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Ausgabe:

April/2001

Spalte:

353–364

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Schaeffler, Richard

Titel/Untertitel:

Heideggers Rektoratsjahr 1933/34 - eine Wende auf seinem Denkweg?

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Diskussion um Martin Heidegger vorwiegend auf die Frage nach seinem Verhältnis zum Nationalsozialismus konzentriert (vgl. den von Guido Schneeberger herausgegebenen Sammelband "Nachlese zu Heidegger", Basel 1962, und die Monographien von Heinrich Ott "Martin Heidegger - Unterwegs zu seiner Biographie", Frankfurt a. M.1988, und Victor Farias, "Heidegger und der Nationalsozialismus", Frankfurt a. M. 1989). Nun wäre es gewiss ein Fehler, die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Denken eines Philosophen durch das moralische Urteil über seine Person zu ersetzen, mag dieses Urteil im Übrigen anklagend oder rechtfertigend ausfallen. Die politische Verstrickung Heideggers, so interessant sie als ein Phänomen der Zeitgeschichte ist, kann in einer "Theologischen Literaturzeitung" nur insoweit von Interesse sein, als sie die Frage betrifft, ob und gegebenenfalls wie ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen Heideggers Philosophie und seiner hochschulpolitischen Tätigkeit im Rektoratsjahr 1933/34 festgestellt werden kann oder vermutet werden muss. Drei Bände der Gesamtausgabe, die in den Jahren 1999 und 2000 erschienen sind, bieten zur Prüfung dieser Frage das notwendige Dokumentenmaterial.

Band 16 der Gesamtausgabe "Reden und andere Zeugnisse eines Lebensweges"1 enthält höchst unterschiedliche Dokumente aus den Jahren 1910-1976: Vorträge, Geburtstagsansprachen für Verwandte und Kollegen, frühe Rezensionen Heideggers zu Veröffentlichungen anderer Autoren, persönliche Aufzeichnungen und Briefe an unterschiedliche Adressaten. Einen großen Teil des Bandes (81-474) füllen jedoch die Texte, die sich auf Heideggers Rektoratsjahr 1933/34 und seine Verstrickung in den Nationalsozialismus beziehen, teils indem sie seine Tätigkeit als Rektor dokumentieren, teils indem sie seine eigene rückschauende Darstellung dieser Tätigkeit enthalten. Diese Rückschau ist vor allem in Schreiben aus den ersten Nachkriegsjahren an das Rektorat bzw. an den "Vorsitzenden des politischen Reinigungs-Ausschusses" dokumentiert, aber auch in persönlichen auf diese Vorgänge bezogenen Aufzeichnungen, die Heidegger erst kurz vor seinem Tode seinem Sohn übergeben hat. Die Herausgabe gerade dieser Texte war für Hermann Heidegger eine besonders belastende Aufgabe, für deren Erfüllung er Dank verdient hat.

1. Der Sachverhalt im Umriss

Heidegger wurde, nachdem Prof. v. Möllendorff von der nationalsozialistischen Landesregierung genötigt worden war, sein Amt als Rektor niederzulegen, im April 1933 vom Senat zum Rektor gewählt und ist im April 1934, nach einem Konflikt mit dem Kultusministerium, von diesem Amt zurückgetreten.

In den beiden dazwischenliegenden Semestern freilich hat er sich bei unterschiedlichen Anlässen und in geradezu pathetischer Weise zur "nationalsozialistischen Bewegung" und ihrem "großen Führer" bekannt. Charakteristisch dafür sind Äußerungen wie die folgenden: "Die nationalsozialistische Revolution bringt die völlige Umwälzung unseres deutschen Daseins ... Der Führer selbst und er allein ist die heutige und künftige Wirklichkeit und ihr Gesetz" (184 - Gruß an die Studenten zum Beginn des Wintersemesters). "Weil durch den nationalsozialistischen Staat unsere ganze deutsche Wirklichkeit verändert ist", muss "auch das ganze bisherige Vorstellen und Denken ein anderes werden. Was wir bisher bei den Worten ,Wissen' und ,Wissenschaft' dachten, hat eine andere Bedeutung erhalten. Was wir bisher mit den Worten ,Arbeiter' und ,Arbeit' meinten, hat einen anderen Sinn gewonnen" (234). Deshalb "folgen wir nur dem überragenden Wollen unseres Führers. In seine Gefolgschaft treten heißt ja: unerschütterlich und unausgesetzt wollen, daß das deutsche Volk als Volk der Arbeit seine einfache Würde und seine echte Kraft wiederfinde und als Arbeitsstaat sich Dauer und Größe verschaffe. Dem Mann dieses unerhörten Willens, unserem Führer Adolf Hitler ein dreifaches Sieg-Heil" (236 f. - beide Zitate aus einer Rede vor Arbeitern).

