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Ausgabe:

November/2006

Spalte:

1107–1122

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Evers, Dirk

Titel/Untertitel:

Hirnforschung und Theologie

Während Friedrich Nietzsche das kritisch-aufklärerische Potential der Neurophysiologie auf die Kreise einer intellektuellen Avantgarde beschränkt sah, so dass zu »wissen z. B., daß man ein Nervensystem habe (­ aber keine 'Seele' ­), ... immer noch das Vorrecht der Unterrichtetsten«1 bleibt, schickt sich die jüngste Hirnforschung an, nicht mehr nur bei den »Unterrichtetsten«, sondern auf breiter Front der Einsicht Geltung zu verschaffen, dass seelische Vorgänge wie freier Wille, Ich-Bewusstsein, aber auch Religion durch nichts anderes hervorgebracht werden als durch die elektro-chemischen Operationen des Gehirns. Entsprechend sei das Inventar »metaphysischer« Begriffe des Geistig-Seelischen gründlich zu entrümpeln.

Dabei spielen die neuen bildgebenden Verfahren der Hirnforschung eine nicht unerhebliche Rolle. Musste der traditionelle Behaviorismus noch an der Außenhaut des Menschen Halt machen, sich auf den funktionalen Zusammenhang von Reiz und Reaktion beschränken und die Vorgänge im Innern des Menschen als Mechanismen in einer black box betrachten, so scheinen die neuen Verfahren nun einen Blick ins Innere des Menschen zu gewähren. Man könne nun, so eine beliebte Formulierung, »dem Geist bei der Arbeit zuschauen« und dabei feststellen, »dass sämtliche innerpsychischen Prozesse mit neuronalen Vorgängen in bestimmten Hirnarealen einhergehen«.2 Auch wenn dabei noch längst nicht alle Details aufgeklärt sind, lege dies doch den Schluss nahe, »dass alle diese Prozesse [wie Imagination, Empathie, Erleben, Planen etc.] grundsätzlich durch physikochemische Vorgänge beschreibbar sind ... Geist und Bewusstsein ... fügen sich also in das Naturgeschehen ein und übersteigen es nicht«.3

Die folgenden Ausführungen wollen sich mit den Konsequenzen aus diesem Anspruch in theologischer Perspektive auseinandersetzen. Dazu wird in einem ersten Teil ein Überblick über einige relevante Erkenntnisse der Hirnforschung geboten. Der zweite Teil wird sich dann mit solchen Interpretationen auseinandersetzen, die eine Neubestimmung unseres Menschenbildes proklamieren. Diese Auseinandersetzung konzentriert sich auf drei wesentliche Punkte der Diskussion, die Frage nach der Willensfreiheit, nach den biologischen Grundlagen menschlicher Personalität und Identität sowie nach dem Verhältnis von Hirnvorgängen und menschlicher Religiosität.

1. Das Gehirn des Menschen

Die Hirnforschung hat den Aufbau und die Funktionsweise des menschlichen Gehirns bis in immer feinere Bereiche analysiert. Zum einen konnte der innere Aufbau des Gehirns genauer erforscht werden, zum anderen wurde die vielfach gefurchte Großhirnrinde als Sitz der kognitiven Funktionen identifiziert und in spezifische Bereiche differenziert. Durch funktionell bildgebende Verfahren gelang es, die unterschiedlichen Strukturen nach dem Maß ihrer Aktivität beim lebenden Objekt zu visualisieren. Solche Verfahren können aktivitätsabhängige Veränderungen des lokalen Blutflusses registrieren und lassen damit Rückschlüsse auf die Beteiligung der entsprechenden Hirnregion bei der untersuchten Aktivität zu. Zur Darstellung und Identifizierung der entsprechenden Hirnareale müssen allerdings die individuellen Besonderheiten des Hirnaufbaus bei den beteiligten Versuchspersonen4 durch statistische Verfahren ausgemittelt und auf ein zu Grunde gelegtes Standardgehirn abgebildet werden.

So suggestiv diese Bilder der lokalisierten Hirnaktivitäten auch daherkommen, es ist zu bedenken, dass immer das ganze Gehirn an allen Vorgängen beteiligt ist und die in den entsprechenden Visualisierungen hervorgehobenen Areale durch besonders intensive Aktivität gegenüber dem übrigen Gehirn auffallen. Im Allgemeinen organisiert sich das Gehirn als Ganzes beständig neu anhand der Informationen, die es aus dem Körper und über den Körper aus der Umwelt erhält und die es mit den schon vorhandenen Informationen korreliert. Die Behauptung, dass man mit Hilfe der bildgebenden Methoden in Echtzeit und unmittelbar der Gehirnaktivität »zuschauen« könnte, ist also nur sehr eingeschränkt richtig, handelt es sich doch bei den entsprechenden Visualisierungen um höchst artifizielle Konstrukte, deren Aussagekraft nur vor dem Hintergrund der Verfahren, ihrer Methodik und Grenzen bestimmt ist.5An sich gibt es beim lebenden Gehirn nichts zu sehen.

Unter Berücksichtigung dieser Vorbehalte gilt dann aber durchaus, dass diese Verfahren die Funktionalität vor allem der Großhirnrinde höchst differenziert darzustellen vermögen, bei der verschiedene Hirnareale für spezifische kognitive Aufgaben zuständig sind. Inzwischen sind die funktionalen Systeme der Körperwahrnehmung und Motorik, der verschiedenen Sinneswahrnehmungen, besonders auch des anspruchsvollen Sehsinns, bis hin zu höheren Verhaltensleistungen wie das Fixieren von Gegenständen und Gesichtern, das Sprechen und Sprachverstehen sowie Lernen und Erinnern gut untersucht. Dabei gilt, dass die beiden Hirnhälften zum einen auf die jeweils andere Körperhälfte bezogen sind und zum anderen manche Funktionen, die nicht auf paarige Wahrnehmungsorgane referieren, nur auf einer Hirnhälfte lokalisiert sind, wobei es hier größere individuelle Unterschiede geben kann. Zugleich besteht ein enger Zusammenhang zwischen den kognitiven Funktionen der Großhirnrinde und tiefer gelegenen Gehirnstrukturen, die für basale Funktionen wie das Aufrechterhalten des Bewusstseins, die Lenkung von Aufmerksamkeit und Motivation (Hirnstamm u. a.), das Erinnern und Vergessen (Hippokampus u. a.) und die emotionale Gestimmtheit des Menschen (so genanntes Limbisches System u. a.) zuständig sind.

Erstaunlich aber ist, dass trotz des modularen und teilweise hierarchischen Aufbaus des Gehirns keine oberste neurophysiologische Zentralinstanz zu identifizieren ist, in der alle Prozesse des Gehirns zusammenliefen. Es scheint also keine eigene Integrationsfunktion zu geben, bei der die auf eine Unzahl von beteiligten Neuronen verteilten Informationen zu einer Einheit zusammengefasst würden, die unserem Erleben von einheitlicher Wahrnehmung entspräche und insofern als das neuronale Korrelat für Bewusstsein gelten könnte. Vielmehr findet sich eine Fülle von Teilprozessen, die alle miteinander vernetzt sind und aus deren Zusammenspiel offensichtlich unser kohärentes Erleben und Verhalten generiert wird. Wie diese kontinuierliche Kohärenz erzeugt wird, ist im Grunde ungeklärt und wird als Bindungsproblem bezeichnet. Es scheint allerdings zumindest soviel deutlich zu sein, dass die Einbindung der parallel arbeitenden Module und Neuronengruppen durch Metarepräsentationen erfolgen muss, die ihrerseits als nicht-lokale, ganzheitlich-systemische Aktivitätsmuster zu verstehen sind. Oft wird angenommen, dass diese Einbindung der unterschiedlichen Teilprozesse in eine erlebnishafte Ganzheit durch zeitliche Synchronisation, die mit verschiedenen Zeitrastern arbeitet, erfolgt.6 Andere Forscher sehen in besonderen, die Areale übergreifenden Entladungsmustern die Grundlage der Kohärenz unserer Wahrnehmung,7 während wieder andere in dem Rätsel des Bindungsproblems einen Hinweis darauf sehen, dass uns eine Erklärung der Ganzheitlichkeit der Hirnprozesse nur mit Hilfe von quantentheoretischen Überlegungen gelingen wird, weil nur sie plausible Mechanismen zur Erzeugung von Kohärenzen und nicht-lokalen Ganzheiten innerhalb eines sich selbst organisierenden dynamischen Systems bereitstellen.8 Doch im Grunde hat das Bindungsproblem noch als ungelöst zu gelten.

