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Ausgabe:

Juli/August/2010

Spalte:

865-868

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Titel/Untertitel:

Cranach und die Kunst der Renaissance unter den Hohenzollern. Kirche, Hof und Stadtkultur. Eine Ausstellung der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg in Kooperation mit der Evangelischen Kirchengemeinde St. Petri-St. Marien 31. Oktober 2009 bis 24. Januar 2010. Katalog.

Verlag:

Berlin-München: Deutscher Kunstverlag 2009. 368 S. m. zahlr. Abb. 4°. Geb. EUR 39,90. ISBN 978-3-422-06910-7.

Rezensent:

Alexander Markschies

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Tacke, Andreas [Hrsg.]: Lucas Cranach 1553/2003. Wittenberger Tagungsbeiträge anlässlich des 450. Todesjahres Lucas Cranachs des Älteren. Hrsg. in Verbindung m. S. Rhein u. M. Wiemers. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2007. 363 S. m. zahlr. Abb. gr.8° = Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, 7. Geb. EUR 48,00. ISBN 978-3-374-02434-6.


Sieht man einmal von Albrecht Dürer ab, scheint es in subjektiver Wahrnehmung kaum einen deutschen Künstler an der Epochenschwelle um 1500 zu geben, der in der Öffentlichkeit und der Wissenschaft ein vergleichbares Interesse auf sich zieht wie Lukas Cranach. Versucht man diesen Eindruck zu validieren, dann findet man etwa im OPAC des Kunstbibliotheken-Fachverbunds Florenz – München – Rom (http://www.kubikat.org/) als einem der wichtigsten bibliographischen Instrumente des Faches Kunstgeschichte mit Stand vom 22. März 2010 zu Cranach seit 1990 nicht weniger als 264 Publikationen; zum Vergleich: Albrecht Dürer widmen sich 743 Texte, Matthias Grünewald 153, Hans Baldung gen. Grien da­-gegen nur 49. Auch die Zahl der Ausstellungen, die die Malerfamilie der Cranach, ihre Werkstatt sowie übergreifende Aspekte im Fokus haben, spricht für sich, die reine Aufzählung verzeichnet seit dem Jahr 2003: u. a. Hamburg, Torgau (2004), Prag (2005), Chemnitz (2005/2006), Halle (2006) Aschaffenburg (2007), London (2007), Madrid (2007), Frankfurt am Main (2007/2008), Straßburg (2007/ 2008), wiederum London (2008), Bremen (2009) und Berlin (2009/ 2010), aktuell wird von Guido Messling eine Ausstellung in Brüssel vorbereitet.
Begründungen für diese Konjunktur zu finden, ist nicht ganz einfach, fragte doch etwa Erwin Panofsky seinen Kollegen Jakob Rosenberg, der zusammen mit Max J. Friedländer 1932 den bis heute maßgeblichen Œuvrekatalog der Gemälde Cranachs publiziert hat (1960 folgte der Katalog der Handzeichnungen): »Wie kann man sich nur so lange mit Cranach beschäftigen?« Eine wichtige Rolle spielt in jedem Falle, dass man seine späteren Werke, die zunächst vielfach als plakative Massenware diffamiert worden sind, nun als effiziente Produkte einer offenbar vorzüglich organisierten Werkstatt zu sehen gelernt hat, die die Wünsche der unterschiedlichen Auftraggeber und die verschiedenen Aufgaben für die Kunst souverän zu erfüllen weiß; Friedländer und Rosenberg schrieben 1932 dagegen noch: »Wäre Cranach 1505 gestorben, so würde er im Gedächtnis leben geladen mit Explosionsstoff. Er ist aber erst 1553 gestorben, und wir beobachten statt der Explosion ein Ausrinnen.« Hinzu kommt als wohl wichtigstes Faktum, dass die wissenschaft lichen Untersuchungen der letzten Jahrzehnte zu Cranach schlichtweg außerordentlich spannend sind: Standardwerke der jüngeren Forschung sind der zweibändige Katalog (Basel 1974–1976), der eine von Dieter Koepplin und Tilman Falk kuratierte Ausstellung begleitet hat, die Monographie Werner Schades zur Cranach-Familie (Dresden 1974) sowie nicht zuletzt die Untersuchung Andreas Tackes zum »katholischen Cranach« (Mainz 1992). Der Vorstellung von Lucas Cranach als dem Maler der Reformation par excellence werden hier in der bis heute maßgeblichen Untersuchung die Aufträge Kardinal Albrechts von Brandenburg für die Stiftskirche zu