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Ausgabe:

Juli/August/2010

Spalte:

843-845

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Beutel, Albrecht, Häusler, Michael, Hüffmeier, Wilhelm, Kampmann, Jürgen, Lessing, Eckhard, u. Rudolf Mau [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Protestantismus in Preußen. Lebensbilder aus seiner Geschichte.

Verlag:

Frankfurt a. M.: Hansisches Druck- und Verlagshaus – edition chrismon 2009. Bd. 1: Vom 17. Jahrhundert bis zum Unionsaufruf 1817. Hrsg. v. A. Beutel. 294 S. m. Abb. gr.8°. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-86921-000-1. Bd. 2: Vom Unionsaufruf 1817 bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Hrsg. v. R. Mau. 309 S. m. Abb. gr.8°. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-86921-001-8. Bd. 5: Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart. Hrsg. v. W. Hüffmeier. 374 S. m. Abb. gr.8°. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-86921-006-3.

Rezensent:

Anselm Schubert

Das Werk, von dem bislang drei Bände vorliegen, versteht sich als Darstellung der Geschichte des preußischen Protestantismus in »Lebensbildern« für das breitere Publikum, will gerade darin aber auch »eine unverzichtbare Ergänzung und Vertiefung« der von Rogge und Goeters herausgegeben »Geschichte der Evangelischen Kirche der Union« sein. Darin besteht ein konzeptionelles Dilemma, das sich durch alle bisher erschienenen Bände zieht.
Jeder Band beginnt mit einem konzisen historischen Überblick der jeweiligen Epoche – zusammen gelesen ergeben sie eine sehr empfehlenswerte kurze Kirchengeschichte Preußens. Die Herausgeber verstehen Kirchengeschichte dankenswerterweise nicht nur als Werk der Theologen und Könige, sondern haben auch Künstler, Kirchenpolitiker und Seelsorger in die Auswahl aufgenommen, ja man bemüht sich sogar (wenn auch etwas angestrengt), auch die Gendergeschichte zu ihrem Recht kommen zu lassen. Der erste Band (»Vom 17. Jahrhundert bis zum Unionsaufruf von 1817«) porträtiert neben den wichtigsten Herrschern (Johann Sigismund, Großer Kurfürst), zentrale Vertreter von Pietismus (Spener, Fran­-cke, Reinbeck) und Aufklärung (Jablonski, Spalding, Nicolai, Teller und die beiden Sacks) sowie Gestalten der kirchlichen Musikgeschichte (Crüger, Gerhardt, Graun). Der zweite Band (»Vom Unionsaufruf von 1817 bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts«) eröffnet ein weites Spektrum von den Monarchen (Friedrich Wilhelm III. und IV.) über leitende Beamte (Altenstein), Kirchenleute und Bischöfe (Natorp, Dräseke), Theologen (Schleiermacher, Tholuck, Scheibel) bis hin zu Künstlern (Mendelssohn, Schinkel) sowie Vertretern der Erweckungsbewegung und der Diakonie (Kottwitz, die Fliedners, von Rantzau). Der fünfte Band (»Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart«) beleuchtet die Biographien wichtiger Vertreter von EKiD, EKD und EKU (R. v. Thadden-Trieglaff, Kreyssig, Wilm, Beck­mann, Scharf), Theologen (Iwand, Söhngen, I. Becker), Politiker (Heinemann, Ehlers) sowie Kirchenmänner in der DDR (Jähnike, Fränkel, Hamel). So ergibt sich ein beeindruckendes Panorama der theologischen, sozialen und kulturellen Vielfalt der preußischen Kirchengeschichte.
Der überwiegende Teil der Beiträge ist von für das Themengebiet einschlägig ausgewiesenen Historikerinnen und Historikern verfasst, auffällig ist allerdings vor allem im zweiten und dritten Band, dass jüngere Forscher kaum vertreten sind. Im fünften Band führt das zu dem bemerkenswerten Phänomen, dass eine Reihe der Autorinnen und Autoren (hier dominieren die Nichthistoriker) die Zeitgenossenschaft mit den von ihnen Porträtierten teilen – das gereicht der Darstellung nicht immer zu kritischer Distanz und historischer Ausgewogenheit. Schon die Auswahl des fünften Bandes erweckt (ungewollt?) den Eindruck, die EKU der Nachkriegszeit habe nur aus Helden der BK bestanden! Natürlich lässt sich bei einem Sammelband wie diesem immer auch über die Auswahl der dargestellten Personen streiten. Dass dabei einige Entscheidungen der Herausgeber nicht wirklich einleuchten (über die Repräsentativität Mendelssohns oder Gertrud Staewens für den preußischen Protestantismus wird man geteilter Meinung sein dürfen) und man andere Namen vermisst (Kant, Wöllner, Borowski, Hengstenberg u. a.) – geschenkt bei einem fünfbändigen Sammelwerk mit vielen Herausgebern und noch mehr Autoren.