Hinzu kommt der enorme Erkenntniszuwachs, was die Funktionalität der einzelnen Nervenzelle angeht. Man kann heute verschiedene Typen von Nervenzellen unterscheiden und kennt ihren Aufbau und die Funktionsweise der Signalweiterleitung recht gut. Immer größere Bedeutung hat die Übertragung der Erregung eines Neurons auf ein anderes bekommen, nachdem man erkannte, dass dies über einen kleinen Spalt zwischen den Zellen hinweg mit Hilfe von chemischen Substanzen, den so genannten Neurotransmittern, geschieht und zudem noch durch komplexe chemische und elektrochemische Rückkoppelungen vielfältig moduliert werden kann. Dazu kommen noch die langfristig wirkenden Neuropeptide und Neurohormone, von denen mehr als 100 bekannt sind.9 Vieles in diesem Wechselspiel ist noch unverstanden, doch wird immer mehr deutlich, wie sehr vor allem unser emotionales Erleben und Verhalten auf neurochemischer Grundlage ruht.

Weiter hat sich gezeigt, dass das Gehirn sich in ganz bestimmter Weise entwickelt, reift und dann auch altert. Wesentliche Verknüpfungen zwischen Nervenzellen und Arealen bilden sich erst nach der Geburt sukzessive und in Auseinandersetzung mit den Eindrücken aus der Umwelt aus, zum Teil auch dadurch, dass hypertrophe Verknüpfungen selektiv wieder abgebaut werden. Durch die hormonellen Unterschiede zwischen den Geschlechtern differenziert sich auch die Gehirnentwicklung. Wird auch vieles in dieser Entwicklung für den Rest des Lebens festgelegt, so zeigt sich doch zugleich ­ von der nahezu lebenslangen Lernfähigkeit ganz abgesehen ­ auch eine erstaunliche Plastizität des Gehirns, das Schädigungen oft gut kompensieren kann. Allein das Großhirn enthält grob geschätzt 50 Milliarden Nervenzellen, von denen jede durch etwa 10000 bis 15000 Synapsen mit anderen Nervenzellen verbunden ist. Dabei gilt, dass jedes corticale Neuron über höchstens zwei zwischengeschaltete Neuronen mit jedem anderen Neuron in Verbindung steht.10 Die Komplexität der Zustandsmöglichkeiten eines solchen Gebildes mit einer Synapsenzahl von ca. 1016 (!) ist ungeheuerlich und dürfte sich schon allein deswegen einer reduktionistischen, d. h. einer funktional analogen, aber algorithmisch komprimierten Analyse im Detail entziehen.

Überhaupt ist das menschliche Gehirn als ein offenes und dynamisches System zu beschreiben, bei dem durch nicht-lineare Rückkoppelungen und Selbstreferentialität ein dynamischer Erregungszustand erzeugt wird, der höchst sensitiv, oft äußerst schnell (»spontan«), irreversibel und mitunter unvorhersagbar auf Umweltreizungen reagiert und sie interpretiert.11 Das Gehirn ist also im nicht-pathologischen Wachzustand ständig aktiv und auf der Suche nach Kohärenz. »Wenn man zu lange dem System von außen keine stimmigen Signale gibt, wie man das bei sensorischer Deprivation beobachten kann, dann beginnt man zu halluzinieren, weil das System dann von sich aus irgendwelche Interpretationen in der festen Annahme liefert, dass irgendetwas da sein muss.«12 Das menschliche Gehirn ist also semper actuosus und nicht ein nur durch äußere Reize stimulierter Reaktionsapparat.13

Dass und wie das Gehirn die notwendige Bedingung von Bewusstsein, Wahrnehmung und Denken darstellt, wurde in der Geschichte der Hirnforschung vor allem anhand von Ausfallerscheinungen und Hirnschädigungen gelernt, die einen Menschen bis in den Kern seiner Persönlichkeit verändern können. Durch Schädigungen z. B. des Frontallappens kann sich der moralische Charakter einer Person so ändern, dass der enge Zusammenhang von Emotionalität, Antrieb und Entscheidungsrationalität tiefgreifend gestört ist.14 Erregungen des für die Raumwahrnehmung wichtigen Scheitellappens können so- genannte out-of-body-experiences und mitunter sogar Transzendenzerfahrungen, bei denen den Probanten göttliche Gestalten, Engel o. Ä. erscheinen, künstlich induzieren.15 Besonders gut dokumentiert sind spezifische Ausfälle des Sprachvermögens wie die Broca-Aphasie, die auf der Schädigung des Sprachzentrums auf dem linken, seitlichen Frontallappen sowie damit verbundener Strukturen besteht und sich in einer verlangsamten und entstellten Spontansprache äußert, ohne dass das Sprachverständnis gestört ist.

Es ist deutlich, dass wir in vielfältiger Weise in unserem Erleben und Denken, in unserem Fühlen und unserer Persönlichkeit von der Funktionalität unseres Gehirns abhängen. Zu einer besonderen Herausforderung wird diese Einsicht heute, weil auf Grund der Erfolge der modernen Intensivmedizin sich die Lebenserwartung deutlich erhöht hat, organische Erkrankungen erfolgreich bekämpft werden können und so die Alterung des Gehirns am Ende des Lebens häufiger und deutlicher zu Tage tritt als früher. Demenzen, Parkinson, Alzheimer und andere Krankheiten des alternden Gehirns betreffen immer mehr Menschen und ihre Angehörigen, und es stellt sich die Frage nach der Identität und Persönlichkeit eines Menschen, dessen geistiges Leben mit der Alterung seines Gehirns zerfällt. Zugleich liefert die Aktivität des Gehirns das heute gültige Todeskriterium, denn wir können mitunter rein physiologische Körperfunktionen künstlich verlängern, auch wenn die Hirnfunktionen eines Menschen längst erloschen sind. Einen Menschen ohne entscheidende Hirnfunktionen erklärt das Gesetz für tot. Daneben existieren Hirnzustände wie das Wachkoma oder andere irreversible Schäden großer Teile des Gehirns, die geradezu als Zwischenzustände zwischen Leben und Tod angesehen werden können.

Erst vor diesem Hintergrund konkreter Erkenntnisse der Hirnforschung, die uns den engen Zusammenhang zwischen den neurophysiologischen Vorgängen in unseren Gehirnen und unserem Selbstverständnis als fühlende, erkennende und denkende Wesen vor Augen führen, können wir uns der Frage nach dem Zusammenhang von Bewusstsein und materiellen Vorgängen so zuwenden, dass sie nicht nur als abstrakte Denksportaufgabe zur Lösung eines vertrackten semantischen Problems erscheint, sondern deutlich wird, welche Verschiebungen und Herausforderungen für unser Selbstverständnis aus der Hirnforschung möglicherweise erwachsen und wie wir uns in theologischer Perspektive dazu verhalten können.

