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Ausgabe:

Juli/August/2010

Spalte:

884-886

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

David, Philipp

Titel/Untertitel:

Lichtblick des Friedens. Grundlinien einer sapientialen Theologie der Religionen im Anschluss an Nikolaus von Kues.

Verlag:

Berlin-Münster: LIT 2006. XII, 341 S. 8° = Kieler Theologische Reihe, 3. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-8258-9052-0.

Rezensent:

Malte Dominik Krüger

Die Studie ist die überarbeitete Fassung einer in Kiel bei Hartmut Rosenau angefertigten und 2005 eingereichten systematisch-theologischen Dissertation. Sie fragt nach der Bedeutung des cusanischen Denkens für die gegenwärtige Debatte der Religionstheologie. Diese Fragestellung ist angesichts der gegenwärtigen Pluralisierung unserer religiösen Lebenswelt sachlich begründet: Ni­kolaus von Kues (1401–1464) lebte in einer Zeit religiöser Pluralität, deren Gefährdungen und Möglichkeiten er philosophisch-theo­- l­ogisch kreativ deutete.
Der erste Teil (1–41) verortet die Fragestellung insbesondere im Blick auf Nikolaus von Kues. Klar und verständlich wird an das cusanische Denken in seinen lebensweltlichen Kontexten herangeführt. Für die Fragestellung ist neben der Schrift De pace fidei die ebenfalls im Jahr 1453 verfasste Schrift De visione Dei grundlegend. Der äußere Kontext beider Schriften ist die Eroberung Konstantinopels durch die Türken. Dies legt eine theologische Reflexion konkurrierender Religionen nahe.
Der zweite Teil (42–104) verortet die Fragestellung insbesondere im Blick auf die gegenwärtige Religionstheologie. Man kann den Cusaner innerhalb des gegenwärtigen Dreierschemas von Exklusivismus (»Die Gotteserkenntnis gibt es allein in einer be­stimmten Religion«), Inklusivismus (»Die Gotteserkenntnis gibt es zwar in mehr als einer einzigen Religion, aber allein in einer einzigen Religion in Reinkultur«) und Pluralismus (»Die Gotteserkenntnis gibt es in mehreren Religionen – und es gibt sie in keiner Religion so, dass sie alle anderen Religionen überbieten würde«) dem Inklusivismus zuzuordnen. Schließt sich der Exklusivismus akademisch aufgrund seiner Gesprächsverweigerung selbst aus, so distanziert sich D. auch von dem Pluralismus. Letzterer unterschlägt nach D. die eigene Sicht, indem er eine vermeintliche Metaperspektive bezieht. Doch nach D. ist dieses religionstheologische Dreierschema für den Cusaner ohnehin nur bedingt aussagekräftig. So gerät D. zufolge die heute wenig plausible Annahme aus dem Blick, dass für den Cusaner die Religion angeboren ist: Religion ist die dem Menschen angeborene Sehnsucht ( connatum desiderium) nach einer ewigen Glückseligkeit, die in der Vielfalt religiöser Riten durchscheint. Damit lässt sich aber auch eine vielversprechende These verbinden, die für D. grundlegend ist: Eine cusanisch inspirierte Religionstheologie sollte nicht abstrakt vom Handeln Gottes, sondern von der lebensweltlichen Erfahrung des Menschen ausgehen, wie sie sich in der offenen Theodizeefrage, in der Erfahrung von Gottes Verborgenheit und in der unaufhebbar perspektivischen Wahrheitserkenntnis zeigt. Darum spricht letztlich D. statt von einem selbstkritischen Inklusivismus lieber von einem pluralistisch toleranten Perspektivismus (vgl. auch: 287–291).
Das dritte Kapitel (105–151) rekonstruiert die Grundzüge der cusanischen Theologie. Ihr Grundgedanke besagt in der Tradition der negativen Theologie: Gott ist zwar der Ursprung der immanenten Wirklichkeit der Welt, übersteigt diese aber uneinholbar. Darum ist Gott dem Menschen grundsätzlich entzogen – und insofern unbegreiflich. Doch gerade diese Unbegreiflichkeit kann begriffen werden. Darum gibt es ein indirektes Wissen von Gott in der Form des Nichtwissens (docta ignorantia). Darin spiegelt sich letztlich die schöpferische (Eben-)Bildlichkeit des Menschen als eines zweiten Gottes (secundus Deus), die von Gottes allumfassender Kreativität freilich übertroffen wird. Während der Mensch an den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch gebunden ist, fallen in Gott die Gegensätze des Endlichen zusammen (coincidentia oppositorum). Daher ist Gott der wirkliche Inbegriff alles Möglichen (possest). Der Mensch kann sich in unaufhebbarer Perspektivität der Wahrheit (Gottes) nur bewusst annähern. Dabei wird anders als im religionstheologischen Pluralismus keine metaperspektivische Theorie, sondern christlich ein selbstkritisches Wissen um das Bestehen unvereinbarer Gegensätze artikuliert.