Halle und des Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg für die Berlin-Cöllner Stiftskirche an die Seite gestellt. Es ist seitdem Standard geworden – ganz so wie es sich Andreas Tacke gewünscht hat –, »nicht von einem ›lutherischen‹ bzw. ›katholischen‹ Cranach selbst zu sprechen, sondern nur von Kunstwerken Cranachs mit reformatorischer bzw. altgläubiger Thematik«. In Bälde erscheinen wird der von Armin Kunz und Lothar Schmitt erarbeitete Katalog der Druckgraphik Cranachs. Ausweis dieser insgesamt überaus vividen Forschungstätigkeit sind auch die beiden hier zu besprechenden Publikationen.
Das bei der Evangelischen Verlagsanstalt als siebter Band der Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt erschienene Buch geht auf eine internationale Tagung in Wittenberg zum 450. Todesjahr Lucas Cranachs des Älteren zurück. Nach dem Vorwort des Herausgebers Andreas Tacke, das mit der seit dem Jahr 1859 in der »Herderkirche« in Weimar neu inszenierten Grabplatte Cranachs anhebt und zudem knapp mit den Wegen der Forschungen vertraut macht, widmen sich 15 Beiträge seinem Werk. Der Fokus gilt überwiegend Bildnissen: Heiner Borggrefe nimmt das Ehebildnis des Wiener Humanisten Johann Cuspinian und seiner Frau Anna, geb. Putsch, in den Blick; nach der Dissertation von Dieter Koepplin zum Bild (erschienen Basel 1973) kann er mit der genauen Untersuchung von Bilddetails und deren Bildtradition das Tugendprogramm des Doppelporträts noch weiter erhellen. Gerhard Weilandt rekonstruiert in seinem eindrucksvoll ertragreichen Beitrag den ursprünglichen Aufstellungskontext eines Porträts Kurfürst Friedrichs des Weisen in der Nürnberger Domini­kanerkirche; Sabine Schwarz-Hermanns fragt nach dem Verhältnis von gemalten Porträts Cranachs auf runden Bildträgern zu Münzen, Medaillen und Siegeln. Sabine Fastert versucht zu erklären, warum in den 20er und 30er Jahren des 16. Jh.s am Wittenberger Hof vor allem Bilder in Serie und weniger die Porträtgraphik das »Image« der Herrscher propagiert haben – entscheidend ist demnach das gemäß präziser Verabredungen je eigen hergestellte und selbst bei der Druckgraphik nachträglich durch Handkolorierung individualisierte Porträt. Dies gilt sogar angesichts der 1532 kurz nach dem Regierungsantritt Friedrichs des Weisen bei Cranach in Auftrag gegebenen 60 Bildnisdiptychen des Herrschers und seines Vorgängers! Hanne Kolind Poulsen untersucht – mit einem Seitenblick auf die Haltung Luthers gegenüber Bildern – Cranachs Porträts nach den Begriffen »Konvention«, »Ähnlichkeit« sowie »Iko-­nizität« und Dieter Koepplin erinnert an den Fall einer vor allem ökonomisch motivierten fehlerhaften Zuschreibung eines Bildes an Cranach. Zugleich macht er einen Bildnistyp Friedrichs des Weisen bekannter, bei dem dieser als imperiale Geste die imaginierte Kaiserkrone in seiner rechten Hand vorweist. Weitere Beiträge des Bandes beschäftigen sich mit Bildern bzw. Retabeln Cranachs oder seiner Werkstatt mit christlicher Ikonographie: Iris Ritschel kann klären, dass die weibliche Figur auf einem im Gothaer Schloss­­-museum bewahrten Pergament vermutlich Maria Magdalena darstellt. Thomas Packeiser untersucht das berühmte Sakramentsretabel der Wittenberger Stadtpfarrkirche, Michael Böhlitz den Weimarer Cranachaltar in der »Herderkirche« und Irene Roch-Lemmer das Dessauer Abendmahlsbild von Lucas Cranach d. J. Der »katholische Cranach« rückt demgegenüber mit dem bislang weitgehend unbekannten Retabel in der Kirche von Kade bei Genthin im Beitrag von Andrea Thiele in den Blick. Franz Matsche und Bert­hold Hinz be­leuchten die weltlichen Bilder Cranachs, etwa die Darstellungen der nackten Venus.
