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Ausgabe:

Juni/2004

Spalte:

587–594

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Schäferdiek, Knut

Titel/Untertitel:

Der gotische Arianismus

Die Auseinandersetzungen um die Zweinaturenlehre haben Kirchen entstehen lassen, die trotz späterer Einbußen bis heute zur christlichen Ökumene zählen. Mit dem sog. germanischen oder gotischen Arianismus hat auch der trinitarische Streit eine Kirchenbildung hervorgebracht. Sie war zeitweilig sehr expansiv, fand aber letztendlich doch nicht die Bedingungen für eine dauerhafte Behauptung. Ihre Entstehungsgeschichte ist verwickelt. In der Darstellungstradition erscheint sie durchweg vereinfacht. Die Verlaufsbilder der erzählenden Quellen sind widersprüchlich. Sie müssen auf den Informationsgehalt der hinter ihnen stehenden Überlieferungen befragt werden. Das ist häufig nicht hinreichend beachtet worden.1

Die ersten Christen unter den Goten waren römische Provinzialen, die bei den Goteneinfällen Mitte des 3. Jh.s, insbesondere 257 bei einem großen Einfall nach Kappadokien, mitgeschleppt worden waren. Sie konnten im gotischen Machtbe- reich eine Diasporagemeinde bilden. Die Kirchenhistoriker Philostorgios und Sozomenos behaupten zudem, sie hätten durch das Beispiel ihrer Lebensführung viele Barbaren für das Christentum gewonnen. Das ist aber sicher nur eine Legende, die von der Überzeugung einer sittlichen Überlegenheit der römisch-christlichen über die barbarisch-heidnische Lebensweise getragen wird. Tatsächlich dürften die gotischen Christen bis in die 370er Jahre hinein im Wesentlichen immer noch gotisch assimilierte Nachkommen ehemaliger Provinzialen gewesen sein. Aus diesen Jahren ist eine Reihe von Namen solcher Christen überliefert. Jüngere sprachwissenschaftliche Analysen stimmen zumindest darin überein, dass sie zu einem erheblichen Teil nicht germanisch ableitbar sind.

325 war die christliche Gemeinde unter den Goten durch einen Bischof Theophilos von Gotien auf dem Konzil von Nikaia vertreten. Gotien (Gothia gotisch Gut/oiuda) hieß zu dieser Zeit der Raum zwischen Donau, Alt und Dnjestr. Im späten 3. Jh. hatten sich die Goten in die westlichen Terwingen und die östlichen Greutungen oder Ostrogoten gespalten, und dabei hatten die Terwingen diesen Raum in Besitz genommen. Seit 332 waren sie als Föderaten dem Römischen Reich verbunden. Wohl 336 kam der Lektor Ulfila als Angehöriger einer terwingischen Gesandtschaft an den Hof Konstantins. Bei dieser Gelegenheit wurde er durch dessen bischöflichen Berater Euseb von Nikomedien vermutlich als Nachfolger von Theophilos zum Bischof für Gotien geweiht. Er war ein Nachfahre verschleppter kappadokischer Christen. Sein gotischer Name ("Wölfle") ist Zeichen seiner Assimilation. Er muss eine beträchtliche, wohl kirchlich vermittelte Bildung erhalten haben. Seine Tätigkeit als Bischof von Gotien aber blieb begrenzt. Während der 340er Jahre kam es dort zu einer Christenverfolgung. Dabei wurde Ulfila mit einer größeren Gruppe von Christen vertrieben. Sie fanden Zuflucht im Römischen Reich und wurden im Gebiet von Nicopolis in Niedermösien (Ausgrabungsstätte bei Veliko Tarnovo, Bulgarien) angesiedelt.

