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Ausgabe:

September/2009

Spalte:

905–928

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schröter, Jens

Titel/Untertitel:

Jesus im Kontext
Die hermeneutische Relevanz der Frage nach dem historischen Jesus in der gegenwärtigen Diskussion

Seit Hermann Samuel Reimarus am Ende des 18. Jh.s programmatisch zwischen der Lehre Jesu auf der einen, dem Glauben an einen leidenden, vom Tod auferstehenden und zum Himmel auffahrenden Erlöser auf der anderen Seite unterschieden hatte, gehört die Frage nach dem Verhältnis von »historischem Jesus« und »geglaubtem Christus« zu den zentralen Aufgaben christlicher Theologie. Diese Frage richtet sich zum einen darauf, welche Bedeutung der Bezug auf den irdischen Jesus – der von dem »historischen Jesus« noch einmal zu unterscheiden ist 1 – für christliche Theologie und christlichen Glauben besitzt. Zur Diskussion steht dabei, ob sich aus historischen Erkenntnissen über Wirken und Geschick Jesu unmittelbare Schlussfolgerungen für Gestalt und Verkündigung christlicher Kirche ziehen lassen oder ob die Rezeption seines Wirkens aus der Perspektive nachösterlicher Glaubensüberzeugungen dabei immer schon vorausgesetzt ist. Die hermeneutische Dimension dieser Problemstellung wird in der aktuellen Diskussion zwar gelegentlich reflektiert, ist in ihrem Potential für das Gespräch zwischen exegetischer und systematischer Theologie jedoch bei Weitem nicht ausgelotet.

Die Frage richtet sich zum anderen darauf, wie christliche Theologie als historische Wissenschaft ihre eigenen Grundlagen im öffentlichen Diskurs präsentiert. Die Jesusforschung gehört zu denjenigen Themen theologischer Wissenschaft, die sowohl in der kirchlichen als auch in der nicht-kirchlichen Öffentlichkeit Interesse und Aufmerksamkeit finden. Insofern ist die Theologie hier in besonderer Weise gefordert, exegetisch-historische Erkenntnisse und deren Bedeutung für den christlichen Glauben in einer Weise zu präsentieren, die auch denjenigen zugänglich ist, die nicht mit theologischen Fachdiskursen vertraut sind. Darin liegen eine große Chance und zugleich eine große Verantwortung akademisch wie kirchlich verantworteter Theologie. Die neue Phase, in die die Jesusforschung vor etwa drei Jahrzehnten durch Anstöße aus dem nordamerikanischen Bereich eingetreten ist, eröffnet deshalb – bei aller berechtigten Kritik, die an den frühen Entwürfen dieser Phase und ihren methodischen und hermeneutischen Prämissen vorgebracht wurde – die Möglichkeit, einen für christlichen Glauben und akademische Theologie gleichermaßen zentralen Gegenstand im öffentlichen Diskurs zu vermitteln. Damit ist auch der Horizont für die folgenden Ausführungen umrissen.

Die Diskussion über eine angemessene Bestimmung des Verhältnisses von historischem Jesus und Christus des Glaubens hat im 19. und 20. Jh. zu Auseinandersetzungen geführt, deren Leidenschaft deutlich machte, dass es hier um eine Frage geht, die für christliche Theologie im Zeitalter historisch-kritischen Bewusstseins erhebliche Brisanz besitzt. Besonders zu nennen sind die heftige Kontroverse um das 1835/36 erschienene Werk von David Fried­rich Strauß »Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet«, den 1892 publizierten Vortrag von Martin Kähler mit dem bezeichnenden Titel »Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche biblische Christus« sowie die Diskussion zwischen Rudolf Bultmann und seinen Schülern über das Verhältnis der Verkündigung Jesu zur frühen Christologie. 2

In diesen Debatten wurden Klärungen herbeigeführt, hinter die eine sich vor ihren historischen Ursprüngen verantwortende Theo­logie nicht mehr zurückgehen kann. Dazu gehört die Einsicht, dass der Hinweis auf den Charakter der neutestamentlichen Texte als Glaubenszeugnisse nicht gegen die Beschäftigung mit dem Wirken und Geschick Jesu aus historischer Perspektive ins Feld zu führen ist. Ebenso wenig sind umgekehrt historisch-kritische Jesusdarstellungen als Entwürfe aufzufassen, die die Jesusbilder der Evangelien mit Hilfe der kritischen Ge­schichtswissenschaft korrigieren würden. Bei den Evangelien handelt es sich um Darstellungen, die ein historisches Geschehen theologisch deuten, so dass es ihrem Charakter widersprechen würde, beide Sichtweisen bei ihrer Interpretation gegeneinander auszuspielen.3 Des Weiteren sind historisch-kritische Jesusdarstellungen selbst zeitgebundene, auf den jeweils bekannten Quellen und den Prämissen der Wirklichkeitssicht ihrer Verfasser beruhende Entwürfe, die der Revision, mitunter sogar der Falsifikation ausgesetzt sind.4 Diese Darstellungen treten deshalb weder an die Stelle derjenigen in den Evangelien noch können sie Anspruch auf höhere Verbindlichkeit erheben. Historisch-kritische Forschung kann vielmehr die Deutung von Wirken und Geschick Jesu in den Evangelien nachvollziehbar werden lassen und ein unter den Bedingungen historisch-kritischen Bewusstseins plausibles Bild seiner Person zeichnen.5

Obwohl damit ein weitreichender Konsens bezüglich der er­kenntnis- und geschichtstheoretischen Prämissen der gegenwär­tigen historisch-kritischen Jesusforschung beschrieben ist, ist die für christliche Theologie im Verhältnis von historischer Forschung und Aneignung ihrer Resultate liegende Dynamik dadurch in keiner Weise erledigt, sondern allererst vor Augen geführt. Die neuere Jesusforschung – die sog. »Third Quest of the historical Jesus« – hat deshalb nicht zufällig an genau dieser Stelle angesetzt und sich in anfänglichen Veröffentlichungen aus den 80er Jahren des zurück­liegenden Jh.s dezidiert als historisches Unternehmen unter Absehung von theologischen Voraussetzungen oder Glaubensbekenntnissen profiliert. Dabei standen spezifische Konstellationen des nordamerikanischen Diskurses im Hintergrund, die einen von dem europäischen in mehrfacher Hinsicht unterschiedenen Kontext für theologische Forschung und deren Vermittlung in Kirche und Öffentlichkeit darstellen. Dies zeigt bereits, dass auch eine Beschäftigung mit Jesus, die sich als streng historisches, an die Quellen gebundenes Unternehmen versteht, ihrem eigenen zeitgeschichtlichen Kontext verpflichtet bleibt.

In der sich hieran anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass sich auch die neue Phase der Jesusforschung in den oben beschriebenen Grundkonstellationen kritischer Geschichtswissenschaft und ihrer hermeneutischen Prämissen bewegt. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die Erwartung, eine auf breiterer Quellenbasis und mit verfeinertem methodischem Instrumentarium betriebene Forschung werde zu einem eindeutigeren Bild von Jesus in seinem Kontext führen, sich nicht erfüllt hat. Stattdessen sind – gerade im Gegensatz zu der Intention, die zur Neuaufnahme der Frage nach dem »historischen Jesus« geführt hat – die Möglichkeiten, Wirken und Geschick Jesu nachzuzeichnen, durch die Fülle der herangezogenen Quellen deutlich vielfältiger geworden. Die Mannigfaltigkeit der in den zurückliegenden Jahrzehnten publizierten Jesusbücher legt hierfür ein deutliches Zeugnis ab. Dieser Befund zeigt in eindrücklicher Weise, dass die Jesusforschung wie kaum ein anderes Gebiet der neutestamentlichen Wissenschaft auf dem sorgfältig zu bedenkenden Zusammenhang von historischer Rekonstruktion und den dabei leitenden epistemologischen Prämissen und Quellenkenntnissen gründet.

Der produktive Beitrag der neueren Jesusforschung liegt deshalb zum einen darin, die hermeneutische Relevanz der Frage nach dem historischen Jesus neu ins Bewusstsein gerufen zu haben. Diese lässt sich als Verhältnisbestimmung von Wirken Jesu und Entstehung der urchristlichen Christologie konkretisieren. Damit steht zugleich die Verankerung der Jesusforschung im gesamttheologischen Diskurs zur Diskussion. Zum anderen hat die Jesusforschung der zurückliegenden Jahre beachtliche Resultate in der Erforschung des historischen Kontextes Jesu erzielt, die Rückwirkungen auf die Interpretation seines Auftretens sowie der Umstände seiner Hinrichtung zeitigen. Beide Aspekte – der hermeneutische und der historische – stehen allerdings gegenwärtig oftmals noch unverbunden nebeneinander, wogegen sich ein Paradigma, das sie zueinander in Beziehung setzen würde, erst ansatzweise abzeichnet. Dies wird im Folgenden genauer zu zeigen sein. Im ersten Teil steht dabei die neuere Galiläaforschung im Zentrum, die einen wichtigen Bereich der aktuellen Jesusforschung darstellt. Daran anschließend wenden wir uns neueren Jesusdarstellungen zu. Schließlich ist auf die sich aus diesem Durchgang ergebenden Perspektiven künftiger Jesusforschung einzugehen.

Wenn die folgenden Bemerkungen unter dem Titel »Jesus im Kontext« stehen, ist »Kontext« dabei in zweierlei Hinsicht verstan-den. Gemeint ist zum einen der historische Kontext Jesu, der durch neuere Forschungen vornehmlich zu Galiläa erschlossen wurde. Jede Beschäftigung mit Jesus hat diesen Kontext ernst zu nehmen, denn die Wahrnehmung Jesu als einer geschichtlichen Person ist eine historisch wie theologisch unabweisbare Aufgabe. »Kontext« meint darüber hinaus aber auch den je gegenwärtigen Kontext, in den hinein Jesus durch Darstellungen seines Wirkens und Ge­schicks gestellt wird. Diese Darstellungen lassen sich auch als Repräsentationen seiner Person bezeichnen, denn sie repräsentieren diese in der jeweiligen Gegenwart. Das trifft bereits auf die Evangelien und ebenso auf alle späteren Jesusdarstellungen zu.6 In diesem doppelten Kontext bewegt sich die Beschäftigung mit Jesus demzufolge seit ihren Anfängen. Wie sich dies in der gegenwärtigen Situation genauer darstellt, sei im Folgenden näher ausgeführt.

1. Zur historischen und archäologischen Erforschung Galiläas



Einen deutlichen Schwerpunkt der aktuellen Jesusforschung bilden solche Beiträge, die dem historischen Kontext des Wirkens Jesu gewidmet sind. Hierzu gehören etliche Sammelbände und Mo­nographien, die sich mit Geschichte und Archäologie Palästinas, vornehmlich Galiläas, befassen.7 Daraus hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten ein eigener interdisziplinärer Forschungsbereich entwickelt, in dem Historiker, Archäologen, Religionswissenschaftler, Judaisten und Bibelwissenschaftler zusammenwirken.

Zu nennen sind hier zunächst die diversen Studien des »Doyens« der Galiläaforschung Sean Freyne,8 der seine Sicht auf die Bedeutung Galiläas für das Verständnis des Wirkens Jesu unlängst in einem Jesusbuch dargestellt hat.9 Der Beginn von Freynes Forschungen zu Geschichte und Kultur Galiläas liegt noch vor der Publikation der Ergebnisse der Ausgrabungskampagnen, die seit den 70er Jahren des 20. Jh.s zunächst von amerikanischen, später dann auch von israelischen Archäologen durchgeführt wurden. Umso bemerkenswerter ist, dass spezifische Aspekte – wie etwa die jüdische Prägung Galiläas oder die politische Situation unter Antipas – von Freyne bereits in seinen frühen Arbeiten auf eine Weise beschrieben wurden, die durch die seitherigen Forschungen eindrücklich bestätigt worden sind.

