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Ausgabe:

Juli/August/2010

Spalte:

817-819

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Pummer, Reinhard

Titel/Untertitel:

The Samaritans in Flavius Josephus.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2009. XVIII, 356 S. gr.8° = Texts and Stud­ies in Ancient Judaism, 129. Lw. EUR 109,00. ISBN 978-3-16-150106-7.

Rezensent:

Andreas Lehnardt

Nach einer grundlegenden Quellensammlung zu Samaritanern bei den frühchristlichen Autoren (TSAJ 92, 2002) und einer umfassenden Bibliography of the Samaritans (2005) legt der Vf., Professor Emeritus der University of Ottawa, mit dem hier vorzustellenden Werk ein weiteres profundes Ergebnis seiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit diesem Feld der Forschung zum antiken Judentum vor. Die Monographie möchte die Samaritaner oder einzelne Samaritaner behandelnde Stellen in den beiden Hauptwerken des jüdischen Historikers im Kontext seines Gesamtwerkes in den Blick nehmen. Intendiert ist dabei eine »Zusammenschau« auf der Basis der neuen Josephus-Forschung, wie sie bislang nicht durch geführt wurde. Meist wurden die betreffenden Stellen isoliert analysiert, wobei das individuelle Anliegen des Autors zu wenig be­rücksichtigt und die Texte meist für bare Münze bzw. historisch unmittelbar verwertbar genommen wurden (vgl. zuletzt Zangenberg, TANZ 15, 1994, und siehe dazu bereits die kritischen Bemerkungen des Vf.s, JBL 115 [1996], 567–569). In der vorliegenden Monographie werden daher nicht nur einzelne Stellen oder Termini analysiert, wie dies etwa auch von Rita Egger »Josephus Flavius und die Samaritaner« (NTOA 4, 1986) unternommen wurde, es wird vielmehr untersucht, was der mit einem in der neueren Forschung stärker herausgearbeiteten eigenen Interesse schreibende Historiker Josephus seinen Lesern über Samaritaner mitteilen wollte und wie diese Informationen vor dem Hintergrund der neueren Forschungen zu seinem Werk und im Lichte der neueren archäolo­gischen Funde zu beurteilen sind. Das Werk gliedert sich in acht Kapitel von unterschiedlicher Länge, denen eine ausführliche Einleitung in nahezu alle für den Vergleich mit Josephus relevanten Quellen vorangestellt ist. Den Abschluss bilden ein Appendix zu der seit Langem diskutierten Frage anti-samaritanischer Exegese bei Josephus sowie eine thesenartige Zusammenfassung der Ergebnisse der Studie. Diese auf dem Hintergrund der fortschreitenden Forschung zum Judentum der Zeit des Josephus erzielten Resultate korrigieren und differenzieren das Bild der älteren Forschung (insbesondere Egger) erheblich. Wie bereits in der »Introduction« vom Vf. hervorgehoben wird, kommt insbesondere den jüngsten archäologischen Funden auf dem Garizim besondere Bedeutung für die Bewertung der literarischen Quellen zu (vgl. insbesondere Kapitel 3 zur Darstellung eines Tempelbaus unter Alexander d. Gr.); das Buch schließt sogar mit einem bemerkenswerten Appell für einen Dialog von Archäologie und Textforschung, wie er heute be­reits vielerorts praktiziert wird. In der Einleitung werden grundlegende, in der archäologischen Forschung allerdings gelegentlich missachtete (siehe 41) terminologische Fragen geklärt, so vor allem die Verwendung der Termini Samarier (bezogen auf die Einwohner der Stadt Samaria und der Landschaft Samarien) und Samaritaner. Letztere werden definiert als »members of the community that considers Mt. Gerizim as the only legitimate place of worship« (7). Um diese Definition genauer zu fassen, werden auch die insbesondere im Hinblick auf die Terminologie des Josephus kontrovers diskutierten Termini Judäer und Jude erläutert. Neben den schein baren und offensichtlichen Erwähnungen von Samaritanern in Jesus Sirach, dem 2. Makkabäer-Buch sowie den Delos-Inschriften kommt den Zeugnissen aus den Höhlen vom Toten Meer insbesondere im Hinblick auf die Textwerdung des Samaritanischen Pentateuch besondere Bedeutung für das Verständnis des Josephus zu. Knapp werden die wichtigsten Forschungsergebnisse zu den bekannten Quellen vorgestellt und relativ ausführlich auch die relevanten Stellen im Neuen Testament im Hinblick auf die Fragestellung untersucht. Dem Forschungsstand entsprechend werden rabbinische Quellen nur summarisch gewürdigt (insbesondere Me­gillat Ta‘anit), obgleich diese zahlreiche Bezüge und Bemerkungen zu Samaritanern und Samaritanischem enthalten, die auch für das Verständnis des Josephus erhellend sind (gelegentlich wird auch darauf verwiesen). Wichtig sind die methodologischen Vorüberlegungen unter Berücksichtigung der andauernden Debatte um die Kompositions- und Quellenkritik (exemplifiziert an den Positionen von Steve Mason und Daniel R. Schwartz u. a.). Ebenso wird vom Vf. der Frage nach den intendierten Lesern des Josephus Aufmerksamkeit geschenkt – auch dies, um zu unterstreichen, dass dieser antike jüdische Historiker nicht nur Kompilator älterer Quellen war (so noch Egger), sondern seine Quellen bewusst bearbeitete, um dabei sein eigenes Anliegen zu verdeutlichen oder zu stützen.