Seitdem war Ulfila nicht mehr Bischof von Gotien, sondern Bischof der Goten, d. h. der neu gebildeten reichsansässigen christlichen Gotengemeinschaft. Die trotz der Verfolgung in Gotien verbliebenen Christen wurden fortan von einem Presbyterkollegium geleitet. Jordanes nennt die ulfilanischen Goten "kleinere Goten" (Gothi minores) und ordnet Ulfila ausschließlich ihnen zu. Die Verlagerung seines Wirkungsfeldes aus Gotien auf römisches Gebiet ist von seinem Schüler Auxentius von Durostorum (Silistra, Bulgarien) und dem Kirchenhistoriker Philostorgios notiert worden. Den Kirchenhistorikern Sokrates, Sozomenos und Theodoret war sie und die Existenz der "kleineren Goten" dagegen nicht bekannt. Sie missverstehen daher Ulfilas Amtsbezeichnung "Gotenbischof" und beziehen sie auf alle Goten. Dieses Missverständnis hat sich bis in die neuere Geschichtsschreibung fortgesetzt. Die immer wieder begegnende unangebrachte Bezeichnung Ulfilas als "Missionsbischof" ist nicht zuletzt eine Folge davon.

Ulfilas Weihe durch Euseb von Nikomedien besagt nicht, dass er auch dessen Schüler war; doch er hat sicher von Anfang an auf dem Boden der von Euseb vertretenen Drei-Hypostasen-Theologie gestanden. In seiner zweiten Wirkungsphase wurde er zum Vater des gotischen Arianismus. Theologisch schloss er sich den Homöern an. Sie formierten sich 357 auf einer Synode in Sirmium (Srmeska Mitrovica, Serbien). Im Rahmen der Drei-Hypostasen-Theologie versuchten sie, einen Minimalkonsens zwischen den Fronten des trinitarischen Streites zu finden. Daher wurde ihre Position am Ende der Regierung des Kaisers Konstantios (337-361) im Gesamtreich und während der Herrschaft des Kaisers Valens (364-378) im östlichen Reichsteil als Reichsorthodoxie favorisiert. Von ihren Gegnern wurden sie als Arianer diskreditiert, und diese polemische Fremdbezeichnung ist an ihnen haften geblieben. Das ist auch der Grund für die noch immer wieder begegnende irreführende Behauptung, die gotischen "Arianer" hätten die Lehre des Areios aufgenommen. Ulfilas persönliches Bekenntnis zeigt deutliche Anklänge an die Programmformel der sirmischen Synode von 357. Das homöische Leitbekenntnis, die Formel von Nike von 359, hat er in der Form unterzeichnet, in der es auf einer Anfang 360 in Konstantinopel tagenden Regionalsynode vorlag. Im Juni 383 gehörte er zu der homöischen Delegation für ein von Theodosios d. Gr. anberaumtes Streitgespräch aller Kirchenparteien. Während der Vorverhandlungen dazu ist er in Konstantinopel gestorben. Kurz vor dem Tod verfasste er ein Bekenntnis als Vermächtnis für seine Gemeinde. Es sollte sie in der aktuellen Diskussion um die Stellung des Heiligen Geistes noch einmal auf die reichspolitisch bereits ausgeschaltete homöische Position verpflichten.

