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Ausgabe:

Mai/2004

Spalte:

467–480

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Kratz, Reinhard G.

Titel/Untertitel:

Odil Hannes Steck und seine Arbeiten über das Alte Testament1

Am 15. Januar 2001 schrieb Odil Hannes Steck an seine Kollegen und Freunde: "Ich meine mich noch gut zu erinnern, als es mit meinem so verehrten Lehrer Gerhard von Rad, dem ich den Blick für die Texte und das, was das Wesentliche in ihnen ist, verdanke, im Oktober 1971 zum letzten Abschied kam und ihm kurz zuvor noch die Festschrift überreicht wurde. Eine schon entrückte Freude glaubte ich damals bei ihm zu sehen, ein interessiertes Lesen der Namen und Titel und auch da und dort des Inhalts, ein Empfangen der Ehrung aus einer Nähe und Distanz zugleich und doch keine Kraft und lange Frist mehr, alles im Einzelnen und Besonderen aufzunehmen und persönlich zu verdanken. In aller Bescheidenheit - daß ich in einer vergleichbaren Lage bin, ist offen; aber es sind zur Jahreswende in meiner Erkrankung doch Komplikationen aufgetreten, ich muß sehen, was daraus wird." Als er diese Zeilen schrieb, war Steck in einer vergleichbaren Lage: Am 26. Dezember des Jahres 2000 bekam er im Kreis der Familie und Freunde die Festschrift zum Fünfundsechzigsten2 überreicht, im darauf folgenden Januar wurde die offizielle Übergabe im Großmünstergebäude der Zürcher Theologischen Fakultät feierlich und heiter zugleich begangen, am 30. März 2001 ist er verstorben. Mit der Würdigung des Lehrers ist der Schüler eigentlich überfordert. Wenn ich dennoch der Anfrage von Seiten der Redaktion dieser Zeitschrift Folge leiste, diesen Rückblick zu veröffentlichen, so in der Hoffnung, dass er dem Menschen und dem Gelehrten einigermaßen gerecht wird und vor allem zum intensiven Studium seiner Werke einlädt.

I.

Leben und Werk3 von Odil Hannes Steck haben etwas Geradliniges an sich. Zwar wechselten die Stationen - zuerst München, wo er am 26. Dezember 1935 geboren wurde, dann die Studienorte Neuendettelsau, Heidelberg, Wuppertal und Erlangen, danach die Wirkungsstätten Hamburg, Mainz und Zürich -, doch durch all die Ortswechsel ist er seiner Art stets treu und in seinen Arbeiten bei den Themen seines Lebens geblieben.

Eine Art Lebensmitte stellte die Heidelberger Zeit von 1961 bis 1967 dar. Wie er als Sohn eines Professors für Mathematik und Kunstliebhabers zur Theologie gekommen ist, davon hat Steck mir gegenüber nie gesprochen, dafür umso mehr von dieser Heidelberger Zeit. In sie fällt die schicksalhafte Begegnung mit Gerhard von Rad. Beide verband die im weitesten Sinne bayrische Herkunft. Und ihm verdankte er die Weichenstellung für die Zukunft, sich nicht für Günther Bornkamm und das Neue Testament, das Promotionsfach, noch für den Minister Wilhelm Hahn und die Praktische Theologie, die mensa des Assistenten, sondern für das Alte Testament entschieden zu haben, zu jener Zeit eines der Glanzlichter der Heidelberger Fakultät. "Von Rads Rat gefolgt und Alttestamentler geworden zu sein, ist - so muß ich erst recht in der Rückschau uneingeschränkt sagen - ein Glück meines Lebens" - so schrieb er in dem Rundbrief am Ende dieses seines Lebens. Den Rat muss ihm von Rad 1965, dem Jahr der Promotion, gegeben haben; schon 1967 erfolgte die Habilitation im Fach Altes Testament.

Vorausgegangen war die nicht weniger schicksalhafte Begegnung mit einem anderen Glück seines Lebens. Nach bestandenem Ersten Theologischen Examen und zweijähriger Verlobungszeit wurden er und seine Frau Sabine, geb. Krüger, 1961 in der Heidelberger Universitätskirche, der Peterskirche, getraut. Aus der Ehe gingen die beiden Töchter Beatrice (geb. 1965) und Bettina (geb. 1970) hervor. Das eine ist ohne das andere nicht zu denken. Die fachliche Orientierung und die damit verbundene Berufswahl haben das Familienleben schon äußerlich - durch die vielen Ortswechsel und das heilige Studierzimmer, in dem der Ehemann und Vater saß und das zu betreten "unter Todesstrafe" verboten war - geprägt. Doch ohne diese Familie, ohne diese Frau, wäre auch der Dienst an dem heiligen Buch, wie Steck ihn verstanden und sein Leben lang versehen hat, nicht möglich gewesen. In den Heidelberger Jahren zwischen 1961 und 1967, gewissermaßen in der Akme seines Lebens, sind diese beiden wichtigen, vielleicht die wichtigsten Entscheidungen gefallen.

In den rund 30 Jahren davor, einer Zeit, die meine Generation, die noch nicht geboren war, nur vom Hörensagen kennt, liegen die Wurzeln dessen, was sein Leben und Schaffen danach ausmachte. Die Kindheit war durch die Ängste und Entbehrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit geprägt, die Steck zuerst in München-Solln und später im elterlichen Haus am Chiemsee verbrachte. Wie viele Menschen seiner Generation zeichnete auch ihn bis zum Schluss eine eiserne Disziplin, Bescheidenheit und Sparsamkeit aus - sparsam besonders an Papier, das von ihm zwar reichlich, aber nicht unter zweimal und bis in die letzte Ecke beschrieben und, ganz gleich, was es war, aufgehoben wurde. Die Disziplin, die er nicht im Militär, sondern im Leben erlernte, kennzeichnete auch seinen Arbeitsstil. Kein Tag, an dem sein Arbeitstagebuch nicht irgendeine Eintragung enthielte. Keine Beobachtung, keine Schlussfolgerung, keine Hypothese, die nicht zuerst der Kritik ausgesetzt worden wäre, bevor sie weiter verfolgt wurde. Kein Wort, das - bei aller Vorliebe für barocke Formulierungen und lange Fußnoten - nicht wohlüberlegt gewesen wäre, bevor es niedergeschrieben und veröffentlicht wurde. Den konzentrierten Arbeitsstil hat er wie selbstverständlich auch von seinen Studenten, Mitarbeitern und Schülern erwartet. Brachten sie die Disziplin nicht mit, brachte er sie ihnen bei. Was nach seinen Erzählungen bei von Rad die "noblen, ungläubigen, vernichtenden Rückfragen, eingeführt mit: Herr Steck, meinen Sie?" waren, das war bei ihm die plastische Metapher des Schraubstocks, in den ein richtiger Promovend eingespannt gehöre. Was die Arbeit am Alten Testament anging, verstand er keinen Spaß. Es ist allen gut bekommen.