Wichtige Arbeiten zu Galiläa wurden des Weiteren von Jonathan L. Reed10 sowie von Mark A. Chancey vorgelegt. Einzugehen ist hier auf die neuere Studie von Chancey.11

Chancey, der seine wissenschaftliche Ausbildung zu einem wesentlichen Teil bei Ed P. Sanders und Eric M. Meyers erhalten hat und selbst an den Ausgrabungen des Sepphoris Regional Project der Duke University in Galiläa beteiligt war, hatte bereits in seiner Dissertation12 die These eines multiethnischen Galiläa zur Zeit Jesu, in dem nennenswerte Einflüsse paganer Religion und Kultur festzustellen seien, als unhaltbaren »Mythos« bezeichnet und demgegenüber die jüdische Prägung der Region herausgestellt. Seine zweite Studie knüpft hieran an und befasst sich nunmehr mit den hellenistischen und römischen Einflüssen in Galiläa.
Chancey beginnt mit einem historischen Überblick über die Entwicklung Galiläas als eigenständiger Region von der persischen Zeit bis zu den Hasmonäern. Über pagan-hellenistische Einflüsse sei bis in die römische Zeit hinein deutlich weniger bekannt als oftmals angenommen. Dies sei nicht nur auf die Zerstörung älterer Bauten und die Wiederverwendung des Materials zurück­zuführen, sondern als Anzeichen für die nur spärliche Hellenisierung Galiläas zu beurteilen. Danach führt Chancey aus, dass im 1. Jh. kein römisches Militär in Galiläa stationiert war. Das ist insofern von Bedeutung, als sich Jesu Wirken nicht in den Horizont eines galiläischen Widerstandes gegen die römische Besatzungsmacht einzeichnen lässt. Auch von dem Hauptmann in Kafarnaum, von dem eine Begegnung mit Jesus berichtet ist, wird, wie Chancey zu Recht herausstellt, nicht gesagt, dass er Römer gewesen sei. Dass ein Nicht-Jude in den Diensten des Antipas stand, ist zudem nicht ungewöhnlich. Römische Militärpräsenz in Galiläa wird durch die Episode jedenfalls nicht belegt. Eine solche lässt sich vielmehr erst im 2. Jh. feststellen.
Die folgenden Kapitel wenden sich Aspekten griechischen und römischen Einflusses zu. Bezüglich der Architektur rekapituliert Chancey das Bauprogramm Herodes’ des Großen, von dem Galiläa allerdings fast vollständig unberührt blieb. Erst unter Antipas begann urbane Baukultur griechisch-römischer Provenienz in Galiläa Einzug zu halten, vornehmlich, wenn auch nicht ausschließlich, in Sepphoris und Tiberias. Verglichen mit Städten außerhalb Galiläas waren die beiden galiläischen Städte deutlich kleiner und weniger urban geprägt. Chancey verweist auf durch archäologische Grabungen bzw. durch Notizen bei Josephus belegte Gebäude wie das Theater von Sep­phoris, Stadion und Hippodrom sowie den Palast des Antipas in Tiberias, ein Hippodrom in Magdala sowie eine Basilika in Beth She’arim/Skythopolis. Insgesamt ist der Einfluss griechisch-römischer Architektur in Galiläa jedoch deutlich geringer als in den umliegenden, nicht zum jüdischen Kernland gehörigen Gebieten. Wichtig bleibt außerdem der bereits von Eric Meyers herausgestellte Befund, dass das geographisch abgelegene Obergaliläa als ländlich und konservativ zu charakterisieren ist und schon auf Grund des Fehlens größerer Ortschaften von der Hellenisierung weitgehend unberührt blieb.
Eine deutliche Zunahme griechisch-römischen Einflusses ist im Palästina des 2. und 3. Jh.s festzustellen. Das lässt sich etwa daran ablesen, dass Städte nunmehr Namen, mitunter auch den Status römischer Kolonien erhalten (so etwa Jerusalem als Aelia Capitolina, Caesarea als Colonia Prima Flavia Augusta Caesarea, Sepphoris als Diocaesarea, Tiberias als Claudiopolis) und Behörden mit römischen Bezeichnungen inschriftlich belegt sind (duumviri, decuriones, pontifices). Die Umgestaltung von Sepphoris und Tiberias lässt sich auch am Ausbau der römischen Stadtanlagen mit cardo und decumanus ablesen. Am deutlichsten schlägt sich die architektonische Entwicklung im Synagogenbau an verschiedenen galiläischen Orten nieder, die Merkmale griechisch-römischer Architektur aufweisen. Insgesamt bleibt der griechisch-römische Einfluss auf Galiläa jedoch auch in dieser Zeit vergleichsweise gering.
Der Befund zum Sprachgebrauch in Galiläa, zur Münzprägung sowie zu griechisch-römischer Kunst rundet das Bild ab. Anhand von Inschriften argumentiert Chancey, dass Griechisch vor allem von Behörden und in der Oberschicht der Städte gesprochen worden sein dürfte. Diese Frage bleibt jedoch, wie Chancey einräumt, schwer zu beantworten, auch im Blick auf Jesus. An­hand der Münzen sowie der Adaption künstlerischer Elemente lässt sich dann im 2. und 3. Jh. eine Zunahme griechisch-römischen Einflusses feststellen.


In der Debatte um die Hellenisierung Galiläas besteht der Beitrag der beiden Arbeiten von Chancey vornehmlich darin, vor einer un­differenzierten Rede vom »hellenistischen Judentum« zu warnen. Martin Hengel, auf dessen grundlegendes Werk »Judentum und Hellenismus« Chancey am Beginn und am Schluss seiner zweiten Untersuchung zu sprechen kommt, habe zwar zu Recht darauf insistiert, dass das Judentum der hellenistisch-römischen Zeit insgesamt »hellenistisches Judentum« gewesen sei. Dies dürfe jedoch nicht den Blick für die unterschiedlichen Grade dieser Hellenisierung verstellen. Im Blick auf Galiläa sei darauf zu insistieren, dass wesentliche Entwicklungen der Aufnahme griechisch-römischer Kultur erst im 2. und 3. Jh. erfolgen, für die Zeit Jesu demzufolge noch nicht vorauszusetzen seien. Dem wird man im Wesentlichen zustimmen können. Allerdings ist nicht zu verkennen, dass Chanceys Studien von dem Anliegen gesteuert sind, die These eines »heidnischen Galiläa« zurückzuweisen, und dabei streckenweise ein einseitiges Bild zeichnen. So werden etwa Beobachtungen zu Verbindungen Galiläas mit den umliegenden Regionen übergangen oder heruntergespielt. Des Öfteren sind die kulturellen Entwicklungen im 1. Jh. zudem weniger eindeutig festzustellen, als es bei Chancey erscheint. Gleichwohl sind seine Studien ein wichtiges Korrektiv gegenüber der Rede von einem »multiethnischen Galiläa« im 1. Jh. Was dies für die Interpretation des Wirkens Jesu bedeutet, ist freilich mit den Arbeiten Chanceys noch nicht beantwortet, wird von ihm allerdings auch nur am Rande thematisiert.

Dass die kulturelle und religiöse Entwicklung Galiläas in hellenistisch-römischer Zeit differenziert zu betrachten ist, wird auch durch die Beiträge zu dem Symposium »Ancient Galilee in Interaction. Religion, Ethnicity, and Identity« unterstützt, das im Oktober 2004 an der Yale University stattfand. Diese liegen, ergänzt um einige weitere Studien, nunmehr in einem Sammelband vor.13 Ansprechend an dem Projekt ist zunächst, dass verschiedene Perspektiven auf die Entwicklung Galiläas über einen größeren Zeitraum miteinander in Beziehung gesetzt werden. Dadurch entsteht ein um­fassendes Bild der Region, das sowohl auf archäologischen als auch auf literarischen Zeugnissen basiert. Präziser müsste man freilich sagen: Es entstehen verschiedene Bilder Galiläas. Das liegt nicht nur an den unterschiedlichen Zugängen der Forscher, sondern auch daran, dass die Quellen selbst – selektiv, fragmentarisch, in­teressengeleitet, geprägt durch die Überlieferungsgeschichte – verschiedene Beschreibungen Galiläas ermöglichen. Die Frage muss deshalb, wie Zangenberg in der Einleitung ausführt, lauten: »How many ›Galilees‹ do our sources portray?«.

Die einzelnen Beiträge des Bandes vermitteln dann auch ein deutlich differenzierteres Bild als die Studien von Chancey, der selbst einen Artikel beigesteuert hat, in dem er im Wesentlichen die Thesen seiner oben vorgestellten Studie zusammenfasst. Von besonderem Interesse für den gegenwärtigen Diskurs über das antike Galiläa sind sodann die Beiträge von Martin Karrer über die LXX-Fassung von Jes 9,1–2, Timothy Luckritz Marquis über die Neuinterpretation von 1Makk 10,25–45 durch Josephus, Ant. 13,48–57, sowie die Diskussion zwischen Mordechai Aviam und Milton Moreland. Aviam plädiert für ein Bild von Galiläa als einer vom 2. vorchristlichen bis ins 4. christliche Jh. vornehmlich von Juden besiedelten Region, die von den umliegenden Gebieten weitgehend isoliert gewesen sei, wogegen Moreland die These, dass die galiläische Bevölkerung zum großen Teil aus infolge der hasmonäischen Eroberung aus Judäa hierher übergesiedelten Juden bestanden habe, nicht für erwiesen hält.
Speziell mit der Zeit Jesu befassen sich einige Beiträge des vierten Teils, der unter der Überschrift steht: »›A Region of Many Identities‹. Cultural Interaction and Social Relations in and with Ancient Galilee«. Morten Hørning Jensen, der die neueste Monographie über Antipas verfasst hat,14 beschäftigt sich mit den Münzen des Antipas.15 Diese lassen sich mit politischen Motiven in Zu­sam­menhang bringen. So ist die erste Serie aus Antipas’ 24. Regierungsjahr der Gründung von Tiberias gewidmet. Auf ihr findet sich das »schwankende Schilfrohr«, das von Gerd Theißen in seinem bekannten Aufsatz von 1985 mit dem Jesuswort aus Mt 11,7/Lk 7,24 in Verbindung gebracht worden war. Mit der letzten Serie, aus seinem 43. Regierungsjahr (38/39), versuchte Antipas, die Gunst des Kaisers Gaius Caligula zu erlangen. Auf den Münzen findet sich entsprechend die Widmung »Für Gaius Kaisar Germanicus«. Die dazwischen liegenden, in den verwendeten Motiven identischen Serien könnten nach Jensen im Zusammenhang mit gleichzeitigen Münzprägungen des Pilatus stehen und als Konkurrenz zu diesen zu erklären sein. Das bleibt jedoch hypothetisch. Bemerkenswert ist, dass Antipas stets florale Symbole für die Münzprägungen verwendete (Schilf, Palme, Palmzweig, Datteln, Weintrauben), jedoch niemals Bilder des Kaisers oder von sich selbst. Speziell der Palmzweig könnte als jüdisches Symbol verstanden worden sein, das bereits von den Hasmonäern und Herodes dem Großen für Münzprägungen verwendet worden war. Damit nahm er zum einen auf das jüdische Bilderverbot Rücksicht, zum anderen symbolisieren die pflanzlichen Motive Fruchtbarkeit und Wohlstand des von ihm regierten Landes.
Diese Beobachtungen werden durch den Beitrag von Monika Bernett, die 2007 eine eingehende Untersuchung zum Kaiserkult in Judäa als Habilitationsschrift veröffentlicht hatte,16 ergänzt und bestätigt. Antipas führte die Verehrung des Kaisers in seinen Gebieten nur sehr zurückhaltend ein. Er gründete Sepphoris neu als »Autokratoris«, nach Bernett vermutlich zur Verehrung von Gaius Caesar, dem Enkel des Augustus, und veranstaltete Kaiserspiele in Tiberias. Dabei achtete er jedoch darauf, nicht mit dem jüdischen Gesetz in Konflikt zu geraten. Bei den Spielen verzichtete er auf Opfer und bildliche Darstellungen ebenso wie auf den von ihm geprägten Münzen. Erst der Wechsel auf dem Kaiserthron von Tiberius zu Gaius Caligula brachte eine spürbare Verschärfung der politischen Situation mit sich. Dies schlug sich in der oben bereits genannten letzten Münzserie nieder, die Antipas dem Kaiser widmete. Das fällt jedoch bereits in das letzte Jahr seiner Regierungszeit.


Der Band vermittelt einen instruktiven Einblick in die gegenwärtige Galiläaforschung. Er demonstriert, wie der archäologische und der literarische Befund fruchtbar miteinander in Beziehung gesetzt werden können, um zu plausiblen Beschreibungen der historischen Entwicklungen sowie des kulturellen und religiösen Charakters der Region zu gelangen. Dabei zeigt sich, dass auch die archäologischen Befunde selten eindeutig sind. So lassen etwa die Funde von Mik­waot und Steingefäßen nicht nur eine historische Deutung zu (»jüdische Prägung«), sondern sind offen für verschiedene Möglichkeiten historischer Konkretisierung (Von welcher gesellschaftlichen Schicht wurden sie vorwiegend benutzt? Wie repräsentativ sind sie für die Region insgesamt? Sind Mikwaot stets als Zeichen besonderer Beachtung jüdischer Reinheitsgebote zu interpretieren oder können sie auch anderen Zwecken gedient haben?). Die in dem Beitrag von Milton Moreland aufgeworfenen Fragen sollten jedenfalls davor warnen, ein zu einseitiges Bild von Galiläa als einer jüdischen »Insel« in heidnischer Umgebung zu entwerfen.

Zu beachten ist weiter, dass sich in den literarischen Quellen unterschiedliche Interessen in Bezug auf Galiläa widerspiegeln. Die LXX-Version von Jes 9,1 f. nimmt eine spezifisch auf Jerusalem hin orientierte Sicht ein und betrachtet Galiläa als »Durchzugsgebiet der Heimkehrer des Gottesvolks aus dem Norden und Nord­osten bei ihrem eschatologischen Aufbruch nach Jerusalem zum Zion«.17 Josephus lässt in einer subtilen Rezeption des Briefes des Seleukidenherrschers Demetrius I. Galiläa, gemeinsam mit Samaria und Peräa, als jüdische Gebiete unter der Jurisdiktionsgewalt des Hohenpriesters erscheinen.

