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Ausgabe:

Januar/1997

Spalte:

81–83

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Beyer, Franz-Heinrich

Titel/Untertitel:

Theologiestudium und Gemeinde. Zum Praxisbezug der theologischen Ausbildung im Kontext der DDR.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1994. 200 S. gr.8° = Arbeiten zur Pastoraltheologie, 26. Kart. DM 54,-. ISBN 3-525-62335-6.

Rezensent:

Jürgen Ziemer

Der Praxisbezug während des Studiums der Theologie ist ein seit Jahren kontrovers diskutiertes Thema ­ sowohl an den Fakultäten und Hochschulen als auch in den kirchlichen Ausbildungsgremien. So ist es sehr willkommen, daß der Vf. eine Studie zum Thema vorgelegt hat. Er verhandelt das Thema zwar "im Kontext der DDR" ­ die Arbeit wurde in ihrer Erstgestalt kurz nach der Wende in Rostock als Habilitation angenommen ­, aber die Fragestellungen sind auch unter den neuen Bedingungen aktuell. Den empirischen Bezugspunkt für die Untersuchung bilden Berichte Rostocker Theologiestudenten aus ihren Ge-meindepraktika in den Jahren 1973-1988 (151 ff.).

Bevor der Vf. jedoch zu diesen Praxisreflexionen selbst kommt, hat er sich einen langen Anmarschweg auferlegt, um den Theorierahmen für seine das Studium betreffenden Optionen zu gewinnen. Er beginnt mit der Darstellung von "konzeptionellen Entwürfen zum Theologiestudium" (13 ff.) in der DDR und in den alten Bundesländern. Dabei kommt auch die ­ in der Praxis nur teilweise umgesetzte ­ Ausbildungskonzeption des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR zur Darstellung (19 ff). Es verwundert etwas, daß der Vf. auf die in diesem Zusammenhang geführte Diskussion im späteren Verlauf seiner Untersuchungen nicht mehr ausführlich zurückkommt.

M. E. wäre es durchaus sinnvoll, die damaligen Überlegungen für eine situationsgerechte und praxisbezogene Theologenausbildung (Stichwort "Gemeindetheologe") in die heutige Debatte einzuspeisen. Neu aufgenommen hat der Vf. die Darstellung der "Grundsätze" für die theologische Ausbildung und Fortbildung in den alten Bundesländern von 1988. Die 1993 erschienene Druckfassung mit dem gesamten Diskussionsmaterial, bei dem auch der Praxisbezug eine wichtige Rolle spielt, stand ihm noch nicht zur Verfügung. (W. Hassiepen/E. Herms: Grundlagen der theologischen Ausbildung und Frontbildung im Gespräch, Stuttgart 1993).

Im zweiten Kapitel bringt der Vf. einen kurzen Abriß der Ge-schichte des Theologiestudiums unter dem Aspekt seiner leitenden Fragestellung (38 ff.). Hier kommen interessante Entwicklungen zu Worte. Freilich geht es dabei weniger um die tatsächliche Form der Theologenausbildung als vielmehr um die theoretischen Erwägungen dazu. Die Darstellung mußte notwendigerweise fragmentarisch bleiben. Gern hätte man aber in diesem Zusammenhang mehr erfahren über den Einfluß der pädagogischen und philosophischen Bildungskonzepte auf die Gestaltung des Studiums und auch über den Reflex der Theorie/Praxis-Debatte in den Geistes- und Sozialwissenschaften für theologische Ausbildungsverfahren.

Im dritten Kapitel behandelt der Vf. dann "Gesichtspunkte der gegenwärtigen Diskussion zum Theologiestudium" (66 ff.) unter den drei, zunächst etwas heterogen wirkenden Begriffen "Gemeinde", "Oekumene", "Praxisbezug". Besonders intensiv werden unterschiedliche Gemeindevorstellungen auf ihr Pfarrerbild und auf die Konsequenzen für das Studium befragt. Es leuchtet ein, in einer Studie über Praxisbezug nach dem Gemeindebegriff zu fragen; manchmal freilich wirkt dieser Teil etwas überdifferenziert (z. B.: Sind Gemeinden unter dem Aspekt "Missio Dei" [93 ff.] und "Gemeinde mit anderen" [108ff.] wirklich so unterschiedlichen Referenzrahmen zuzuordnen? Und ist es sinnvoll, Kirche als "Lerngemeinschaft" [111 ff.] unter dem Leitgedanken Gemeinde als "sozialer Ort" zu subsumieren?).