Großen Spaß hatte er an den Genüssen des Lebens. Wer ihn kannte, weiß, wie herzlich er lachen, wie anschaulich er erzählen konnte und wie gerne er gut und deftig aß, am liebsten Bayrisches. Eine erste Reise nach dem Krieg zusammen mit seinem Vater hatte ihn 1949 in die Schweiz geführt. Der 14-Jährige hielt in seinem Tagebuch penibel fest, was es da jeden Tag an Köstlichkeiten zu essen gab. Dass er einmal das Brot dieses Landes essen würde, konnte er damals noch nicht ahnen, doch gehört dies zu den schönen Fügungen, die seinem Leben die gewisse Geradlinigkeit verliehen. Das Essen steht pars pro toto für die Freude und die Dankbarkeit, die er für das Geschenk des Lebens und seines Lebensweges, für die Lebensumstände und die Menschen, zumal in seiner Schweizer Wahlheimat, für die Natur und die Tiere, vor allem seine zierlichen Hunde, empfand und überreich ausdrücken konnte, manchmal vielleicht, um sich selbst über manches hinweg zu trösten, meistens aber spontan und echt, je länger desto mehr.

Es war dieses Gefühl der Dankbarkeit dem geschenkten Leben gegenüber und noch nicht die Mode - Steck war eher ein altmodischer Mensch -, das ihn sehr früh bewog, sich immer wieder mit den einschlägigen Schöpfungstexten des Alten Testaments, vor allem mit der Urgeschichte, den Psalmen und Deuterojesaja, zu beschäftigen und die Frucht seiner Studien in dem Buch "Welt und Umwelt"4 auch einer breiteren Leserschaft zugänglich zu machen. Im Fach hat vor allem die Monographie zum priesterschriftlichen Schöpfungsbericht in Gen 15 Aufsehen erregt, ein Buch, das gegen die übliche Sichtweise, auch gegen die Sicht seines Lehrers Gerhard von Rad, mit Gründen wieder die literarische Einheitlichkeit von Gen 1 behauptet und darüber hinaus eine Fülle neuer Beobachtungen und Klärungen zur Priesterschrift im Ganzen enthält, von denen die Forschung bis heute zehrt.

Ein anderes, nicht ganz leichtes Erbe aus der Kindheit war die Krankheit, ein schweres Bronchialasthma, das schon den Schüler plagte, im Alter wieder heftiger wurde, sich ausweitete und schließlich - vor der Zeit - zum Tode führte. Die Krankheit schränkte die Bewegungsfähigkeit des Kindes ein, das, wie Steck im Lebenslauf schreibt, daher "von früh an auf die reiche Kultur des Elternhauses bezogen" war. Kunst, Literatur und insbesondere die Musik waren die Welten, in denen er aufwuchs und sich zeitlebens bewegte. Auch das eine Fügung, die sein Leben nicht ärmer, sondern reicher machen sollte und sich bis zum Ende durchzog: Als Schüler war er Organist in seiner Heimatkirche, als Student gab er Klavierstunden im Hause Bornkamm, als Professor gründete er ein Streichensemble. Seine musikalische Begabung und sein Beruf verbanden sich in kongenialer Weise in seiner Beschäftigung mit Arnold Schönberg. Die Vorlesung über die Psalmen begann regelmäßig mit einer Betrachtung der "Modernen Psalmen", dem unvollendet gebliebenen Spätwerk Schönbergs aus dem Jahr 1950. Anlässlich der Einladung der Theatergemeinde Köln zur Werkeinführung in die Oper "Moses und Aron" im Jahre 1978 entstand eine Interpretation des von Schönberg selbst verfassten Texts, die Steck aus dem Vergleich mit dem biblischen Stoff gewinnt - ein eigenständiger Beitrag zur Schönberg-Forschung und zugleich ein Anreiz, sich in beides, den biblischen Stoff und das fulminante Werk Schönbergs, zu vertiefen. Der Vortrag wurde an verschiedenen Orten gehalten, die ausführliche Fassung ist 1981 erschienen und "Den Schweizer Freunden" gewidmet.6 Im Jahre 1978 war Steck dem Ruf nach Zürich gefolgt, eine Entscheidung, die er bei allem, was gewesen ist, nie bereut hat: "Ich sehe in dem Ruf nach Zürich das Glück meines Lebens" - schreibt er in dem Lebenslauf.

II.

Zürich - das war das vorläufige Ziel eines sehr raschen, steilen Aufstiegs des jung berufenen Professors. Mit 30 Jahren promoviert, mit 32 habilitiert, wurde er noch kein Jahr später zum Sommer-Semester 1968 als Nachfolger von Hans-Joachim Kraus auf den Lehrstuhl für Altes Testament nach Hamburg berufen, wo er acht Jahre, bis 1976, blieb.

Mit seinem Kommen erhielt die Denomination des Hamburger Lehrstuhls den Zusatz "und spätisraelitische Religionsgeschichte". Das war mehr als eine Äußerlichkeit. Steck hat in einer Zeit studiert, in der der Kampf für oder gegen die existentiale Interpretation der Bibel noch voll entbrannt war. Über den Kreis der Alten Marburger lernte er von ferne die großen Wortführer, Martin Heidegger und Rudolf Bultmann, kennen, in Heidelberg hörte er die vornehm distanzierten Stimmen, Günther Bornkamm und Gerhard von Rad, in Wuppertal kam er mit Klaus Koch und Wolfhart Pannenberg, den Kündern der Offenbarung als Geschichte, in Berührung. Die damaligen Debatten empfand Steck als zu theoretisch, zu wenig text- und lebensnah. Er zog es darum vor, sich in seiner neutestamentlichen Dissertation7 mit einem Thema zu befassen, das abseits der aktuellen Diskussionen lag und ihm nicht permanent eine existentiale Entscheidung abverlangte. Wie sich herausstellen sollte, hat er mit diesem scheinbar nebensächlichen Thema, der Frage nach der Geschichte einer theologischen Konzeption, eines der zentralen Themen der künftigen exegetischen Forschung getroffen.