2. Hirnforschung und »Menschenbild«

Elf führende Neurowissenschaftler haben vor einiger Zeit in einem öffentlichen »Manifest« dazu aufgerufen, sich intensiver mit den Folgerungen der Hirnforschung auseinanderzusetzen. In dem Maße, in dem die Ergebnisse der Hirnforschung einer breiteren Bevölkerung bewusst werden, werden sie »auch zu einer Veränderung unseres Menschenbilds führen«. Die Forscher identifizieren zwei Bereiche, in denen nach ihrer Auffassung diese Veränderungen bis ins Alltagsbewusstsein durchschlagen werden. Zum einen werden dualistische Erklärungs- modelle für das Verhältnis von Körper und Geist ihre Plausibilität verlieren, zum anderen wird die Unterscheidung von angeborenem und erworbenem Wissen verwischen und womöglich ganz sinnlos werden, und so rufen sie dazu auf, dass »Geisteswissenschaften und Neurowissenschaften ... in einen intensiven Dialog treten ..., um gemeinsam ein neues Menschenbild zu entwerfen«.16

Nun mag man tunlichst fragen, ob das Pathos eines solchen »Manifests« der Sachlage angemessen und ob überhaupt die Entstehung von »Menschenbildern« eine Sache des geplanten Entwurfs ist. Richtig und wichtig ist aber auf jeden Fall der Hinweis, dass die Fortschritte der Neurowissenschaften gerade auch wegen der öffentlichen Wahrnehmung ihrer Relevanz für unser Selbstverständnis Anlass zu einem kritischen Dialog zwischen Natur- und Geisteswissenschaften geben, der syntaktische und semantische Klärungen ihrer Ergebnisse ebenso zum Inhalt haben muss wie eine kritische Bestandsaufnahme und Klärung der entsprechenden Deutungsansprüche.

Und auch die zwei zentralen Problemfelder sind nicht unzutreffend markiert. Denn unsere alltagssprachliche Bezugnahme auf geistige Phänomene generiert sich tatsächlich über entscheidende Leitdifferenzen wie die zwischen Ereignissen und Handlungen bzw. zwischen natürlichen Ursachen und von einem Handlungssubjekt verantworteten Gründen. Ob diese Leitdifferenzen notwendigerweise einen ontologischen Dualismus implizieren und ob sie durch die neurologische Forschung tatsächlich obsolet werden, ist allerdings eine noch zu klärende Frage. Jedenfalls bedarf das Verhältnis von neurobiologischer Fremdbeschreibung und alltagsweltlicher Selbsterfahrung auf jeden Fall einer genaueren Untersuchung, die auch und gerade zu klären hat, was wir aus welchen Gründen unserer eigenen Verfügungsgewalt zurechnen und was wir als ihr entzogen auffassen. Diesen Herausforderungen wird sich auch die Theologie zu stellen und in Auseinandersetzung mit ihnen den ihr eigenen Freiheitsbegriff und ihre Sicht der menschlichen Identität und Personalität zu entfalten haben.

a) Willensfreiheit

Im Zentrum der Aufmerksamkeit der öffentlichen Debatte um die Hirnforschung steht die Frage nach der Willensfreiheit des Menschen.17 Das grundlegende Argument der Bestreiter einer menschlichen Willensfreiheit ist allerdings im Grunde unabhängig von den Befunden der Hirnforschung und steht in der Tradition des im 17. Jh. begründeten und im 19. Jh. naturwissenschaftlich verfestigten Determinismus, der alles Geschehen in der Welt als kausal geschlossen betrachtet. In einer von deterministischen Naturgesetzen vollständig bestimmten Welt ist kein Platz für einen Willensentschluss, der vor seinem Vollzug noch als unbestimmt anzusehen wäre. Was die neuere Hirnforschung diesem Argument hinzufügt, ist die nun nicht mehr bloß behauptete, sondern empirisch belegbare These, dass auch alles Denken, Empfinden und Entscheiden des Menschen nicht aus diesem Determinismus natürlicher Vorgänge entnommen sei, weil es vollständig von dem ihm zu Grunde liegenden Organ abhängig sei. Als Beleg für dieses Argument wird oft auf eine Reihe von Experimenten verwiesen, die Benjamin Libet und seine Mitarbeiter seit 1979 durchführten.18 Darin zeigte sich, zusammenfassend gesagt, dass bei Willkürhandlungen von Versuchspersonen schon 550 ms vor der Handlung im Gehirn ein Bereitschaftspotential zu ihrer Ausführung einsetzte, dessen sich die Versuchspersonen erst 200 ms vor der Handlungsausführung bewusst wurden, so dass sie die Handlung zwar noch abbrechen konnten, ihr eigentlicher Handlungsentschluss aber als un- oder vorbewusst anzusehen war. Der Hirnforscher Gerhard Roth zieht den Schluss: »Das Gefühl des Willensentschlusses ist nicht die eigentliche Ursache für eine Handlung, sondern eine Begleitempfindung, die auftritt, nachdem corticale Prozesse begonnen haben.«19

Die Experimente von Libet können jedoch die Beweislast dafür, dass unsere Begriffe der Willensfreiheit und des Willensentschlusses leer seien, nicht tragen. Denn Libet hatte seine Probanden gerade nicht dazu aufgefordert, einen bewussten Entschluss herbeizuführen, sondern zu warten, bis sie sich eines »Dranges« zur Bewegung bewusst würden. Im Prinzip warteten die Versuchspersonen auf einen gerade nicht durch bewusste Überlegung gewonnenen »Einfall«, und es ist nicht verwunderlich, dass sie einem vorbewusst ausgelösten, spontanen Anstoß nachgaben, sondern genau das, was zu erwarten gewesen wäre.

Dennoch haben einige aus den Libetschen Experimenten und aus der Einsicht, dass unsere Handlungsentschlüsse in vielfacher Hinsicht von den von uns bewusst nicht steuerbaren Bedingungen und Funktionen unseres Gehirns abhängen,20 weitreichende Folgerungen gezogen, die nicht nur den phänomenalen Gehalt unseres eigenen Freiheitserlebens als »Illusion« bezeichnen,21 sondern diese Einsicht auch in Anwendung bringen wollen auf unsere sozialen und juristischen Vorstellungen von Schuld, Strafe und Sühne. Denn wenn der subjektiv empfundene Willensakt nicht die Ursache, sondern nur eine Begleiterscheinung von Handlungsentschlüssen ist, dann kann die Bewertung der Handlungsbedingungen nicht auf der Ebene der bewussten Handlungsüberlegungen erfolgen. Vielmehr muss diese Analyse von allen intentionalen Vorstellungen, vor allem von den Begriffen der Sühne und Vergeltung, befreit und auf die Ebene der physiologischen Prozesse, ihrer Funktionalität und ihrer Veränderbarkeit bezogen werden. Da es sich zum Beispiel zeigt, dass das bewusste Erkennen von Normen im präfrontalen Cortex angesiedelt ist, dieser jedoch nur dann seinen Einfluss auf die emotionalen Antriebe geltend machen kann, wenn die vermittelnde Instanz im orbitofrontalen Cortex intakt ist, kann ein Individuum das Unrecht seiner Taten durchaus einsehen und dennoch auf Grund seiner Gehirnstruktur gezwungen sein, gegen diese Einsicht zu handeln. Umgekehrt gilt: »wenn ich als gesetzestreuer Mensch handle, dann habe ich eben das 'Glück' gehabt, dass ich ein normal funktionierendes Gehirn habe«. Deshalb, so die Forderung, können für unser Strafrecht nicht mehr Begriffe wie Schuld und Strafe in Anschlag gebracht werden, sondern wir müssen »die Prinzipien der Erziehung des Täters, der Abschreckung und des Schutz [sic] der Gesellschaft in das Zentrum stellen«.22

