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Ausgabe:

Juli/August/2010

Spalte:

808-810

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Nissinen, Martti, and Risto Uro [Eds.]

Titel/Untertitel:

Sacred Marriages. The Divine-Human Sexual Metaphor from Sumer to Early Chris­tian­­ity.

Verlag:

Winona Lake: Eisenbrauns 2008. XII, 543 S. m. Abb. gr.8°. Geb. US$ 59,50. ISBN 978-1-57506-118-4.

Rezensent:

Christian Frevel

Ausgangspunkt des Bandes ist ein Unbehagen gegenüber einem Forschungstrend der letzten Jahrzehnte zur »Heiligen Hochzeit«. Es ist die Vermutung, dass bei der reflexartigen Ablehnung der universalen Deutungsleistung des als Fruchtbarkeitskult verstandenen Mythos einer »Heiligen Hochzeit« im Gefolge James G. Frazers etwas verloren gegangen sein könnte. Die Herausgeber Martti Nissinen und Risto Uro bezeichnen das vage als »comprehensive interpretive framework« (3). Das Anliegen der Herausgeber ist eine Rehabilitation einer kulturübergreifenden Sicht auf Relationskonzepte, die zwischen göttlicher und menschlicher Welt vermitteln. Der Plural im Titel soll bereits eine Distanzierung gegenüber dem traditionellen Konzept anzeigen. Der Band will nicht die einst scheinbar universale Deutungskompetenz des sakralen Mythos eines – wie unbestimmt auch immer bleibenden – ἰερός γάμος repristinieren, sondern der Idee nachgehen, dass in dem Konzept »something more is at stake here than a monomaniacal idea of manifestations of but one single prototype« (3).
Dazu ist eine offenere Definition des Konzeptes notwendig, die – obwohl die Herausgeber den Beitragenden kein einheitliches Verständnis vorgeben und eine Vielfalt von methodischen Zugängen und Definitionen/Konzeptualisierungen von »Heiliger Hochzeit« den Band bestimmen – dem Grundgedanken der Sammlung zu­grunde liegt. Mit Rekurs auf Ruben Zimmermann wird »Heilige Hochzeit« als »reale oder symbolische Vereinigung zweier ge­schlechtlich imaginierter komplementärer Größen im religiösen Kontext« (3) verstanden. »Heilige Hochzeit« soll dabei nicht auf die geschlechtliche Vergegenwärtigung im Kult oder den Vollzug des hieros gamos enggeführt werden. Präzisierend dazu schreibt etwa Martti Nissinen in seinem Beitrag zu »Song of Songs and Sacred Marriage«: »The idea of sacred marriage is not primarily about sex and fertility, nor should it be taken as a manifestation of the sacralized power of sexuality experienced in sexual intercourse. Rather, sex and love are the best possible metaphors for divine-human communication and union, on an institutional as well as individual level« (215). Unter dem Rubrum »Heilige Hochzeit« soll es aus sehr unterschiedlichen Perspektiven um ein weltbildbezogenes relationales Konzept gehen, in dem der Dualismus von menschlicher und kosmischer Existenz durchbrochen oder überwunden wird. Da das eindeutig ein zu weiter Rahmen wäre, soll nicht nur eine räumliche Eingrenzung auf den östlichen Mittelmeerraum vorgenommen werden, sondern auch die Gender-Kategorie der weiteren Eingrenzung dienen: »We are primarily interested in different aspects of the divine-human sexual metaphor – that is, the imagining and reenactment of a gendered relationship between the human and divine worlds« (3). Voraussetzung ist die für die vormoderne Antike zentrale Annahme, dass göttliche und menschliche Welt nicht vollständig voneinander getrennt sind, sondern relational zueinander stehen, und dass sie vielfältig zu unterschiedlichen Zwecken und mit unterschiedlichen Konsequenzen interagieren. Im hieros gamos – so die zugrunde liegende These – werden Konzeptualisierungen der Kategorie Geschlecht mit Konzeptualisierungen des Weltbildes verknüpft; ein Blickwinkel, der die Texte nicht nur neu interessant macht, sondern die komparative Perspektive in besonderer Weise herausfordert.