Im Neuen Testament bewegte er sich auf der Linie der traditionsgeschichtlichen Untersuchung von Ferdinand Hahn über die Geschichte der christologischen Hoheitstitel, nur dass er sich sehr viel mehr dem jüdischen Hintergrund der neutestamentlichen Aussagen und den lange vernachlässigten Rändern des Alten Testaments sowie den Apokryphen und Pseudepigraphen zuwandte. Er hat, ähnlich wie Julius Wellhausen in seiner frühen Studie über die Pharisäer und die Sadduzäer, den Bereich der "spätisraelitischen Religionsgeschichte" als Ausgangspunkt gewählt, um mit dem geschärften Blick für die verschiedenen theologischen Richtungen des Judentums zurück auf das Alte und nach vorne auf das Neue Testament zu schauen.

Auch der Einfluss Gerhard von Rads ist in der Dissertation mit Händen zu greifen, nur dass der Überlieferungs- und Traditionsprozess, von dem von Rad in seiner Theologie viel gesprochen hat, hier zum ersten Mal methodisch reflektiert und für eine repräsentative Konzeption der jüdischen Theologiegeschichte nach allen Regeln der historisch-kritischen Kunst rekonstruiert wurde. Von Rad war Theologe und Literat, Steck erwies sich - bei allem Sinn fürs Literarische und Theologische- schon in seiner Erstlingsarbeit als Historiker. Das Buch, von Steck stets nur "der tote Prophet" genannt, ist in der alttestamentlichen Forschung seltsamerweise wenig rezipiert, in jüngster Zeit sogar einmal mutwillig falsch referiert und unter dieser Voraussetzung attackiert worden. Die künstlichen Grenzen des Kanons sind der Forschung nur schwer auszutreiben. Die in dem Buch entwickelte Methode und die sich schon hier anbahnende Sicht von der Traditions- oder Theologiegeschichte im Alten Testament haben sich jedoch, vermittelt durch zwei einschlägige Aufsätze8 und eine Fallstudie, der knappen, meisterhaften Rekonstruktion der Jerusalemer Psalmentheologie9, im Fach durchgesetzt. Das 1971 in erster Auflage erschienene, gemeinsam mit dem damaligen Assistenten Hermann Barth herausgegebene Arbeitsbuch10, das in mehrere Sprachen übersetzt wurde und 1999 in der 14. Auflage erschienen ist, hat zur Aufnahme in den in Proseminaren eingeübten Methodenkanon und zur weltweiten Verbreitung dieser Sicht beigetragen.

In Hamburg, dem ersten Wirkungsort, haben sich die Stecks nicht wirklich wohl gefühlt. Zwar waren sie umgeben von geschätzten Menschen, vom Ratzeburger Dom, zu dem sie Sonntag für Sonntag pilgerten, von viel Kultur, Ausstellungen und Konzerten. Doch das alles vermochte den bürgerlich gesonnenen Süddeutschen im politisierten Norden nicht zu halten. Nachdem er 1971 einen Ruf an die neu gegründete Theologische Fakultät seiner Vaterstadt München - "schwersten Herzens", wie es im Lebenslauf heißt - abgelehnt hatte, wechselte er 1976, um in Bayern wohnen und den Kindern den Besuch einer bayrischen Schule ermöglichen zu können, an die Universität Mainz auf den Lehrstuhl von Fritz Maaß. Auch hier hielt es ihn nicht lange. Schon zwei Jahre später, 1978, erreichte ihn anlässlich der Emeritierung von Hans Wildberger der Ruf aus Zürich, dem er ohne Zögern folgte.

In den Jahren der vielen Wechsel, Jahren auch der hochschulpolitischen Turbulenzen, wie sie von Zeit zu Zeit die Universitäten heimsuchen, war Steck überaus produktiv. Außer den wegweisenden traditionsgeschichtlichen Studien fallen in diese Periode die Arbeiten zu den Schöpfungstexten und zu verschiedenen anderen Themen, darunter immer wieder Beiträge zur so genannten Spätzeit des Alten Testaments, die ihm seit der Dissertation besonders am Herzen lag. Kaum weiterverfolgt hat Steck die Untersuchungen auf dem Feld des deuteronomistischen Geschichtswerks, die er in seiner Habilitationsschrift11 aufgenommen hatte. Auch mit den neuen Fragen der Pentateuchkritik hat er sich literarisch wenig beschäftigt; dafür war in Zürich der Kollege Hans Heinrich Schmid zuständig, und vielleicht war auch der Respekt vor dem großen Lehrer Gerhard von Rad zu groß. Doch anders als viele Fachgenossen, die bei jeder Veränderung sogleich die ganze Welt zusammenbrechen sehen, war er für die neuen Ideen und Entdeckungen bis zuletzt aufgeschlossen.

Bei ihm selbst kündigte sich mit der Serie von drei Aufsätzen zur so genannten Denkschrift des Jesaja in Jes 6-8 aus den Jahren 1972-197312 ein weiteres, scheinbar ganz anderes Arbeitsfeld an: die Prophetenüberlieferung. In diesen frühen, aus der ersten Jesaja-Vorlesung erwachsenen Studien ist Steck aufgegangen, dass das ursprüngliche Prophetenwort nur in literarischer Brechung überliefert ist, dass es Prophetentexte gibt, die gar keine Vorgeschichte haben, sondern nur für den literarischen Kontext des Prophetenbuches verfasst sind, und schließlich, dass bei der literarischen Neufassung und der Bildung von Prophetenworten der Leseablauf des näheren und ferneren Kontexts eine nicht unmaßgebliche Rolle spielt. Das Feld wurde zunächst anderen überlassen, bis es ihn zehn Jahre später unter veränderten Bedingungen noch einmal, und von da an kontinuierlich bis zum Ende beschäftigte.

