Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2010

Spalte:

897-898

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Henriksen, Jan-Olav

Titel/Untertitel:

Desire, Gift, and Recognition. Christo­l­ogy and Postmodern Philosophy.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2009. XII, 379 S. gr.8°. Kart. US$ 35,00. ISBN 978-0-8028-6371-3.

Rezensent:

Risto Saarinen

Die Theologie des Gebens und der Gabe ist zu einem vieldiskutierten Thema geworden. In den letzten Jahren haben Oswald Bayer und Bo Holm die lutherische Theologie der Gabe eingehend untersucht, aber schon Martin Seils hatte im Lutherjahrbuch 1985 Luthers Denkweise als Theologie des Gebens interpretiert. In der internationalen Diskussion haben der anglokatholische Theologe John Milbank und der katholische Phänomenologe Jean-Luc Ma­rion die philosophische und soziologische Diskussion um die Ökonomie der Gabe mit theologischen Fragestellungen verbunden. Gerade im Anschluss an Milbank und Marion versuchen viele Theologen im englischsprachigen Raum, eine Begegnung mit der Postmoderne anhand einer Theologie der Gabe zu ermöglichen.
Zu diesen Theologen gehört Jan-Olav Henriksen, Professor für Systematische Theologie und Religionsphilosophie an der Gemeindefakultät in Oslo. Er diskutiert ausführlich die philosophischen Ansätze von Emanuel Levinas, René Girard, Jacques Derrida und Jean-Luc Marion, aber auch die der deutschen Vorläufer der Postmoderne wie Hegel und Nietzsche sowie das Werk von heutigen Theologen wie Ingolf Dalferth, Stanley Hauerwas, Rowan Williams und Kathryn Tanner. Die Grenze zwischen Moderne und Postmoderne ist fließend: Wenn H. zum Beispiel Girards und Dalferths Kritik an der Deutung des Todes Jesu als Opfer zustimmend beschreibt, werden eher moderne als postmoderne christologische Denkfiguren diskutiert.
H. will eine Christologie darlegen, die die Denkansätze des Postmodernismus rezipiert und theologisch artikuliert. Er will aber auch die traditionelle Christologie bejahen, und zwar auf eine solche Weise, die »alle Theologie als Deutung der Erfahrung versteht«. Als solche Deutung ist die theologische Erfahrung s. E. auch offen für eine philosophische Analyse (5–6). Eine so breite und kühne Fragestellung hat einige Gemeinsamkeiten mit den Ansätzen von Milbank und Marion, die die philosophische Diskussionsbereitschaft der klassischen Theologie von Augustinus und Thomas von Aquin zu ihrem Vorbild nehmen. Die Betonung der Erfahrung und Anthropologie verbindet H.s Zugang aber eher mit dem »postkonservativen« Flügel der heutigen amerikanischen protestantischen Theologie (James K. A. Smith, Kevin Vanhoozer). Der Einfluss von Wolfhart Pannenberg ist ebenfalls deutlich sichtbar.
Die christologische Relevanz des Verlangens bzw. Begehrens (desire) sieht H. darin begründet, dass Gott als Gegenstand des menschlichen Verlangens erscheint. Die Verkündigung Jesu von der Gottesherrschaft benutzt dieses Moment des Verlangens, aber zugleich verändert diese Verkündigung das menschliche Begehren. H. vergleicht diese Ambivalenz mit den Paradoxa, die Derrida in seinen Schriften über Gastfreundlichkeit, Gabe und Vergebung er­örtert hat. Im Anschluss an Williams konstatiert H., dass die Frus­tration des menschlichen Verlangens die Möglichkeit der Umkehr und der Begegnung mit Gott ermöglicht (136–137).
Es ist wahr, dass die von H. benutzte lutherische Figur des Paradoxes den biblischen Christus mit einigen postmodernen Ansätzen verbindet, aber die nähere Bestimmung dieser Verbindungen im Bereich der systematischen Christologie bleibt relativ vage. H. stellt häufig zuerst die verschiedensten postmodernen Ansätze auf vielen einleitenden Seiten dar. Das danach folgende Aufzeigen der eventuellen Gemeinsamkeiten mit der Christologie ist einleuchtend, aber bleibt oft auf einer generellen Ebene stecken. Die präzisen Möglichkeiten und Grenzen der jeweiligen postmodernen Dis­kussion werden nicht eingehend differenziert.
So schildert H. in seiner Diskussion um Gabe und Großzügigkeit (generosity) zwar viele aufschlussreiche Spannungen zwischen ökonomischer und nicht-ökonomischer Reziprozität, die sowohl in sozialen Verhältnissen als auch in den theologischen Bestimmungen des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch am Werk sind. Weil diese Ambivalenzen aber schon in vielen Spezialstudien detailliert geschildert worden sind, ist das bloße Aufzeigen von gemeinsamen Problemhorizonten noch nicht besonders hilfreich. Wenn H. sein Buch mit dem universalen Satz »everything is gift« (367) beendet, bekommt der Leser keinen weiterführenden Aspekt einer Theologie der Gabe vermittelt; anstatt einer präzisen theologischen Reflexion entsteht nur ein vages Gefühl der inklusiven Umarmung. Eine Theologie der Gabe ist m. E. erst möglich, wenn nicht alles Gabe ist und verschiedene göttliche und menschliche Gaben von Nichtgaben möglichst präzise unterschieden werden können.
Es wäre auch wertvoll gewesen, die exegetische Diskussion stärker zu berücksichtigen, vor allem deswegen, weil der sog. third quest nach dem historischen Jesus viele Themen betont, die auch für das postmoderne Denken typisch sind, wie zum Beispiel Wanderradikalismus, die Auffassung von der Lehre als Therapie oder erbauliche Diskussion und der Gebrauch von Soziologie und Sozialphilosophie für die Bestimmung der Identitäten. N. T. Wright ist einer der wenigen Exegeten, dessen Werk H. berücksichtigt. Aber gerade Wrights These von einem unbeendeten jüdischen Exil, für dessen Überwindung Jesus kämpfte und seine eigene Identität im Vollzug dieser Aufgabe konstruierte, hätte faszinierende Perspektiven für eine differenzierte postmoderne Christologie angeboten.
Trotz dieser kritischen Bemerkungen ist H.s Buch als eine le­senswerte Einführung in die englischsprachige Diskussion um die theologische Relevanz der postmodernen Philosophie zu empfehlen. H. benutzt ausführlich die führenden Namen der heutigen amerikanischen Theologie und diskutiert ihre Fragestellungen auf kompetente Weise. Bisweilen kommt er auch zu differenzierten Ergebnissen, die die Diskussion weiterführen. Zum Beispiel bejaht H. den Kommunitarismus als fruchtbare Verständnishilfe im mo­ralischen Entwicklungsprozess des Individuums (169). Weil aber die Verkündigung Jesu primär auf die Anerkennung des Fremden und des Anderen gerichtet ist, kann die gesamte christliche Ethik nicht kommunitaristisch begründet werden. Eine kommunitaristische Ethik kann die für Jesus ausschlaggebende Außendimension der Nächstenliebe nicht adäquat auffassen (183). Solche begründeten und differenzierten Urteile sind in der Verhältnisbestimmung zwischen Christologie und postmodernem Denken hilfreich.