Basismetaphern wie die »Heilige Hochzeit« werden dabei nach Martti Nissinen zwar nicht in einem raumzeitlosen bruchlosen Kulturkontinuum verortet, aber dennoch als kulturübergreifende Phänomene mit starker Betonung der Kontinuität ihres Aussagegehaltes begriffen: »Metaphors are crosscultural, and their transfer from one socioreligious context to another is an elusive process of adaptation, interpretation and implementation« (217). Hermeneutisch kritisch ergänzend wäre demgegenüber zu fragen, ob nicht auch Prozesse der Transformation und Dekontextualisierung von Metaphern anzunehmen sind, die durch Diskontinuität oder einen interpretativen Bruch gekennzeichnet sind.
Sich an diesem Punkt kritisch festzubeißen, würde dem Band aber nicht gerecht. Die Offenheit des Konzeptes und die starke Abstraktion des Gehaltes der »Heiligen Hochzeit« als Relationsaussage, die das Verhältnis von Gott und Mensch gegendert beschreibt, sind die Stärke des Bandes und zugleich seine Schwäche. Denn es gelingt naturgemäß nicht, die Vielfalt der metaphorischen Möglichkeiten der Relation zwischen Gott und Mensch – oder anders noch einmal mit den Herausgebern im Anschluss an Ruben Zimmermann formuliert: »the great dualism of a human and cosmic existence« (3) – auf einen Nenner zu bringen. Die Offenheit des Konzeptes birgt naturgemäß die Gefahr, dass die komparative Perspektive problematisch ausgeweitet wird. Das wird etwa an dem Beitrag »The Sumerian Sacred Marriage and its Aftermath in Later Sources« von Pirjo Lapinkivi deutlich, der an die Thesen ihrer Helsinkier Dissertation an­schließt.
Lapinkivi will ausdrücklich eine komparative Perspektive entfalten, die sowohl für die Interpretation der sumerischen Texte als auch für die Rezeption der »Heiligen Hochzeit« in Traditionen, in denen die Verbindung von Gott und Mensch in sexualisierte Sprache gefasst wird, fruchtbar ist. Aufgrund der allegorischen Rezeption in der jüdischen Mystik und der Gnosis einerseits und der in Bezug auf den Vollzug des Rituals wenig eindeutigen Evidenz der sumerischen Texte andererseits optiert sie für eine allegorische Interpretation der sumerischen Heiligen Hochzeit: »The evidence suggests that the marriage of the goddess Inanna and the king can be understood as an allegory for the union of human soul with the divine, described in terms of bride and bridegroom preparing for sexual union« (34). Um einer Vergleichbarkeit willen wird allerdings die Trennschärfe von Begriffen und Konzeptionen in problema­tischer Weise zurückgefahren. So etwa in der Annahme eines su­-merisch-akkadischen »soul concept« oder in dem exemplarischen Satz »Sophia is also a prostitute, but this is additionally true for the Shekhinah, because she is defiled with the sins of humans« (35).
Doch ist keineswegs die Mehrzahl der insgesamt 20 Beiträge einer so weit reichenden komparativen Perspektive verpflichtet, sondern sie bedienen die Er­wartung an einen Band zur »Heiligen Hochzeit«, den Forschungsstand in bestimmten Feldern zu repräsentieren und in Einzelpunkten weiterzuführen. So etwa der Beitrag von Saana Teppo zu »Sacred Marriage and the Devotees of Ištar«, der sich mit den viel diskutierten Personenbezeichnungen der assinnu, kurgarrû und kulu’u in mesopotamischen Quellen beschäftigt und nach der Funktion der Gendertransgressionen im Ištarkult fragt. Oder der Beitrag »Sacred Prostitution in the Biblical World?« von Kristel Nyberg, die (in unvollständiger Auswahl) einen Blick auf die Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte wirft und die Persistenz der Annahme einer kultischen Prostitution gegen die massiven Gegenargumente forschungsgeschichtlich befragt.