Was alle Arbeiten bis Anfang der 80er Jahre (zur Urgeschichte, zu den Psalmen, zu Jesaja und Deuterojesaja, zu Daniel und der Apokalyptik) zusammenhält, ist die Suche nach dem in den Einzeltexten implizierten theologischen Gesamtkonzept und seiner historischen Einordnung. Dafür steht die an vielen Texten und Themen erprobte, von ihm weiterentwickelte Methode der Traditionsgeschichte, die - auf religionsgeschichtlicher Basis- Tradition als auf die Geschichte bezogenes und ihrerseits geschichtliches geistiges Phänomen fasst, wenn man so will: die alte Wellhausensche Literargeschichte ins Konzeptionelle gewendet. Die Arbeiten zeichnet aus, dass sich mit den akribischen philologischen, religionsgeschichtlichen und historischen Detailuntersuchungen stets der Blick fürs Ganze - einer theologischen Vorstellung, einer Schrift, einer theologiegeschichtlichen Entwicklung für sich wie im Verhältnis zu anderen theologischen Traditionen und Entwicklungen - verbindet. Steck interessierte die geistige Welt, aus der die Texte stammen, und die konkrete Situation, die Lebenserfahrung, die hinter den Texten steht und sich in ihnen als Gotteserfahrung Ausdruck verschafft. 1982 ist ein Sammelband mit den wichtigsten Aufsätzen aus den zurückliegenden rund 15 Jahren erschienen unter dem programmatischen Titel "Wahrnehmungen Gottes im Alten Testament"13.

III.

Die Zeit, die ihm noch blieb, hat Steck vor allem für Arbeiten auf dem Gebiet genutzt, auf dem er Anfang der 70er Jahre fündig geworden war und auf das er sich erneut begab: die alttestamentliche Prophetenliteratur. Die Situation im Fach war Anfang der 80er Jahre von extrem divergierenden Richtungen geprägt. Nach wie vor suchte die Mehrheit der Fachgenossen nach den ipsissima verba, den formgeschichtlich präparierten kleinen Einheiten, aus denen man die Botschaft der großen Propheten zu vernehmen meinte. Auf der anderen Seite gab es die Tendenz, auf die unsichere Rekonstruktion zu verzichten und den anderen, nicht weniger unsicheren Weg zu beschreiten, die Bücher der Propheten so zu nehmen, wie wir sie haben. Dazwischen war so gut wie alles möglich: von der Entdeckung der Literarizität der kleinen Einheiten bis hin zur literarkritischen sectio der Bücher.

Steck griff mit einer 1983/84 erarbeiteten und 1985 erschienenen Studie zu Jesaja 3514 in die Diskussion ein und wies mit der konsequenten Anwendung der - für den Pentateuch und das deuteronomistische Geschichtswerk längst etablierten, in der Prophetenforschung seit den 70er Jahren sporadisch praktizierten - redaktionsgeschichtlichen Methode einen Weg aus dem Dilemma. Die Studie zu Jesaja 35 zeichnete den Weg für die nächsten Jahre vor. Ihr folgten eine Fülle von Einzelstudien zu Trito- und Deuterojesaja, die in Sammelbänden zusammengestellt und hier noch einmal überarbeitet wurden,15 sowie drei gewichtige Gesamtdarstellungen, die den Ertrag der Forschungen am Jesajabuch auf das Zwölfprophetenbuch, das corpus propheticum und den alttestamentlichen Kanon im Ganzen ausweiteten und das literarische Werden der Prophetenbücher als solches methodisch, inhaltlich und hermeneutisch behandeln.16 Die Beschäftigung mit der Textüberlieferung des Jesajabuchs in den Handschriften vom Toten Meer, wozu Steck in seinen letzten Jahren ebenfalls einschlägige, in Fachkreisen viel beachtete Publikationen vorgelegt hat,17 runden das umfängliche Werk ab.

Es ist kaum übertrieben zu sagen, dass Steck mit diesen Arbeiten eine Wende in der Prophetenforschung eingeleitet oder wenigstens maßgeblich befördert und ein neues Prophetenbild inauguriert hat.18 Im Unterschied zur formgeschichtlichen Atomisierung und naiven Historisierung der kleinen Einheiten ist dabei stets das ganze Prophetenbuch, die überlieferte literarische Fassung der Prophetenworte, im Blick. Im Unterschied zur neueren literaturwissenschaftlichen Exegese und unkritischen Lektüre des masoretischen Kanons wird für eine historische Synchronlesung im zeitgeschichtlichen Kontext der erhaltenen Handschriften plädiert und an der Notwendigkeit der literarhistorischen Differenzierung der biblischen Bücher festgehalten. Steck war Historiker und ist es - auch und gerade um des Verständnisses der vorliegenden Bibel, des so genannten Endtextes, willen - geblieben. Als solcher hat er die Propheten und ihre Bücher als Resultat eines literarischen Traditionsprozesses zu sehen gelehrt, als Hinterlassenschaft einer schriftgelehrten jüdischen Überlieferung, die im Namen des Propheten Gottes Wort in der Zeit bedacht, auslegend fortgeschrieben und so an die Nachwelt weitergegeben hat.

Den Grund für das von Steck entworfene Bild der prophetischen Überlieferung haben seine exegetischen Arbeiten zum Jesajabuch gelegt. Steck war kein Freund großer Theorien, methodischer Modelle oder theologischer Konzeptionen, die ohne exegetisches Fundament ersonnen und an die Texte herangetragen werden. Er ging von den Textbefunden aus und schätzte die exegetische Kleinarbeit, aus der die Gesamtsicht hervorging. Das Jesajabuch bot ihm dafür ein dankbares und repräsentatives Arbeitsfeld, birgt es doch nicht nur eine Fülle kniffliger exegetischer Einzelprobleme in sich, sondern umfasst den gesamten Zeitraum der prophetischen Überlieferung von der assyrischen bis in die hellenistische Zeit und erfreute sich auch nach Abschluss des Prophetenkanons um 200 v. Chr. einer besonderen Wertschätzung und Rezeption in der jüdischen und christlichen Auslegungsgeschichte.