Nun ist es für die Theologie keineswegs überraschend, dass wir oft weniger Herr im eigenen Hause sind, als wir meinen. Schon der Apostel Paulus hat eindrucksvoll beschrieben, wie es gerade das Gesetz, die Geltung beanspruchende Norm sein kann, an dem sich der Widerstand der Sünde gegen die bessere Einsicht entzündet: »Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.« (Röm 7,18 f.) Und dieses in einem Menschen wohnende, vom Glauben als Sünde identifizierte Unvermögen ist nicht einfach durch Aufklärung, Entschluss oder die Androhung von Strafe zu beseitigen: »Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe?« (Röm 7,24) In theologischer Perspektive lautet also die entscheidende Frage nicht, »ob wir tun können, was wir wollen ­ sie lautet vielmehr, woher unser Wille seine Bestimmungen erfährt.«23 Ein freier Wille ist nicht durch die Natur des Menschen einfach gegeben oder verweigert, sondern zu gewinnen oder zu verlieren. Zur Freiheit muss der Mensch befreit werden, und er kann sie auch wieder verspielen, wenn er sich unter das Joch ihm fremder Knechtschaft zwingen lässt (vgl. Gal 5,1). Der theologische Begriff der Freiheit muss deshalb immer auch ein kontrafaktisches Element enthalten, denn die Freiheit, zu der Gott uns befreit, bestätigt nicht einfach das Faktische unserer Existenz, sondern meint die auch gegen die Unfreiheit der Sünde des Menschen sich durchsetzende Befreiung »aus den gottlosen Bindungen dieser Welt« (Barmen II). Der theologische Begriff der Freiheit mahnt uns daran festzuhalten, dass menschliches Leben nicht einfach mit neurophysiologischer Funktionalität gegeben und mit ihr identisch, sondern im Vollzug des Lebens allererst zu gewinnen und zu betätigen ist.

Die Kritik der Hirnforschung trifft so allenfalls einen abstrakten Begriff von Freiheit als eines selbst grundlosen kausalen Agens, der auch ohne die Erkenntnisse der Hirnforschung als in sich widerspruchsvoll anzusehen ist. Thomas Nagel hat seine Kritik an einem solchen schlechthin unbedingten Freiheitsbegriff auf die Formel gebracht, dass dieser einen »Blick von nirgendwo« (view from nowhere) impliziere: »... to be really free we would have to act from a standpoint completely outside ourselves, choosing everything about ourselves, including all our principles of choice ­ creating ourselves from nothing, so to speak«.24 Dieser Freiheitsbegriff einer Selbstbestimmung ex nihilo kann nicht mehr beschreiben, warum eine Handlung erfolgt ­ sie fällt gewissermaßen aus einem Jenseits der phänomenalen Wirklichkeit in diese ein.

Doch die menschliche Freiheit ist immer eine bedingte und vermittelte Freiheit. Nicht ein schlechthin unbedingter, nur ein auf Gründe rekurrierender, ein sich durch Überlegung bildender Wille verdient frei genannt zu werden, und nur ein solcher Wille kann auch Wirkungen zeigen. Auch als Wesen der Freiheit ist der Mensch nicht Schöpfer seiner selbst, auch nicht seines Willens, sondern Geschöpf inmitten einer Welt, aus der er in seinem Sosein hervorgeht und auf die er mit seinen Handlungen bezogen ist. Der Freiheitskritik mancher Hirnforscher ist darin Recht zu geben, dass ein Begriff von Freiheit als Unbestimmtheit unsinnig ist ­ allerdings nicht deshalb, weil er einem totalen Determinismus widerspräche, sondern weil er der phänomenalen Analyse von Freiheit widerspricht. Andererseits ist die Alternative eines totalen Determinismus naturwissenschaftlich alles andere als unausweichlich, denn schon die bloße Tatsache intentionaler und interpretierender empirischer Forschung selbst spricht gegen ihn.

Ein realistischer, geschöpflicher Freiheitsbegriff hat seinen semantischen Kern darin, dass der Mensch in seinen Entscheidungen die Möglichkeit hat, aus Gründen so oder auch anders handeln zu können. Sein Wille ist in seinen Möglichkeiten zwar immer schon bedingt durch das, was ihn prägt. Dadurch aber, dass der Handelnde sich durch Überlegung auch von sich selbst distanzieren und seinen Willen durch Gründe binden kann, ist er zugleich auf das Offene, auf das ihm über seine Bedingtheit hinaus zugängliche Mögliche gerichtet. Und ebendies gehört zu unserem Selbstverständnis als handelnde Personen: Wir bilden unseren Willen und treffen unsere Entscheidungen, um uns auf eine offene Zukunft hin zu orientieren und sie zu gestalten.25

Alle menschliche Erziehung bis hin zur Resozialisierung des Verbrechers zielt in diesem Sinne auf den im Rahmen seiner Möglichkeiten autonomen Menschen, zielt auf Aneignung durch das Subjekt. Auch die Bedingtheit der Freiheit und die Einsicht in die durch Herkunft, Erziehung, Krankheit o. a. oft eingeschränkten Möglichkeiten des Individuums heben diese, dann auch Versagen und Schuld von Menschen einschließende Perspektive nicht auf, sondern verleihen ihr allenfalls konkrete Gestalt. Wer die Kategorien von Schuld und Verantwortung leugnet, müsste auch die Kategorie der Erziehung anders fassen, als wir dies gemeinhin tun. Denn alle Erziehung appelliert, wie eingeschränkt auch immer, am Ende an die Einsicht und Verantwortung des zu Erziehenden, dem es gelingen soll, sich Erziehungsziele als seine eigenen anzueignen. Auch die Resozialisierung des Straftäters setzt noch Autonomie als Zielgröße voraus, will man sich nicht zu der Forderung versteigen, Verbrechern am besten gleich Elektroden in den Kopf zu implantieren, um ihre gestörten Entscheidungsprozesse nach dem Diktat der Besserwissenden fernzusteuern.

Zur Bildung von Willensfreiheit, so sagten wir, gehört Distanz zu sich selbst. Die theologische Perspektive allerdings setzt sich von der philosophischen dann ab, wenn die Gewinnung solcher Distanz wiederum ganz in die Verfügung des Menschen gestellt wird. Der christliche Glaube widerspricht der These, »daß die Freiheit des Willens etwas ist, das man sich erarbeiten muß«.26 Die Bedingung der Möglichkeit befreiender Freiheit ist gerade dann gegeben, wenn wir sie uns nicht erarbeiten müssen, sondern sie uns von außerhalb unserer selbst zuwächst. Eben dies ist die Grunderfahrung der Befreiung im Glauben, dass der Mensch sich zu seinem Schöpfer als seinem Grund nicht selbst wieder in wählender Freiheit zurückwenden kann oder gar muss, sondern von ihm gewonnen und befreit wird. Dieses Zuspielen von Freiheit, das ist die Erfahrung des jüdisch-christlichen Glaubens, wird vor allen Dingen dadurch vermittelt, dass der Mensch ein soziales Wesen, ein Wesen der Gemeinschaft ist. In, mit und durch die Begegnung mit Menschen, durch Vertrauen, wechselseitige Achtung und Anerkennung, Freundlichkeit und Gütigkeit gewinnen wir ursprüngliche Selbstdistanz. Und in, mit und durch die sich in der Begegnung mit Menschen ereignende Begegnung mit dem Wort Gottes, durch seinen Indikativ und Imperativ, werden unsere Fixierungen auf die eigene Machbarkeit heilsam relativiert. Die Geschichten der Bibel versuchen, diese befreiende Dimension des Glaubens zugänglich und kommunizierbar zu machen, ohne sie selbst wieder zu formalisieren und zur Technik verkommen zu lassen. Ein solcher Freiheitsbegriff in theologischer Perspektive wird die Einsichten der Hirnforschung nüchtern zur Kenntnis nehmen können und sie als Hinweis darauf verstehen, Freiheit konkret kommunizierbar zu machen.

b) Identität und Selbst

Die von mir herausgestellte Exzentrizität des Menschen hat aber in Verbindung mit neurophysiologischen Erkenntnissen bei manchen Interpreten dazu geführt, nicht nur die Willensfreiheit, sondern schon die Erfahrung der personalen Identität eines menschlichen Individuums als letztlich illusionär anzusehen. »Being no one ­ Niemand sein«, nennt der Neurophilosoph Thomas Metzinger folgerichtig sein Werk über die von ihm vertretene Selbstmodell-Theorie der Subjektivität.27 Seine zentrale These lautet, »that no such things as selves exist in the world: Nobody ever was or had a self«.28 Denn, so seine Schlussfolgerung aus den empirischen Erkenntnissen der Hirnforschung, die phänomenale Selbstwahrnehmung ist nichts anderes als ein virtuelles Modell, mit dem unser bewusster Erkenntnisapparat den Organismus, zu dem er gehört, in der Welt als einer einheitlichen verortet.

