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Ausgabe:

Juli/August/2010

Spalte:

824-826

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Oswald, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Staatstheorie im Alten Israel. Der politische Diskurs im Pentateuch und in den Geschichtsbüchern des Alten Testaments.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2009. 288 S. m. Taf. gr.8°. Kart. EUR 32,00. ISBN 978-3-17-020435-5.

Rezensent:

Eckart Otto

Die Studie des Tübinger Privatdozenten Wolfgang Oswald nimmt eine Fragestellung auf, die vor exakt 80 Jahren bereits K. Galling (Die israelitische Staatsverfassung, Leipzig 1929) monographisch behandelt hat. So will der Vf. die programmatische und realpolitische Verfasstheit von Herrschaft und ihre Kritik im antiken Israel nachzeichnen. Da der Vf. gleichzeitig einen Beitrag zur strittigen Diskussion der Literaturgeschichte von Pentateuch und Vorderen Propheten leisten, also das Pferd von hinten aufzäumen will, beschränkt er sich auf die Erzählungen in Gen–2Kön und lässt das für die Thematik wichtige corpus propheticum außen vor.
Der Vf. unterscheidet sechs Grundmuster von »staatstheoretischer« Reflexion. Das literaturgeschichtlich älteste Paradigma sei das auch altorientalische monarchisch-davidische (1Sam 9–2Sam 8*), dessen Reflexion über den Staat auf den Dynastiegründer David konzentriert sei. Nach Ende der Monarchie sei Mose an die Stelle des Königs getreten, da die Geschichte die Hoffnung auf die Davididen falsifiziert habe, so dass die ethischen, rechtlichen und politischen Fundamente des judäischen Gemeinwesens von Mose als nicht-königlicher Leitgestalt abgeleitet werden. Parallel dazu werden die Erzvätergestalten für eine Alternativkonzeption zum Staat genutzt, nach der Israel als Stämmeverband organisiert worden sei. Schließlich werden diese beiden Paradigmen der Erzväter und des Mose miteinander zu einer pentateuchischen Synthese verschmolzen, so in einer »priesterlichen Konzeption« eines Abraham-Mose-Paradigmas in Gestalt eines Hexateuch (Gen–Jos 24). Der Vf., der erst kürzlich feststellte, die Pentateuchkritik sei von einem Konsens weiter entfernt denn je (ThLZ 134 [2009], 795), will dem Problem dadurch Herr werden, dass er verschiedene Modelle und Ansätze der gegenwärtigen Pentateuchdiskussion miteinander kombiniert. Der These eines Hexateuch wird man zustimmen, doch nicht um den Preis des Verzichts auf eine pries­terschriftliche Quelle. So ist ein Großteil der vom Vf. dem priesterschriftlichen Hexateuch zugeschriebenen Texte postpriesterschriftlich. Schließlich sollen mit der Konstituierung des Pentateuch als Tora die Differenzierungen zwischen den Gesetzeskorpora und »die politisch motivierte Abgrenzung zwischen ihnen« wegfallen. Vielmehr sei »das Ganze der Tora nunmehr Weisung und jedes Gebot verlangt Gehorsam«. Das ist allerdings angesichts der Differenzen zwischen den Gesetzeskorpora von Bundesbuch, Deutero nomium und Heiligkeitsgesetz eine erstaunliche These, die die komplexe Rechtshermeneutik des Pentateuch übersieht, die einem differenzierteren Verständnis, was spätnachexilisch Tora-Gehorsam ist, Raum gibt.
Der Vf. schließt seine Studie mit zwei Paradigmen der als chronistisch bezeichneten Literatur ab. Ein fünftes »Persisches Paradigma« soll seinen Kern in Neh 1–13 und schließlich Esr 1–Neh 13 umfasst haben. War dem Vf. mit dem Pentateuch zunehmend das Thema zugunsten der Schachtelung von literaturhistorischen Hy­pothesen abhanden gekommen, hat er nun die Chance, zur »Staatstheorie« zurückzukommen. Während in der Nehemia-Schrift ein Programm vorliege, das insofern »staatstheoretisch« sei, als ein laikaler Statthalter die Politik bestimme, beruhe die Esra-Schrift auf einem »Verfassungsmodell« (sic!), in dem ein priesterlicher Gelehrter das Volk in der Tora unterrichte, so dass man hier nicht von einer »Bürger-Tempel-Gemeinde«, wohl aber von einer »Bürger-Tora-Versammlung« sprechen könne, die der Vf. zu Recht mit der Pentateuchkonstituierung verbindet. Es gibt gute Gründe für die Verbindung der Pentateuchredaktion mit der esranischen Zeit des frühen 4. Jh.s, allerdings auch dafür, dass die Hexateuchredaktion in nehemianischer Zeit ein großisraelitisches Gegenprogramm vertritt. Ein sechstes Paradigma, ein »Neues David-Paradigma« der Chronikbücher streiche die Bedeutung des Tempels heraus, wobei David nur als Gründer des Kultes Bedeutung zukomme.
Der Vf. hat eine Geschichte der erzählenden Literatur vorgelegt, an die sich Fragen nach den sich wandelnden Programmen der Identität israelitischer und judäischer Gemeinwesen anschließen sollen. Ob es angemessen ist, diese impliziten Programme unter dem Begriff der »Staatstheorie« zu subsumieren, mag man fragen, da fünf der sechs Paradigmen substaatliche Organisationsformen voraussetzen und für sie Programm sein sollen.
Der Vf. hat ein Gemälde bewegter und bewegender Diskurse von der assyrischen bis zur persischen Zeit gezeichnet, was Mut zur Synthese erfordert. Diese Stärke der Studie ist zugleich aber ihre Schwäche. Der Vf. bewegt sich durchgängig auf schwankendem Boden literaturhistorischer Hypothesen, was nicht dadurch abgemildert wird, dass er bei einer Vielzahl von Thesen, die sich eher ausschließen, Anleihen zu machen versucht (siehe ZAR 15 [2009], 388–399). Wenn, wie zu vermuten, die Studie für einen breiteren Leserkreis geschrieben wurde, ist dieses Verfahren kaum hilfreich, sondern suggeriert eine Eindeutigkeit des Forschungsstandes, wie sie gerade (noch) nicht vorhanden ist. Der Vf. räumt ein, dass ein »prophetisches Paradigma« fehle, das sich, hätte es Beachtung gefunden, als mindestens so differenziert wie das der Erzählungen gezeigt hätte. Der Vf., und das ist wohl das Hauptproblem der Studie, hätte sich entscheiden sollen, ob er eine Literaturgeschichte der Erzählwerke schreiben will oder eine Abhandlung zur »Staatstheorie«. Zu meinen, man könnte literaturhistorischen Thesen durch eine Synthese zu »Staatstheorien« ein Fundament geben, verkehrt die Relationen und befördert weder die Literaturgeschichte noch die Religions- und Sozialgeschichte des Alten Testaments.