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Ausgabe:

Juli/August/2010

Spalte:

871-872

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Cathey, Robert Andrew

Titel/Untertitel:

God in Postliberal Perspective. Be­-tween Realism and Non-Realism.

Verlag:

Farnham-Burlington: Ashgate 2009. XIII, 233 S. gr.8° = Transcending Boundaries in Philosophy and Theology. Lw. £ 55,00. ISBN 978-0-7546-1680-1.

Rezensent:

Hartmut von Sass

Stellen Sie sich vor, Theologie gliche einer nicht ganz ungefährlichen Region. Zur Orientierung würde Ihnen eine detaillierte Karte mit zwei Koordinaten in die Hand gegeben: »Postliberalismus« und »das umkämpfte Gebiet zwischen Realismus und Nicht-Realismus«. Wo befinden Sie sich dann? Die schlichte Antwort von Robert Cathey lautet: Nordamerika (C. lehrt in Chicago). Das muss für sich nicht ausschließen, mittels anderer Anhaltspunkte in dasselbe Areal vorstoßen oder sich umgekehrt vorstellen zu können, dass diese Kurzbeschreibung auch auf nähere Kontinente passt.
Immerhin bemüht sich C. in seiner Einleitung, den Ort des Post-Liberalen genauer zu lozieren – und zwar von dessen reaktiver und konstruktiver Seite aus. Demnach antwortet diese theolo­gische Richtung in Opposition zur (Prozess-)Metaphysik von White­head und Hartshorne auf die Irrungen der kontextinvariablen Begründungsansprüche des foundationalism, um den Herausforderungen des religiösen Pluralismus sowie der allgegenwärtigen Säkularisierung gerecht zu werden. Positiv zeichnet sich diese heterogene Bewegung durch die engagierte Rückwendung zur traditionellen Basis des Glaubens in Schrift und Gemeinschaft aus, wobei der nachhaltige Einfluss Karl Barths nicht zuletzt an den stets in Anspruch genommenen trinitätstheologischen Denkmustern zum Ausdruck kommt (vgl. 5 f.9 f.123). An universellen Wahrheitsansprüchen wird sehr wohl festgehalten, es werden für sie nun jedoch kontextuelle Begründungen angeführt (140). Hier zeichnet sich etwas ab, das Jaspers’ Kritik an Bultmann ähnelt: nämlich ein seltsames Konstrukt von Aufklärung und Orthodoxie zu errichten.
Das Grundanliegen von C.s Buch ist kein systematisches, sondern ein deskriptives, d. h. C. legt keinen eigenen Entwurf vor, sondern stellt sich in den Dienst der Beschreibung dessen, was sich ihm als postliberale Einsichten vornehmlich in den USA seit dem Zweiten Weltkrieg darbietet. Was dem Leser hingegen im ersten Kapitel »The Christian Doctrine of God in the Late Twentieth Century« vorgestellt wird, gleicht einem zuweilen konturlosen Sammelsurium. Eingesetzt wird mit den Sackgassen der Gott-ist-tot-Theologie, um über die Neuauflagen trinitarischer Ansätze und Gordon Kaufmans Problematisierung des Symbols Gott zu Michael Buckleys großer Erzählung zum modernen Atheismus zu gelangen; an­schließend werden Barth und Karl Rahner als Vorläufer postliberaler Theologie verhandelt (29), um dann mit Jüngels revel­­ational realism (34) und den praktisch ausgerichteten Trinitätstheologien amerikanischer Kollegen fortzufahren (R. Jenson, C. LaCugna, D. Cunningham). Im darauf folgenden Abschnitt zeichnet C. den kultur-linguistischen Ansatz von George Lindbeck und dessen doppelte Frontstellung zu überzogenen Realismen einerseits und deskriptiv inadäquaten Reduktionen des Glaubens andererseits weitgehend verlässlich nach (56).
Kapitel 3 liefert den hilfreichen Überblick zu Varianten (non-) realistischer Positionen. C. setzt mit einem brief handbook (83) ein, das grundlegende Terme der Debatte klärt, wobei anschließend William Alstons alethic realism genauso zur Sprache kommt wie Hilary Putnams internal realism und Nelson Goodmans konstruktivistische Absage an jede Form realistischer Intuitionen. Wiederum Barths Denken wird eine Stellung zwischen Realismus und Idealismus zugeschrieben, die C. dazu bringt, den alten Vorwurf des Offenbarungspositivismus in eine neue Wendung zu kleiden: revelational fideism (107). Nachdem C. dieses Kapitel mit Ian Barbours critical realism samt dessen Kritik durch Andrew Moore beschließt, wird man zu Recht fragen, ob nun alle Optionen eines realistischen Ansatzes, der die metaphysischen Naivitäten umgehen kann, wirklich gezogen worden sind.
Dieses Problem erhärtet sich, wenn C. im nächsten Teil drei Beispiele postliberaler Gotteslehre präsentiert. Was zu David Burrells Rückbesinnung auf die apophatische Tradition der Hochscholastik (125–127), zu William Plachers Lehre eines zugleich transzendenten und verwundbaren Gottes (137 f.) und Bruce Marshalls Amalgamierung aus orthodox-theologischem Denken und analytischer Wahrheitstheorie (158–161) zusammengetragen wird, ist zwar für deutschsprachige Leser lehrreich, steht jedoch unverbunden neben den zuvor erarbeiteten Unterscheidungen. Ebenso irritierend fährt C. im fünften Kapitel fort, indem die vorangehende Leitdifferenz Realismus/Non-Realismus in ihrer zweiten Hälfte durch »Imagination« ersetzt wird. Nach einer schönen Auslegung einer Passage aus Miguel De Unamunos Roman San Manuel Bueno, Mártir zeichnet C. die Bewegung »From Divine Revelation to Human Imagination« (174) am Werk von Garrett Green nach, der die Imagination als Berührungspunkt von Gott und Mensch bestimmt (176). Doch C. bleibt nicht beim einmal angeschnittenen Thema, sondern wendet sich plötzlich Don Cupitt zu, dessen krudem Non-Realismus nun doch schon seit geraumer Zeit der Mangel an Imagination attestiert wird.
Das kurze Schlusskapitel verdeutlicht noch einmal den sympathischen Zug dieses Buches, sich nämlich stets um die Gegenstimmen des hier Präsentierten zu bemühen und bei aller Kritik an allzu liberalen Antirealismen auch mit ihnen ins Gespräch zu treten (206 f.). Dennoch fungiert das Etikett des Postliberalen über weite Strecken als recht vage Markierung, die zugleich vieles, das ebenso diesem Label zuzuordnen wäre (etwa hermeneutisch ausgerichtete Ansätze) grundlos ausschließt. In die Hoffnung, die Bivalenzen liberal/postliberal oder metaphysisch/nicht-realistisch zu überwinden, ist zweifellos einzustimmen. Nur steigen die Aussichten dafür kaum, wenn wichtige Entwürfe, die sich an dieser Konstellation nun gerade abarbeiten – ich denke an den ordinary realism von Autoren der Wittgensteinschen Linie –, übergangen werden. Das Gebiet des Postliberalismus liegt sicher nicht nur auf nordamerikanischem Territorium.