Nun haben Hirnforschung und Entwicklungspsychologie in der Tat begonnen zu rekonstruieren, wie durch die individuelle ontogenetische Entwicklung des menschlichen Kleinkinds die Vorstellung eines selbstbewussten »Ich« im Zusammenspiel mit der Umwelt allererst entsteht.29 Zu dieser Entwicklung gehört zum einen die durch das Körper- und Sinnesempfinden vermittelte Selbsterfahrung des Kindes, zum anderen die natürlich angelegte Interaktionsfähigkeit zwischen Kleinkindern und Bezugspersonen. Ein »Selbst« bildet sich aus über Resonanzen, gelingende intersubjektive Interaktionen und im Medium der Sprache.

Die angeborene Naturanlage für die Entstehung eines solchen Identitätsbewusstseins sehen manche Hirnforscher in den sogenannten Spiegelneuronen. Dabei handelt es sich um eine in den 90er Jahren von Vittorio Gallese in Parma zunächst bei Affen entdeckte besondere Klasse von Nervenzellen, die sowohl dann aktiv sind, wenn ein Lebewesen eine zielgerichtete Bewegung selbst ausführt, als auch dann, wenn es eine solche Bewegung bei einem anderen Lebewesen beobachtet. Inzwischen hat man solche Spiegelneuronen auch beim Menschen nachgewiesen, und zwar nicht nur für intentionale Bewegungen, sondern auch für Schmerzwahrnehmung und Gefühle, wenn sie sich etwa im Gesichtsausdruck oder in Lauten wahrnehmbar äußern. Durch diese neuronalen Strukturen sind wir Menschen in der Lage, die Absichten und Emotionen anderer Menschen intuitiv und spontan nachzuempfinden und in unser eigenes Erleben und Handeln einzubauen.30 Das Verhalten, Fühlen und Denken anderer Personen wirkt über neuronale Netzwerke auf uns selbst zurück.

Thomas Metzinger hat an diese Forschungen Galleses angeknüpft und spricht von einer repräsentationalen Tiefenstruktur, die unsere Perspektive der ersten Person hervorbringt.31 Wir erleben uns als ein Selbst, das auf ein anderes Selbst gerichtet ist, das wir intuitiv als von Gegenständen und Tieren unterschieden erfassen und als eine Person repräsentieren, die zu uns und anderen Personen in demselben Verhältnis steht wie wir zu ihm. Für Thomas Metzinger und andere zeigen die möglichen Ausfälle und Fehlfunktionen dieser Strukturen, die sich in entsprechenden Deformationen des phänomenalen Selbst niederschlagen, dass die Ich-Vorstellung nicht auf einen irgendwie gegen- ständlich zu fassenden Personkern referiert, sondern das Produkt einer funktionalen neuronalen Struktur ohne Sachgehalt ist: »Das Selbst stellt nur eine momentane Aktivitätskonstellation eines neuronalen Netzes dar.«32 Solche Analysen weisen darauf hin, dass die menschliche Identität nicht substanzhaft (Seele) oder funktional (Subjektivität) zu garantieren ist.

Der Hinweis auf die prozesshafte Identitätsbildung des Menschen und ihre Gefährdungen ist auch für eine theologische Anthropologie von entscheidender Bedeutung. Ist die christliche Identität als in Gott gegründet und durch das Zusammensein mit Menschen vermittelt eine exzentrische, so kann auch der Prozesscharakter menschlicher Identitätsbildung anerkannt werden, ohne dass das menschliche Selbst als bloß virtuelle Existenz, als bloß funktionales Modell verstanden werden muss. Die christliche Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders schließt jedenfalls auch diesen Aspekt ein, dass alle Menschen davon leben, dass sie als Person anerkannt sind. Insofern ist die Anerkennung durch Gott der Grund dafür, dass wir niemandem die Anerkennung als mit sich identischer Person verweigern können und dürfen. Es gehört zu einer angemessenen Kultur der Identitätsbildung, weder die Selbstverwirklichung des Einzelnen auf Kosten der Beziehungen zwischen Menschen über alles zu stellen, noch den Einzelnen in der Sozialität aufgehen zu lassen.

Insofern in theologischer Perspektive der Mensch von außerhalb seiner selbst konstituiert wird und er seine Identität nicht durch sich selbst gewinnt, wird er die Ambivalenz der Identitätsfindung nicht einfach ignorieren und beiseite lassen, sondern als von Gott gesichert und überwunden verstehen. Die Rechtfertigung des Sünders aus Glauben begründet eine die empirischen Festlegungen transzendierende, den Menschen als Person vor sich selbst und anderen sichernde, ihn für seine Möglichkeiten öffnende Identität. Dann dürfen wir aber auch darauf hoffen, dass, wenn wir zerfallen, wenn unser Leib zerfällt, wenn unser Selbst sich verwirrt, Gottes rechtfertigendes Handeln das, was unsere Person ausmacht, bewahrt, durch sein Gericht zurechtbringt und in neuer, unsere Identität in endgültiger Weise zur Geltung bringender Form realisieren wird.33

c) »Neurotheologie«?

Doch noch eine letzte Wende gilt es nachzuvollziehen, will man die Diskussion um das Verhältnis von Hirnforschung und Theologie darstellen. Seit einiger Zeit versuchen Hirnforscher in Nordamerika eine Neurobiologie des Religiösen zu entwickeln, mitunter vollmundig »Neurotheology« genannt,34 in der die Hirnaktivitäten von Personen bei religiösen Praktiken und Erlebniszuständen untersucht werden. Manche gehen sogar so weit, die Existenz eines »Gottesmoduls« im Gehirn zu behaupten,35 das dafür verantwortlich sei, dass der Mensch erlebnishafte Vorstellungen und Zustände hervorbringen kann, die auf eine transzendente Wirklichkeit bezogen erscheinen. Von einer breiteren Öffentlichkeit wurden vor allen Dingen die Forschungen des Mediziners und Radiologen Andrew Newberg in Zusammenarbeit mit dem inzwischen verstorbenen Psychiater Eugene d¹Aquili sowie die schon seit den 80er Jahren dokumentierten Untersuchungen des kanadischen Hirnforschers Michael Persinger wahrgenommen.36