Die synodale Bezugsnorm des gotischen Arianismus war die Synode von Rimini von 359. Ihr hatte Kaiser Konstantios die Ratifizierung der Formel von Nike abgenötigt. Nach dieser Formel ist der Gottessohn dem Vater homoios, gleich (gotisch galeiks). Der Begriff meint Gleichheit in einer für den Vergleich ausschlaggebenden Beziehung: Vater und Sohn sind Gott. Dem Heiligen Geist spricht die homöische Theologie dagegen das Gottesprädikat ab. Die Gleichheit von Vater und Sohn schließt aber Unterscheidungen nicht aus. Es gibt unterschiedliche Weisen des Gottseins. Der Vater ist Gott schlechthin, der Sohn Gott im Weltbezug. Ulfila unterscheidet zwischen "Gott" und "unserem Gott". Zudem ist der Sohn bedingt, vom Vater gezeugt oder geschaffen und gegründet, ein Sprachgebrauch, der sich auf Prov 8,22-25 beruft. Die Erschaffung des Sohnes durch den Vater liegt allerdings auf einer anderen Ebene als die der Welt durch den Sohn. Diese schreibt das Bekenntnis Ulfilas nicht dem Vater, sondern dem Sohn zu. Daher existiert der Sohn auch vor allen Äonen, vor jeder der geschaffenen Welt zugeordneten Zeit. Dennoch ist er dem Vater zeitlich nachgeordnet. Ulfilas Nachfolger Selinas verteidigte die Aussage, dass Gott das Vaterprädikat auch vor der Existenz des Sohnes zukomme. Aus der Bedingtheit des Sohnes folgt seine Unterordnung unter den Vater. Als Mittler Gottes in die Welt ist er zudem sichtbar. In der Inkarnation nimmt er einen menschlichen Leib an, und als Subjekt des Leidens Christi ist er auch leidensfähig. Entschieden ausgeschlossen wird die theologische Verwendung des Begriffs usia. Damit unterscheidet sich die homöische Sprachregelung nicht nur von der homo- und homoiusianischen, sondern auch von der neuarianischen (eunomianischen). Ende des 5.Jh.s wird die Verwendung des Begriffs homousios in den theologischen Thesen des Wandalenkönigs Trasamund als heidnisch bezeichnet.2

Bis zum Beginn der theodosianischen Zeit war das homöische Bekenntnis ein Element reichskirchlicher Integration. Das zweite Element, das den gotischen Arianismus definiert und ihm von Anfang an eine eigene Prägung gegeben hat, ist die gotische Kirchensprache und Bibel, die erste Bibelübersetzung in die Sprache einer bis dahin mündlichen Kultur.3 Sie erforderte die Schaffung einer gotischen Buchschrift. Philostorgios und Sokrates schreiben sie und die Bibelübersetzung Ulfila zu. Darüber hinaus darf man ihm auch noch eine in den Quellen nicht genannte gotische Fassung der Liturgie zurechnen. Ulfilas Schüler Auxentius erwähnt dagegen die Schrift und die Bibelübersetzung nicht. Ihm war allein daran gelegen, seinen Lehrer als Vorkämpfer universalkirchlicher Rechtgläubigkeit darzustellen.

Die gotische Liturgie ist untergegangen bis auf die Formel froja arme (bibelgotisch frauja armai), kyrie eleeson aus der Ektenie der Katechumenenmesse. Sie ist in einer Schrift aus dem afrikanischen Wandalenreich überliefert.4 Der ursprüngliche Umfang der Bibelübersetzung ist unbekannt. Nach Philostorgios fehlten darin die Königsbücher. Häufig wird seine Bemerkung angeführt, Ulfila habe sie übergangen, um nicht durch ihre Kriegsgeschichten der Kriegslust der Goten Auftrieb zu geben. Das soll aber wohl nur ihr Fehlen mit dem Topos barbarischer Kriegslüsternheit erklären. Erhalten sind große Teile der Evangelien und der paulinischen Briefe sowie Bruchstücke aus Neh 5-7. Die Übersetzung beruht auf einer griechischen Vorlage. Sie folgt dem Grundsatz der Wörtlichkeit und bietet daher "nur teilweise ein idiomatisches, weithin jedoch ein gräzisierendes Gotisch"5. Damit muss sie sich deutlich vom gesprochenen terwingischen Gotisch abgehoben haben. Es wäre ein Missverständnis, sie als Medium der Missionsverkündigung oder Volksunterweisung anzusehen. Sie war vorrangig ein liturgisches Buch.

Die gotische Kirchensprache erforderte einen Schulbetrieb zur Heranbildung von Geistlichen, die damit umgehen konnten. Die Quellen übergehen diese Seite des Wirkens Ulfilas, doch sie darf zweifellos vorausgesetzt werden. Die damit begründete gotische kirchliche Schultradition eröffnete ein zweites Feld des Umgangs mit der gotischen Bibel, das gelehrte Schriftstudium. Dazu gehört auch die in wenigen Bruchstücken überlieferte gotische Übersetzung des Johanneskommentars von Theodor von Herakleia, die der Erstherausgeber skeireins (Erklärung) genannt hat.6 Der im Original nur durch Katenenscholien überlieferte Kommentar stammt aus dem zweiten Viertel des 4. Jh.s. Sein Verfasser gehörte zum engsten Kreis um Euseb von Nikomedien. Ort und Zeit der gotischen Übersetzung sind nicht bekannt.