Dennoch zeichnen sich einige Grundlinien ab. Für die Zeit des Auftretens Jesu ist dabei von besonderem Interesse, dass sich in Bezug auf die Herrschaft des Antipas die Beobachtungen dahingehend verdichten, eine von Respektierung der jüdischen Gesetzesvorschriften geprägte Politik anzunehmen. Antipas scheint einen geschickten Kurs eingeschlagen zu haben, Provokationen zu vermeiden und römische und jüdische Interessen miteinander zum Ausgleich zu bringen. Was dies für seine Haltung zu Jesus bedeutet und ob sich seine (wenigen) Erwähnungen im Neuen Testament einem solchen Eindruck verdanken, 18 wäre zu fragen.

Deutlich geworden ist auch, dass sich in Galiläa jüdische, hellenistische und römische Einflüsse in spezifischer Weise miteinander verbunden haben. Wie bereits die oben besprochene Studie von Chancey zeigt somit auch der Tagungsband, dass der Begriff »Hellenisierung« – an dessen grundsätzlicher Berechtigung kein Zweifel besteht – im Blick auf die je spezifische Situation einer Region hin zu konkretisieren ist. Die Verbindung archäologischer und exegetischer Forschungen hat hier im Blick auf Galiläa bereits zu wichtigen Ergebnissen geführt.

Ebendiese Verbindung zu befördern, ist das Anliegen eines von James H. Charlesworth herausgegebenen umfangreichen Bandes, auf den hier zumindest kurz hingewiesen sei.19 Der Band ist leider erst etliche Jahre nach der Abfassung der meisten in ihm versammelten Beiträge erschienen, die somit vielfach bereits bei Erscheinen (durch zum Teil eigene Publikationen der Autoren) überholt waren. Auch mutet es etwas eigenartig an, wenn Charlesworth in seinem einführenden Beitrag die Verbindung von Jesusforschung und Archäologie als »new perspective« bezeichnet. Die Berücksichtigung archäologischer Erkenntnisse ist in der Jesusforschung längst etabliert, und einmal mehr eine »neue Perspektive« auszurufen, ist für sich noch kein Erkenntnisfortschritt.

Der Band deckt ein breites Spektrum von Beiträgen zur Archäologie Palästinas (nicht nur Galiläas) ab und enthält auch einige Studien zum Thema »Archaeology and Theology«. So entspricht der Beitrag von James Dunn nahezu wörtlich einem Teil seines 2003 erschienenen Jesusbuches,20 eingefügt ist lediglich ein kleiner Passus über die Synagoge in Kafarnaum (217–219). John Kloppenborgs Studie über die Theodotosinschrift ist bereits im Jahr 2000 (!) in einer ausführlicheren Fassung gedruckt worden.21
Einen Bezug zum Wirken Jesu stellen die Beiträge zur Datierung des Theaters von Sepphoris (zur Zeit Jesu – so Batey – oder später – so Achim Lichtenberger) her, ebenso derjenige von Bargil Pixner über den Zionsberg als Ort der Jerusalemer Urgemeinde. Die Beiträge zum Johannesevangelium (Urban von Wahlde, Paul An­derson) stellen dessen zum Teil erstaunlich präzise Ortskenntnis heraus. Es finden sich auch Beiträge zu Qumran (Joseph Zias), Samaria (Jürgen Zangenberg) und zur Bedeutung der Archäologie für die frühchristliche Christologie (John Reumann). Viele Artikel haben einführenden oder Über­blicks­charakter, manche behandeln Spezialfragen (Benedict Viviano über die Beth Alfa Synagoge; William Klassen über einen Trinkbecher mit einer Inschrift, die an die Begrüßung zwischen Jesus und Judas in Mt 26,49 f. er­innert).


Insgesamt mangelt es dem Band an einem erkennbaren Profil. Dass die Archäologie Erhellendes zur Jesusforschung beizutragen hat, wie der Titel und der vollmundige Einführungsbeitrag des Herausgebers suggerieren, wird durch die meisten Artikel – von denen einige durchaus interessante Einzelaspekte zur materialen Kultur des Urchristentums beisteuern – kaum eingelöst.

Das ist bei dem kleinen Sammelband, der aus zwei Münchner Bibelwissenschaftlichen Symposien aus dem Jahr 2005 hervorgegangen ist,22 anders. Schon der Titel gibt zu erkennen, dass hier die Frage nach dem Ertrag der Galiläa- für die Jesusforschung im Zentrum steht. Diese Schnittstelle wird dann auch in etlichen der Beiträge explizit thematisiert.

Bereits der einführende Artikel von Jürgen Zangenberg unter dem Titel »Je­sus– Galiläa – Archäologie« fragt danach, was die Galiläaarchäologie zu einem Bild des historischen Jesus beitragen kann. Dabei weist Zangenberg darauf hin, dass archäologische und literarische Quellen gleichermaßen interpretationsbedürftig sind, also nicht so behandelt werden dürfen, als würden die Texte durch die archäologischen Funde in einen quasi »objektiven« Rahmen gestellt. Der Beitrag bietet sodann einen instruktiven Überblick über Geschichte und Archäologie Galiläas in vorhasmonäischer, hasmonäischer und herodianischer Zeit. Von einem Gegensatz zwischen Judentum und Hellenismus könne auch nach der Eingliederung Galiläas in das hasmonäische Herrschaftsgebiet und der deutlichen Zunahme judäisch-jerusalemischer Kultur keine Rede sein. Die Verbindungen zu anderen Regionen der Mittelmeerwelt blieben erhalten, und auch die Ausbreitung hellenistischer Kultur setzte sich fort. Die Herodianer haben an diese Entwicklung auf ihre Weise angeknüpft, etwa durch die Einführung von Münzen, spezifischen architektonischen Elementen und Ritualbädern. Zangenberg bezweifelt, dass sich von diesem Befund eine direkte Brücke zum Wirken Jesu schlagen lässt. Die schon häufiger herausgestellte stabile Situation Galiläas unter Antipas verbietet es, Jesus vorschnell zum Widerstandskämpfer gegen Ausbeutung und Unterdrückung zu stilisieren. Die Vielfalt Galiläas könnte sogar zu dem Schluss führen, dass Jesus für die Region gerade nicht repräsentativ war.
Das wird durch die Detailstudie von Morten Hørning Jensen auf eigene Weise bestätigt, die in Anknüpfung an seine Dissertation (vgl. Anm. 14) einen Überblick über den literarischen und archäologischen Befund zu Antipas gibt. Obwohl Josephus ein ambivalentes Bild seiner Person zeichnet, stimmen die Quellen darin überein, dass zur Zeit des Antipas weder eine politische noch eine ökonomische Verschlechterung der Situation Galiläas zu konstatieren ist. Das Wirken Jesu könne demnach kaum als durch die Herrschaft des Antipas hervorgerufen und zu dieser im Gegensatz stehend charakterisiert werden.
Karl-Heinrich Ostmeyer hatte bereits in einem früheren Artikel auf die problematische These eines unter römischer Gewaltherrschaft leidenden, revolutionären Galiläa aufmerksam gemacht.23 Hieran anknüpfend unterzieht er nunmehr die These von den Gleichnissen Jesu als »Urgestein der Überlieferung« (Joachim Jeremias) einer kritischen Sichtung. Gegenüber mitunter voreiligen Rückschlüssen von der Botschaft eines Gleichnisses auf die Verkündigung Jesu sei konkret danach zu fragen, worauf die Gleichnisse schließen lassen. Ob dies eine bestimmte Erzählsituation im Leben Jesu ist (die als konkrete historische Situation ohnehin nicht mehr rekonstruiert werden kann) oder aber die Erzählwelt der Evangelien, sei im Einzelfall zu entscheiden und könne nicht pauschal auf der Grundlage dessen beurteilt werden, was der jeweilige Exeget Jesus »zutraut«. Konkretisiert wird dies anhand eines Blicks auf die Gleichnisse von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1–16) und vom Schatz im Acker (Mt 20 ,44). Die Konsequenz lautet, dass die Gleichnisse nicht als Steinbruch zur Stützung eigener Hypothesen benutzt werden dürfen, wie es in der Forschung immer wieder geschehen ist. Vielmehr sind die jeweils vorausgesetzten kulturellen, politischen und ökonomischen Verhältnisse genau zu beleuchten, um auf dieser Basis Schlussfolgerungen im Blick auf die Verkündigung Jesu zu ziehen.24
Aus je eigener Perspektive befassen sich die Beiträge von Sean Freyne, Cars­ten Claußen sowie von mir selbst mit der Einordnung Jesu in die Lebenswelt Galiläas. Freyne fasst im Wesentlichen den Ansatz seines Jesusbuches zusammen:25 Mit dem Übergang aus der Wüste nach Galiläa sei Jesus in einen neuen geographischen, klimatischen und kulturellen Raum gekommen. Es sei davon auszugehen, dass die Beschaffenheit dieser Region, ebenso wie die Kenntnis der Schriften Israels, sein Auftreten und seine Verkündigung beeinflusst haben. Claußen diskutiert den Befund der Synagogen in Galiläa (Kafarnaum, Nazaret, Kana). Synagogengebäude lassen sich für die Zeit Jesu nicht mit Sicherheit nachweisen. Die Evangelien könnten deshalb an vielen Stellen mit dem Begriff einfach Versammlungen bezeichnen, ohne ein zugehöriges Ge­bäude vorauszusetzen. Mein eigener Beitrag versucht, das Auftreten Jesu in Galiläa als Aufnahme der Hoffnungen Israels auf Wiederherstellung des Volkes und (Wieder-)Erlangung des verheißenen Landes zu deuten.
Abschließend gibt Roland Deines einen informativen Überblick über die Konjunktur Galiläas in der aktuellen Jesusforschung. Er warnt vor der Gefahr, die Bezeichnung »Galiläa« als Chiffre für bestimmte Deutungsmuster – etwa zur Herausstellung der jüdischen Herkunft Jesu – zu benutzen, und plädiert dafür, »die argumentative Funktion der Herkunftsbezeichnung ›Galiläa‹ jeweils auf ihre heuristische Funktion zu befragen« (319).


Überblickt man die neueren Arbeiten zu Galiläa, so lässt sich zu­nächst feststellen, dass die gegenwärtige Galiläaforschung einen überaus komplexen Befund liefert. Es bedarf einer sorgfältigen Beschäftigung mit der Region, um ein Bild von den kulturellen, religiösen und ökonomischen Verhältnissen in hellenistisch-römischer Zeit zu erstellen. Als weitgehend konsensfähig kann dabei angesehen werden, dass es sich um eine jüdisch geprägte Region handelt. Was dies im Einzelnen bedeutet, ist dagegen weniger deutlich. Weder der literarische noch der archäologische Befund liefern hier eindeutige Ergebnisse. Vielmehr zeigt sich, dass Galiläa von verschiedenen kulturellen Einflüssen bestimmt war und die seit persischer und hellenistischer Zeit wirksamen Prägungen auch durch die hasmonäische Eroberung keineswegs einfach zum Erliegen kamen. So berechtigt deshalb der vor allem in den Studien von Chancey, aber auch in etlichen Publikationen von Freyne und Aviam begegnende Hinweis auf den jüdischen Charakter Galiläas zur Zeit Jesu ist, sollte daraus nicht in Umkehr des früheren Zerrbildes eines multiethnischen oder gar »heidnischen« Galiläa nunmehr das Bild einer von den umliegenden Gebieten isolierten Region konstruiert werden. Sowohl die Keramikfunde als auch der durchaus nicht immer eindeutige archäologische Befund der galiläischen Orte sollten hier vor neuen Einseitigkeiten warnen.

Von dieser Problematik noch einmal zu unterscheiden ist die Frage, was die Erforschung Galiläas zur historischen Konkretisierung des Bildes Jesu beisteuert. Etliche Beiträge der neueren Galiläaforschung streifen diese Thematik nur am Rand und konzentrieren sich stattdessen auf eine Beschreibung der historischen, kulturellen, ökonomischen und religiösen Facetten der Region. Wo ein Brückenschlag zur Deutung des Wirkens Jesu versucht wird, ist zunächst der Hinweis zu beachten, dass Galiläa nicht als Folie für beliebige Jesusbilder dienen kann. Des Weiteren muss sorgfältig zwischen der Entstehungszeit der Evangelien und der Zeit Jesu unterschieden werden. Die Evangelien sind in einer Zeit verfasst, für die gegenüber dem Wirken Jesu in mehrfacher Hinsicht veränderte Verhältnisse vorauszusetzen sind. Zudem wäre zu prüfen, inwieweit sich in den Evangelien Kenntnisse der konkreten Umstände der Zeit Jesu widerspiegeln und wie diese gegebenenfalls für ein Bild Jesu fruchtbar gemacht werden können. Dabei ist eine gewisse Zirkularität nicht zu vermeiden, denn die Evangelien sind natürlich selbst Quellen für die Wirksamkeit Jesu, und auch das von Josephus gezeichnete Bild der Region ist in späterer Zeit und aus einer spezifischen Perspektive heraus entworfen.

Gleichwohl lassen sich einige Ergebnisse festhalten, die für ein Bild des historischen Jesus zu beachten sind und in Jesusdarstellungen entsprechend Berücksichtigung finden sollten. Dazu gehört vor allem das durch etliche Indizien gestützte Bild einer unspektakulären, eher durch Stabilität als durch soziale Unruhen gekennzeichneten Regierungszeit des Antipas. Die in der sozialgeschichtlich ausgerichteten Forschung der 70er und 80er Jahre des 20. Jh.s aufgestellten Thesen von einem revolutionären Programm Jesu, der Jesusbewegung als einer »Revolution von unten« und den Anhängern Jesu als Menschen, die am Rande des Existenzminimums lebten, sind deshalb zu revidieren. Auch die in dieser Zeit mitunter anzutreffende Instrumentalisierung des »Revolutionärs Jesus« für die eigenen politischen Zwecke 26 basiert auf einem durch die Quellen nicht gedeckten Konstrukt.