Newbergs Interesse richtete sich auf mystisch zu nennende Einheitserfahrungen, wie sie in der östlichen Meditation, aber auch in christlicher Versenkung im Gebet erfahren werden können. Entsprechend stellte er die Hirnaktivitäten von buddhistischen Mönchen in Meditation und Franziskanerinnen im Gebet mit Hilfe von bildgebenden Methoden dar und versuchte, die an den Einheitserfahrungen beteiligten Gehirnregionen zu identifizieren. Es zeigte sich, dass in der passiven östlichen wie in der aktiven westlichen Methode der Meditation auf je unterschiedliche Weise die Aktivität der für die Raumorientierung zuständigen Felder in den Scheitellappen stark reduziert wurde. Dies geschah bei gleichzeitiger Stimulation von Erregungsschleifen, die auch bei der Erzeugung sexueller Lust beteiligt sind. Newberg interpretierte diesen Befund dahingehend, dass die Grenzen zwischen Ich und Umwelt für das Individuum verschwinden und ein von größter emotionaler Befriedigung begleitetes mystisches Einheitsbewusstsein, die unio mystica entsteht.37 Das Gehirn arbeite dabei zwar ungewöhnlich, aber, so Newberg, nicht fehlerhaft. Vielmehr sei es so, dass in der mystischen Erfahrung Funktionen realisiert werden, auf die das Gehirn geradezu angelegt zu sein scheint. Dafür spricht nach Newberg auch, dass Menschen, die mystische Zustände erfahren, zumeist »beneidenswerte Stufen geistiger Klarheit und psychischer Gesundheit aufweisen«.38 Mystische Erfahrungen lassen sich deshalb von halluzinatorischen Zuständen klar unterscheiden. Denn zum einen können die betroffenen Personen klare und deutliche Auskunft über ihre Erfahrungen geben und sehen auch im Nachhinein diese nicht als Irrtum an, zum anderen zeichnen sich ihre mystischen Erfahrungen durch sensorische Komplexität aus. Nicht ein Sinn wird getäuscht, sondern eine vollständige Wirklichkeitserfahrung stellt sich ein, so dass mystische Einheitserfahrungen »sich ganz real«39 anfühlen. Und zum dritten zeigen sich in solchen Erfahrungen universale, kultur- und religionsüberschreitende gemeinsame Strukturen, die auf die funktionale Gleichheit der zu Grunde liegenden neurologischen Prozesse hinweisen. Newberg kommt deshalb zu dem Schluss: »Menschen sind eigentlich von Natur aus Mystiker«,40 so dass nun der »Beweis für einen neurologischen Prozeß erbracht [sei], der es uns Menschen ermöglicht, die materielle Existenz zu transzendieren und mit einem tieferen, geistigeren Teil von uns selbst in Verbindung zu treten, der als absolute, universelle Realität wahrgenommen wird, die uns mit allem Seienden vereint«.41 Alle doktrinalen Unterschiede zwischen den Religionen wie z. B. die Vorstellung eines personalen Gottes würden angesichts dieser Einsicht in ihre neurobiologischen Grundlagen bedeutungslos und relativiert. Es zählt allein die mystische Grunderfahrung, alles Übrige sind individuelle Interpretationen der einen Grundstruktur. Damit, so Newberg, kann die »Neurobiologie der Transzendenz zuallermindest einen biologischen Rahmen bereitstellen, in dem alle Religionen versöhnt werden können«.42

Während Newberg aus solchen Untersuchungen einen positiven Ertrag für eine Religionstheorie gewinnen will, zieht Michael Persinger gerade den umgekehrten Schluss.43 Aus seinen Experimenten, in denen er den Schläfenlappen von Probanten mit einem speziell entwickelten Helm durch starke magnetische Felder stimulierte und dadurch religiöse Erlebnisse unterschiedlicher Art erzeugte, folgert er, dass alle religiös interpretierten Erfahrungen einer Auflösung von räumlichen Dimensionen und einer Verwischung der Grenze von Individuum und Welt nur »Hirngespinste« und Illusionen seien. Dies schließt er gerade daraus, dass alle solche Erlebnisse inhaltlich unbestimmt sind und sie sich bei seinen Probanten je nach Herkunft und Prägung als Wahrnehmung von Engelgestalten, Außerirdischen, Gott oder Jesus darstellen. Nach seiner Auffassung sind religiöse Erlebnisse nichts anderes als selbstinduzierte kleine epileptische Anfälle, deren Inhalte vor allen Dingen kulturell geprägt sind.

In der Tat dürfte wohl festzuhalten sein ­ und dies wird von den Untersuchungen etwa von Newberg auch nicht widerlegt ­, dass aus den entsprechend dokumentierten Hirnaktivitäten keine Spezifität der religiösen Erfahrung abzuleiten ist. Echte mystische Erlebnisse sind von nicht-religiösen Ruhezuständen oder ekstatischen Anfällen neurophysiologisch schwer zu unterscheiden. Die entsprechenden Gehirnstrukturen stellen kein religiöses Apriori dar und sind gewiss nicht in der Lage, über die Sachhaltigkeit oder gar den Wahrheitsgehalt religiöser Erfahrungen zu entscheiden. Deshalb ist auch die Behauptung Newbergs überzogen, mit den entsprechenden Gehirnstrukturen den Menschen als solchen als Mystiker und damit auch den Wahrheitskern aller Religionen identifiziert zu haben, wird man doch gerade dann auch nicht ausschließen können, dass auch »religiös unmusikalische« Menschen existieren. Angesichts dieser konträren Interpretationen muss jedenfalls offenbleiben, ob der Nachweis einer neurobiologisch identifizierbaren Anlage zur Religiosität nur der religionskritischen Projektionsthese eine neue Variante hinzufügt oder unser Menschenbild um einen natürlichen, evolutionär bewährten »Gottesinstinkt«44 bereichert, der deshalb biologisch entstand, weil ihm ein realer Erkenntnisgegenstand entspricht.

Vielmehr zeigt sich einmal mehr, dass Religion als solche und der christliche Glaube im Besonderen davon leben, dass sie im Kontext von Überlieferung, Sprache und Kultur verortet sind, durch die sie allererst ihre Eindeutigkeit und dann auch ihre menschliche Lebensformen und Gemeinschaften prägende Kraft erlangen. Auch die »Neurotheologie« kann nicht jenseits von über Anrede und Aneignung vermittelter existentieller Gewissheit eine eigentliche, universale, biologische Wurzel von Religion festhalten. Doch gilt natürlich aus entsprechenden Gründen auch, dass damit, dass analogen religiösen Empfindungen analoge neurologische Prozesse zu Grunde liegen, diese nicht als Illusion erwiesen sind.

Überhaupt wird man festhalten müssen, und das gilt für unsere Thematik grundsätzlich, dass die biologische Perspektive auf den Menschen immer nur funktionale Aspekte des Menschseins im Paradigma der Biologie in den Blick nehmen kann. Insofern aber in der Biologie das ihre Inhalte umgreifende Paradigma das der Evolutionstheorie ist, werden alle biologischen Lebensäußerungen von Organismen in ihrer Funktionalität für das Überleben des Organismus und die Steigerung seiner biologischen Fitness analysiert und in ihrer Genese aus der Evolutionsgeschichte hergeleitet. Doch ein Sich-Selbst-Verstehen des Menschen, wie es unter anderem in den Religionen der Menschheit sich äußert, wird reduziert verstanden, wenn es ­ sei es im Sinne einer emotional beruhigenden Projektion menschlicher Wünsche, sei es als Sozialkitt oder leerlaufende Überreaktion ­ bloß funktional verstanden wird. Die Interpretationen der eigenen Existenz, auf die Religion aus ist, dienen nicht nur äußeren Zwecken und sind mehr und anderes als ein Instrument zur Steigerung der individuellen Fitness oder der der Gruppe. Hier geht es nicht nur ums Überleben, sondern um das Leben selbst, um das wahre und wahrhaftige Leben in einem qualitativen Sinn, das aus der Perspektive bloß empirischer Forschung herausfällt.

Dass in diesem Sinne das Leben ebenso wie die Religion dem Menschen nicht einfach gegeben, sondern zur Gestaltung aufgegeben ist, wird die christliche Theologie auch gegen jede Form einer biologistisch reduzierenden Hirnforschung festzuhalten haben.

Recent brain research revealed close connections between the human brain and human consciousness. This empirical data has been used to argue for a thorough revision of human self-understanding and has caught the attention even of the wider public. The essay deals with these arguments critically. In a first part it gives a brief review over some relevant issues in neuroscience. In a second part it discusses the proclaimed challenges for our human selfunderstanding from a theological perspective. This discussion concentrates on three major issues, namely the question of freedom of will, the quest for the neurophysiological basis of human personality and identity, and the relation between neuroscience and religious experience.

