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Ausgabe:

Juli/August/2010

Spalte:

868-870

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Titel/Untertitel:

Zwischen Himmel und Hölle. Kunst des Mittelalters von der Gotik bis Baldung Grien. Ausstellung und Katalog. Hrsg. v. M. Philipp. M. Beiträgen v. B. Brinkmann, M. Philipp, W. Ch. Schneider u. T. von Stockhausen.

Verlag:

München: Hirmer 2009. 256 S. m. zahlr. Abb. 4° = Publikationen des Bucerius Kunst Forums. Geb. EUR 39,90. ISBN 978-3-7774-2201-5.

Rezensent:

Alexander Markschies

Erst auf den zweiten Blick wird es ersichtlich: Bei dem hier anzuzeigenden Buch handelt es sich um den Katalog einer Ausstellung im Hamburger Bucerius Forum, einer im Jahr 2002 gegründeten und von der ZEIT-Stiftung getragenen Kulturinstitution, die vor allem mit Ausstellungen auf sich aufmerksam macht. Die Kunstwerke, die verhandelt werden, stammen ohne Ausnahme aus dem Augustinermuseum in Freiburg i. Br., in gewisser Hinsicht ist mithin ein Museum auf Reisen gegangen. Das bedarf, obwohl es heutzutage gängige Praxis im Ausstellungswesen ist, nicht zuletzt aus konservatorischen und ökonomischen Gründen der besonderen Rechtfertigung. Denn vor allem die sog. Alte Kunst wird durch Klimaveränderung, Transport etc. durchaus gefährdet.
Im vorliegenden Fall erlauben zwei Gründe die Ausstellung: Zum einen wird das Augustinermuseum in den nächsten Jahren unter der Ägide des Frankfurter Architekten Christoph Mäckler aufwändig umgestaltet, die Kunstwerke hätten demnach in jedem Fall ihren angestammten Platz verlassen müssen. Zum anderen konnten im Rahmen der Ausstellung einzelne Werke restauriert werden. Dass der Erhalt der Kunstwerke offenbar oberstes Gebot war, merkt der Kenner der Freiburger Bestände nicht zuletzt daran, dass etwa die famose Tafel des Matthias Grünewald mit der Darstellung der legendären Gründung von Santa Maria Maggiore in Rom, dem »Schneewunder«, nach Hamburg aufgrund ihres prekären Erhaltungszustandes nicht ausgeliehen werden konnte. Das Bild war noch nicht einmal auf den Grünewald-Ausstellungen der Jahre 2007 und 2008 in Berlin, Colmar und Karlsruhe zu sehen.
Aber dass Grünewald und so manch andere Werke fehlen, wird man vielleicht verschmerzen dürfen – zur Kompensation empfiehlt sich der Besuch des Augustinermuseums selbst oder das Studium etwa der von Detlef Zinke erarbeiteten Auswahlkataloge zu den Gemälden (Freiburg 1990) bzw. den Bildwerken des Mittelalters und der Renaissance (München 1995). Denn vor allem darf man das Buch – über seine Verfasstheit eines Ausstellungskataloges hinaus – als eine Art Kompendium zur Kunst des späten Mittelalters verstehen, als Komplementär zu den entsprechenden Bänden der im Münchener Prestel-Verlag erschienenen »Geschichte der Bildenden Kunst in Deutschland in acht Bänden« (2006–2009). Selbstbewusst konservativ stehen hier Datierung wie auch Lokalisierung der Kunstwerke, ja mehr noch ihr – durchweg christlicher – Bildinhalt, mithin ihre Ikonographie, im Zentrum des Interesses: Der vom Kurator des Bucerius Kunst Forums, dem Historiker Michael Philipp erarbeitete Katalog, der den Hauptteil des Buches ausmacht, rubriziert die Kunstwerke, die in überwiegend sehr guten Farbabbildungen präsent werden, nach den Kategorien »Schmerz und Erlösung«, »Maria – Helferin und Mitleidende«, »Stationen der Passion«, »Heilige – Vorbilder und Beschützer«, »Gut und Böse« sowie »Hans Baldung, gen. Grien«. Thematisiert wird demnach ein umfänglicher Teil des Kanons hoch- und spätmittelalterlicher Kunst, zu einem tatsächlichen Überblickswerk wird der Katalog durch das ergänzende Verzeichnis mittelalterlicher Bildthemen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Werken hätte man sich an manchen Stellen ein wenig intensiver gewünscht, so wird etwa zu Hans Baldungs Tafel der Maria mit dem schlafenden Christuskind vor irisierend flammenrotem Hintergrund die relevante neueste Literatur, die Münchener Dissertation von Sybille Weber am Bach (im Druck erschienen Regensburg 2006), zwar genannt, die dort ausführlich verhandelte und durchaus plausible These, die mariologischen Bilder des Malers dürften überwiegend protestantische Auftraggeber gehabt haben, wird indes noch nicht einmal erwähnt.
Dem Katalog vorangestellt sind vier Aufsätze: Michael Philipp gibt eine schöne, quellengesättigte Einführung zum Verhältnis von Kunst und Religion im späten Mittelalter – ein Text, der vergleichbar prägnant und dicht dieses Thema auf knappstem Raum verhandelt, ist mir nicht bekannt; Wolfgang Christian Schneider handelt recht allgemein und mitunter durchaus abstrakt von der Religiosität im Mittelalter; der Direktor der Städtischen Museen Freiburg, Tilman von Stockhausen, gibt luzid Auskunft über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Augustinermuseums, und Bodo Brinkmann, in den letzten Jahren als Kurator am Städel Museum in Frankfurt etwa mit Ausstellungen zu Lukas Cranach oder Hans Baldung hervorgetreten, untersucht Interdependenzen zwischen Albrecht Dürer und Hans Baldung: Er erhellt, wie Baldung in der Auseinandersetzung mit Werken Dürers neue Bildwelten erfindet (man wünschte sich allerdings eine ausführlichere Bebilderung des Beitrags, die die Vergleichswerke tatsächlich auch abbildet), sich an der Epochenschwelle um 1500 ein neues Künstlerselbstverständnis artikuliert, und die Kunstwerke nun auf ein Publikum zielen, das diese als ein (selbst)reflexives Medium verstehen muss. Als Phänomene der Neuzeit gewertet, die bis heute prägend sind, wird damit zugleich auch klar, dass der etwas kraus­- bors­tige Titel des Buches – sein Obertitel ist zudem durch den Antikriegsfilm Oliver Stones aus dem Jahr 1993 bereits belegt – allenfalls heuristisch fungieren kann; in klassifikatorischer Hinsicht taugt er nicht.
Die kritischen Töne sprechen aber nicht gegen ein Buch, das erfolgreich sowohl mit Experten wie auch Laien als intendierten Lesern rechnen darf, das sich ausgezeichnet als Einführung in die christlichen Bildwelten des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit eignet – und das neugierig auf die Bestände des Augusti­nermuseums in Freiburg macht.