Was ein auf den aktuellen Forschungsergebnissen basierendes Bild Galiläas dagegen für die Einordnung Jesu in das Judentum seiner Zeit bedeutet, wird gegenwärtig erst ansatzweise deutlich. Es ist allerdings zu erkennen, dass dieser Aspekt in Jesusdarstellungen einen hervorgehobenen Platz beansprucht. Verwiesen sei hier etwa auf den Entwurf von James Dunn (vgl. Anm. 20) sowie auf das nicht minder monumentale Werk von Martin Hengel und Anna Maria Schwemer.27 Zu konstatieren ist freilich ebenso, dass Gesamtdarstellungen von Wirken und Verkündigung Jesu gegenwärtig auch ohne Bezug auf diese Forschungen und die Einordnung Jesu in seinen historischen Kontext verfasst werden. Auf die sich daraus ergebenden Probleme wird im nächsten Ab­schnitt genauer einzugehen sein. Die Einbeziehung der Kenntnisse über das historische Umfeld Jesu in Gesamtdarstellungen seines Wirkens, gerade auch solche aus systematisch-theologischer Perspektive, stellt somit eine wichtige Aufgabe für die zukünftige Jesusforschung dar, um auf diese Weise exegetische und systematische Perspektiven deutlicher aufeinander zu beziehen.

2. Neuere Jesusdarstellungen



Welche Brisanz die Diskussion über die historische und theologische Bedeutung der Person Jesu weit über historisch-kritische Detailfragen hinaus entfalten kann, ist unlängst in der Debatte um das Jesusbuch von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. deutlich geworden.28 Das Buch, das die Zeit von der Taufe Jesu bis zu seiner Verklärung behandelt (ein zweiter Teil mit Kindheits-, Passions- und Ostergeschichte soll folgen), nimmt nur sehr selektiv und eigenwillig auf die gegenwärtige Jesusforschung Bezug. Maßgeblich ist stattdessen die Prämisse, historisch-kritische Textauslegung sei gegenüber einer theologischen Exegese, die auf der Überzeugung von der Inspiriertheit der biblischen Schriften beruht, begrenzt und deshalb in eine Auslegung einzubetten, die die Kirche als »das lebendige Subjekt der Heiligen Schrift« ansieht (20). Damit bewegt sich die Darstellung von vornherein außerhalb der methodischen Grundannahmen der neuzeitlichen Jesusforschung. Unzweifelhaft deutlich wird das daran, dass Ratzinger in sein Bild des vorösterlichen Jesus bereits all diejenigen Züge hineinprojiziert, die nach dem Zeugnis der Evangelien erst durch seine Auferweckung und Erhöhung erkennbar werden. Indem er diese Differenzierung unterläuft, bewegt sich Ratzinger mit seiner Darstellung sowohl außerhalb der von den Evangelien als auch der von der historisch-kritischen Jesusforschung entwickelten Sicht. Dies ermöglicht es ihm, ein auf der dogmengeschichtlichen Entwicklung basierendes Jesusbild mit demjenigen des vorösterlichen Jesus in eins zu setzen und dabei unberücksichtigt zu lassen, dass uns bereits im Neuen Testament nicht ein Jesusbild begegnet, sondern deren mehrere mit unterschiedlichen Facetten.

Die Diskussion um das Buch setzte sehr bald ein und hat mittlerweile zu einer Vielzahl von Stellungnahmen geführt. Eine erste Zusammenstellung von Reaktionen aus neutestamentlicher Sicht wurde unmittelbar nach Erscheinen des Buches in einem kleinen Sammelband publiziert, den Thomas Söding organisiert und herausgegeben hat.29 Inzwischen sind weitere Bände erschienen, und katholische Neutestamentler haben sich auch darüber hinaus zu Wort gemeldet.30

Zustimmung zu Ratzingers Buch findet sich in den Beiträgen eines weiteren von Thomas Söding herausgegebenen Bandes.31 Söding selbst beurteilt es als »Zeugnis einer großen Liebe zu Jesus«, für das sich der Verfasser der historisch-kritischen Methode nicht unterworfen, sondern sie kompetent kritisiert habe, »(w)eil er sie so gut kennt wie kaum ein anderer Theologe« (19). Das kann man Ratzingers Buch auch dann nicht entnehmen, wenn man es mit jenem »Vorschuss an Sympathie« liest, um den sein Autor im Vorwort bittet. Christoph Kardinal Schönborn (»Der Papst auf der Agora«) lobt das Vertrauen des Papstes in die historische Zuverlässigkeit der Evangelien sowie seinen Versuch, »den Jesus der Evangelien als den wirklichen Jesus, den ›historischen Jesus‹ im eigentlichen Sinn darzustellen«. Dabei scheinen weder Ratzinger noch Schönborn zu bemerken, dass es »den« Jesus der Evangelien nicht gibt, und es bleibt auch völlig unklar, was mit »wirklicher Jesus« und »›historischer Jesus‹ im eigentlichen Sinn« gemeint sein soll. Offenbar soll durch derartige Formulierungen den Evangelien eine Aura verliehen werden, die sie der historischen Kritik enthebt.
Auch Gottfried Wilhelm Lochner, Vizepräsident des reformierten Weltbundes, kann Ratzingers Jesusbuch durchaus Positives abgewinnen. Eine »Darstellung des historischen Jesus in seiner Bedeutung für den christlichen Glauben« sei legitim und geboten, auch das Wissen um die Grenzen der historisch-kritischen Methode sei angemessen, denn »letzte historische Sicherheit über Jesus von Nazareth« könne es nicht geben. Es ist freilich die Geschichtshermeneutik selbst, die zu genau dieser Einsicht führt und die darum auch bereits seit Längerem in der historisch-kritischen Jesusforschung etabliert ist. Auf keinen Fall kann diese Einsicht dazu führen, die historische Kritik durch das Glaubenszeugnis der Kirche zu ersetzen, denn dies wäre eine eklatante Verwechslung der Sprach- und Erkenntnisebenen.
Jacob Neusner, den Ratzinger des Öfteren als jüdischen Ge­sprächspartner heranzieht, sieht in dessen Darstellung eine Aufnahme desjenigen Dialogs, den er selbst in seinem Buch »Ein Rabbi spricht mit Jesus« angestoßen hatte. Neusner ist wie Ratzinger daran gelegen, dass sich Christen und Juden respektieren, ohne dabei den inhaltlichen Dissens zwischen beiden Religionen zu relativieren. Dem kann man nur zustimmen, und es ist sicher ein Verdienst von Ratzingers Buch, an dieser Stelle in großer Klarheit der Verbundenheit mit dem Judentum Ausdruck verliehen und zu­gleich die Differenzpunkte zwischen jüdischem und christlichem Glauben benannt zu haben.
Diametral im Gegensatz zu den Beiträgen dieses Bandes lehnt Gerd Lü­demann in seiner Auseinandersetzung mit Ratzinger dessen Vorgehen in scharfer Weise ab.32 Er geht an dem Buch paraphrasierend und summierend entlang und formuliert jeweils Kritik, die in »Haupteinwänden« zusammengefasst wird. Manchem kann man zustimmen – so etwa dem Einwand, Rat­zingers Auslegungen würden oftmals wesentliche Einsichten der historisch-kritischen Exegese unberücksichtigt lassen (wobei Lüdemann selbst eine eigenwillige Auffassung von historischer Kritik vertritt) –, anderes dagegen ist kaum überzeugend – so etwa, wenn Lüdemann behauptet, das Alte Testament als Christuszeugnis zu gebrauchen, sei wissenschaftlich unmöglich.
Das Buch von Georg Bubolz,33 schulfachlicher Dezernent für katholische, orthodoxe, syrisch-orthodoxe und jüdische Religionslehre in Düsseldorf, ist eine ansprechende Grundlage zur Auseinandersetzung mit Ratzingers Jesusdarstellung in der gymnasialen Oberstufe, aber auch im Grundstudium der Theologie. Bubolz ordnet dessen Denken in den Kontext entsprechender Äußerungen der katholischen Kirche zur historisch-kritischen Exegese ein (Dei Verbum; Die Interpretation der Bibel in der Kirche), zeigt Defizite in der Wahrnehmung neuerer Entwicklungen in der Exegese bei Ratzinger auf (etwa in der Gleichnisforschung) und stellt dessen Urteilen andere Sichtweisen ge­gen­über. So werden eine solide me­thodische Grundlegung und ein anregendes Fragenspektrum als Ausgangspunkte eigener Urteilsbildung geboten.
Jan-Heiner Tück hat einen Band mit Beiträgen katholischer und evange­lischer Theologen sowie einer jüdischen Stimme (Jacob Neusner) publiziert.34 Zustimmung kommt von Peter Stuhlmacher (»Ratzingers Jesusbuch ist ein bedeutsamer geistlicher Wegweiser«). Rudolf Pesch kann dem Anliegen, Exegese als theologische Disziplin aufzufassen, durchaus folgen, sieht bei Ratzinger jedoch die historisch-kritische Dimension in unnötiger Weise verkürzt. Eberhard Jüngel empfiehlt das Buch seinen »religiös interessierten Patensöhnen, aber auch meinen atheistisch sozialisierten und dennoch nachdenklichen Nichten und Neffen«. Es vermittle einen lebendigen Eindruck von dem in den christlichen Konfessionen verkündigten Christus praesens, sei freilich selbst nur ein hypothetischer Entwurf. Jan-Heiner Tück stellt Ratzingers Jesusbuch in den Horizont von dessen Regensburger Rede und versteht es als »Anti-These zu Adolf von Harnack«. Es stelle der heutigen Bibelwissenschaft die Aufgabe, »den Brückenschlag vom historischen Jesus zum Christus des Glaubens je neu vorzunehmen«. Das war der historisch-kritischen Exegese allerdings auch schon zuvor bewusst, und ob die Art und Weise, wie Ratzinger christologische Aussagen der frühen Kirche als Wesensbestimmungen des »historischen Jesus« in seinem Sinn versteht, ein geeigneter Ansatzpunkt für eine solche Verhältnisbestimmung ist, sei zumindest mit einem Fragezeichen versehen.
Zwei weitere Bände zu Ratzingers Jesusbuch sind im LIT-Verlag erschienen. Der erste35 wird durch Karl Kardinal Lehmann eingeleitet und enthält »Theologische Rückfragen« sowie Beiträge unter der Überschrift »Jenseits der Theologie«. Klaus Berger stimmt dem Ansatz Ratzingers, einen in Richtung auf den Glauben erweiterten Vernunftbegriff zu entwickeln, ausdrücklich zu, sieht sein Verständnis des Denkens jedoch zu stark von der aristotelisch-thomistisch-kantianischen Tradition bestimmt. Dieses möchte er durch von der Bibel her zu entwickelnde Denkmodelle erweitern. Konkret versteht er darunter etwa »die Erwählung von Personen ohne be­sonderen Wert, die Kreuzestheo­logie mit der Negierung aller Werte, die neue Schöpfung als Antwort auf die Theodizeefrage« u. a. m. (39 f.). Berger konstatiert: »das Christentum ist nicht besser, weil es vernünftiger ist, sondern weil Gott Mensch geworden ist – ein eigenes, nicht-aristotelisches Geheimnis«. Hier dürfte ein zentraler, wenn nicht der zentrale Punkt benannt sein, an dem die Auseinandersetzung mit Ratzinger zu führen ist. Zu diskutieren wäre, wie ein solcher erweiterter Vernunftbegriff aussehen könnte, ohne dass er zu einem Dezisionismus gerät. Hermann Häring konstatiert, Ratzingers Buch habe Stärken in der geistlichen Schriftauslegung, zeichne jedoch eine Karikatur der historisch-kritischen Exegese, der gegenüber der Autor den exklusiven Geltungsanspruch seiner eigenen Auslegung ins Feld führe. Dabei würden wichtige Einsichten in die Vielfalt der Jesusbilder des Neuen Testaments und in die dogmengeschichtlichen Entwick­lungen der frühen Kirche eingeebnet. Weitere Beiträge stammen u. a. von Adolf Holl, Karl-Heinz Ohlig, Hans Küng, Hans Albert und Ernst Axel Knauf.
Der von Hermann Häring herausgegebene Band36 versammelt Stellungnahmen, die sich aus exegetischer, dogmatischer, pastoraltheologischer und soziologischer Perspektive mit Ratzingers Jesusbuch auseinandersetzen. Das Gros der Stimmen nimmt eine kritische Perspektive ein. Von exegetischer Seite (Michael Theobald, Joachim Kügler) wird auf den unbefriedigenden Um­gang des Autors mit der historisch-kritischen Jesusforschung hingewiesen, der zu einer undeutlichen Verhältnisbestimmung von dogmatischer und his­torischer Perspektive – negativ formuliert: zu einer Vereinnahmung der historisch arbeitenden Theologie durch die Dogmatik – führe. Hermann Häring setzt sich in einem äußerst instruktiven Beitrag mit der Formulierung Ratzingers auseinander, er wolle »den Evangelien trauen«. Er konfrontiert diese Äußerung mit neueren Entwicklungen in der Evangelienforschung, die die narrative Dimension dieser Schriften als Schlüssel zu den hier entwickelten Christologien herausgestellt haben. In diesem Zusammenhang rekurriert er auch auf den narratologischen Ansatz Paul Ricœurs. Ratzingers Diktum sei im Licht dieser Erkenntnisse zu korrigieren. Den Evangelien zu trauen, könne nämlich nicht bedeuten, Einzelaspekten dieser Erzählungen den Status doktrinal und damit dann auch historisch wahrer Aussagen beizumessen, die literarische Darstellung dagegen unberücksichtigt zu lassen. Es bedeute vielmehr, das in der jeweiligen Erzählung aus nachösterlicher Perspektive ge­zeichnete Jesusbild als Ausgangspunkt für Rezeptionen der Jesusfigur aus der Sicht des christlichen Glaubens zu betrachten. Ratzingers Sicht der Evangelien werde deren literarischem Genus sowie der darin zum Ausdruck kommenden Erinnerung an Jesus somit letztlich nicht gerecht. Vielmehr zeige sein Um­gang mit diesen Schriften, dass er ihnen gerade nicht traue, denn er setze sich ihren narrativen Repräsentationen der Person Jesu nicht aus, sondern benutze sie zur »Stabilisierung des Christusdogmas«.
Ruth Fehling entdeckt in Ratzingers Jesusbuch eine bedenkliche »Begrenzung der Gnade Gottes«. Ratzinger gehe zwar von der unbedingten Gnade Gottes gegenüber den Sündern aus, platziere jedoch zugleich den Unglauben außerhalb dieser Gnade. Bedenklich sei dieser Ansatz deshalb, weil er kirchliche Ausgrenzungsstrategien ermögliche. Sichtbar werde dies am Umgang der katholischen Kirche mit wiederverheirateten Geschiedenen, denen der Zu­gang zur Eucharistie verweigert werde, einerseits, mit Priestern, die Kinder sexuell missbraucht haben, andererseits. Hinter dem Umgang mit diesen beiden Gruppen sieht Fehling eine kirchliche Praxis, der ein problematisches Verständnis kirchlichen Handelns zu Grunde liegt, das nicht von der Überzeugung der unbedingten Gnade Gottes getragen ist. Theologisch sieht sie dies auch im Jesusbuch des Papstes abgebildet.


