemann und Heinrich Schlier. Seine Konversion zur katholischen Kirche war ein Markstein der Auseinandersetzungen. In seiner Abkehr vom Protestantismus spielte die Wiedergewinnung der Bedeutung des Märtyrertums für die Kirche eine Schlüsselrolle. Es ist daher zu begrüßen, dass Andreas Robben in der Dissertation, die er der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt a. M. 2006 vorlegte, dem Märtyrerverständnis Erik Petersons eine umfangreiche Studie widmet.
Petersons Protest entzündete sich an der Wahrnehmung, dass in der protestantischen Theologie seiner Zeit keine wirkliche Akzeptanz der ekklesiologischen Bedeutung der Märtyrer vorhanden sei. R.s Arbeit ist in ihrem Hauptteil als eine systematisch-theologische Interpretation von Petersons Martyriumsverständnis angelegt. Er zeigt auf, wie Peterson – die Forschungsergebnisse Hans von Campenhausens aufnehmend – den Märtyrer primär als den »Zeugen der Wahrheit« versteht, der öffentlich Zeugnis gibt von Christus, dem Ur-Märtyrer. Entscheidend ist die eschatologische Dimension: Christi Herrschaftsantritt in der Auferstehung macht die Weltzeit bis zu seiner Wiederkunft zu einer Zwischenzeit. Diese ist die Zeit der Märtyrer, denen das Charisma der Zeugenschaft zuteil wird und die so in ihrem gewaltsamen Tod in die Herrlichkeit Christi aufgenommen werden. Das Martyrium ge­winnt eine eschatologisch-politische Dimension: Christus wird als der wahre Imperator bezeugt, der die Diktatoren jener Zwi­schenzeit als Feinde Gottes entlarvt.
R. betont, wie stark Peterson das Zeugnis des Märtyrers als öffentliches Zeugnis darstellt – im Prozess gegenüber den Weltmächten. Das Zeugnis Jesu vor Pilatus, die Vision des Stephanus und das Zeugnis der Offenbarung des Johannes sind die grundlegenden Ereignisse. Die späteren Märtyrer sind, in der Nachfolge Christi, in dies Zeugnis und dies Leiden hineingenommen.
R. weist einleitend auf den biographischen Hintergrund dieser Martyrologie hin. In Aufnahme der Interpretation von Barbara Nichtweiß (in ihrer großen Peterson-Biographie) wird erkennbar, welch existentielle Bedeutung der Auseinandersetzung Petersons mit Kierkegaards »Einübung ins Christentum« für die Ausbildung seiner Gegenposition zukommt: Der protestantisch-individualis­tisch geprägten Frömmigkeit des Dänen setzt Peterson die wesenhafte Bindung der Zeugenschaft des Märtyrers an Christus und die Kirche entgegen.
In einem zweiten Hauptteil referiert R. einzelne markante Beispiele der Rezeption und Diskussion der Martyriums-Theologie Petersons: Ludger Weckels befreiungstheologische Kritik an Peterson, Stefan Dückers systematische Interpretation und Reinhard von Bendemanns neutestamentliche Kritik an Petersons Vorgehen. In einem weiteren Abschnitt stellt R. das Martyriumsverständnis Petersons dem von Helmut Moll, Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar gegenüber. Bei von Balthasar zeigt sich eine sehr verwandte phänomenologische Argumentation. Der Abgleich mit den lehramtlich abgesicherten Definitionen bei Helmut Moll führt insofern nicht weit, weil Peterson ja ausdrücklich die katholische Position übernommen hat. Interessanter ist die Gegenüberstellung zu Karl Rahner, der zwar in entsprechender Weise die ekklesiologische Bedeutung der Märtyrer darlegt, jedoch von einem grundlegend anderen Ansatz theologischer Deduktion herkommt. Der stärkste Kontrast ergibt sich im Gegenüber zu Weckels befreiungstheologischer Position, weil Weckel die faktisch idealisierende Darlegung in Petersons eschatologischer Perspektive kritisch aufzeigt – um seinerseits die Märtyrer vorrangig als Opfer der repressiven Herrschaftssysteme zu verstehen. Weckel meint, bei Peterson eine Rückbindung an voraufklärerische mystisch-theologische Positionen zu erkennen.
Die Arbeit von R. macht deutlich, wie stark der theologische Ansatz Petersons von dessen eigener Konversionsgeschichte be­stimmt wird – und zugleich von der Auseinandersetzung mit den Diktaturerfahrungen im Deutschland und Italien der Zwischenkriegszeit. Die Betonung der Offenbarung der endgültigen Herrschaft Christi über die Welt und die konstitutive Rolle des öffentlichen Zeugnisses der Märtyrer in Petersons Verständnis zeigen die kontextuelle Verwurzelung seiner Theologie.
Freilich verzichtet R. darauf, über den eigenen Ansatz von Peterson hinaus auf konkrete Martyriumserfahrungen des 20. Jh.s und deren Rezeption einzugehen. Die Schicksale der baltischen Lutheraner der Jahre 1918/1919 und die der Russischen Orthodoxen Kirche in Revolution und Bürgerkrieg hatten andersartige Rahmenbedingungen. Hier geschahen Verfolgung und Mord – die Märtyrer hatten keine Möglichkeit, öffentlich Zeugnis zu geben. Ihr Tod war das Zeugnis. Aber auch in einer immanenten Analyse des Ansatzes von Peterson müsste kritischer erörtert werden, wie zeitverhaftet und hypothetisch die konstitutive Bindung der Zeugenschaft des Märtyrers an die Öffentlichkeit seines Bekennens ist. Hier sind Rahner und Weckel den Märtyrer-Erfahrungen des 20. Jh.s näher.
Selbstverständlich kann eine Arbeit, die sich unmittelbar dem Werk Petersons widmet, nicht auf neue theologische Positionen zur Märtyrertheologie eingehen, die nun auch auf protestantischer Seite entwickelt wurden. Trotz dieses Abstandes und des veränderten Erfahrungshorizontes bietet die ekklesiologisch-spirituelle Konzentration des Märtyrerverständnisses von Peterson einen Impuls, der fruchtbar bleibt.