Eine dritte Weise des Umgangs mit der gotischen Bibel gehört zur rituellen Lebensbewältigung. Die Bibel oder Stücke daraus werden dabei unmittelbar zur Vergegenwärtigung numinoser Macht. 421/22 verwendet in Spanien ein wandalisches Heer die Bibel als Schutzzeichen, um sich göttlichen Beistand in der Schlacht zu sichern.7 In einem Grab des gotischen Gräberfeldes von Hács-Béndekpuszta (Komitat Somogy, Ungarn) aus der Wende vom 5. zum 6. Jh. ist ein mittlerweile wieder verlorenes Bleitäfelchen mit dem gotischen Text von Joh 17,11 f. gefunden worden. Er war nicht zum Lesen bestimmt; denn das Täfelchen war mehrfach gefaltet und diente offensichtlich als Amulett.8 Es bleibt offen, ob ein inhaltlicher Bezug des Textes zu dieser Verwendung gesucht werden darf oder kann.

Im 5. Jh. argwöhnte Salvian von Marseille, die gotische Bibel sei häretisch belastet. Belegen konnte er das, wenn er es überhaupt für nötig gehalten hätte, nicht, da er keinen eigenen Zugang zu ihr hatte. Erst die moderne Sprachwissenschaft hat versucht, arianische Einflüsse im gotischen Bibeltext aufzuweisen. Ein annehmbares Ergebnis ist dabei nicht zu Tage getreten.9

Durch die Verpflichtung auf das homöische Bekenntnis und die Verwendung der gotischen Kirchensprache wurde die ulfilanische Gotengemeinschaft zum Modellfall einer gotisch-arianischen Kirche. Die Christen in Gotien dagegen galten noch um die Mitte der 370er Jahre sowohl für altnikänische (Epiphanios von Salamis) als auch für jungnikänische (Basileios von Kaisareia) Beobachter aus dem Reich als orthodox. Anscheinend haben sie sich nicht so innerhalb der kirchlichen Fronten positioniert, dass Außenstehende Anlass fanden, sie einer der Streitparteien zuzuordnen. Märtyrertraditionen aus der Kirche Gotiens sind sowohl in die gotisch-arianische als auch in die byzantinisch-orthodoxe Überlieferung eingegangen. Noch zwischen 379 und 392 übertrugen gotische Christen, die im mittlerweile hunnisch beherrschten Raum des ehemaligen Gotien verblieben waren, Reliquien gotischer Märtyrer nach Kyzikos (Ruinenstätte bei Erdek am Marmarameer, Türkei), in ein auf jeden Fall nicht arianisches reichskirchliches Umfeld.

Allerdings hatte bald nach 369 bereits eine andere Entwicklung eingesetzt. In einem innergotischen Machtkampf nahm damals der Anführer ("Kleinkönig") eines der terwingischen Teilverbände ("Stämme"), Fritigern, mit Erfolg römische Hilfe in Anspruch. Dabei trat er samt seinem Verband zum Christentum über. Kaiser Valens rief zur Umsetzung dieses Schrittes eine Mission ins Leben. Ihre Träger waren höchstwahrscheinlich Kräfte aus der ulfilanischen Gemeinschaft. Sie übermittelten das ulfilanische Modell nach Gotien. Zu Recht machen daher die orthodoxen Geschichtsschreiber Valens für das Fußfassen des Arianismus unter den Goten verantwortlich, auch wenn ihre sich widersprechenden Darstellungen kein klares Bild von den Vorgängen bieten. Das bereits bestehende gotische Christentum außerhalb des Machtbereichs Fritigerns blieb davon unberührt. Es erlebte vielmehr eine mehrjährige heftige Verfolgung. Veranlasst wurde sie von Fritigerns Gegner, dem Anführer ("Richter") des terwingischen Gesamtverbandes Athanarich.