Am Beispiel der Denkschrift des Jesaja in Jes 6-8 ist Steck eher als manchem anderen klar geworden, dass die Worte der Propheten nicht im originalen Wortlaut, sondern im Reflex, gebrochen durch die Verschriftung sowie die Erfahrungen einer späteren Zeit, überliefert sind. Aus dem ehemaligen Heilsorakel für Juda, das den Feinden im syrisch-efraimitischen Krieg, Aram und Israel, den Untergang prophezeit (Jes 7,4-9; 8,1-4), ist in der Rückschau eine Gerichtsansage für Juda und Israel geworden, die den "beiden Häusern Israels" (8,14) die verpasste Chance zur Umkehr vor Augen hält und den Untergang androht. Die Wende wird theologisch interpretiert: JHWH selbst hat es so gewollt, dass die (Heils-)Botschaft des Jesaja zur Falle für das sündige Volk wird und es in den Abgrund reißt. Die Berufung wird so zur Offenbarung des göttlichen Willens an den Propheten und teilt ihm nicht den Inhalt, sondern den Zweck seiner Verkündigung mit: "Hört und versteht es nicht, seht und merkt es nicht! Mach fett das Herz dieses Volkes und seine Ohren schwer und verklebe seine Augen, damit es mit seinen Augen nicht sieht und mit seinen Ohren nicht hört und sein Herz nicht zur Einsicht kommt, es nicht umkehrt und geheilt wird" (Jes 6,9-10). Steck stellt ausführliche Überlegungen zu der Frage an, wie es zu dieser Kehrtwende in der Verkündigung Jesajas gekommen ist, und führt sie schließlich auf den Propheten selbst zurück, der im Laufe seines Wirkens zu dieser Einsicht gekommen sei und sie für seinen engeren Schülerkreis, gewissermaßen als prophetisches "Testament" (B. Duhm), schriftlich fixiert habe.19 Die wissenschaftliche Literatur zu Jesaja hat daraus ganze Romane über das erfolglose Wirken und die Enttäuschung oppositioneller Prophetenkreise in Israel und Juda gesponnen, dabei aber übersehen, dass das Erzählmuster vom Propheten, der in seinem Land nichts gilt, zu den Darstellungsmitteln der theologischen Reflexion gehört, den faktischen Untergang Israels und Judas zu verarbeiten. Heute übt man denn auch eher Zurückhaltung gegenüber der biographischen Deutung und zieht mehr den "Schülerkreis", d. h. die Tradenten der Jesajaüberlieferung, als produktive Kräfte in Betracht. Entscheidendes hängt davon nicht ab, zumal ohnehin nicht jeder Vers in Jes 1-66, wie es die Überschrift und die Tradition wollen, vom Propheten Jesaja stammt. Das ist Konsens, und so bräuchte es um die Authentizität eigentlich nicht zum Streit kommen.

Die Ausarbeitung der Redaktionsgeschichte des Protojesajabuchs (Jes 1-39) hat Steck nicht selber vorgenommen, sondern seinem Schüler Hermann Barth übertragen.20 Steck selbst hat sich dagegen den Spätschichten des Jesajabuchs zugewandt und hier die schriftgelehrte Arbeit der Tradenten Jesajas studiert. Mit der knappen Studie "Bereitete Heimkehr" über Jes 35 ist ihm erneut ein Durchbruch gelungen. Minutiös werden die literarischen und sachlichen Querbeziehungen des Kapitels in das ganze Jesajabuch aufgedeckt und damit das bis dahin übliche Quellenmodell schlagend widerlegt. Die Querbeziehungen beruhen nicht nur auf Kenntnis und literarischer Abhängigkeit in einer ansonsten freischwebend entstandenen (kleinen) Jesaja-Apokalypse, sondern sind höchst überlegt für den Buchzusammenhang formuliert, um, wie Steck meinte, zum ersten Mal eine literarische Verbindung zwischen Erstem und Zweitem Jesaja herzustellen.

Das literarische Phänomen, die Fortschreibung vorgegebener Kontexte, war seit langem bekannt. Das Neue bestand in der Entdeckung, dass es wie in der erzählenden Literatur auch in der prophetischen Überlieferung nicht nur punktuelle Fortschreibungen, also Glossen und Zusätze bis hin zu ganzen Bündeln oder Schichten von Ergänzungen gibt, sondern redaktionelle Texte mit sehr weit gespanntem redaktionellen Horizont, die ein ganzes Buch neu strukturieren und damit eine Leseperspektive eröffnen, die das Verständnis des Buches erkennbar in die gewollte Richtung lenken. Außer den literarischen Querbeziehungen sind dafür eine Reihe weiterer Faktoren verantwortlich: der Ort im Kontext, die Position der bevorzugt zitierten Texte im Ablauf der Buchlektüre, weitere redaktionelle Scharnierstücke aus derselben Hand. Ein besonderes Merkmal solcher redaktionellen Texte ist, dass sie nicht aus sich heraus, sondern nur im Zusammenhang mit den anderen, bevorzugt den zitierten Texten des überlieferten und der Fortschreibung vorgegebenen Kontexts verständlich sind. Altes und neues Textgut bilden eine Einheit und wollen als solche gelesen werden. Bei dieser Betrachtungsweise greifen auf elegante Weise die so genannte synchrone (vor- oder nachkritische) und die diachrone (literarkritische) Betrachtungsweise ineinander, ergänzen und korrigieren sich gegenseitig. Es wird nicht einfach nur Sekundäres von Ursprünglichem geschieden, aber auch nicht auf jede Unterscheidung verzichtet. Anhand der eindeutig identifizierbaren redaktionellen Texte wird vielmehr eine literar- und auslegungsgeschichtliche Entwicklung sichtbar, bei der das eine aufs andere aufbaut und das Buch von "Endgestalt" zu "Endgestalt" anwächst, bis hin zum vorliegenden Umfang in den verschiedenen Textfassungen des hebräischen und griechischen Kanons.

Die Untersuchung von Jes 35 hat Steck auf die Fährte gesetzt. Das Verfolgen der Spur mündete in eine frische Analyse der Zion-Texte in Jes 49-55 und 60-6221 sowie in eine erstmals 1987 auf dem Kongress in Leuven22 vorgetragene, neue redaktionsgeschichtliche Hypothese zu Tritojesaja: "Tritojesaja", kein Prophet und auch keine ehemals selbständige prophetische Schrift, schon gar keine Einheit, sondern eine in drei Schüben (Jes 60-62, Jes 56-59 und Jes 63-66) gewachsene Fortschreibung zuerst des Deutero- und ab dem zweiten Schub des durch die Jes 35-Schicht konstituierten Großjesajabuchs. Die Hypothese macht für Tritojesaja mit der Vorstellung der kleinen Einheiten und ihrer Sammlung konsequent Schluss und erklärt die von Deutero- und Protojesaja literarisch abhängigen, schriftgelehrten prophetischen Texte in dem Kontext, in dem sie stehen und für den sie auch geschaffen sind. Alles in allem ergibt sich so ein umfassendes Bild vom Werden des Jesajabuchs von seinen Anfängen in assyrischer bis zu seiner letzten Gestalt in hellenistischer Zeit und mit ihm ein Überblick über die jüdische Theologiegeschichte.