Fussnoten:

1) F. Nietzsche, Aus dem Nachlass der Achtzigerjahre, in: Werke Bd. 3, hrsg. von K. Schlechta, 51966, 710.

2) E. Oeser, Geschichte der Hirnforschung, 2002, 259.

3) Das Manifest. Elf führende Neurowissenschaftler über Gegenwart und Zukunft der Hirnforschung, Gehirn & Geist, Heft 6 (2004), 30­37, 33.

4) Bei Untersuchungen des visuellen Cortex von Affen mit einer Auflösung im Mikrometerbereich »findet man für jeden Affen ein einzigartiges Muster ­ spezifisch wie ein Fingerabdruck« (M. I. Posner/M. E. Rauchle, Bilder des Geistes. Hirnforscher auf den Spuren des Denkens, 1996, 255).

5) Besondere Bedeutung haben die Positronen-Emissionstomographie (PET), die Single Photonen-Emissions-Computed-Tomographie (SPECT) und die funktionelle Kernspintomographie (fMRI). Inzwischen konnte man die dynamische zeitliche sowie die räumliche Auflösung steigern, doch muss man auch die Grenzen dieser Methoden kennen. Während diese Verfahren eine gute räumliche Auflösung bis in den Millimeterbereich zeigen, sprechen sie doch erst mit einigen Sekunden Verzögerung an. Die klassische Elektroenzephalographie (EEG) vermag zwar eine gute zeitliche Auflösung zu liefern, ist jedoch räumlich wenig präzise. Neuere Verfahren wie das der Magnetenzephalographie (MEG) können die Änderung der Magnetfelder um elektrisch aktive Neuronenverbände zeitlich schnell und räumlich differenziert sichtbar machen, doch ergeben sich hier Schwierigkeiten bei der funktionalen Analyse der Signale.

6)) Vgl. A. K. Engel, Zeitliche Bindung und phänomenales Bewusstsein, in: A. Newen/K. Vogeley (Hrsg.), Selbst und Gehirn, 2000, 417­445. Diese These hat zuerst von der Mahlsburg formuliert, und Wolf Singer und andere haben sie weiter ausgearbeitet, vgl. W. Singer, Neuronal synchrony: a versatile code for the definition of relations? Neuron 24 (1999), 49 ff.

7) Vgl. Principles of Neural Science. Fourth Edition, hrsg. von E. R. Kandel/J. H. Schwartz/Th. M. Jessell, 2000, 567.

8) Vgl. z. B. F. Beck, Quantenprozesse im Gehirn, in: J. C. Schmidt/L. Schuster (Hrsg.), Der entthronte Mensch? Anfragen der Neurowissenschaften an unser Menschenbild, 2003, 138­162. Auf ähnliche Überlegungen stützt sich der Mathematiker Roger Penrose, um für die Nicht-Reduzierbarkeit des menschlichen Bewusstseins auf rekursive Algorithmen zu argumentieren (vgl. R. Penrose, Computerdenken. Die Debatte um künstliche Intelligenz, Bewußtsein und die Gesetze der Physik, 2002). Man wird jedenfalls von der Quantenmechanik Folgendes behaupten können: »Quantum mechanics is the first mathematically formulated scientific theory where in a non-trivial way the whole is more than the combination of its parts« (H. Primas, Chemistry, Quantum Mechanics and Reductionism, 1981, 143).

9) Vgl. G. Roth, Fühlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steuert, 2001, 110 ff.

10) Zahlen a. a. O., 128 f.

11) Vor allem EEG-Kurven geben Hinweise darauf, dass die Hirnfunktionen durch nicht-lineare Prozesse geprägt sind, da sie bei hinreichender Regularität und Ähnlichkeit doch niemals eine exakte Wiederkehr des Gleichen zeigen und chaotischen Attraktoren zu gehorchen scheinen. Es scheint vielmehr so zu sein, dass eine zu große Regelmäßigkeit mit wenig chaotischen Anteilen auf pathologische Zustände hinweist. Vgl. dazu J. C. Schmidt, Beschränkungen des Reduktionismus. Die Geist-Gehirn-Debatte im Lichte von Chaos- und Komplexitätstheorien, in: ders./L. Schuster (Hrsg.), Der entthronte Mensch? Anfragen der Neurowissenschaften an unser Menschenbild, 194­227.

12) W. Singer, Ein neues Menschenbild? Gespräche über Hirnforschung, 2003, 83.

13) Welche Rolle der Schlaf als Unterbrechung des homo semper actuosus in neurophysiologischer Hinsicht spielt, ist noch unverstanden. Alle Säugetiere schlafen und ein Teil der Vögel. Allerdings sind Länge und Ausprägung des Schlafes durchaus unterschiedlich. Er kann nicht allein zur physischen Erholung dienen, denn die 15 %-ige Reduzierung des Stoffwechsels im Schlaf könnte durch wenig zusätzliche Nahrungsaufnahme kompensiert werden. Eine gewisse Rolle scheint zumindest im Tierreich die Thermoregulierung im Schlaf zu spielen. Inwieweit der Schlaf auch zur Erholung des Gehirns und damit zur Erhaltung und Wiederherstellung kognitiver Fähigkeiten dient und welche Rolle etwa Träume dabei spielen, ist unklar. Vgl. Principles of Neural Science. Fourth Edition, hrsg. von E. R. Kandel/J. H. Schwartz/Th. M. Jessell, 936­947.

14) Vgl. die Analyse des berühmten Falls des Phineas Gage in A. Damasio, Descartes¹ Irrtum, 52000.

15) Entsprechende Experimente hat der kanadische Psychologe Michael Persinger durchgeführt. Vgl. dazu Ch. Hoppe, Gott in der Falle der Hirnforscher? Beilage zum Ökumenischen Informationsdienst der Katholischen Nachrichtenagentur vom 13.5.2003.

16) Das Manifest. Elf führende Neurowissenschaftler über Gegenwart und Zukunft der Hirnforschung, Gehirn & Geist 6 (2004), 30­37, 37.

17) Vgl. P. Bieri, Das Handwerk der Freiheit, 32005; Hirnforschung und Willensfreiheit. Zur Deutung der neuesten Experimente, hrsg. von Ch. Geyer, 2004; J. Habermas, Freiheit und Determinismus, DZPhil 52 (2004), 871­890; Freier oder unfreier Wille? Hrsg. von Ch. Gestrich/Th. Wabel, Beiheft 2005 zur BThZ; M. Pauen, Illusion Freiheit? Mögliche und unmögliche Konsequenzen der Hirnforschung, 22005.

18) B. Libet et. al., Subjective referral of the timing for a conscious sensory experience. A functional role for the somatosensory specific projection system in man, Brain 102 (1979), 193­224; ders. ., Time of conscious intention to act in relation to tonset of cerebral activity (readiness potential); the unconscious initiation of a freely voluntary act, Brain 106 (1983), 623­640, ders. et. al., Unconscious cerebral initiative and the role of conscious will in voluntary action, Behavioral and Brain Sciences 8 (1985), 529­539. Vgl. auch seine rückblickende Interpretation: Do we have a free will?, Journal of Consciousness Studies 6, No. 8­9 (1999), 45­57, dt. Übersetzung: Haben wir einen freien Willen?, in: Hirnforschung und Willensfreiheit. Zur Deutung der neuesten Experimente, hrsg. von Ch. Geyer, 2004, 268­289.

19) G. Roth, Das Gehirn und seine Wirklichkeit, 21998, 309.