376 brach die terwingische Herrschaft in Gotien unter dem Vorstoß der Hunnen zusammen. Ein großer Teil der Terwingen, darunter Fritigern mit seinen Leuten, suchten mit kaiserlicher Genehmigung Zuflucht im Reich. Ihre Führung fiel bald an Fritigern. Reibungen mit der römischen Verwaltung führten schnell zu anhaltenden Kämpfen und Plünderungszügen. 378 fiel ihnen in der Schlacht von Adrianopel (Edirne, Türkei) auch Valens zum Opfer. Während dieser Jahre bildeten die Eindringlinge auf römischem Boden den neuen gotischen Volksverband der Visigoten, deren Name früh schon als Westgoten gedeutet wurde. Sehr bald bildete sich auch ein Heerkönigtum als neue Führungsspitze aus. 382 konnte Valens' Nachfolger Theodosios sie als Föderaten im Norden der thrakischen Dioikesis ansiedeln.

Die kaiserliche Mission unter den Leuten Fritigerns hat offenbar eine rudimentäre kirchliche Organisation errichtet. Der Geschichtsschreiber Eunapios vermerkt, dass die 376 ins Reich überwechselnden Goten Bischöfe und Mönche bei sich hatten. Diese Organisation hat sich nicht nur in den Wirren der Folgejahre behauptet, sondern sehr bald auch den gesamten entstehenden westgotischen Volksverband erfasst. Das setzt Geistliche voraus, die sich mit den Goten identifizierten, und stützt so die Annahme, dass die Träger der Valensmission zumindest zu einem Teil selbst Goten waren. Der reichskirchlichen Einbindung der gotischen Gemeinden sollte eine kirchliche Unterstellung unter Konstantinopel dienen. 380 wurde der homöische Bischof von Konstantinopel, Demophilos, abgesetzt. Er richtete darauf ein Gegenbistum ein. Die Goten hielten an der Gemeinschaft mit ihm fest. Damit scherten sie aus dem Hauptstrom der kirchlichen Entwicklung aus. Bei den Westgoten wurde das durch den bestehenden Konflikt mit dem Reich begünstigt. Es ist aber nicht einfach aus einem Streben nach Unabhängigkeit vom Reich zu erklären. Die fortdauernde Gemeinschaft mit dem arianischen Bistum von Konstantinopel ist gerade für die reichstreuen Ulfilagoten unmittelbar belegt.

Nach Theodosius' Tod 395 erlosch der mit ihm geschlossene Bündnisvertrag, und die Westgoten zogen unter der Führung ihres Königs Alarich I. (spätestens 395-410) aus Thrakien ab. 408 wandten sie sich endgültig in den Westen und begründeten dort 418 ihr Reich von Toulouse. Von dort übermittelten sie das arianische Christentum noch vor deren Abzug aus Spanien nach Nordafrika (429) an die Wandalen, um die Jahrhundertmitte an die Burgunden in Savoyen und Burgund und 466 an die Suewen im Nordwesten der Pyrenäenhalbinsel. Spätestens mit ihrem Abzug aus Thrakien muss das noch über 430 hinaus bestehende arianische Bistum von Konstantinopel für sie bedeutungslos geworden sein. Die westgotische Kirche der Folgezeit war autonom. Autonom waren auch die Kirchen der Wandalen, Burgunden und Suewen. Die wandalische Kirche in Nordafrika gab sich mit dem Amt eines Patriarchen sogar eine hierarchische Spitze.