Texte in herausragender Position und mit hoher Zitatdichte (wie Jes 12; 33-35; 40; 49; 55-56; 60-62; 65-66) markieren die verschiedenen redaktionsgeschichtlichen Stadien und steuern Lektüre und Verständnis des Buches in seinem jeweiligen literarischen Zusammenhang. Nach dem Abschluss der produktiven Phase übernehmen Randmarkierungen der Schreiber in der Textüberlieferung diese Funktion. Sie können exemplarisch an der Jesaja-Handschrift 1QIsa von Qumran studiert werden, der Steck eine eigene Untersuchung widmete. Dies ist vielleicht das schönste Beispiel einer historisch orientierten Endtextlesung, wie sie Steck im Unterschied zur heute vielfach praktizierten schlichten, gelegentlich aber auch sehr komplizierten Paraphrase des Bibeltexts vorschwebte.

Eine Bilanz der am Jesajabuch geleisteten Arbeit zog Steck in der Monographie "Die Prophetenbücher und ihr theologisches Zeugnis. Wege der Nachfrage und Fährten der Antwort" aus dem Jahr 1996. Es handelt sich um die Ausarbeitung eines im zweiten Teil des Buches wieder abgedruckten, vor allem am Schluss stark erweiterten und um einen ersten Teil vermehrten Vortrags, der 1992 im Rahmen einer Zürcher Ringvorlesung zu Ehren von Gerhard Ebeling gehalten und zuerst 1993 veröffentlicht wurde.23 In dieser Monographie ist der Rahmen noch einmal weiter gesteckt. Im Blick sind nicht nur das Jesajabuch und die prophetische Überlieferung, sondern - wie schon im "Abschluß der Prophetie" von 1991 - der Kanon und die außerkanonische Rezeption der Prophetenbücher. Ausgehend vom handschriftlichen Befund der fertigen Bücher untersucht Steck hier im Besonderen die hermeneutischen Prinzipien der Auslegungs- und Rezeptionsgeschichte, die mit der Entstehung der Prophetenbücher beginnt und sich in der Sammlung des Kanons und außerhalb dessen etwa in den Pescharim von Qumran fortsetzt. Kurz gesagt handelt es sich darum, dass den Worten der Propheten in der Überlieferung die Qualität des Wortes Gottes zugeschrieben wird, das seine Gültigkeit über Jahrhunderte hinweg behält und darum fortwährend ausgelegt, d. h. durch prophetische Fortschreibung aktualisiert und angeeignet wird. So lässt sich den Büchern der Propheten für alle Zeiten entnehmen, dass "Gott nichts tut, er offenbare denn seinen Ratschluß den Propheten, seinen Knechten" (Am 3,8; vgl. 1QpHab VII, 4 f.).

Man kann fragen, ob die starke Fokussierung auf den Gesamtzusammenhang der Bücher in jedem Fall das Richtige trifft.24 Daneben hat es zweifellos immer auch die selektive Lektüre und Auslegung einzelner, mehr oder weniger zufällig ausgewählter Perikopen oder Einzelverse gegeben, wovon im Text Glossen und Zusätze und außerhalb dessen etwa die versweise Auslegung in den Pescharim von Qumran oder Zitate in anderen Schriften wie den Evangelien zeugen. Die Wahrheit liegt vermutlich, wie so oft, in der Mitte: Die einen haben nur einzelne Verse oder Abschnitte, die anderen - auch dies natürlich mit selektiver Wahrnehmung - ganze Bücher gelesen und auf sich und ihre Zeit bezogen. Die Prinzipien der Aneignung und Auslegung sind in beiden Fällen dieselben. Sie bringen die prophetische Überlieferung mit der jeweils eigenen Zeit ins Gespräch und tragen in die Überlieferung ein, was diese für ihre Zeit bedeutet. In der innerbiblischen Auslegung ist der namengebende Prophet und das von ihm verkündete Wort Gottes, in der außerbiblischen Auslegung meist eine zusätzliche Offenbarung, die Erklärung des Deuteengels in Dan 9, das Wissen des "Lehrers der Gerechtigkeit" um die Geheimnisse der Worte der Propheten in 1QpHab VII oder Tod und Auferstehung Jesu im Neuen Testament, die höchste Autorität, die die Richtung der Auslegung bestimmt. Doch es ist derselbe Gott, der durch die Propheten und ihre inner- und außerbiblische Auslegung spricht und durch die Wechselfälle der Zeit derselbe bleibt, wie es war von Anfang, jetzt und immerdar.

IV.

Einem Musterbeispiel der außerbiblischen Auslegung nicht allein der Propheten, sondern der gesamten biblischen Literatur wandte sich Steck mit den Untersuchungen zum apokryphen Baruchbuch zu, einer Auftragsarbeit für die Kommentarreihe "Altes Testament Deutsch", die sich - neben dem Kommentar - in einer weiteren Monographie und Aufsätzen niedergeschlagen hat.25 Die Beschäftigung mit dieser apokryphen, außerhalb des hebräischen Kanons in der Septuaginta und anderen Tochterübersetzungen überlieferten Schrift bedeutete gewissermaßen die Rückkehr zu den Anfängen in der Dissertation. Wieder sind es die Ränder des Alten Testaments, die späten Stadien der Prophetenüberlieferung, der werdende Kanon und die so genannte zwischentestamentliche Literatur, denen seine besondere Aufmerksamkeit galt. Und wieder ist es die Geschichte der theologischen Tradition, die ihn interessierte, jetzt aber nicht mehr nur als geistig-konzeptionelle, sondern, inspiriert durch die Arbeit an den Prophetenbüchern, als literarische Entwicklung, als Vorgang der Rezeption und Auslegung von autoritativen Schriften im literarischen Überlieferungsprozess, innerhalb derSchriften selbst und in Schriften, die sich extern auf die Bücher des späteren Kanons beziehen. Die Redaktionsgeschichte nach Steck ist nichts anderes als die (wieder) ins Literarische gewendete Traditions- oder Theologiegeschichte.

