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Ausgabe:

Juli/August/2010

Spalte:

895-897

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Hall, Stuart George [Ed.]

Titel/Untertitel:

Jesus Christ Today. Studies of Chris­- tol­ogy in Various Contexts. Proceedings of the Académie Internationale des Sciences Religieuses, Oxford 25–29 August 2006 and Princeton 25–30 August 2007.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2009. XIV, 382 S. m. 1 Porträt. gr.8° = Theologische Bibliothek Töpelmann, 146. Geb. EUR 99,95. ISBN 978-3-11-020959-4.

Rezensent:

Sibylle Rolf

Jesus Christus gestern, heute und derselbe auch in Ewigkeit (Hebr 13,8), das ist der Leitvers des von Stuart Hall herausgegebenen Sammelbandes – »variety does not reign supreme. Many contexts are there, but not many Christs« (1). Dem Wandel von Christusbildern durch die Zeit und der gleichzeitigen Konstanz innerhalb der chris­tologischen Lehre widmete sich ein englischsprachiges Forschungsprojekt, das von Theologen der Académie Internationale des Sciences Religieuses unterschiedlicher Konfessionen und Disziplinen über zwölf Monate mit zwei Konferenzen in Oxford und Princeton getragen wurde. Die Beiträge zu diesen Tagungen sind jetzt in der Theologischen Bibliothek Töpelmann veröffentlicht worden.
Wenn es richtig ist, dass Christus das Ziel und die Mitte des christlichen Glaubens ist, dass aber gleichzeitig die christologische Lehrbildung ein prozessuales und dynamisches, damit aber veränderbares Geschehen darstellt, innerhalb dessen Bilder von Christus und dem Heilsgeschehen auf ihre Tragfähigkeit hin geprüft werden, und wenn gleichzeitig die Theologie in jeder neuen Zeit ihr Bild von Christus auf seine Angemessenheit hin überprüfen und sich aneignen muss, so ist ein Forschungsprojekt wie das mit diesem Sammelband zum Abschluss gekommene für die theologische Forschung zu jeder Zeit unverzichtbar.
Die einzelnen Beiträge wollen unter unterschiedlichen Perspektiven dem Wandel der Christusbilder durch die Zeit Rechnung tragen, indem sie zunächst aus exegetischer Sicht das christologische resp. messianische Selbstverständnis und Jesu Verhältnis zum Vater zu klären versuchen und unterschiedliche christologische Lehrbildung in der Urgemeinde miteinander vergleichen. Eine Herausforderung für die neutestamentliche Theologie liegt etwa darin, eine sich eher an Ostern und eine sich eher am Christfest orientierende Christologie miteinander zu vereinbaren. Aber auch die Evangelien-Überlieferung zeichnet natürlich kein einheitliches Christusbild, weswegen die Differenzen nicht zu schnell bereinigt werden sollten.
Die altkirchliche Lehrentwicklung der Christologie bildet einen weiteren Schwerpunkt des Bandes. Dabei stellt sich in sorgfältigen Studien heraus bzw. wird noch einmal bekräftigt, dass die sattsam bekannten Gräben zwischen »orthodoxer« und »häretischer« Chris­tologie zu einem nicht unerheblichen Teil auf sprachlichen und denkerischen Unterschieden beruhen und damit eine Anathematisierung etwa von Nestorius zweifelhaft erscheinen lassen. Ähnlich wie bei der 1999 erzielten Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre wird damit auch für die Christologie in ökumenischer Hinsicht ein »Konsens in Grundwahrheiten« als »differentiated consensus« (123) festgehalten. Christologie ist eben nicht nur ein systematisch-theologisches, sondern ganz elementar ein ökumenisches Problem.
Nach der eingehenden Untersuchung altkirchlicher Christologie macht das Forschungsprojekt und mit ihm der Sammelband einen immensen Sprung. Es ist bedauerlich, dass weder mittelalterliche Christologie im Gefolge der Neuentdeckung aristotelischer Philosophie noch reformatorische oder nachreformatorische Theologie eine wesentliche Rolle spielen. Dieser Mangel wird vom Herausgeber ebenfalls beklagt: »Historically there follows a blank in our story, which leaves out the Middle Ages, both Eastern and Western, the great thinkers of the Renaissance and Reformation period and even the Enlightenment.« (362) Gerade für die Auseinandersetzung der Christologie mit der Postmoderne wäre eine Darstellung des reformatorischen und vor allem des aufklärerischen christologischen Ansatzes wünschenswert und hilfreich gewesen. Der Mangel ist aber verständlicherweise der begrenzten Kapazität eines solchen Projektes geschuldet.