Dass die berühmte »liegende Quellnymphe« nur im weitesten Sinne etwas mit der entsprechenden Darstellung in der »Hypnerotomachia Poliphili« zu tun hat und vielmehr auf einen Nymphenbrunnen in Buda zu beziehen ist, überzeugt vollkommen, ist durch die auf den Aufsatz von Matsche folgende Forschung indes bislang noch nicht wahrgenommen worden. Zwei Beiträge schließlich wei­ten den Rahmen: Doreen Zerbe erhellt die Funktion luthe­rischer Gedächtnisbilder in der Wittenberger Stadtkirche St. Marien und Miriam Hübner stellt den Bildtypus »Gesetz und Gnade« in der Dänischen Reformation vor. Insgesamt ergibt sich mit dem Band eine umfassende Sicht auf Cranach, die vor allem in den Themenfeldern der Konfessionalisierung, der Rolle des fürstlichen Porträts und Fragen der Bilddeutung zahlreiche neue Einsichten eröffnet. Wesentlich mehr Abbildungen hätte das Buch verdient, auch die Qualität der veröffentlichten müsste besser sein – entscheidend für diesen Mangel waren vermutlich die im Vorwort angedeuteten Schwierigkeiten bei der Finanzierung der Drucklegung.
Der Band zu Cranach und der Kunst der Renaissance unter den Hohenzollern ist dagegen vorzüglich, ja geradezu opulent illus­triert – für Ausstellungskataloge ist dies heutzutage allerdings eine Selbstverständlichkeit. Der Titel führt indes ein wenig in die Irre, denn im Zentrum steht das Berlin der Renaissance, das zum ersten Mal überhaupt zusammengefasst in allen seinen Aspekten zum Thema gemacht wird. Die beiden Cranach und ihre Werkstatt spielten dabei insofern eine wichtige Rolle, weil sie von 1529 bis um 1570 auch im Auftrag der Kurfürsten von Brandenburg gearbeitet haben. Den zeitlichen Rahmen markieren Porträtaufträge für Kurfürst Joachim I. und ein um 1570 entstandenes Bildnis des greisen Joachim II. Ungemein erhellend ist in diesem Zusammenhang der Vergleich des Bildes mit einer vorgängigen Ölskizze, die das Gesicht des Herrschers weitaus schlaffer erscheinen lässt. Die auf Cranach fokussierten Beiträge des Katalogs geben einen konzisen Überblick ( Elke Anna Werner), beschäftigen sich hellsichtig mit den knapp ein Dutzend erhaltenen Passionsbildern der Jahre 1537 und 1538 als Teil des mehr als 140 Tafeln umfassenden Bilderzyklus für die Berliner Stifts- und Domkirche (Dieter Koepplin), schlagen eine tatsächlich faszinierende neue Deutung für den berühmten »Berliner Jungbrunnen« Cranachs vor (Martin Warnke), in der die ungemein gewinnende Erzählung des Bildes als Teil einer Strategie gedeutet ist, mit der in herrscherlicher, auktorialer Geste das »Goldene Zeitalter« veranschaulicht wird. Werner Schade gibt überraschend für die Münchener Venus Lucas Cranachs d. J. eine neue Zuschreibung an den Bayreuther Hofmaler Heinrich Bollandt (1577 bis nach 1637); die Tafel wäre demnach deutlich später entstanden und Teil einer allerdings noch weiter zu untersuchenden Cranach-Renaissance des frühen 17. Jh.s. Mechthild Most u. a. informieren über die gemäldetechnologischen Untersuchungen der Bilder der beiden Cranachs und ihrer Werkstatt, die die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten besitzt. Das Fehlen der Möglichkeiten, eigenhändige Anteile an den bis etwa 1550 entstandenen Bildern eindeutig zu identifizieren, ist nach den Untersuchungen keineswegs als Mangel zu werten, es deutet vielmehr auf die Kompetenz der Werkstatt hin, in großer Zahl Werke von gleichbleibend hoher Qualität liefern zu können; Weiteres wird man aus dem Bestandskatalog der deutschen Malerei des 15. und 16. Jh.s im Besitz der Stiftung erfahren dürfen, dessen Erscheinen unmittelbar bevorsteht, und ergänzend sei auf die sensationelle Arbeit Gunnar Heydenreichs zu Technik und Werkstattpraxis bei Lucas Cranach d. Ä. verwiesen (Amsterdam 2007). Manfred Rudersdorf und Anton Schindling schreiben anschaulich über die Reformation und Konfessionalisierung in Berlin und Brandenburg, im anschließenden Katalog finden sich in fast allen elf Abschnitten für das Thema relevante Beiträge.
Die beiden äußerst lesenswerten Bücher machen durch ihre zahlreichen Ergebnisse und nicht zuletzt auch durch ihre latenten Widersprüche gespannt auf weitere Forschungen zur Malerfamilie der Cranach.