Steck selbst hat die Verschiebung der Akzente erkannt und bei der Überarbeitung des Methodenbuches für die 12. Auflage 1989 den Paragraphen Redaktionsgeschichte entsprechend erweitert. Im Paragraphen Traditionsgeschichte sah er sich - anders als im Falle der bis dahin stehen gebliebenen, überholten Ausführungen zur Formgeschichte, die stark zurückgenommen wurden - jedoch zu keinen Änderungen genötigt. Im Gegenteil. Im Jahre 1996, über der Jesaja-Vorlesung sitzend, schrieb er mir einmal, dass er mit Freude feststelle, wie vieles von dem, was er später so forciert habe, sich bereits in Vorlesungsmanuskripten der 70er und frühen 80er Jahre finde: "Die bereitete Heimkehr", die Studie über Jesaja 35, "ist irgendwie ein Endpunkt und Startpunkt zugleich". Und in der Rückschau auf seine Anfangsarbeiten stelle sich ihm alles als "Perspektivenkohärenz und Arbeitskontinuität" dar. Erwähnt werden "der tote Prophet" "für die Langzeittradition einer Konzeption", sodann das Elia-Buch, dem, wie es heißt, "NN näher steht als er sagt", "für die Rezeption von Überlieferung unter Herausforderungen der Folgezeit", ferner die Artikelserie zur Denkschrift des Jesaja "für die Grenze, die schriftliche Fixierung der Rückfrage ins Mündliche setzt", und schließlich die Monographie über Genesis 1 "für die Frage nach der Vorstellungswelt bei historischer Synchronlesung von P(riesterschrift), die in diesem Fall Literarkritik und Überlieferungsgeschichte ad absurdum führt". "Aber" - so beschließt er die Rückschau selbstironisch - "vielleicht sind das alles auch recht Opa-hafte Selbsteindrücke".

Die "Selbsteindrücke" täuschen nicht. Tradition und Traditionsgeschichte waren das Hauptthema der rund 15 Jahre währenden ersten Phase, Tradition und Traditionsliteratur in Gestalt von Redaktion und Redaktionsgeschichte das Hauptthema der rund 20 Jahre währenden zweiten Phase der wissenschaftlichen Beschäftigung von Odil Hannes Steck mit dem Alten Testament. Der Begriff der Tradition wurde ihm mit der Zeit immer bewusster und wichtiger, nicht nur weil er die Eigenart der alttestamentlichen Texte am besten trifft, sondern weil er auch das Potential für die weitere theologische Auslegung und den heutigen inner- und außerkirchlichen Gebrauch mit umfasst.

Wie sehr Steck auch an diesem Gesichtspunkt der theologischen Relevanz seiner exegetischen Arbeit gelegen war, zeigt die im Jahr 2000 "unter dem Wissen schwerer Erkrankung", wie es im Vorwort heißt, zum Abschluss gebrachte und Anfang des Jahres 2001 erschienene letzte Monographie über die Propheten: "Gott in der Zeit entdecken. Die Prophetenbücher des Alten Testaments als Vorbild für Theologie und Kirche"26. In ihr unternimmt er es, eine Brücke zwischen exegetischer Wissenschaft und kirchlicher Verkündigung zu schlagen. Die Prophetenbücher hielt er für einen besonders geeigneten Gegenstand, um den Brückenschlag zu wagen, nicht nur weil er in den exegetischen Dingen aus dem Vollen schöpfen konnte, sondern weil sie davon handeln und vorführen, wie die überlieferte Rede von Gott mit Erfahrungen und Fragen der eigenen Gegenwart zusammengebracht wird. Am historischen Gegenstand und im Bewusstsein des bleibenden historischen Abstands macht Steck deutlich, wie in den Prophetenbüchern, im literarischen Werden ebenso wie im fertigen Zustand, die Balance zwischen konkreter Bodenhaftung und Allgemeingültigkeit der Gottesaussagen gesucht und gefunden wird, die nötig ist, um - mit Hilfe der Tradition und in unserem Fall des christlichen Credos - die Texte auch nach über 2000 Jahren in unsere Zeit sprechen und wirken zu lassen. Ihre universale Reichweite schließt uns und unsere Zeit mit ein, ihre kanonische Fixierung bietet eine solide und bewährte Grundlage für zeitnahe, d. h. wandelbare, und zugleich theologisch sachgemäße, d. h. vor Moden und Willkür geschützte Vergewisserung, damals wie heute und in alle Ewigkeit. Steck legt in diesem Buch nicht die Propheten für heute aus, aber er macht auf die Anknüpfungspunkte aufmerksam, die sich aus der exegetischen Arbeit ergeben. Es liegt bei der Systematischen und Praktischen Theologie, die vom Exegeten ausgestreckte Hand des Exegeten zu ergreifen.

Wie Steck selbst die theologische Auslegung und kirchliche Verkündigung praktiziert hat, kann man in der letzten von ihm noch vorbereiteten, aber erst kurz nach seinem Tod erschienenen Publikation aus dem Jahr 2001, einer Sammlung von Predigten, nachlesen: "Der Lebensspur Gottes nachgehen" lautet der Titel. Auch damit schließt sich wieder ein Kreis, nicht nur zur Heidelberger Zeit, als Steck Assistent im Fach Praktische Theologie war und für den verreisten Minister Unmengen von Predigten korrigieren musste. Es schließt sich auch der Kreis zu dem "so verehrten Lehrer" Gerhard von Rad. 1974 gab Steck dessen für einen breiteren Hörerkreis bestimmten Vorträge heraus, die ihren Ort "gleichsam zwischen den akademischen Lehrstätten und dem gottesdienstlichen Raum" hatten.

Wie alles drei - die akademische Lehrstätte, der gottesdienstliche Raum und der Vortragssaal für den breiteren Hörerkreis - zusammengehört, ist für mich am schönsten in der Predigt zum 150-jährigen Jubiläum der Universität am 28. April 1983 zum Ausdruck gebracht, die Steck als Dekan der Fakultät zu halten hatte. Die Predigt ging über das Psalmwort "Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit" aus Ps 111,10, das als Inschrift die goldene Rektorenkette der Universität ziert: Timor Domini initium sapientiae. In der Predigt findet sich ein Satz, der nicht nur das Verhältnis von Theologie und Wissenschaft treffend beschreibt, sondern, wie ich finde, auch auf den passt, der ihn geschrieben hat: "Drei orientierende Lebenshaltungen sind in dem alten Grundsatz eingeschlossen; sie halten jeden auf der Spur, der in Gottesfurcht zur Weisheit strebt: Dankbarkeit, Sachlichkeit und Menschlichkeit."

Summary

Odil Hannes Steck's publications on Old Testament Prophecy amount to the most important contributions on this subject in the last twenty years. Steck was second to none in understanding how to reconcile the extremes, and in giving an explanation of the editorial history of the Books of the Prophets, particularly Isaiah.

His view of the retrospective character of the written record of Isaiah in Isaiah 6-8, the so-called Isaiah memorandum; his discovery of Isaiah 35 as the bridge text between Isaiah parts one and two; and his Trito-Isaiah hypothesis, are milestones in modern research on Isaiah and the Prophets as such. These true-to-detail text observations, coupled with an astonishing power of synthesis are part of a massive corpus of writing produced by this scholar who died on 30 March 2001. It includes not only the Prophets, but also Ecclesiastes, the Psalms, and biblicial history in general, but also the effects of the biblical tradition in the writings of the Hellenic and Roman period including Qumran.