Bei der eingehenden Beschäftigung mit Christologie im englischen Sprachraum im 19. und 20. Jh. fällt auf, in welch starkem Maße sich die englischsprachige Theologie zum einen an einem wissenschaftlich nicht ausreichend reflektierten Calvinismus, zum anderen an Neuansätzen in deutscher Theologie sowohl in der liberalen Theologie (Harnack), im reformierten Bereich (Barth) als auch im Katholizismus (Rahner, Balthasar) abarbeitet. Als allen Ansätzen gemeinsam wird der Aspekt benannt, der sich als cantus firmus durch den gesamten Band zieht: »Each designs his Christology against the back­ground of modernity. Each makes a contribution to the critical advancement of modern forms of thought, which is led beyond its own limitations by confrontation with the Christian confession.« (234)
Der letzte Teil des Bandes widmet sich einer religions- und missionswissenschaftlichen Perspektive, der Inkulturation des Chris­tentums in den afrikanischen Bereich mit seinen Konsequenzen einer Ahnen-Christologie (»How can the confession of Christ be expressed in African culture? Ancestor-Christology tried to answer this«, 312) und der Sicht auf Christus und die Christologie durch den Islam. Otto Hermann Pesch sucht schließlich nach einer chris­tologischen Lehrformel, die explizit an die christologische Tradition anschließt, aber gleichzeitig so weit ist, dass auch Menschen aus einem anderen Kultur- oder sogar einem anderen Religionskreis sich in ihr wiederfinden können: »Jesus Christ: the human entirely for the others – the human entirely for God – God entirely for humans.« (344) Die Stärke der Formel liegt darin, der metaphysisch voraussetzungsreichen Zwei-Naturen-Lehre zwar nicht zu widersprechen, diese aber auch nicht explizit aufzunehmen, sondern offen zu sein für weitere Interpretationen des Seins und Wirkens Christi. Eine gemeinsame Basis muss allerdings bleiben: »There can be no Christology without the Jesus of the New Testament.« (360) Damit wird allen esoterischen und apokryphen Christus-Lehren eine eindeutige Absage erteilt.
Der Sammelband bietet eine reiche Materialsammlung für die Entwicklung der christologischen Lehrbildung von der Zeit Jesu bis in die Gegenwart. Er orientiert theologische Wissenschaftler (fast) aller Disziplinen über christologische Grundsatzentscheidungen und ihren sprachlichen und ideengeschichtlichen Hintergrund. Insofern ist er ein Fundus für eigene Forschung an Christologie, die wiederum, nimmt man die Herausforderung ernst, in jeder Zeit die christologische Sprachbildung neu überprüfen und sich aneignen zu müssen, für Theologie in jedem Kulturkreis unverzichtbar ist. Diese Ausrichtung macht die Ergebnisse der Arbeitsgruppe von international hochkarätigen Forschern zu einem wertvollen Hilfsmittel für alle Spezialisten der christologischen Forschung, aber wegen der detaillierten und teilweise speziellen Darstellungen der Einzelaspekte weniger zu einem Buch für theologisch interessierte Nicht-Wissenschaftler. Die erklärte Zielsetzung, die Einheit Jesu Christi trotz der Vielfalt der christologischen Traditionen und Lehrbildungen zu erweisen, wird trotz oder gerade in der Materialfülle eindrücklich erreicht, weil die Autoren der Studien ihre Ergebnisse explizit an die biblische Überlieferung zurückbinden.
Dass der Band sich vor allem den für den englischen Sprach- und Kulturraum zentralen Ansätzen widmet, ist verständlich und kein Mangel. Dass er dabei eklektisch arbeitet, ebenso wenig. Als deutsche der Theologie der Reformation verpflichtete Theologin hätte ich mir zumindest eine Studie zu Luthers Perspektive auf Glauben und Christus im Zusammenhang mit seiner Rechtfertigungslehre gewünscht, weil ich den Eindruck habe, dass diese Perspektive in dem ansonsten hilfreichen Band nicht vorkommt.