Als schwierig erweist sich im Lauf der Lektüre vor allem das ganz unterschiedliche intellektuelle Niveau der Beiträge. So stehen magistrale Beiträge international renommierter Forscher (Wallmann zum Pietismus, Greschat zu Scharf, Bahlcke zu Jablonski usw.) neben einigen Darstellungen historiographischer Laien, die sich zu reinen Hagiographien entwickeln (besonders schwierig etwa die Beiträge zu Scheibel und Thadden-Trieglaff!). Der sich in erstaunlich vielen Beiträgen findenden Verklärung des Gegenstandes wurde offensichtlich durch eine Entscheidung der Herausgeber Vorschub geleistet, den Gebrauch von Sekundärliteratur und Anmerkungen auf ein Mindestmaß zu begrenzen und vor allem aus den Quellen zu arbeiten. Von einigen Autoren wurde dies offenbar als Aufforderung verstanden, überkritisch nur Archivalien zu zitieren (etwa Holtz über Friedrich Wilhelm III.), von anderen dagegen als Lizenz aufgefasst, völlig unkritisch die Memoiren der Porträtierten ausschreiben zu dürfen. Beide Varianten dürften den historiographischen Nutzwert für ein breiteres Publikum ziemlich einschränken.
Die Lesbarkeit der Bände wird dadurch erschwert, dass der überwiegende Teil der Autoren keine biographischen Essays bietet (eine glanzvolle Ausnahme ist etwa Börsch-Supans Aufsatz über Schinkel), sondern den klassischen, chronologischen Zugang wählt. Das führt nicht nur dazu, dass der Leser immer wieder durch alle Stationen von schwerer Kindheit, gründlicher Ausbildung und schließlicher Bewährung geführt wird, sondern auch dazu, dass sich der Blick nur selten über das im engeren Sinne Biographische auf die größeren kirchengeschichtlichen Kontexte hin weitet. Wer sich in den Kontexten der Kirchengeschichte und der kirchlichen Zeitgeschichte nicht auskennt, für den bleiben die Verbindungen zwischen den Einzelbeiträgen unverständlich. Daran ändert leider auch das gründliche Personenregister nichts. So bleibt das Sammelwerk in seinem Anspruch irgendwo in der Mitte zwischen erbaulichen »Lebensbildern« und biographischem Handbuch zur preußischen Kirchengeschichte stecken.
Historiographisch problematisch mutet der Anspruch an, das Handbuch der Geschichte der evangelischen Kirche der Union ergänzen und vertiefen zu wollen. Nicht nur drohen durch diese Identifizierung von preußischer Kirchengeschichte und Geschichte der Union der erste Band des Werkes zur bloßen Vorgeschichte der Union und der letzte Band zur bloßen Nachgeschichte Preußens degradiert zu werden, dieses historiographische Konzept beschwört auch die längst vergessenen Schatten einer kleindeutsch-preußischen Teleologie im Kopf des Lesers herauf. In diesem Zusammenhang muss deshalb doch gefragt werden, warum im Zeitalter der Debatten um Mikrogeschichte, Erfindung des Ichs, Ego-Dokumente usw. die Herausgeber des Werkes die Wahl eines biographischen Zugangs ausgerechnet mit Heinrich von Treitschke meinen begründen zu sollen!
Es wäre zu wünschen, dass die beiden noch ausstehenden chronologisch zentralen, inhaltlich schwierigen Bände über Kaiserreich, Weimar und den Nationalsozialismus dem Leser etwas mehr an Fußnoten, Verweisen und weiterführender Literatur zumuten – wer nicht mag, kann ja darüber hinweglesen; dem, der es genauer wissen will, öffnet sich aber erst dadurch der Weg in die Geschichte des Preußischen Protestantismus. Dass diese der historischen Erinnerung und Erforschung wert ist, das zumindest zeigen diese Bände.