Durchgängig lässt sich an der Analyse des Vf.s die zunehmend differenzierte Forschung zur Geschichtsschreibung des Josephus beobachten. Hielten z. B. noch Egger oder Martina Böhm (1999) viele Berichte und Details in Josephus’ Darstellung für historisch zuverlässig, ist der Vf. viel vorsichtiger und bei der Beschreibung der Darstellungen weniger harmonisierend. Wie er etwa an Ant. 9. 288–291, der Nacherzählung von 2Kön 17,24–41, zu zeigen vermag, war Josephus z. B. in seiner Schilderung der Anfänge der Samaritaner längst nicht so konsistent wie zumeist angenommen. Vielmehr konnte sich Josephus aufgrund unterschiedlicher, gegensätzlicher Anliegen zum Teil widersprechen, bezüglich der Anfänge der Samaritaner tradierte er etwa zwei Erklärungen: Einerseits erscheinen sie als Abkömmlinge von Medern und Persern (Ant. 9.288–291), andererseits als jüdische Abtrünnige (Ant. 11.302–347). In den meis­ten Passagen der Antiquitates werden die Samaritaner als Gegner der Juden dargestellt. Dies geschieht jedoch nicht aus persönlicher Animosität, sondern aus dem Interesse, Juden römischen Lesern als besonders zuverlässige Untertanen erscheinen zu lassen. Dies wird etwa auch im Vergleich mit den wenigen Erwähnungen im Bellum 3.307–315 nachvollziehbar, wo Josephus die Samaritaner zwar als Aufständische gegen Rom, aber ohne eine negative Wertung vorstellt. Eine persönliche Antipathie gegen Samaritaner lässt sich daher nicht belegen, eher eine zwiespältige Haltung, die etwa in den sich widersprechenden Bemerkungen zu ihrer Zugehörigkeit zum jüdischen Volk zum Ausdruck kommt. Hierin unterscheidet sich Josephus kaum von frühen rabbinischen Dikta, die eine ähnlich ambivalente Haltung erkennen lassen; auch die Rabbinen haben bis in amoräische Zeit diskutiert, welchen Status Samaritaner im Hinblick auf halakhische Fragen haben. Josephus’ Darstellung der Samaritaner lässt dabei erkennen, dass er über viele Details nicht durch Augenzeugen, sondern nur durch schriftliche Quellen informiert war. Der Vf. betont im Übrigen mehrfach die mangelnde Kenntnis vieler Unterschiede zwischen Juden und Samaritanern, und zwar nicht nur, was samaritanische Bräuche und ihre Gruppen (etwa die Dosithäer, siehe 283) betrifft, sondern etwa auch im Hinblick auf ihren Pentateuch – wobei die aufgrund der Qumran-Funde entbrannte Frage, ob es zur Zeit des Josephus überhaupt schon so etwas wie einen fixierten Kanon und einen allgemein verbreiteten Bibeltext gab, angemessen berücksichtigt wird. Es finden sich bei Josephus keine Bemerkungen zu der eigenen samaritanischen Texttradition. Archäologische Indizien lassen Josephus auch im Hinblick auf die Besiedlung des Garizim als mangelnd informiert erscheinen. Die differenzierte und vorsichtige Auswertung der literarischen Quellen durch den Vf., in der etwa auch die priesterliche Herkunft des Josephus nicht überbetont ist, wird abschließend an der Beurteilung der angeblich anti-samaritanischen Exegesen in Josephus’ Nacherzählung der Bibel deutlich. Viele in der Forschung bemerkte Auslassungen und Modifikationen in der Wiedergabe des biblischen Textes lassen sich weniger durch eine angeblich anti-samaritanischen Haltung erklären als vielmehr dadurch, dass die Samaritaner nicht im Zentrum seines Interesses standen. Inkonsistenzen bei Josephus sind auch deshalb stärker als bislang üblich in Betracht zu ziehen, obwohl dies aufgrund fehlender objektiver archäologischer Daten in wenigen Fällen sicher nachzuweisen ist.
Insgesamt handelt es sich um eine kenntnisreiche und informative Studie, und zwar nicht nur zu einem wichtigen Feld der Samaritaner-Forschung, sondern zur methodisch verantwortbaren Rekonstruktion der Geschichte Israels insgesamt. Diese fußt häufig noch immer auf einer unkritischen Josephus-Lektüre, ohne die neueren archäologischen Erkenntnisse zu berücksichtigen.