Immer wieder bekannte er sich, nicht nur in seiner bekannten Rektoratsrede (Dokument 51), zur "Umschaffung des deutschen Volkes durch den Staat" , weil dieses erst dadurch "zum Volke" werden könne, und zur Person des "Führers", der allein dazu fähig sei, eine solche Umschaffung in die Wege zu leiten. Und er hat die Aufgabe einer Erneuerung der Universität ganz in diesem Zusammenhang gesehen. Er erläuterte diese "neue Wirklichkeit" des deutschen Volkes und damit die neue Aufgabe der deutschen Universitäten vor den eigenen Studenten, vor Studierenden aus dem Ausland, vor Arbeitern, die im Rahmen von Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung auch an Bildungsveranstaltungen der Universität teilnahmen. Er erließ Wahlaufrufe zu Gunsten der NSDAP (Dokument 103). Und er benutzte, ganz abseits von seinen Amtsfunktionen als Rektor, ein Abiturjubiläum seiner Schule zur Werbung für die nationalsozialistische "Bewegung". All dies ging weit über die "Pflichtübung" hinaus, die damals erbracht werden musste, um einer drohenden Amtsenthebung zu entgehen.

Äußerungen dieser Art zeigen, dass zu ihrer Erklärung die naheliegende Vermutung nicht ausreicht, Heidegger habe, wie dies damals viele für nötig und möglich hielten, "mitgemacht, um Schlimmeres zu verhüten". Zwar gelang es ihm, für einige "nichtarische" Kollegen die Entlassung zu verzögern (Dokument 70, 140 f. und 72, 144 f.) und andererseits die Berufung von Professoren zu verhindern, die, ohne ausreichende wissenschaftliche Qualifikation, nur auf Grund ihrer Parteifunktionen oder Parteiverbindungen berufen werden sollten (Dokument 118, 223). Aber in anderen Fällen hat er, durch negative Gutachten über Kollegen, sogar zu einer Verschärfung staatlicher Repressionen beigetragen, so z. B. wenn er sich gegenüber dem Bayerischen Kultusministerium auf dessen Anfrage hin aus rein politischen Gründen negativ über Prof. Hönigswald äußert: "Ich muß auch heute noch die Berufung dieses Mannes an die Universität München als Skandal bezeichnen" (Dokument 65, 132). Noch deutlicher wird seine Intervention zu Lasten eines Kollegen, wenn er für Prof. Staudinger wegen dessen politischer Äußerungen im Ausland anstelle der vorgesehenen Pensionierung die Entlassung für angezeigt hält (Dokument 133, 248 f.).

Andererseits hat er, als er im Sinne des "Führerprinzips" mit der Vollmacht ausgestattet wurde, Dekane zu ernennen, seinen von der Regierung abgesetzten Vorgänger im Rektorat und einen weiteren bei der Regierung missliebigen Kollegen zu Dekanen ernannt. Und er hat die Aufforderung, diese Ernennung rückgängig zu machen, mit dem eigenen Rücktritt beantwortet. Mit dem Rücktritt hat sich eine Wende in seinen Beziehungen zum Nationalsozialismus angebahnt. In der Folgezeit wurden ihm Reisen zu Kongressen ins Ausland unmöglich gemacht (Dokument 164, 347) und seine Publikationstätigkeit wurde behindert, z. B. auf dem damals üblichen Wege der Verweigerung des kontingentierten Papiers für den Druck (Dokument 174, 360). Rezensionsblättern wurde verboten, seine in Sammelwerken enthaltenen Beiträge in Besprechungen zu erwähnen (Dokument 182, 403).