20) So hat Gerhard Roth z. B. argumentiert, dass bei allen Handlungen, bei denen wir uns frei fühlen, die eigentliche Handlungsinstanz in den außerhalb der mit Bewusstsein ausgestatteten Großhirnrinde angesiedelten Basalganglien liege. Sie werden durch das Wechselspiel von erregendem und hemmendem Input bestimmt, bei dem der Botenstoff Dopamin eine entscheidende Rolle spielt. Deshalb lautet für ihn »die entscheidende Frage ...: Wer kontrolliert die Basalganglien? Die Antwort darauf heißt: Das ebenfalls unbewusst arbeitende limbische System«. Das für unser emotionales Erleben wichtige limbische System wiederum arbeitet eng zusammen mit dem Hippokampus, dem vor allen Dingen bei Gedächtnisvorgängen eine entscheidende Rolle zukommt. Roths Schlussfolgerung lautet deshalb, »dass beim Entstehen von Wünschen und Absichten, das unbewusst arbeitende emotionale Erfahrungsgedächtnis das erste und letzte Wort hat« (G. Roth, Willensfreiheit und Schuldfähigkeit aus Sicht der Hirnforschung, in: Freier oder unfreier Wille? hrsg. von Ch. Gestrich/Th. Wabel, Beiheft 2005 zur BThZ, 37­47, 40 f.). Die Selbstzuschreibung der Handlung durch das Handlungssubjekt sei dann erst eine nachträglich erfolgende, vor allem durch Erziehung und Kultur vermittelte Konstruktion, die die Handlung begleitet, ihr aber nicht zu Grunde liegt.

21) Vgl. z. B. D. M. Wegner, The illusion of conscious will, Cambridge 2002; H. J. Markowitsch, Warum wir keinen freien Willen haben, Psychologische Rundschau 55 (2004), 163­168.

22) G. Roth, Willensfreiheit und Schuldfähigkeit aus Sicht der Hirnforschung, in: Freier oder unfreier Wille? hrsg. von Ch. Gestrich/Th. Wabel, Beiheft 2005 zur BThZ, 37­47, 47. Vgl. ähnlich W. Singer, Ein neues Menschenbild? Gespräche über Hirnforschung, 2003, 65.

23) E. Maurer, Der unverfügbare Wille ­ jenseits von freier Entscheidung und Determination, in: Freier oder unfreier Wille? hrsg. von Ch. Gestrich /Th. Wabel, Beiheft 2005 zur BThZ, 94­109, 95.

24) Th. Nagel, The View from Nowhere, Cambridge 1986, 118. Vgl. etwa Kants Begriff eines noumenalen Subjekts, das außerhalb des zeitlichen und kausalen Weltgeschehens steht und doch zugleich durch »das Vermögen, einen Zustand von selbst anzufangen« gekennzeichnet sein soll, so dass »deren Kausalität also nicht nach dem Naturgesetze wiederum unter einer andern Ursache steht, welche sie der Zeit nach bestimmte« (I. Kant<&/I>, Kritik der reinen Vernunft. Zweite Auflage 1787, in: Kant¹s gesammelte Schriften, hrsg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Erste Abtheilung: Werke, Bd. 3, 1911, 363 [B 561]).

25) Diese phänomenale Analyse hat Peter Bieri treffend herausgearbeitet. Vgl.
P. Bieri, Das Handwerk der Freiheit, 32005; ders., Untergräbt die Regie des Gehirns die Freiheit des Willens?, in: Freier oder unfreier Wille? hrsg. von Ch. Gestrich/Th. Wabel, Beiheft 2005 zur BThZ, 20­31.

26) P. Bieri, Das Handwerk der Freiheit, 383.27) Th. Metzinger, Being No One. The Self-Model Theory of Subjectivity, 2003. Man kann sein Buch als Gegenentwurf zu Thomas Nagel lesen, der die Vorstellung eines »objective self« entwickelt hatte. In dem entsprechenden Kapitel seines Buches The View from Nowhere (s. o. Anm. 24) erscheint denn auch die Gegenthese als Überschrift: Being someone. Zu Metzingers Kritik an Nagel vgl. a. a. O., 581 ff.

28) A. a. O., 1.

29) Vgl. The self. From soul to brain, hrsg. von J. LeDoux/J. Debiec/H. Moss, New York 2003.

30) Solche empathischen Spiegelsysteme dürften auch für die Tatsache verantwortlich sein, dass Kleinkinder schon sehr früh und mit großer Sicherheit zwischen Lebewesen und z. B. unbelebten Stofftieren zu unterscheiden vermögen und ihr Interesse viel stärker den Lebewesen zuwenden, längst bevor sie zu sprachlichen Äußerungen fähig sind. Inzwischen haben Studien gezeigt, dass über die Spiegelneurone z. B. Schlaganfallpatienten verlorene motorische Fertigkeiten beschleunigt wiedererlernen, wenn sie die entsprechenden Bewegungen auch bei anderen beobachten. Beim Menschen ist das vor dem motorischen Cortex gelegene Sprachzentrum, das sogenannte Broca-Areal, beteiligt. Es hat seine Entsprechung in der prämotorischen Hirnrinde des Affen. Es legt sich deshalb die Vermutung nahe, dass das menschliche Sprechen nicht aus einer Weiterentwicklung der tierischen Lautbildungen, die Signalcharakter haben, entstanden ist, sondern aus einer über die Spiegelneuronen vermittelten, zunächst auf das handwerklich-motorische Zusammenarbeiten bezogenen Interaktion hervorging, vgl. M. A. Arbib, The mirror system, imitation, and the evolution of language, in: C. Nehaniv/K. Dautenhahn (Hrsg.), Imitation in Animals and Artefacts, Cambridge MA 2002, 229­280.

31) Vgl. Th. Metzinger, Being No One. The Self-Model Theory of Subjectivity, 299 ff., bes. 369 ff.

32) H. J. Markowitsch, Warum wir keinen freien Willen haben, Psychologische Rundschau 55 (2004), Heft 4, 163­168, 165.

33) Vgl. D. Evers, Memory in the Flow of Time and the Concept of Resurrection, in: Resurrection: Scientific and Theological Assessments, hrsg. von T. Peters/B. Russell/M. Welker, Grand Rapids 2002, 239­254.

34) Nach H.-F. Angel/A. Kraus, Der interdisziplinäre Gott, Gehirn & Geist 4 (2004), 68­72, 68, prägte James B. Ashbrook vom Garret-Evangelical Theological Seminary in Evanston schon 1984 diesen Begriff.

35) Vgl. V. Ramachandran/S. Blakeslee, Die blinde Frau, die sehen kann, 22001.

36) Vgl. A. B. Newberg/E. G. d¹Aquili/V. Rause, Why God Won¹t go Away, New York 2001 (dt. Übersetzung: Der gedachte Gott. Wie Glaube im Gehirn entsteht, 22003); M. Persinger, Neuropsychological Bases of God Beliefs, New York 1987. Auf Newberg und Persinger konzentriert sich die Dissertation von Runehov, Anne L. C.: Sacred or Neural? Neuroscientific Explanations of Religious Experience. A Philosophical Eva/luation. Uppsala: Uppsala Universitet 2004. VIII, 280 S. m. Abb. gr.8°. Kart. o. ISBN. Als Sekundärliteratur vgl. ebenfalls U. Eibach, »Gott« nur ein »Hirngespinst«? Zur Neurobiologie religiösen Erlebens, ezw-Texte 172 (2003), sowie Ch. Aus der Au, Gott, Geist und Gehirn, in: dies. (Hrsg.), Menschsein denken. Anthropologien in theologischen Perspektiven, 2005, 105­118.

/ 37) A. B. Newberg/E. G. d¹Aquili/V. Rause, Der gedachte Gott. Wie Glaube im Gehirn entsteht, 169.

38) A. a. O., 153.

39) A. a. O., 157.

40) A. a. O., 158.

41) A. a. O., 19.

42) A. a. O., 229.

43) Vgl. vor allen Dingen Persingers erste große Studie: M. Persinger, Neuropsychological Bases of God Beliefs, New York 1987.

44) Vgl. dazu die bisher nur im Internet veröffentlichte biologische Dissertation von Caspar Söling: Der Gottesinstinkt. Bausteine für eine Evolutionäre Religionstheorie, Diss. Universität Gießen 2002.