Im Osten blieben 395 nicht nur die Nachkommen der Ulfilagoten zurück. Vielmehr bezeugen Bodenfunde die fortdauernde Anwesenheit auch anderer gotischer Bevölkerungsgruppen im Raum zwischen der Donau und dem Balkangebirge und der Kamcija.10 Aus diesem balkangotischen Bereich bestanden weiterhin Beziehungen zum arianischen Bistum von Konstantinopel. Dabei muss frühestens 419 ein Martyrolog dieses Bistums übernommen und ins Gotische übersetzt worden sein. Ein Blatt davon ist aus ostgotischer Überlieferung erhalten.11 Balkangotische Kräfte müssen es auch gewesen sein, die nach dem Zusammenbruch des Hunnenreichs (455) das gotisch-arianische Christentum an die Ostgoten im Raum von Drau und Save und an die Gepiden zwischen Theiß und Karpaten vermittelt haben. Eine häufiger behauptete weitere Verbreitung zu den Skiren im Alföld, den Herulern in Mähren, den Rugiern im nördlichen Niederösterreich und in den süddeutschen Raum ist dagegen unwahrscheinlich. Teile der langobardischen Führungsschicht haben in den Jahren vor dem Einbruch der Langobarden nach Italien (568) von sich aus Anschluss an das arianische Christentum der entmachteten und als politischer Verband aufgelösten italischen Ostgoten gesucht.

Während der ersten Hälfte des 20. Jh.s ist der gotische Arianismus vielfach unter die Frage nach einer vermeintlichen Germanisierung des Christentums gestellt worden. Sie ist inzwischen hinfällig. Ihre Voraussetzung war ein überholter roman- tischer Volksbegriff. Ihm galten Völker auf Grund eines ihnen zugesprochenen übergeschichtlichen Volksgeistes als Träger geschichtlicher Kontinuität.12 Keine Anhaltspunkte gibt es auch für die Vermutung, der gotische Arianismus sei den Verständnisvoraussetzungen der Germanen besonders entgegengekommen. Dennoch begegnet gelegentlich noch die Vorstellung, er sei ihnen leichter zugänglich gewesen, weil er weniger "spekulativ" als andere Positionen gewesen sei. In diesem Urteil wirken sowohl dogmenkritische Urteilsvorgaben der liberalen Theologie fort als auch nationalromantische Vorstellungen von einer natürlichen Einfachheit germanischen Denkens. Als Ausformung der Drei-Hypostasen-Theologie war die homöische Position jedoch nicht weniger "spekulativ" als andere zeitgenössische Entwürfe. Überdies orientiert sich das Argument einseitig am theologischen Diskurs einer Elite. Im kirchlichen Alltag und in der gelebten Religion dürften sich Arianer und nikänische Orthodoxe kaum unterschieden haben. Im Gottesdienst war der Unterschied an der Form der Doxologie erkennbar: Die Arianer verwendeten eine präpositionale ("Ehre sei dem Vater durch den Sohn im Heiligen Geist"), die Katholiken eine kopulative ("Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist") Formel. Im Westen wurde zudem das arianische Festhalten an der östlichen Praxis einer Neutaufe Übertretender zu einem wichtigen Unterscheidungsmerkmal. Das einzige germanische Element des "germanischen" Arianismus war seine gotische Kirchensprache, und sie war erheblich von ihrem griechischen Vorbild geprägt und hob sich so bereits in ihrem terwingischen Ausgangsraum von der gesprochenen Sprache ab. Gotisch-lateinische Bibelbilinguen und die Bearbeitung des Textes der altlateinischen Evangelienhandschrift f (Brescia, Biblioteca Queriniana) nach einer gotischen Vorlage weisen zudem darauf hin, dass neben ihr auch das Lateinische im Gottesdienst verwendet werden konnte.