Auf eine kurze Phase, in der er vom Nationalsozialismus und in der auch die nationalsozialistische Regierung von ihm ein fruchtbares Zusammenwirken erhofft hatten, ist also alsbald beiderseitige Ernüchterung und beiderseitiges Misstrauen gefolgt. Aber nie, auch nicht nach dem Ende des Krieges, hat er öffentlich die Einsicht kundgetan, dass er durch sein Verhalten einer falschen Sache gedient und in einer entscheidenden Phase zur nationalsozialistischen Gleichschaltung der Universität wirksam beigetragen hatte. In einem Brief an Herbert Marcuse vom 20.1.1948 (Dokument 192) schreibt er: "Sie haben völlig recht, daß ein öffentliches, allen verständliches Gegenbekenntnis von mir fehlt; es hätte mich ans Messer geliefert und meine Familie mit ... Ein Bekenntnis nach 1945 war mir unmöglich, weil die Nazianhänger in der widerlichsten Weise ihren Gesinnungswandel bekundeten, ich aber mit ihnen nichts gemein hatte" (431). Es mag dem Leser überlassen bleiben, ob er diese Begründungen für zureichend hält.

Heidegger selbst begründet rückschauend sein Verhalten damit, dass er irrigerweise angenommen habe, es sei möglich gewesen, die "Bewegung" von innen heraus zu verändern und ihre Wirksamkeit in eine für Staat und Universität zuträgliche Richtung zu lenken. "Ich ... war damals des Glaubens, daß die Bewegung geistig in andere Bahnen gelenkt werden könne und hielt diesen Versuch für vereinbar mit den sozialen und allgemein politischen Tendenzen der Bewegung" (Dokument 184, 414). Auch darin stand er unter den Zeitgenossen der "Machtergreifung" nicht allein. Und er fügt hinzu: "Dieser Glaube war ein Irrtum, den ich aus den Vorgängen des 30. Juni 1934 erkannte" (ibid.). Gemeint sind hier die innerparteilichen Mordaktionen, die unter dem Vorwand der Niederschlagung eines "Putsches" von Ernst Röhm zur Ausschaltung der SA durch die SS geführt haben.

Aber auch unter dieser Voraussetzung bleibt die Frage offen, was Heidegger dazu bewogen hat, von einem wie auch immer umgestalteten Nationalsozialismus eine heilsame Wirkung auf Staat und Gesellschaft zu erhoffen, und ob die Gründe dieser Illusion in seiner Philosophie zu suchen seien.

2. Heideggers Rektorat und sein philosophischer Denkweg

Vergleicht man die im vorliegenden Band der Gesamtausgabe publizierten Texte mit Heideggers vorausgehenden philosophischen Veröffentlichungen, vor allem mit "Sein und Zeit", dann fällt zunächst auf: Gerade diejenigen Momente seiner frühen Philosophie, in denen man eine gewisse Nähe zum nationalsozialistischen Gedankengut vermuten könnte, spielen in den Äußerungen der Rektoratszeit überhaupt keine Rolle. Mit keinem Wort ist hier vom "entschlossenen Vorlaufen zum Tode" die Rede, oder vom Vorrang des Willens und seiner "Umsicht" vor aller bloßen Theorie, oder auch von jenem wesentlichen "In-der-Welt-Sein", das den cartesischen Gedanken einer welt-unabhängigen Subjektivität und der durch die wissenschaftliche Methode zu sichernden Objektivität als Illusion erscheinen lässt. Und man geht wohl nicht fehl, wenn man vermutet: Der Verfasser von "Sein und Zeit" war sich dessen bewusst, dass er die "fundamentalontologische" Intention seines Werkes hätte verraten müssen, wenn er einem "anthropologischen" Missverständnis Vorschub geleistet hätte, das die Aussagen über das "Dasein" in die Nähe eines "nationalsozialistischen Menschenbildes" hätte rücken können.