Die ausgeuferte Diskussion über das Jesusbuch von Joseph Ratzinger – etliche Beiträge sind mehrfach ge­druckt worden, andere sind nur geringfügige Variationen anderweitiger Stellungnahmen ih­rer Autoren, etliche Gesichtspunkte werden häufig wiederholt – rührt nicht zuletzt daher, dass die Publikation einer Jesusdarstellung des amtierenden Papstes einen willkommenen Anlass bietet, eine große Publikationsmaschinerie in Gang zu setzen. Umso notwendiger ist es, die Diskussion auf diejenigen Aspekte zu konzentrieren, die für den theologischen sowie den öffentlichen Diskurs tatsächlich weiterführend sind. Das breite Spektrum der Reaktionen zeigt dabei, dass die Debatte weit über exegetisch-historische Aspekte hinausreicht. Der Beitrag des Bu­ches zur historisch-kritischen Jesusforschung ist auf Grund des inzwischen vielfach herausgestellten eigenwilligen Umgangs des Autors mit der kritischen Exegese sogar denkbar gering. Die eigentliche Problematik, die es aufwirft, liegt dagegen – trotz (oder gerade wegen) der etwas eigenartigen Versicherung, es sei »kein lehramtlicher Akt« 37 –, abgesehen von den Auswirkungen, die eine solche Publikation für das Diskussionsklima in der katholischen Theologie zeitigen könnte, in der zu Grunde liegenden Verhältnisbestimmung von dogmatischer und historischer Theologie bzw. von Glaube und Vernunft. Insofern werden hier letztlich fundamentaltheologische Fragen aufgeworfen, die keineswegs auf die Jesusforschung be­schränkt sind und von Ratzinger bereits in seiner Regensburger Rede vom 12. September 2007 thematisiert worden waren. 38 Es ist freilich keineswegs zufällig, dass er gerade die Gestalt Jesu zum Thema der ersten großen theologischen Publikation nach seinem Amtsantritt als Benedikt XVI. gemacht hat und sich die Diskussion deshalb an diesem zentralen Bereich theologischer Forschung und kirchlicher Dogmatik entzündet.

In die künftige Diskussion ist das Jesusbuch Joseph Ratzingers deshalb vor allem unter dem Aspekt der Präzisierung des Ortes his­torisch-kritischer Exegese innerhalb der christlichen Theologie einzubeziehen. Auf katholischer Seite besteht hier zweifellos größere Dringlichkeit, den für die Plausibilisierung ihrer Inhalte unverzichtbaren Beitrag der nicht unter dogmatischen Vorgaben arbeitenden exegetischen und historischen Disziplinen zum Ganzen der Theologie einzufordern. Darüber hinaus bietet sich die Jesusforschung in besonderer Weise dafür an, die notwendige Integration exegetisch-historischer und systematisch-theologischer Perspektiven für eine gesamttheologische Verantwortung christlicher Wirklichkeitsdeutung zu reflektieren. Dabei kann die Diskussion um Ratzingers Jesusbuch als Anlass dienen, dieses überaus wichtige Gespräch zu intensivieren. Richtung und Inhalte eines solchen Diskurses wird man sich von Ratzingers Jesusdarstellung allerdings schon deshalb nicht vorgeben lassen, weil sie sich in exegetischer Hinsicht auf einem längst überholten Forschungsstand bewegt und in systematisch-theologischer Hinsicht von einer problematischen Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft ausgeht.

Eine dem Jesusbuch Ratzingers in mancher Hinsicht vergleichbare Darstellung aus evangelischer Perspektive stammt von Joachim Ringleben.39 Der Untertitel soll zum Ausdruck bringen, dass man nicht beim »Verstehen« Jesu stehen bleiben dürfe, sondern zum »begreifenden Denken« fortschreiten müsse, das den »Weg vom Menschen Jesus zu den Begriffen der Dogmatik« bzw. zuvor zu den Theologien von Paulus und Johannes zu erfassen sucht und dazu die »Anstrengung des Begriffs« erfordert. Konkret stellt sich Ringleben die Aufgabe, »in der Vielfältigkeit des von Jesus Überlieferten die innere Einheit seiner Person im Verhältnis zu Gott aufzusuchen, so dass vom Zentrum seines Menschseins her … die Mannigfaltigkeit seiner konkreten Äußerungen verständlich gemacht werden kann« (4). Es gehe also darum, dasjenige, was sich »rein his­torisch-theologisch über Jesus, so wie er in den Evangelien gezeichnet ist und wahrnehmbar wird, entdecken und erforschen lässt«, auch zu »begreifen«. Dies wiederum impliziere, dass der Begreifende mit in das Begriffene hineingehört.

Der Aufbau des Buches ist am MkEv orientiert, das als ältestes Evangelium grundlegend sei und dem die anderen Evangelien als »zusätzliche Verstehens- oder Verdeutlichungshilfen« (8) zuzuordnen seien. Ringleben beginnt dementsprechend mit einer Auslegung von Mk 1,1–15 (Johannes der Täufer, Taufe Jesu, Auftreten in Galiläa) und ordnet dem das Visionserlebnis (»Der Satanssturz; Lk 10,18«) zu, um sich anschließend dem Wirken Jesu (Ansage der Gottesherrschaft; Vollmacht Jesu; »Jesus und das AT«; »Das Gebet Jesu«; »Der heilende Heiland« u. a.) und schließlich der Passionsgeschichte (»Der sich hingebende Jesus«) zuzuwenden. Am Ende stehen ein Kapitel »Der Gott des Sohnes (Gottes Sichhervorbringen)« sowie als eine Art Epilog zwei Zitate Martin Luthers und eines von Ludwig Wittgenstein (»Über Grenzen des Begreifens«).
Ringleben entwirft auf diese Weise eine Art meditativer Evangelienhar­monie, die ohne überlieferungsgeschichtliche Analysen auskommt40 und an vielen Stellen durch die Interpretationen ausgewählter Texte wie etwa des Vaterunsers, der Seligpreisungen, der Sturmstillungsepisode oder etlicher Gleichnisse vertieft wird. Die Auslegungen wollen dabei auf der Grundlage einer genauen Analyse des griechischen Textes zu dem vordringen, was hier »Begreifen« der Person Jesu heißt. Das erfolgt etwa durch Präsentation der Gottesreichsverkündigung Jesu anhand einer Interpretation von Gleichnissen der synoptischen Evangelien (Kapitel 12 »Das Reich der Gleichnisse«, 373–443), bei der die in der älteren Gleichnisforschung vorherrschende Sicht auf das Gleichnis als »Sprachereignis« leitend ist, 41 kann aber auch die Form psychologischer Annäherung mit romanhaften Zügen annehmen.42
Historische Fragen sind dabei von untergeordneter Bedeutung. Dass Jesu letztes Mahl, wie von vielen Exegeten auf Grund des Textbefundes angenommen, kein Passamahl, sondern nur ein Ab­schiedsmahl gewesen sei, wird von Ringleben mit der rhetorischen Frage »… aber ist das eine Alternative?« beiseite gestellt (535, Anm. 268), um sodann zu einer Interpretation des Mahles (einschließlich der Einsetzungsworte) als Passamahl fortzuschreiten – mit der bemerkenswerten Begründung: »Auch systematisch ist dabei von der Erkenntnis auszugehen, dass Jesu letztes Mahl ein Passa-Mahl gewesen ist« (535, dort kursiv)! Soll man dies so auffassen, dass die Einsicht in systematische Notwendigkeiten den historischen Befund korrigiert?


Ringlebens Darstellung wirft in mehrfacher Hinsicht Fragen auf. So ist bereits auffällig, dass ein im Jahr 2007 erschienenes Jesusbuch praktisch völlig an der neueren Jesusforschung vorbei geschrieben ist. Die exegetische Literatur, auf die sich Ringleben bezieht, sind im Wesentlichen Jürgen Beckers Jesusbuch aus dem Jahr 1996, das auch damals schon eher neben als in der aktuellen Jesusforschung stand, sowie das Arbeitsbuch von Gerd Theißen und Annette Merz aus demselben Jahr. Die exegetisch-historische Jesusforschung der letzten Jahrzehnte kommt ansonsten nicht vor.

Dieses Defizit ist keineswegs zufällig. Ringleben formuliert: »Man kann davon ausgehen, dass historisch alles Wichtige in Bezug auf Jesus erforscht und herausgefunden ist. Doch der Versuch zu begreifen, worum es bei dem … Festgestellten eigentlich geht, bleibt immer noch …« (3, Anm. 10, dort kursiv). Eine derartige Verhältnisbestimmung von »historisch« und »eigentlich« mutet merkwürdig an, und man ist versucht zu fragen, was hier mit »eigentlich« genau gemeint ist.43 Gibt es ein vom historischen Befund abzulösendes »Eigentliches«, das der historischen Vorläufigkeit enthoben ist und sich erst einem vertiefenden »Begreifen« erschließt? Was wäre ein solches »Begreifen« anderes als eine subjektiv-psychologische Annäherung an die Person Jesu, die niemandem verwehrt ist, aber schwerlich den Anspruch erheben kann, eine auf historischer Textanalyse basierende Darstellung des Wirkens und Geschicks Jesu zu sein und so den Anspruch der neutestamentlichen Texte auch in der Gegenwart zur Geltung zu bringen? Wer entscheidet darüber, wann »alles Wichtige in Bezug auf Jesus« herausgefunden ist? Ist die Erforschung der Vergangenheit nicht per definitionem ein offener Prozess, der durch neue Funde und veränderte Sichtweisen auf bereits Bekanntes prinzipiell erweiterbar und in seinen Ergebnissen revidierbar ist? Ist das historisch Erforschte – auf welchem Kenntnisstand auch immer – überhaupt die Grundlage von Ringlebens Darstellung oder ist es nicht für sein der historischen Konkretion enthobenes Jesusbild letztlich entbehrlich? Ist das Verhältnis von neutestamentlicher Exegese und Systematischer Theologie so zu beschreiben, dass Erstere historisches Material zusammenträgt, Letztere dagegen für das »Begreifen« des Gesammelten zuständig ist? Die Liste derartiger Fragen ließe sich beträchtlich verlängern.

Das Problematische des Ansatzes von Ringleben lässt sich an seinem methodischen Vorgehen ablesen. Er stützt sich ohne überlieferungsgeschichtliche Analysen auf Texte wie das Summarium der Verkündigung Jesu in Mk 1,14 f., die Antrittspredigt in Lk 4,21 oder die Antithesen der Bergpredigt. Man kann die Auffassung vertreten, in allen diesen Texten komme Charakteristisches des Wirkens Jesu zur Sprache. Es besteht jedoch kein Zweifel daran, dass sie auf die kompositorische Tätigkeit der Verfasser des jeweiligen Evangeliums zurückgehen und deshalb zunächst einmal Bestandteil ihres jeweiligen Jesusbildes sind.44 Der Schritt von der literarischen zur historischen, theologischen oder gar psychologischen Ebene wäre deshalb einer eigenen Reflexion zu unterziehen. Andernfalls wird der Befund, dass die Evangelien des Neuen Testaments unterschiedliche Jesusbilder mit je eigenen literarischen und inhaltlichen Akzenten entwerfen, eingeebnet.