Die germanischen Arianer verstanden sich selbstverständlich als orthodox oder katholisch. Die Nikäner waren dagegen für Ulfilas Schüler Auxentius die Homousianer. In der Folgezeit wurden sie von den germanischen Arianern jedoch "die Römischen" (Romani) genannt. Darin klingt an, dass für sie das gotisch-arianische Christentum auch Ausdruck ihrer ethnischen Identität war.13 Im nordafrikanischen Wandalenreich bekundete es darüber hinaus dessen Souveränitätsanspruch gegenüber dem Römischen Reich. Das führte zu einer zeitweilig brutalen Unterdrückung der katholischen Kirche. Sie steigerte sich 484 zum Versuch einer gewaltsamen allgemeinen Arianisierung. Im spanischen Westgotenreich führte König Leowigild (568-586) eine Reichsreform durch. Dabei versuchte er, allerdings ohne durchschlagenden Erfolg, mit Lock- und Zwangsmitteln eine einheitliche westgotische Reichskirche unter arianischem Vorzeichen zu schaffen. Der Identitätswahrung galt auch ein Verbot des Langobardenkönigs Authari (584-590), langobardische Kinder katholisch taufen zu lassen. Mit einer zunehmenden Akkulturation an die zahlenmäßig weit überlegene romanische Umgebung und einer wachsenden politischen Identifikation der Romanen mit den nachrömischen Reichsbildungen verlor jedoch der gotische Arianismus seine Bedeutung als Identitätsmerkmal. Leowigilds Sohn und Nachfolger Rekkared (586- 601) setzte die Einheitspolitik seines Vaters erfolgreich unter katholischem Vorzeichen fort. 587 trat er zur katholischen Kirche über, und 589 dokumentierte die weltliche und geistliche westgotische arianische Führungsschicht auf dem dritten Konzil von Toledo ihre Abkehr vom Arianismus. Im Burgunderreich war sie bereits 517 und im Suewenreich 555 eingeleitet worden. Im Langobardenreich zog sie sich vom ausgehenden 6. bis ins späte 7. Jh. hin. Still ist das arianische Christentum der Wandalen, Ostgoten und Gepiden untergegangen. Seine Trägervölker zerfielen in Folge der byzantinischen Rückeroberung Nordafrikas (533-535) und Italiens (535-555) und der Unterwerfung der Gepiden unter die heidnischen Awaren (567). Doch darf für Italien auch mit einer Kontinuität zwischen ostgotischem und langobardischem Arianismus gerechnet werden. Eine letzte Spur scheint der gotische Arianismus noch in der ersten Hälfte des 9. Jh.s in der Nähe seines Ursprungs hinterlassen zu haben. Jedenfalls hatte der Abt der Reichenau Walahfrid Strabo Kunde, dass damals in der Dobrudscha noch Gottesdienst in gotischer Sprache gefeiert wurde.14

Summary

The first Christians among the Goths were Romans captured by Gothic invaders in the middle of the 3rd century. Their gothizised descendants in Gotthia, the country of the Gothic Terwingi north of the lower Danube, were considered orthodox by Roman observers as late as the 370s. Gothic Arianism on the other hand developed within the Roman empire in a small Christian Gothic community established in the Balkan region and led by the Gothic bishop Ulfila. He had originally been ordained bishop of the Christians in Gotthia in 336, but was exiled together with a number of correligionists by antichristian persecution during the 340s. The distinguishing features of Gothic Arianism are:

1) adherence to the "homoean" creed as expressed in the formula of Nike (359), and 2) the ecclesiastical use of the Gothic language including a Gothic bible translated from Greek by Ulfila. In Gotthia this kind of Christianity gained a foothold soon after 369 as a result of the conversion of the chieftain Fritigern, who ruled over a part of the Terwingi. In 376 most of the Terwingi took refuge from the Huns in the East Roman empire. There they formed the new Gothic nation of the Visigoths and followed Fritigern in adopting Gothic Arianism at a time when the eastern empire favoured the homoean doctrine as official creed. Since 379, however, it was banned by Theodosius. Nevertheless the Goths continued adhering to it. Early in the 5th century the transition of the Visigoths into the western empire transplanted it to the west. There it spread to Vandals, Burgundians, and Suevi. After the collapse of Hunic power in 455 Arian Goths still remaining in the Balkan region transmitted their Arian Christianity to Ostrogoths and Gepids. The Lombard ruling classes adopted it some years before the Lombard invasion of Italy (568).