Allenfalls könnte man, wenn man sich der Leidenschaft der "Spurensuche" hingibt, die Auffassung, der "hantierende Umgang mit dem Dienlichen" (dem "Zeug") sei der ursprüngliche Zugang zum Seienden, dafür verantwortlich machen, dass Heidegger als Rektor die "Arbeit" als jenes menschliche Verhalten rühmt, das alle Berufsstände zur Einheit des "Volkes" zusammenschließt (Dokument 108, 205 f.), und dass er deswegen die NSDAP vor allem als "Arbeiterpartei", näherhin, ganz im Wortsinn ihrer Selbstbezeichnung, als "sozialistische Arbeiterpartei" verstanden wissen wollte. (In der Rede zum 25. Jubiläum seines Abiturs hat er den Nationalsozialismus schlicht als den "deutschen Sozialismus" bezeichnet.) Aber wenn diese philosophische Hochschätzung der Arbeit und ihrer "Alltäglichkeit" es gewesen wäre, die ihn für den Nationalsozialismus anfällig gemacht hätte - dann hätten in jenen Jahren ganz Andere zu Nationalsozialisten werden müssen.

Dagegen entdeckt Heidegger in der nationalsozialistischen Weltanschauung gerade diejenigen Momente, die in "Sein und Zeit" nicht vorkommen oder allenfalls marginale Bedeutung hatten. An die Stelle der "Je-Meinigkeit" der im Vorlaufen zum Tode vereinzelten Existenz tritt nun der Mensch als Glied in Volk und Staat. An die Stelle jener Zeit, in der die "eigentlich" gewordene Existenz "sich zeitigt", tritt die historische Stunde, in der ein Volk darüber entscheidet, ob es zu seinem Wesen findet oder es verfehlt. An die Stelle des einsamen "Rufs des Gewissens" tritt der Anruf der Gefallenen des (Ersten) Weltkriegs, der eine ganze Generation in Pflicht nimmt: "Nicht wir rufen durch Erinnerung unsere Toten für den flüchtigen Augenblick einer Gedenkstunde zurück, sondern umgekehrt sie, die Toten, zwingen uns zur Entscheidung und Bewährung" (283). Wenn man sich schon auf eine psychologische Deutung von Heideggers damaliger politischer Verirrung einlassen will, dann bietet sich dafür der Begriff der Überkompensation eines empfundenen Mangels an. Die von vielen Kritikern damals und heute als unzulänglich bewertete Weise, wie in "Sein und Zeit" das "Mitsein" beschrieben wurde, hätte dann kompensatorisch den Umschlag in eine Leidenschaft für die "Gemeinschaft" vorbereitet, die in der Schicksalsgemeinschaft der "Frontsoldaten" ihr maßgebendes Modell gefunden hat: "An der Front vollzog sich eine ganz neue Erfahrung. Dort bildete sich eine ganz neue Idee von Gemeinschaft", verbunden mit "dem starken Willen, nach dem Krieg als bestimmende Macht im Dasein des Volkes wirksam zu werden" (298 f.).

Eine solche Deutung gewinnt an Plausibilität, wenn man bemerkt, dass vergleichbare Formen der Überkompensation, nun freilich in entgegengesetzter Richtung, auch in Heideggers Spätphilosophie wirksam zu sein scheinen. "Weltanschauung", ein Zentralbegriff in der Selbst-Kennzeichnung des Nationalsozialismus, wird nun für Heidegger zum Kennzeichen einer Epoche der "Seinsverlassenheit" (vgl. den Vortrag "Zeit des Weltbildes" von 1938, veröffentlicht in "Holzwege" 69-104). "Plan", ein Zentralbegriff nationalsozialistischer (freilich auch sozialistischer) Praxis, wird nun für Heidegger zum Synonym für "Gemächte", d. h. für die Verwandlung der Weltwirklichkeit in Material für die Durchsetzung eigener Handlungsabsichten (vgl. den Vortrag "Die Frage nach der Technik" von 1953, veröffentlicht in "Vorträge und Aufsätze" 13-47). Und die Geschichte, von den Nationalsozialisten zurückgeführt auf die "Männer, die Geschichte machen", wird im Gegensatz dazu nun gedeutet als ein Gefüge von "Schickungen", in denen "das Sein selbst sich dem Menschen zuschickt", ohne dass der Mensch über diese "Schickungen" verfügen könnte.