Fussnoten:

1) Der folgende Text basiert auf einer Ansprache, die auf Einladung der Theologischen Fakultät der Universität Zürich im Rahmen der akademischen Gedenkfeier für Odil Hannes Steck am 6. April 2002 gehalten und für den Druck überarbeitet und ergänzt wurde.

2) Schriftauslegung in der Schrift. Festschrift für Odil Hannes Steck zu seinem 65. Geburtstag. Hrsg. von R. G. Kratz, T. Krüger u. K. Schmid . berlin-New York: de gruyter 2000. VIII, 352 S., 1 Porträt. gr.8. = Beihefte zur zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 300. Lw. Euro 108,00. ISBN 3-11-016902-9.

3) Für das Biographische stütze ich mich auf den Lebenslauf zur Verlesung bei der Abdankung, die jährlichen Rundbriefe an Freunde und Bekannte sowie persönliche Aufzeichnungen, Briefe und Gespräche. Zur wissenschaftlichen Biographie vgl. die Selbstdarstellung in ThZ 57, 2001, 199-209.

4) Kohlhammer Taschenbücher 1006, 1978; engl. Ausgabe (World and Environment) Nashville 1980. Vgl. auch "Die Herkunft des Menschen", Zürich 1983.

5) Der Schöpfungsbericht der Priesterschrift, FRLANT 115, 1975; zweite, erweiterte Auflage 1981.

6) Moses und Aron. Die Oper Arnold Schönbergs und ihr biblischer Stoff, KT 56, 1981.

7) Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten. Untersuchungen zur Überlieferung des deuteronomistischen Geschichtsbildes im Alten Testament, Spätjudentum und Urchristentum, WMANT 23, 1967.

8) Das Problem theologischer Strömungen in nachexilischer Zeit (EvTh 28, 1968, 445-458) und: Strömungen theologischer Tradition im Alten Testament (engl. 1977, dt. 1978, wiederabgedruckt in: TB 70, 1982, 291- 317).

9) Friedensvorstellungen im alten Jerusalem. Psalmen. Jesaja. Deuterojesaja, ThSt(B) 111, 1972.

10) Exegese des Alten Testaments. Leitfaden der Methodik.

11) Überlieferung und Zeitgeschichte in den Elia-Erzählungen, WMANT 26, 1968.

12) BZ.NF 16, 1972, 188-206; EvTh 33, 1973, 77-90; ThZ 29, 1973, 161-178. Alle drei Beiträge sind wiederabgedruckt in: TB 70, 1982, 149- 203.

13) Gesammelte Studien, TB 70, 1982.

14) Bereitete Heimkehr, SBS 121, 1985.

15) Studien zu Tritojesaja, BZAW 203, 1991; Gottesknecht und Zion, FAT 4, 1992.

16) Der Abschluß der Prophetie im Alten Testament, BThSt 17, 1991; Die Prophetenbücher und ihr theologisches Zeugnis, Tübingen 1996; Gott in der Zeit entdecken, BThSt 42, 2001.

17) Die erste Jesajarolle von Qumran (1QIsa), SBS 173, 1998; ferner: Bemerkungen zur Abschnittsgliederung der ersten Jesajarolle von Qumran (1QIsa) im Vergleich mit redaktionsgeschichtlichen Beobachtungen im Jesajabuch, in: B. Kollmann u. a. (Hrsg.), Antikes Judentum und frühes Christentum (FS H. Stegemann), BZNW 97, 1999, 12-28; Bemerkungen zur Abschnittgliederung in den Jesajahandschriften aus der Wüste Juda. Ein Vergleich auf der Grundlage von 1QIsa, in: U. Dahmen u. a. (Hrsg.), Die Textfunde vom Toten Meer und der Text der Hebräischen Bibel, Neukirchen-Vluyn 2000, 53-90; Sachliche Akzente in der Paragraphos-Gliederung des Jesajatextes in 1QIsa, in: J. Frey/H. Stegemann (Hrsg.), Qumran kontrovers. Beiträge zu den Textfunden vom Toten Meer, Paderborn 2003, 147-156.

18) Vgl. hierzu bereits R. G. Kratz, Die Redaktion der Prophetenbücher, in: Ders./T. Krüger (Hrsg.), Rezeption und Auslegung im Alten Testament und in seinem Umfeld (Ein Symposion aus Anlass des 60. Geburtstags von Odil Hannes Steck), OBO 153, 1997, 9-27.

19) TB 70, 1982, 182 ff.

20) H. Barth, Die Jesaja-Worte in der Josiazeit, WMANT 48, 1977.

21) Gottesknecht und Zion (s. Anm. 15), 47-125.

22) Studien zu Tritojesaja (s. Anm. 15), 3-45.

23) Prophetenbücher (s. Anm. 16), 138-204.

24) Vgl. B. D. Sommer, The Scroll of Isaiah as Jewish Scripture. Or, Why Jews Don't Read Books, SBL.SP 35, 1996, 225-242.

25) Das apokryphe Baruchbuch. Studien zu Rezeption und Konzentration "kanonischer" Überlieferung, FRLANT 160, 1993; Zur Rezeption des Psalters im apokryphen Baruchbuch, in: K. Seybold/E. Zenger (Hrsg.), Neue Wege der Psalmenforschung, Herders Biblische Studien 1, 1994, 361-380; Israels Gott statt anderer Götter - Israels Gesetz statt fremder Weisheit. Beobachtungen zur Rezeption von Hi 28 in Bar 3,9-4,4, in: I. Kottsieper u. a. (Hrsg.), "Wer ist wie Du, Herr, unter den Göttern?" Studien zur Theologie und Religionsgeschichte Israels (FS O. Kaiser), Göttingen 1994, 457-471; Das Buch Baruch übersetzt und erklärt, ATD.A 5, 1998, 11-68; Art. Baruchschriften. I. Erster Baruch, RGG4 1, 1998, 1144.

26) Steck, Odil Hannes: Gott in der Zeit entdecken. Die Prophetenbücher des Alten Testaments als Vorbild für Theologie und Kirche. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2001. XIV, 249 S. 8 = Biblisch-theologische Studien, 42. Kart. Euro 24,90. ISBN 3-7887-1834-X.