Gothic arianism was not a way of "germanization of Christianity". This idea derived from an unfounded romantic concept of nation. But for Germanic invaders amidst an overwhelming Roman population it meant an expression of ethnic identity. Steady acculturation to the Roman majority, however, and an increasing identification of the Roman part of the population with the barbarian kingdoms weakened its position. It was abandoned by the Burgundians, Suevi, and Visigoths in the 6th, and by the Lombards in the 7th century. Vandal, Ostrogothic, and Gepidic arianism vanished after these nations were dissolved by the Byzantine reconquest of Northern Africa and Italy, and the subjugation of the Gepids to the Avars.

Fussnoten:

1) Für Quellenbelege und Literaturhinweise muss hier größtenteils auf ausführlichere Darstellungen verwiesen werden: Wolfram Herwig, Die Goten, München 42001; Knut Schäferdiek, Germanenmission, in: RAC 10 (1978), 492-548; ders., Die Anfänge des Christentums bei den Goten und der sog. gotische Arianismus, in: ZKG 112 (2001), 295-310.

2) CChr.SL 91, 68 f.

3) Die gotische Bibel, hrsg. v. Wilhelm Streitberg, Heidelberg 72000, mit einem Nachtrag von Piergiuseppe Scardigli.

4) Heinrich Tiefenbach, Das wandalische Domine miserere, in: Historische Sprachforschung 104 (1991), 251-268.

5) Elfriede Stutz, Gotische Literaturdenkmäler, Stuttgart 1966, 48.

6) William Holmes Bennett, The Gothic Commentary on the Gospel of John: skeireins aivanggeljons /oairh iohannen, New York 1960; dazu: Knut Schäferdiek, Gotische Literatur. 2: Skeireins, in: RGA 12 (1998), 450-451; ders., Theologiegeschichtliche Bemerkungen zur Skeireins, in: Gotica Minora, hrsg. v. Christian T. Petersen, Hanau 2002.

7) Salvian von Marseille, De gubernatione dei VII 11, ed. Georges Lagarrigue, SC 220, Paris 1975, 426.

8) Piergiuseppe Scardigli, Das Bleitäfelchen von Hács-Béndekpuszta, in: Die gotische Bibel, hrsg. von Wilhelm Streitberg, Heidelberg 72000, 507-515.

9) Knut Schäferdiek, Der vermeintliche Arianismus der Ulfila-Bibel, in: ZAC 6 (2002), 320-329.

10) Fundkarte bei Evgenia Genceva, Gotskoto pricestvie v Nove, in: Rossen Milev (Hrsg.), Gotite i starogermanskoto kulturnocistoriesko pricestvie po belgarrskite zemi, Sofia 2003, 63-68, hier 66.

11) Text: Ernst A. Ebbinghaus, Gotica XI: The Gothic Calendar, in: ders., Gotica. Kleine Schriften zur gotischen Philologie, Innsbruck 2003, 38-42; vgl. Knut Schäferdiek, Gotische Literatur. 3: Das Kalenderfragment, in: RGA 12 (1998), 451-453.

12) Vgl. Knut Schäferdiek, Germanisierung des Christentums?, in: EvErz 48 (1996), 333-342; Friedrich Wilhelm Graf, Germanisierung des Christentums, in: RGG4 3 (2000), 754; speziell zur völkischen Deutung: Hanns Christof Brennecke, Der sog. germanische Arianismus als arteigenes Christentum. Die völkische Deutung der Christianisierung der Germanen im Nationalsozialismus, in: Thomas Kaufmann/Harry Oelke (Hrsg.), Evangelische Kirchenhistoriker im Dritten Reich, Gütersloh 2002, 310-329. Zur Frage des Volksbegriffs: Patrick J. Geary, Europäische Völker im frühen Mittelalter. Zur Legende vom Werden der Nationen, Frankfurt a. M. 2002.

13) Vgl. Hanns Christof Brennecke, Christianisierung und Identität, in: Ulrich van der Heyden/Heike Liebau (Hrsg.), Missionsgeschichte - Kirchengeschichte - Weltgeschichte, Stuttgart 1996, 239-247.

14) Walahfrid Strabo, De exordiis et incrementis quarundam in observationibus ecclesiasticis rerum 7, ed. Viktor Krause, MG Leg. II 2, Hannover 1897 = 2001, 481,30-40.