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Ausgabe:

Juli/August/2010

Spalte:

864-865

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Poeschke, Joachim

Titel/Untertitel:

Mosaiken in Italien 300–1300.

Verlag:

München: Hirmer 2009. 431 S. m zahlr. Abb. 4°. Lw. EUR 138,00. ISBN 978-3-7774-2101-8.

Rezensent:

Henning Lutterbach

Der an der Universität Münster lehrende Kunstgeschichtler Joachim Poeschke, der durch seine Publikationen sowie durch seine Mitarbeit in interdisziplinären Forschungs- und Wissenschaftsverbünden (Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der beiden MPIs für Kunstgeschichte; Mitglied der Akademie der Wissenschaften NRW) einschlägig ausgewiesen ist, legt einen wahrlich prachtvoll ausgestatteten Band zu den »Mosaiken in Italien 300–1300« vor. Dieses Werk verdient mehrfache Beachtung: Zum einen verbindet P. hier seine Forschungsschwerpunkte »Antikenrezeption« und »Italienische Kunst des Mittelalters«. Zum zweiten liegen zwar wich­-tige Publikationen zur Mosaikkunst bestimmter Epochen und Regionen Italiens vor, nicht aber ein epochen- und regionenübergreifend konzipiertes Überblickswerk wie jenes von P. Drittens versteht P. seine Darstellung als ein Werk, das sich an Studierende und Lehrende richtet; und hier dürfen sich nicht allein Kunstgeschichtler und Kunstgeschichtlerinnen angesprochen fühlen, sondern darüber hinaus Geisteswissenschaftler und Geisteswissenschaftlerinnen anderer Fächer, nicht zuletzt der Theologie. Schließlich verbindet P. mit seinem Werk, das zu den angesprochenen Darstellungen und Themenmotiven jeweils den aktuellen wissenschaftlichen Forschungsstand wiedergibt, ein Mühen um Übersichtlichkeit, Ästhetik und Lesbarkeit: »Genießbar sollte das Buch sein, geht es doch letztlich darum, an große Kunstwerke heranzuführen«, wie P. selbst den Maßstab formuliert.
Der Band bringt die berücksichtigten Wand- und Gewölbemosaiken – und darauf begrenzt sich P. – in einer Weise fotografisch erstklassig zur Geltung, wie das bislang mit moderner Kameratechnik noch nicht gelungen ist; auch die Menschen in Spätantike und Mittelalter hatten angesichts ihrer von Tages- und Kerzenlicht abhängigen Sicht auf die Mosaiken nicht die Möglichkeit, sie in der uns von P. nahegebrachten motivischen und farblichen Detailtreue zu sehen.
Der zeitliche Einsatz von P.s Werk im 4. Jh. erklärt sich dadurch, dass mit Kaiser Konstantin und dessen Einsatz zugunsten der Chris­ten eine neue Ära nicht allein für den christlichen Kult, sondern damit verbunden zugleich für die Architektur und die Bildkünste begann. Damit war der Gestaltungsraum eröffnet für Apsismosaiken, die das Kultbild ersetzten, sowie für die allerdings erst seit mittelalterlicher Zeit im Langhaus angeordneten Mosaiken mit erzählerischen Inhalten. Entsprechend hält P. mit Blick auf die Apsismosaiken fest: »Das Erzählerische trat zurück hinter das Zeremonielle, das Dekorative hinter das Monumentale, das Individuelle hinter das Universelle.« (12) Kein Wunder, dass hier die Darstellung von Christusbildern dominiert (Christus als Lehrer, Hirte etc.). Orientierend erläutert P. weiter: »Während der Platz in der Apsis, an der Apsisstirnwand und am Triumphbogen der Vorausschau auf das Künftige und Kommende vorbehalten war, wurde im Langhaus der Rückschau auf das Vergangene und Erinnerungswürdige Raum gegeben.« (26) Somit böte sich auch hier die Rede vom Kirchenraum als »Zeitenraum« an, wie sie Friedrich Ohly mit Blick auf die mittelalterliche Kathedrale von Siena geprägt hat.
Nicht zuletzt periodisiert P. seine Beobachtungen immer wieder, wenn er den Übergang von der Spätantike zum Mittelalter beispielsweise an der römischen Mosaikkunst in SS. Cosma e Damiano erläutert (17) oder die straffere Linienführung der ravennatischen Mosaikkunst des 6. Jh.s in diesem Zusammenhang hervorhebt (31).
Wie nebenbei bietet P. einen diachronen Vergleich der Mosaikkunst in Ravenna und Rom. Freilich bleibt er mit Blick auf das Mittelalter nicht bei diesen großen Zentren der Mosaikkunst stehen, wenn er die Mosaiken von Monte Cassino aus dem 11. Jh. in seine wissenschaftliche Darstellung ebenso mit einbezieht wie jene des Benediktinerklosters Monreale im 12. Jh. oder – umfassend – die Mosaikkunst in Venedig (11.–13. Jh.), in Florenz (13. Jh.) oder in Pisa (14. Jh.). An ihr Ende gelangte die Mosaikkunst in Italien im 14. Jh. – nicht zuletzt durch das Werk von Giotto di Bondone († 1337), wozu – so P. erläuternd – »Giotto und das von ihm inaugurierte neue, will sagen in neuer Weise dem Naturvorbild verpflichtete Figurenideal zweifellos wesentlich beigetragen hat« (49).
Die Konsultation des vorgelegten Bandes lohnt sich für Theologietreibende aus mehreren Gründen: Als Erstes erschließt sich auf dieser Basis etwas vom Motivreichtum der christlichen (Mosaik-) Kunst während der mehr als 1000-jährigen Christentumsgeschichte, welche der Reformation voranging; erinnert sei hier allein an die von P. in den kunstgeschichtlichen und theologischen Blick genommenen Bildprogramme der Baptisterien. Näherhin bringen die faszinierenden Fotoaufnahmen der italienischen Mosaiken den Reichtum der biblischen Rezeption ins Bild; nicht weniger fällt die allzumeist christusbezogene Darstellung der auf den Mosaiken erkennbaren Heiligen ins Auge. Schließlich gibt P. zu bedenken: »Am meisten werden sich die [mittelalterlichen] Gläubigen staunend und bewundernd der überwältigenden Gesamtwirkung der Mosaiken überlassen haben, und es ist anzunehmen, dass sich vor allem in diesem Punkt die Intentionen der Urheber mit den Reaktionen des Publikums trafen.« (10) Der Band zeichnet sich mit der Heranführung an die Mosaikkunst Italiens über die Gesamtwirkung hinaus durch viele kunstgeschichtliche Details sowie zahlreiche – mitunter überraschende – inhaltliche (auch theologische) Eröffnungen aus.