Nicht zufällig sind dann auch signifikante Analogien zwischen Ringlebens Jesusbuch und demjenigen Joseph Ratzingers zu entdecken. Eine Differenzierung zwischen Erzählperspektive der Evan­gelien und Darstellung des Wirkens Jesu spielt bei beiden de facto keine Rolle. Das eröffnet die Möglichkeit, zu dem vorzustoßen, was bei beiden mit der Diktion der »Eigentlichkeit« beschrieben wird. Auch wenn Ringleben formuliert, dass Jesus »›das Wort‹ selber ist« (266), liegt das auf der Linie des Diktums von Ratzinger, dass Jesus »Gott – der Sohn – ist«, und auch die gelegentlichen zu­stimmenden Hinweise Ringlebens auf Ratzingers Darstellung lassen Gemeinsamkeiten in der Vorgehensweise erkennen. 45

Letztlich stellt sich die Frage, ob der von Ringleben gewählte Ansatz nicht notwendigerweise dazu führt, Differenzierungen einzuebnen, die jeder Jesusdarstellung zu Grunde zu legen sind. Dies wäre zum einen die Unterscheidung zwischen den Jesusbildern der Evangelien, historisch-kritischen Jesusdarstellungen und der Person, auf die sich alle diese Entwürfe beziehen. Es wäre zum anderen die Differenzierung zwischen dem »historischen Jesus« und dem »geglaubten Christus«. Es ist ohne jeden Zweifel eine zentrale theologische Aufgabe, dieses Verhältnis hermeneutisch zu bedenken. Mit Hilfe einer Diktion der »Eigentlichkeit« den Eindruck zu er­wecken, man dringe von den angeblich vollständig erforschten historischen Daten nunmehr zum »wirklichen« Jesus vor, ist dafür jedoch kein plausibler Weg.

Hingewiesen sei des Weiteren auf den Versuch Richard Bauckhams, mit Hilfe der Kategorie der Augenzeugenschaft einen Zugang zur historischen Wirklichkeit Jesu zu entwickeln.46 Bauck­ham geht dazu von der Einsicht aus, dass Geschichte stets durch »Zeugnisse« vermittelt wird, ein hiervon unabhängiger Zugang zur Vergangenheit deshalb nicht möglich sei. Im Fall der Evangelien seien diese Zeugnisse Augenzeugenberichte, auf die die Verfasser der Evangelien zurückgegriffen hätten. Die Annahme einer längeren mündlichen Überlieferungsphase hinter den Evangelien, wie sie die Formgeschichte behauptet hatte (die dabei

In einem kleinen Bändchen hat Werner Zager sechs Vorträge zusammengestellt, die er bei verschiedenen Anlässen (Akademietagungen u. Ä.) gehalten hat.48 Sie sind entsprechend in allgemeinverständlicher Sprache verfasst und kommen ohne einen umfangreichen Anmerkungsapparat aus. Ihre gemeinsame Perspektive ist der »Weg zu einer neuen liberalen Christologie«, der nach Zager unabdingbare Voraussetzung eines auf Wahrhaftigkeit gegründeten Christentums ist. Konkret sieht das etwa so aus, dass Jesus als jüdischer Prophet der Gottesherrschaft und Lehrer einer radikalen Ethik dargestellt wird, der seinen Auftrag darin sah, die Schwachen und Kranken der Zuwendung Gottes zu vergewissern. Dagegen habe bereits Immanuel Kant die Sühnetodvorstellung überzeugend kritisiert (103). Eine »dem neuzeitlichen Bewusstsein entsprechende Christologie« habe entsprechend »auf die traditionelle metaphysische bzw. mythologische Begrifflichkeit … zu verzichten«. Für den »modernen Menschen« bleibe an der geschichtlichen Gestalt Jesu »seine unbefangene Menschlichkeit«, wie sie im Doppelgebot der Liebe zusammengefasst sei, gültig (109 f.). Die Vorträge bleiben weit hinter dem geschichtshermeneutischen und theologischen Reflexionsniveau der gegenw ärtigen Jesusforschung zurück. Dieses wäre auch – oder: gerade – bei solchen Beiträgen zu erwarten, die sich an ein Laienpublikum wenden. Bei gemeinsamer Publikation wäre zudem die Beseitigung von Überschneidungen und Doppelungen zu erwarten gewesen.49

Abschließend ist auf die neutestamentliche Darstellung von Christoph Niemand einzugehen. Bereits der Titel lässt erkennen, dass der Schwerpunkt des Buches auf der Analyse der Passionsereignisse liegt.50 Andere Aspekte treten dagegen deutlich zurück, was ein gewisses Ungleichgewicht auch in der inhaltlichen Beurteilung des Auftretens Jesu zur Folge hat.

Das Buch ist in fünf Kapitel gegliedert, die ihren Ausgangspunkt beim Wirken Jesu nehmen, zur Frage nach seinem Selbstverständnis und der Legitimität seines Anspruchs fortschreiten, auf den daraus erwachsenden Konflikt eingehen und schlie ßlich die Jerusalemer Ereignisse (Tempelaktion, letztes Mahl, Prozess) nachzeichnen. Am Beginn steht eine knappe forschungsgeschichtliche Besinnung, die das eigene Unternehmen als Entwurf eines »Modellbildes von Jesus von Nazaret« beschreibt, das unter dem doppelten Anspruch »der historischen Plausibilität und der theologischen Ergiebigkeit« steht (28).
Die beiden Voraussetzungen für das Auftreten Jesu seien die israelitisch-jüdischen Traditionen von der Königsherrschaft Gottes sowie die Gerichtsbotschaft des Täufers Johannes. In diesem Horizont sei das Wirken Jesu als »Proklamation der nahegekommenen und bereits hereinbrechenden Gottesherrschaft« zu charakterisieren, die im Zentrum aller Bereiche seiner Wirksamkeit stehe. Niemand illustriert dies anhand der Seligpreisungen, der Heilungen, der Mahlgemeinschaften mit S ündern und Ausgeschlossenen, der radikalen Ethik Jesu sowie der Gleichnisse. Er stellt dies in knappen Skizzen von ca. zwei Seiten dar, die die genannten Aspekte benennen, jedoch nicht ausf ührlicher untersuchen. Jesus habe keine »neue Religion« gründen wollen, sondern stehe mit seinem besonderen Anspruch, die Gottesherrschaft herbeizuf ühren, mitten in der Religion Israels. Konkretisieren lasse sich dieser anhand der Abba-Anrede Gottes, der Selbstbezeichnung als Menschensohn sowie des als »Proexistenz« (Heinz Schürmann) zu beschreibenden Selbstverständnisses Jesu. Dieses biete zugleich einen Anhaltspunkt für die Bedeutung, die Jesus seinem Tod beigemessen habe. Damit ist ein für die Gesamtthese des Buches zentraler Aspekt benannt.
Mit seinem Anspruch sei Jesus in Konflikte mit jüdischen Gruppen und Autoritäten sowie mit politischen Instanzen geraten. Niemands Darstellung leidet in diesem Teil insgesamt darunter, dass die neuere Diskussion über das Galiläa zur Zeit Jesu und die Herrschaft des Antipas nicht berücksichtigt und auch nicht zwischen den politischen Konstellationen in Galiläa und Judäa differenziert wird. Stattdessen perpetuiert Niemand die These von Galiläa als einem »Herd von Aufstandsbewegungen« (165), die längst als unzutreffend aufgewiesen wurde. Die Darstellung basiert hier somit auf einem überholten Forschungsstand und zeichnet ein unzutreffendes Bild der galiläischen Situation zur Zeit von Antipas und Jesus.
Der weitaus umfangreichste Teil des Buches ist Jesu »Zug nach Jerusalem« und den dortigen Ereignissen gewidmet. Die Tempelaktion sei eine bewusste Störung des Kultbetriebs gewesen, mit der Jesus Menschen zur Umkehr und zum Eintritt in die von ihm verk ündigte Königsherrschaft Gottes bewegen wollte. Eine Forderung nach Kultreform oder gar Abschaffung des Tempels sei darin nicht zu erkennen. Das Abschiedsmahl sei als »zugespitzter Ausdruck und zeichenhaft-punktueller Vollzug von Jesu proexistenter Lebenshaltung (Brothandlung und -wort) « sowie als Zuversicht der sich nach seinem Tod endgültig durchsetzenden Gottesherrschaft (das »Verzichtswort« Mk 14,25 als ursprüngliche Deutung der Kelchhandlung) zu verstehen. Das ausführliche fünfte Kapitel (»Jesus vor Gericht«) ist dem Prozess gegen Jesus gewidmet. Niemand stellt die zur Verfügung stehenden außerchristlichen und christlichen Quellen vor, geht auf die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen ein und fragt nach den Gründen, die zur Hinrichtung Jesu geführt haben.
Am Ende kommt Niemand auf die Frage zurück, ob Jesus in seinem Tod einen Sinn sah. Er setzt sich dazu mit Rudolf Bultmanns provokativen Sätzen auseinander: »Ob oder wie Jesus in ihm (sc. seinem Schick sal) einen Sinn gefunden hat, können wir nicht wissen. Die Möglichkeit, daß er zusam menge bro chen ist, darf man sich nicht verschleiern«. Niemand stellt zunächst heraus, dass Bultmann damit lediglich eine historische Möglichkeit zum Ausdruck bringen wollte, die nicht ausgeschlossen werden dürfe. Niemand zufolge lässt sie sich allerdings durchaus mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen. Die Quellen würden nämlich die Annahme, Jesus habe auch seinen Tod als Bestandteil seiner auf die Gottesherrschaft bezogenen Proexistenz verstanden, deutlich näherlegen. Damit sei zugleich ein Ansatzpunkt für die Verbindung von Wirken und Tod Jesu zum Osterglauben des Urchristentums gegeben.


Niemands Darstellung ist eine sorgfältige Rekonstruktion des Weges Jesu mit Schwerpunkt auf den Jerusalemer Ereignissen und den Umständen, die zur Verurteilung und Hinrichtung Jesu ge­führt haben. Hervorzuheben ist die hermeneutische Reflexion des Verhältnisses von historischer Rekonstruktion und je neuer Interpretation der Quellen, die zu einem »Modellbild« von Jesus führt. Jesu Selbstverständnis als Bote der anbrechenden Gottesherrschaft, die darauf basierende Sicht auf seinen Tod und der sich daraus ergebende Zusammenhang von Wirken des irdischen Jesus und nach österlichem Glauben sind dabei die für Niemands Entwurf besonders markanten Aspekte. Inhalte des Wirkens Jesu wie Stellung zum Gesetz, Ethos, Heilungen, Mahlgemeinschaften u. a. treten dagegen nur sehr verk ürzt in den Blick. Daraus resultiert eine Unausgewogenheit der Darstellung, da die letzten Tage Jesu in Jerusalem mit seinem galil äischen Wirken kaum vermittelt werden. Eine weitere Schwäche liegt in der Nicht-Berücksichtigung der neueren Forschung zum historischen Kontext Jesu.51 Hier fehlt eine Dis kussion der einer gegenwärtigen Jesusdarstellung zu Grunde zu legenden archäologischen und literarischen Quellen, durch die Niemands Entwurf deutlich an Profil hätte gewinnen können.
Insgesamt ist somit zu urteilen, dass Niemands Darstellung vornehmlich einen Beitrag zum Verständnis der Jerusalemer Ereignisse, zu den Gründen der Hinrichtung Jesu sowie seinem Selbstverständnis als Repräsentant der Gottesherrschaft – einschließlich seines Todes – leistet. Die Einzeichnung Jesu in den kulturellen und religiösen Horizont seiner Zeit kommt demgegenüber deutlich zu kurz.

3. Perspektiven künftiger Jesusforschung



Im Folgenden soll mit einigen Strichen skizziert werden, wo angesichts des gegenwärtigen Diskussionsstandes Schwerpunkte der künftigen Jesusforschung liegen könnten. Wir setzen dazu noch einmal bei den eingangs formulierten Bemerkungen zum doppelten »Kontext« Jesu ein, in dem sich jede Beschäftigung mit seiner Person bewegt: dem historischen Kontext seines Auftretens und demjenigen Kontext, in den hinein eine Repräsentation seiner Person in späteren Darstellungen gestellt wird.

Eine wichtige Aufgabe künftiger Jesusforschung liegt darin, den erstgenannten Kontext des »historischen Jesus« für die Deutung seines Wirkens und Geschicks auszuleuchten. Dafür sind die oben genannten Arbeiten der Galiläaforschung fruchtbar zu machen. Diese haben in umfassender Weise Kenntnisse über die kulturellen, religiösen und politischen Verhältnisse der Region zur Zeit Jesu und darüber hinaus zu Tage gefördert. Ein Blick in neuere Jesusdarstellungen zeigt, dass diese Einsichten noch keineswegs zum selbstverst ändlichen Bestandteil der Jesusforschung geworden sind. Dies liegt zum Teil daran, dass die Konsequenzen dieser Forschungen f ür eine Darstellung der Person Jesu erst ansatzweise deutlich werden. Es liegt aber offenbar auch daran, dass die entsprechenden Publikationen nur partiell wahrgenommen werden.