Das Thema Praxisbezug wird dann innerhalb dieses Kapitels unter den Reizworten "Motivation" und "Frustration" behandelt (127 ff.). Die Problematik eines Praxisbezugs zum Studium wird vom Vf. auf unterschiedlichen Wegen erwogen. Es wird besonders deutlich an den vom Vf. aus soziologischen Untersuchungen festgestellten "Dilemma": "Das Gelingen des Schrittes von der Motivationslage der StudentInnen am Studienbeginn zu der Identifizierung mit der wissenschaftlichen Welt im Studium ist nicht selbstverständlich. Dort, wo dieser Schritt gelungen ist, wird häufig eine Distanz zur späteren beruflichen Praxis bewirkt." (139).

Demzufolge geht es dem Vf. nicht um einen vordergründigen "pragmatisch-berufsfunktionalen", sondern um einen komplexen Praxisbegriff, der "Praxis" in der "Zusammenschau" der drei Bezugspunkte "Gemeinde mit Menschen", "Theologische Orientierung" und "Subjekt des Theologen" begreift (149). Konkret heißt das, daß in den Praktika, die der Vf. diskutiert, nicht primär Berufserfahrungen vermittelt werden sollen, sondern es soll vor allem die "Wahrnehmung" der jeweiligen Lebens- und Gemeindewirklichkeit ermöglicht werden, und dies sowohl als Fremd- wie auch als Selbstwahrnehmung des Studierenden selbst. Davon geben schließlich im vorletzten Kapitel die Praktikumsberichte der Rostocker Theologiestudenten einen guten Eindruck. Schade, daß der Vf. seine Untersuchung auf die Rostocker Berichte beschränken mußte. Wichtiger als dieses Bedauern: Der Vf. gibt nur wenig Einblick in die Art und Weise seines methodischen Vorgehens. Gern wüßte man z. B.: Gab es Vorgaben für die Berichte, etwa ein Frageraster? Unter welchen Bedingungen wurden sie verfaßt (noch während des Praktikums in Absprache mit dem Mentor, nach dem Praktikum im Studium)? Gab es eine Evaluierung der Berichte usw.?

Interessant wäre sicher auch zu erfragen, wie die Berichterstatter am Ende ihres Studiums oder im Vikariat rückblickend ihr Praktikum einschätzen würden. Und für das Thema wäre zudem wichtig gewesen zu erfahren, wie das Praktikum aus der Sicht derer zu bewerten ist, die das Studium zu verantworten haben. Gab es Impulse für den weiteren Lehrbetrieb, die den Praxisbezug möglicherweise auch für die Theoriearbeit des Studiums relevant werden ließen? Indirekt enthält die Arbeit schon die eine oder andere Antwort auf diese Fragen, aber es wäre hilfreich gewesen, sie ausgearbeitet zu sehen.

Ein gewisser Mangel der Arbeit aus meiner Sicht (aber das ist vielleicht schon eine theologische Standortfrage) ist die zu schmal geratene Reflexion auf das "Subjekt des Theologen". So wichtig das künftige Berufsfeld, also auch vor allem der Kontakt mit der Gemeinde für das Studium der Theologie ist, der primäre Praxisbezug sollte die Person des Studierenden selbst sein, ihre biographischen und religiösen Erfahrungen, ihre Auseinandersetzung mit dem Glauben und den ihn zugrundeliegenden Traditionen, ihre Identifikation mit der kirchlichen Wirklichkeit und ihr Widerspruch zu ihr. Mit anderen Worten: Ein Schuß Pastoralpsychologie, wie sie in der Schule E.-R. Kiesows doch nahegelegt wird, hätte der Arbeit recht gut getan. Nichtsdestotrotz: Der Vf. hat eine Studie vorgelegt, die der Fundierung und Förderung der Diskussion um die Theologenausbildung dient. Er hat dafür gesorgt, daß das Thema Praxisbezug im Gespräch bleibt. Dafür ist ihm zu danken.