Der Aufbau des Bandes ist insgesamt klassisch raumzeitlich ori­entiert: Er beginnt in Mesopotamien und endet bei der Gnosis. Einen ersten Block bilden der Alte Orient und die Antike.
Beate Pongratz-Leisten behandelt »Alliances between the Gods and the King in Ancient Mesopotamia« als Modelle des Transfers für göttliches Wissen. Mark S. Smith behandelt den viel diskutierten Text KTU 1.23 aus Ugarit, Mia Rikala führt in die ägyptischen Traditionen des Neuen Reiches ein. Aphrodite A. Avagianou behandelt den »Hieros Gamos in Ancient Greek Religion«. Einen großen Teil machen die lesenswerten Beiträge zu biblischen Textbereichen aus, sei es von Martti Nissinen zum Hohenlied, von Peggy L. Day zur Ehemetapher in den prophetischen Texten, zur personifizierten Weisheit von Ruben Zimmermann oder von John J. Collins zu Gen 6,1–4. Die beiden letztgenannten Beiträge ziehen die Linien zur Rezeption in der zwischentestamentlichen Literatur aus und bilden zusammen mit dem Beitrag von David M. Carr und Colleen M. Convey zu »Constructions of Gender and ›Bodies‹ in the Christian Bible« die Brücke zu den fünf neutestamentlichen Beiträgen. Heikki Räisänen fragt nach Entwicklung und Zusammenhang von Jungfrauengeburt und Gottessohnschaft in den neutestamentlichen Texten und ihrer Rezeption. Kari Syreeni behandelt die metaphorische Rede von Jesus als Bräutigam in Mk 2,18–20; Mt 25,1–13; Joh 2–4; Offb 19,6–9 und anderen Texten. Die Ehemetapher in Eph 5,22–33 steht auch im Fokus des Beitrags von Carolyn Osiek. Dale B. Martin thematisiert in dem Beitrag »Sex and the Single Savior« die Sexualität Jesu aus unterschiedlichen Perspektiven (»the Popular Imagination«, »the Historical Imagination«, »the Patristic Imagination« und »the Gay Imagination«) und optiert für eine prinzipielle Offenheit der Interpretation (»There is nothing ›in the text‹ that can play the role of judge among us«, 410). Petri Merenlahti ordnet die relationalen Konzeptionen der Gottessohnschaft, der Offenbarung Gottes im Fleisch, der Knechtschaft Jesu und des himmlischen Bräutigams aus psychoanalytischer Perspektive ein: »Pregnant with sexual meaning, they all reside in the narrative of the gospel. … The text seems to have an unconscious dimension that is related to the weighty issues of pleasure, sexuality, suffering, and power« (435).
Die drei abschließenden Beiträge behandeln Aspekte der frühkirchlichen Entwicklung. Richard Valantasis blickt auf west- und ostkirchliche Traditionen des »Asceticism as a Sacred Marriage«. Risto Uro behandelt die gnostischen Valentinianer mit einem Fokus auf das apokryphe Philippus-Evangelium aus den Nag Hammadi Texten und Ingvild Sælid Gilhus den Zusammenhang von Leiblichkeit und Erlösung in der Gnosis am Beispiel des Apokryphon des Johannes.
Indem der Band nicht bei den umstrittenen Fragen des rituellen Vollzugs oder des Ziels der »Heiligen Hochzeit« und auch nicht bei geradlinigen Rezeptionen in der antiken Welt stehen bleibt, sondern komparative Perspektiven auf geschlechtlich gebundene Aussagen zum Verhältnis von göttlicher und menschlicher Welt zu entfalten sucht, ist er anregend und weiterführend. Zugleich steht er in der Gefahr, mit dem Ausgangspunkt beim hieros gamos, doch wieder auf der Stelle zu treten. Wie so vielen Sammelbänden mangelt es ihm am Ende an einer Zusammenschau und Auswertung der Einzelbeiträge, die die Forschungsfrage systematisiert und komparativ weiterführt. Der lesenswerte Band wird durch um­fangreiche (Sach-, Personen- und Quellen-)Register abgeschlossen. Wer sich über den Diskussionsstand zur »Heiligen Hochzeit« informieren will, wird in dem Band an vielen Stellen fündig und zu weiteren Diskussionen angeregt.