Die Relevanz der Arbeiten zum historischen Kontext Jesu zeigt sich bereits daran, dass sie zu einer präziseren Einzeichnung seines Wirkens in das antike Judentum geführt haben. Es ist deutlich geworden, dass weder ein Bezug auf sein Auftreten, der die konkreten Konstellationen außer Acht lässt, in denen es sich vollzog, noch eine Einordnung seines Wirkens in vermeintlich allgemeine Strukturen der Mittelmeerwelt die Basis für eine vor den Quellen verantwortete Jesusdarstellung sein können. Stattdessen ist der historische Kontext Jesu anhand derjenigen Spezifika zu beschreiben, die sich für das Galiläa zur Regierungszeit des Antipas sowie für die zeitgleiche Situation in Judäa eruieren lassen. Als wichtiges Ergebnis der neueren Galiläaforschung kann dabei festgehalten werden, dass sich sowohl die These eines »heidnischen Galiläa« als auch diejenige von Galiläa als einem von sozialen Spannungen und revolutionären Stimmungen geprägten »Unruheherd« als Forschungsmythen erweisen, die zur Propagierung bestimmter Jesusbilder (der nicht-jüdische bzw. der sozialrevolutionäre Jesus) dienten. Die archäologischen und literarischen Quellen vermitteln jedoch ein anderes Bild, und auch die Jesus überlieferung selbst weist in eine andere Richtung.52 Die Quellen berichten weder von politischen Aufständen unter Antipas noch geben sie soziale Verwerfungen größeren Ausmaßes zu erkennen. Galiläa war zudem im 1. Jh. nicht römisch besetzt. Diese Situation wird in Jesusdarstellungen noch viel zu selten berücksichtigt. Das Umfeld Jesu erweist sich demnach als viel weniger spektakulär als zuweilen behauptet, und es liefert jedenfalls nicht den Hintergrund für eine sozialrevolutionäre Ausrichtung seines Wirkens.53

Damit ist nicht in Abrede gestellt, dass die Hinwendung zu den Armen und Ausgegrenzten einen wichtigen Bestandteil des Wirkens Jesu dargestellt hat. Etliche Texte der frühen Jesusüberlieferung geben vielmehr deutlich zu erkennen, dass dies zum Kern seines Auftretens geh örte. Der Grund hierfür ist aber offensichtlich nicht in erster Linie in den sozialen und politischen Verh ältnissen Galiläas zu suchen, sondern in seiner Überzeugung, die in seinem Wirken anbrechende Gottesherrschaft zeitige nicht zuletzt Konsequenzen für die Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse. Dies ist allerdings nicht auf den Widerstand gegen soziales Unrecht zu verengen, sondern greift deutlich tiefer in die Formen menschlichen Zusammenlebens ein. Jesu Verkündigung erweist sich in dieser Hinsicht als »revolutionärer«, als es die einseitige Betonung seines angeblichen Widerstandes gegen Ausbeutung und soziales Unrecht suggeriert.

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Jesusforschung betrifft die Frage nach der Rezeption seines Wirkens und Geschicks in nach österlicher Zeit. Die Evangelien beschreiben seinen Weg ausgehend von der Überzeugung, dass sein irdisches Wirken in der Autorität Gottes erfolgte und er der von Gott Auferweckte und Erhöhte ist. Dabei lassen sie keinen Zweifel daran, dass die Erzählung von seinem Wirken und Geschick unverzichtbar ist, um dieser Überzeugung Ausdruck zu verleihen. Dies hat zu narrativen Repräsentationen der Person Jesu geführt, bei denen solche Aspekte, die sich unmittelbar mit seinem Wirken in Verbindung bringen lassen – wie etwa seine Verkündigung der anbrechenden Gottesherrschaft oder seine Mahlgemeinschaften – neben solchen stehen, die bereits theologische Deutungen dieser Ereignisse sind – wie etwa die Darstellungen des letzen Mahles – und schließlich mit solchen verbunden wurden, die als nachösterliche Interpretationen erkennbar über das irdische Wirken Jesu hinausgehen – wie etwa die Geburtserzählungen bei Mt und Lk oder die Bildreden des johanneischen Jesus.

Eine wesentliche Dimension künftiger Jesusforschung besteht darin, die Darstellungen seiner Person in den Evangelien und eine historisch-kritische Beschreibung seines Wirkens so miteinander in Beziehung zu setzen, dass die frühchristlichen Glaubensüberzeugungen als Deutungen des Wirkens und Geschicks Jesu plausibel werden. Inwieweit dabei auch apokryphe Schriften einzubeziehen sind, bleibt einer jeweiligen Einzeluntersuchung vorbehalten. Es zeichnet sich jedoch ab, dass die Apokryphen f ür die Frage nach dem historischen Jesus von untergeordneter Bedeutung sind. Sie geben stattdessen Einblicke in eine überaus bunte Christentumsgeschichte des 2. und 3. Jh.s.

Angesichts der gegenwärtigen Diskussionslage ist schließlich von besonderer Bedeutung, dass die historische und die theologische Dimension der Jesusforschung nicht als zwei separate Diskurse betrachtet werden, bei denen der letztere auf die Ergebnisse des ersteren zurückgreift und ihn nunmehr theologisch vertieft oder gar die Parameter vorgibt, innerhalb derer sich historisch-kritische Forschung zu vollziehen habe. Historische Forschung – und dies trifft für die Jesusforschung noch einmal in besonderer Weise zu – ist stets ein hermeneutisches Unternehmen, bei dem die Vergangenheit im Licht der jeweiligen Gegenwart angeeignet wird. Dieser Prozess ist deshalb prinzipiell unabgeschlossen und kann auch nicht unter vermeintlich zeitlos gültige philosophische oder theologische Prämissen gestellt werden.

Die eingangs genannte Unterscheidung von »historischem Jesus« und »geglaubtem Christus« hat dabei für die neuzeitliche Jesusforschung durchaus heuristischen Wert. Bezeichnet sind da mit jedoch Perspektiven, die nicht als gegensätzlich, sondern als komplementär aufzufassen sind. Die Jesusforschung wird deshalb nur dann produktiv weiterzuentwickeln sein, wenn es gelingt, die theologische Relevanz ihrer historischen Ergebnisse und die historische Verankerung ihrer theologischen Urteile gleicherma ßen zur Geltung zu bringen. Insofern ist sie ein Gebiet theologischer Forschung, an dem die Integration exegetisch-historischer und systematisch-theologischer Arbeit exemplarisch deutlich werden kann.

Dabei ist der exegetische Befund, dass in den Evangelien des Neuen Testaments unterschiedliche Jesusbilder mit je eigenen in haltlichen Akzentuierungen vorliegen, systematisch zu reflektieren. Er führt zu der – geschichtshermeneutisch und nicht zu letzt auch homiletisch relevanten – Einsicht, dass die erkenntnistheoretischen und philosophischen Paradigmen, mit denen die biblischen Schriften erschlossen werden, diesen Texten selbst stets nachgeordnet sind. Die reformatorische Vorordnung der Schrift als norma normans entfaltet hier somit ihr hermeneutisches Potential im Blick auf die Verhältnisbestimmung von Text und Interpretation. Dies führt zu der Einsicht, dass die Person Jesu durch alle literarischen Entwürfe, angefangen von den Evangelien des Neuen Testaments und endend bei den je gegenw ärtigen Jesusdarstellungen, selektiv und perspektivisch repräsentiert wird, dabei aber niemals vollständig eingeholt werden kann.

Der Jesusforschung kommt schließlich die Aufgabe zu, die historische Verankerung des christlichen Glaubens im Wirken und Geschick einer konkreten Person im Bewusstsein zu halten. Dies ist zum einen gegen über solchen Tendenzen zur Geltung zu bringen, die den Bezug auf Jesus durch eine Diktion der »Eigentlichkeit« sichern wollen und dabei suggerieren, die Differenz zwischen dem durch kritische Quellenanalyse zu erhebenden Bild der historischen Person und dieser Person selbst aufzuheben. Es gilt zum anderen gegenüber denjenigen Versuchen, die das Gegenüber von »historischem Jesus« und »Christus des Glaubens« als Diastase auffassen und dabei ihre eigene, prinzipiell vorläufige und falsifi­zierbare historische Rekonstruktion mit dem »wirklichen Jesus« gleichsetzen.

Nicht zuletzt wegen des kirchlichen und öffentlichen Interesses an der Person Jesu steht christliche Theologie in der Verantwortung, den unaufl öslichen Zusammenhang zwischen historischer Rekonstruktion und je aktueller Interpretation hermeneutisch zu reflektieren und in einer solchen Weise zu kommunizieren, dass die darin liegende zweifache Perspektive auf den Kontext Jesu er­kennbar wird.

Summary



The article discusses recent tendencies in Jesus research. They all present the person of Jesus relative to two different contexts: the historical context of his work and life on the one hand, and the context to which the account is addressed on the other.

A first focus of research is thus the exploration of the his­tor-ical, cultural and religious situation of Galilee. The results, often through excavations, are essential for the interpretation of the work of Jesus. A second area of discussion are the recent portrayals of the person of Jesus from exegetical and theological perspectives.

Future Jesus research will have to concentrate more on a hermeneutical mediation of the historical and contemporary contexts. The opposition between the »historical Jesus« and the »Christ of faith« that characterizes modern Jesus research must be overcome by an interpretation of these two perspectives as complementary perceptions of the historical anchorage of the Christian faith. A major challenge of future Jesus research will be to bring out the theological point of the historical dimension of Christian faith.

Fussnoten:

1) Zu dieser Unterscheidung vgl. J. Schröter, Jesus von Nazaret. Jude aus Galiläa – Retter der Welt (BG 15), Leipzig 2006, 21 f. Mit dem »irdischen Jesus« ist die Person Jesu als »ideale Größe« gemeint, auf die sich alle späteren Darstellungen beziehen, die aber von diesen Repräsentationen stets unterschieden bleibt. Die Bezeichnung »historischer Jesus« meint dagegen eine spezifische Form derartiger Repräsentationen, nämlich solche, die sich der Auswertung der Quellen nach den Maßstäben der historischen Kritik verpflichtet wissen. Damit unterscheiden sich diese Entwürfe methodisch (Quellenkritik) und hermeneutisch (Unterscheidung von »historischem Jesus« und »Christus des Glaubens«) von denjenigen der Evangelien. Wie diese stellen sie jedoch Repräsentationen der Person Jesu aus späterer Perspektive dar und sind deshalb von dem »irdischen Jesus« zu unterscheiden.
2) Vgl. dazu vor allem R. Bultmann, Das Verhältnis der urchristlichen Chris­tusbotschaft zum historischen Jesus, in: Ders., Exegetica. Aufsätze zur Erforschung des Neuen Testaments, ausgewählt, eingeleitet und herausgegeben von Erich Dinkler, Tübingen 1967, 445–469.
3) Dies geschieht – gewissermaßen spiegelverkehrt – sowohl bei Rudolf Bultmann als auch bei den frühen Entwürfen der »Third Quest of the historical Jesus«. Wollte Ersterer die theologische Irrelevanz der von den Quellen her s. E. gar nicht möglichen historischen Rückfrage nach Jesus erweisen, so setzten Letztere, genau entgegengesetzt, den »historischen« mit dem »wirklichen« Jesus gleich und stellten ihn den urchristlichen Glaubenszeugnissen entgegen. Eine theologisch wie geschichtshermeneutisch sinnvolle Grundlage für die Frage nach dem historischen Jesus kann nur jenseits dieser Alternative gefunden werden.
4) Vgl. hierzu in neuerer Zeit die beiden Studien von G. Häfner, Konstruktion und Referenz: Impulse aus der neueren geschichtstheoretischen Diskussion, sowie ders., Das Ende der Kriterien? Jesusforschung angesichts der geschichtstheoretischen Diskussion, in: K. Backhaus/G. Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese (BThSt 86), Neukirchen-Vluyn 2007, 67–96 bzw. 97–130.
5) Erinnert sei an R. Kosellecks Formulierung vom »Vetorecht der Quellen«: Sie verhindern Deutungen, die auf Grund des Befundes unzulässig sind, sagen uns aber nicht, was wir sagen sollen (vgl. ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt 1979, 206).
6) Vgl. dazu J. Schröter, Von der Historizität der Evangelien. Ein Beitrag zur gegenwärtigen Diskussion um den historischen Jesus, in: Ders., Von Jesus zum Neuen Testament. Studien zur urchristlichen Theologiegeschichte und zur Entstehung des neutestamentlichen Kanons (WUNT 204), Tübingen 2007, 105–146: 129–143.
7) Vgl. etwa L. Levine (Ed.), The Galilee in Late Antiquity, New York-Jerusalem 1992; D. R. Edwards/C. T. McCollough (Eds.), Archaeology and the Galilee. Texts and Contexts in the Graeco-Roman and Byzantine Periods, Atlanta 1997; E. M. Myers (Ed.), Galilee through the Centuries. Confluence of Cultures, Winona Lake 1999.
8) Vgl. bereits S. Freyne, Galilee from Alexander the Great to Hadrian. A Study of Second Temple Judaism, Notre Dame-Wilmington 1980; sodann: Ders., Galilee, Jesus and the Gospels. Literary Approaches and Historical Investigations, Dublin-Minneapolis 1988; ders., Galilee and Gospel. Collected Essays (WUNT 125), Tübingen 2000. Freyne hat darüber hinaus zahlreiche Beiträge zu Galiläa und seiner Bedeutung für die Jesusforschung für verschiedene Zeitschriften und Sammelbände verfasst.
9) S. Freyne, Jesus, a Jewish Galilean. A New Reading of the Jesus Story, London-New York 2004 (vgl. ThLZ 130 [2005], 1186–1189).
10) J. L. Reed, Archaeology and the Galilean Jesus. A Re-examination of the Evidence, Harrisburg 2000. Vgl. auch ders./J. D. Crossan, Excavating Jesus: Beneath the Stones, Behind the Texts, San Francisco 2001 (dt. 2003; vgl. ThLZ 129 [2004], 180–182).
11) Chancey, Mark A.: Greco-Roman Culture and Galilee of Jesus. Cambridge: Cambridge University Press 2005. XVII, 285 S. m. 1. Kt. 8° = Society for New Testament Studies Monograph Series, 134. Lw. £ 56,00. ISBN 978-0-521-84647-9.
12) M. A. Chancey, The Myth of a Gentile Galilee, Cambridge 2002 (vgl. ThLZ 130 [2005], 35–37).
13) Zangenberg, Jürgen, Attridge, Harold W., and Dale B. Martin [Eds.]: Religion, Ethnicity, and Identity in Ancient Galilee. A Region in Transition. Tübingen: Mohr Siebeck 2007. XVI, 509 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 210. Lw. EUR 124,00. ISBN 978-3-16-149044-6.
14) M. H. Jensen, Herod Antipas in Galilee. The Literary and Archaeological Sources on the Reign of Herod Antipas and its Socio-Economic Impact on Galilee (WUNT II.215), Tübingen 2006 (vgl. ThLZ 133 [2008], 379–381).
15) Vgl. dazu auch das entsprechende Kapitel »Message and Minting – The Coins of Herod Antipas« seines in Anm. 14 genannten Buches (dort 187–217) sowie seinen Beitrag in dem unten besprochenen Band »Jesus und die Archäologie Galiläas« (vgl. Anm. 22).
16) M. Bernett, Der Kaiserkult in Judäa unter den Herodiern und Römern. Untersuchungen zur politischen und religiösen Geschichte Judäas von 30 v. bis 66 n. Chr. (WUNT 203), Tübingen 2007.
17) So Karrer in seinem Beitrag, 51 (vgl. Anm. 13).
18) Soll ihn etwa die Bezeichnung »Fuchs« in Lk 13,32 als einen geschickt taktierenden Politiker charakterisieren?
19) J. H. Charlesworth (Ed.), Jesus and Archaeology, Grand Rapids-Cam­bridge 2006 (vgl. ThLZ 132 [2008], 255–257).
20) J. D. G. Dunn, Jesus Remembered (Christianity in the Making, Volume I), Grand Rapids-Cambridge 2003, 293–306 (vgl. ThLZ 130 [2005], 37–40).
21) J. S. Kloppenborg Verbin, Dating Theodotos (CIJ II 1404), JSJ 51 (2000), 243–280.
22) Claußen, Carsten, u. Jörg Frey [Hrsg.]: Jesus und die Archäologie Galiläas. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2008. 327 S. 8° = Biblisch-Theologische Studien, 87. Kart. EUR 34,90. ISBN 978-3-7887-2205-0.
23) K.-H. Ostmeyer, Armenhaus und Räuberhöhle? Galiläa zur Zeit Jesu, ZNW 96 (2005), 147–170.
24) Als eindrückliches Beispiel detaillierter Untersuchung der in einem Gleichnis vorausgesetzten Verhältnisse sei verwiesen auf J. S. Kloppenborg, The Tenants in the Vineyard. Ideology, Economics, and Agrarian Conflict in Jewish Palestine (WUNT 195), Tübingen 2006.
25) Vgl. Anm. 9.
26) Vgl. dazu M. Hengel, War Jesus Revolutionär?, in: Ders., Jesus und die Evangelien. Kleine Schriften V (WUNT 211), Tübingen 2007, 217–244. Der Beitrag geht zurück auf die Erlanger Antrittsvorlesung des Verfassers im Jahr 1969 (!). Im Anhang ist der Brief einer »Palästinafront« an die Westberliner Pfarrerschaft aus demselben Jahr abgedruckt, in dem zur Unterstützung der Al Fatah aufgerufen wird, die gegen »die Zionisten und deren Hintermänner« kämpfe »(w)ie Christus gegen die römische Besatzungsmacht«. Derartige Ideologisierungen der Gestalt Jesu lassen sich durch Hinweise auf die Quellen entlarven. Nicht zuletzt dazu leistet die Galiläaforschung einen wichtigen Beitrag.
27) M. Hengel/A. M. Schwemer, Jesus und das Judentum (Geschichte des frühen Christentums, Band 1), Tübingen 2007.
28) J. Ratzinger/Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Erster Teil: Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung, Freiburg-Basel-Wien 2007 (vgl. ThLZ 132 [2007], 798–803).
29) T. Söding (Hrsg.), Das Jesusbuch des Papstes – die Antwort der Neutestamentler, Freiburg-Basel-Wien 2007.
30) Vgl. etwa M. Ebner/R. Hoppe/T. Schmeller, Der »historische Jesus« aus der Sicht Joseph Ratzingers. Rückfragen von Neutestamentlern zum päpstlichen Jesusbuch, BZ 52/1 (2008), 64–81.
31) Söding, Thomas [Hrsg.]: Ein Weg zu Jesus. Schlüssel zu einem tieferen Verständnis des Papstbuches. Freiburg-Basel-Wien: Herder 2007. 110 S. 8°. Kart. EUR 7,90. ISBN 978-3-451-29869-1.
32) Lüdemann, Gerd: Das Jesusbild des Papstes. Über Joseph Ratzingers kühnen Umgang mit den Quellen. Springe: zu Klampen 2007. 158 S. 8°. Geb. EUR 9,95. ISBN 978-3-86674-010-5.
33) Bubolz, Georg: Das Buch des Papstes: Jesus von Nazareth. Informationen, Hintergründe, Denkanstöße. Düsseldorf 2007.
34) Tück, Jan-Heiner [Hrsg.]: Annäherungen an »Jesus von Nazareth«. Das Buch des Papstes in der Diskussion. Ostfildern: Matthias-Grünewald-Verlag 2007. 200 S. 8°. Geb. EUR 17,90. ISBN 978-3-7867-2696-8.
35) »Jesus von Nazareth« kontrovers. Rückfragen an Joseph Ratzinger. M. Beiträgen v. K. Lehmann, Ch. Schönborn, A. Holl, K. Berger, K. H. Ohlig, A. Franz, P. Weß, M. Plattig, M. Gerwing, H. Häring, H. Küng, H. Albert, H. J. Helle u. E. A. Knauf. Münster-Berlin: LIT 2007. 160 S. m. Abb. gr.8° = Theologie aktuell, 1. Kart. EUR 17,90. ISBN 978-3-8258-0599-9.
36) Häring, Hermann [Hrsg.]: »Jesus von Nazareth« in der wissenschaftlichen Diskussion. Münster-Wien-Berlin: LIT 2008. VI, 366 S. gr.8° = Wissenschaftliche Paperbacks, 30. Kart. EUR 34,90. ISBN 978-3-8258-0823-5.
37) Für die exegetisch-historische und die systematisch-theologische Dis­kus­sion wäre es gleichermaßen folgenlos, wenn das Buch als »lehramtlicher Akt« deklariert worden wäre. Der Sinn dieser Bemerkung ist deshalb nicht recht zu erkennen.
38) Vgl. die kritische Auseinandersetzung mit der in dieser Rede entfalteten Verhältnisbestimmung von biblischem Gottesglauben und griechischer Philosophie durch Ch. Markschies, Was leistet die wissenschaftliche Theologie für Hochschule und Gesellschaft?, in: Die Bedeutung der wissenschaftlichen Theologie für Kirche, Hochschule und Gesellschaft (EKD-Texte 90, 2007), 47–66. Vgl. auch N. Slenczkas Einleitung zum Beiheft der BThZ »Die Vernunft der Religion« (2008), 5–18, bes. 10 f.
39) Ringleben, Joachim: Jesus. Ein Versuch zu begreifen. Tübingen: Mohr Siebeck 2008. XIV, 680 S. gr.8°. Kart. EUR 49,00. ISBN 978-3-16-149832-9.
40) Die Antithesen der Bergpredigt werden in toto und in ihrer matthäischen Gestalt auf Jesus zurückgeführt. Als Grund dafür werden ihre »systematische Kohärenz« und »innere Übereinstimmung« genannt, die nicht erfunden sein könnten (160, Anm. 121). Die eigenartige Alternative »Kohärenz versus Erfindung« ist nur schwer nachzuvollziehen und geht an der exegetischen Diskussion vorbei. Sondergut aus Mt (Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen) und Lk (großer Fischzug) wird ohne Diskussion des überlieferungsgeschichtlichen Status einbezogen.
41) Ringleben nennt dies allerdings »neuere Gleichnisforschung« und verweist auf Eberhard Jüngel und Hans Weder. Für seine Interpretation des Vaterunsers beruft er sich in ähnlicher Weise beinahe ausschließlich auf Joachim Jeremias.
42) Vgl. etwa a. a. O., 368: »Eine gewisse sich schon unbefangener Wahrnehmung aufdringende Mächtigkeit und Prägnanz natürlicher Phänomene, ihr Glanz und ihre tiefe Schönheit scheinen Jesus beeindruckt zu haben.«
43) E. Lohmeyer hatte in seiner denkwürdigen Rezension des Jesusbuches von Rudolf Bultmann (ThLZ 52 [1927], 433–439) formuliert: »Was also das Buch geben will und nur gibt, das ist nichts anderes als ›das Werk‹; und mit Werk ist bei geschichtlichen Gestalten ›von ihrem Blickpunkt aus das gemeint, was sie eigentlich gewollt haben‹ … man weiß nicht was das ›eigentlich‹ bedeuten soll, man kann auch sagen, wie es Max Weber getan hat, daß solche Gespenster wie eigentlicher Wille in der Geschichte nicht ihr Wesen treiben« (437 f.). Auch der Darstellung Ringlebens liegt eine eigenartige Sicht des historischen Befundes zu Grunde, wenn er ihn dem gegenüberstellt, was von Jesus »eigentlich« zu begreifen sei.
44) Zwar finden sich bei Ringleben gelegentlich Bemerkungen zur Komposition der einzelnen Evangelien. Diese spielen jedoch für die Auslegungen der Texte selbst keine Rolle. Wird auf diese Weise nicht die grundlegende Einsicht von Karl Ludwig Schmidt unterlaufen, dass der »Rahmen der Geschichte Jesu« ein Produkt der Verfasser der Evangelien ist und nicht auf unmittelbarer historischer Anschauung beruht?
45) Besonders signifikant ist, dass Ringleben sein Schlusskapitel, in dem er den Ertrag seines Buches summiert, mit einem Rekurs auf Ratzinger eröffnet (652).
46) R. Bauckham, Jesus and the Eyewitnesses. The Gospels as Eyewitness Testimony, Grand Rapids-Cambridge 2007 (vgl. ThLZ 132 [2007], 1067–1069).
47) Robinson, James M.: Jesus und die Suche nach dem ursprünglichen Evangelium. Aus d. Amerikan. übers. v. H.-D. Knigge. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007. 229 S. 8°. Geb. EUR. 25,90. ISBN 978-3-525-57307-5 (engl. Original 2005).
48) Zager, Werner: Jesus aus Nazareth – Lehrer und Prophet. Auf dem Weg zu einer neuen liberalen Christologie. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2007. 128 S. 8°. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-7887-2209-8.
49) So begegnen etwa im ersten und dritten Beitrag zum Teil identische Textpassagen, die hätten vereinheitlicht werden können.
50) Niemand, Christoph: Jesus und sein Weg zum Kreuz. Ein historisch-rekonstruktives und theologisches Modellbild. Stuttgart: Kohlhammer 2007. 544 S. gr.8°. Kart. EUR 29,00. ISBN 978-3-17-019702-2.
51) Die Bücher von J. L. Reed (2000) und M. A. Chancey (2002 bzw. 2005) und das Jesusbuch von J. D. G. Dunn (2003) werden nicht einmal im Literaturverzeichnis erwähnt.
52) Dass etwa die Jünger Jesu als Fischer vom See Gennesaret zu einer armen, ausgebeuteten Unterschicht gehört hätten, wie mitunter behauptet, ist angesichts des einträglichen Gewerbes, das die dortige Fischerei darstellte, kein plausibles Szenario. Auch Stellen wie Mk 1,16–20 und 10,28–30 vermitteln ein anderes Bild.
53) Verwiesen sei dazu noch einmal auf den Aufsatz von Ostmeyer (vgl. oben Anm. 23).