Das vierte Kapitel (152–188) vertieft die cusanische Religions­theo­logie durch eine detaillierte Auslegung von De pace fidei. Cusanus deutet aus der christlichen Sicht das Faktum religiöser Pluralität, indem er den Wahrheitsanspruch des christlichen Glaubens als existentielles Orientierungswissen im Sinn einer perspektivischen Lebenswahrheit einsichtig macht. Ohne den Cusaner zu einem Vorreformatoren zu erklären, erscheint es D. bemerkenswert, dass als Unterscheidungsmerkmal des Christlichen die Rechtfertigungsbotschaft in den Blick kommt.
Das fünfte Kapitel (189–307) geht auf die in theoretischer Hinsicht rechenschaftsfähige und in praktischer Hinsicht weltzugewandte Mystik der cusanischen Theologie ein: Der himmlische Aufstieg über die endliche Welt meint keine Weltflucht, sondern einen neuen Blick auf die alte Welt, dem lebenserschließende Kraft zukommt. Dieser Blick (visio) ist nicht nur mit einer missions­theo­logisch sensiblen sowie kosmologisch verantwortungsvollen Ethik der Toleranz und mit einem sapientialen Praxisbezug des Denkens verbunden. Der mystische Blick führt auch zu einer Theorie göttlicher Schau. Letztere bietet Cusanus in der Schrift De visione Dei. In ihr werden die Mönche des Klosters Tegernsee, die Cusanus um nähere Auskunft gebeten hatten, mithilfe eines Gleichnisses zu Gott geführt. Der Ausgangspunkt ist ein gemaltes Bildkunstwerk mit der Darstellung Gottes (eicona Dei) als des All-Sehenden, das Cusanus den Mönchen zusammen mit seiner Schrift sandte. Das Bild ist so beschaffen, dass es jedem Betrachter den Eindruck vermittelt, ihn persönlich anzuschauen. Darin scheint die Katastrophenerfahrung von 1453 durch: Es treffen Religionen als Betrachter Gottes aufeinander und meinen, Gott blicke allein den jeweiligen Betrachter an. In Wahrheit ist der Blick des Bildes mit Gott als dem All-Sehenden unendlich und begrenzt. Einerseits trifft der Blick jeden Betrachter und andererseits ist der Blick durch jeden einzelnen Betrachter begrenzt. Gott im Bild schaut jeden Betrachter so an, dass der Betrachter in seinem Sehen von Gott gesehen wird. Damit wird ein Verhältnis von Gott und Mensch buchstäblich einsichtig, das sich in der Doppeldeutigkeit des Titels abbildet. Die visio Dei ist der Blick auf Gott, in dem Gott den Menschen anblickt. Damit verbindet der Cusaner das Theorem einer menschlichen Willensfreiheit, die sich Gott verdankt und dem Nächsten verpflichtet weiß. Somit vermag D. deutlich zu machen, dass eine perspektivische Religionstheologie aus christlicher Daseinsgewissheit zu einer Mystik führt, die als ethisch ausgerichtet, existentiell gelassen und friedliebend qualifiziert werden kann.
Die Studie ist eine gut lesbare und systematisch-theologische Deutung der cusanischen Theologie, die sich gekonnt auf die gegenwärtige Debatte der Religionstheologie bezieht: Mit dem cusanischen Denken lässt sich diese Debatte konsistent um eine handlungsorientierte und bildtheoretische Denkmystik erweitern. Ihren Wert für die historische Cusanus-Forschung hat die Arbeit in der forschungsgeschichtlich erstmaligen Verknüpfung von De visione Dei und De pace fidei in argumentationslogischer Hinsicht. Die zahlreichen theologiegeschichtlichen und philosophischen Verweise wären über Register leichter zugänglich gewesen. Man wünscht der Arbeit einen schnellen Weg in die Diskussion.