Heideggers Entwürfe aus den Jahren 1938/39 (vgl. die Bände 66 und 67 der Gesamtausgabe) zeigen diese radikale Abwendung von solchen gerade im Nationalsozialismus heimischen Grundbegriffen, deren Herkunft er nun bis in die Ursprünge europäischen Philosophierens zurückverfolgt. Der im vorliegenden Band abgedruckte Vortrag "Die gegenwärtige Lage und die künftige Aufgabe der deutschen Philosophie" vom 30. November 1934, der der Frage nach dem Wesen und Möglichkeitsgrund der Geschichte gewidmet ist, eröffnet die Reihe dieser Versuche Heideggers, eine Neuorientierung des eigenen Denkens zu gewinnen.

Die politische Verirrung Heideggers und die daraus resultierende Desillusionierung bezüglich aller "Weltanschauung" und allem "Gemächte" gehören, als verborgener Hintergrund, zu den Bestimmungsgründen für das Fragen seiner Spätphilosophie. Diese gilt der Bemühung, jene "Lichtung des Seins", die der Mensch nicht "machen" kann, mit der geschichtlichen Verantwortung des Menschen zusammenzudenken. Die soeben erschienenen Bände 67 und 85 der Gesamtausgabe sind gerade deswegen von besonderem Interesse, weil sie, in einer Vielzahl von Skizzen und unausgeführten Entwürfen, den Übergang zu diesem seinsgeschichtlichen Denken erkennen lassen.

Band 67 der Gesamtausgabe, "Metaphysik und Nihilismus"2 vereint, nach Auskunft des Hg.s, zwei Abhandlungen, die "zeitlich und formal nicht zusammengehören" aber beide "ein gemeinsames Thema behandeln: die These, daß das seinsgeschichtliche Wesen der Metaphysik Nihilismus ist" (271). Freilich kann das erste dieser Manuskripte mit dem Titel "Die Überwindung der Metaphysik" nur mit Einschränkungen eine "Abhandlung" genannt werden. Es besteht auf weite Strecken hin aus Stichworten und Programmsätzen, aber auch aus rückblickenden Interpretationen früherer Veröffentlichungen Heideggers von "Sein und Zeit" bis "Der Ursprung des Kunstwerks".

Doch sind die hier veröffentlichten Manuskripte Heideggers keineswegs bloße Vorentwürfe, die in den später veröffentlichten Werken zur Ausführung gelangt wären, sondern markieren den großen Zusammenhang, innerhalb dessen Heidegger alle seine vorausliegenden und nachfolgenden Werke verstanden wissen will. Dieser Zusammenhang wird einerseits durch die These bestimmt, die der Hg. mit Recht als das gemeinsame Thema beider Manuskripte hervorhebt: die These "Die Metaphysik als solche ist der eigentliche Nihilismus" (210, gleichlautend 216), andererseits durch die Zielbestimmung, der erhofften Überwindung der so verstandenen Metaphysik "entgegenzufragen" (255). Insofern ergänzen die hier veröffentlichten Manuskripte die in Band 66 der Gesamtausgabe unter dem Titel "Besinnung" vereinigten Manuskripte, die dem "seinsgeschichtlichen" Denken gewidmet sind: Der neue Band zeigt auf, was "überwunden" werden muss, wenn das seinsgeschichtliche Denken möglich werden soll.

Primäres Ziel der Kritik, und zwar schon seit "Sein und Zeit", ist das spezifisch neuzeitliche Denken, das vom Menschen als einem "Subjekt" ausgeht, das das Seiende im Ganzen sich als eine Welt von "Objekten" gegenüberstellt und durch seine Methode deren Objektivität sichert. Daraus entsteht nach Heideggers Deutung ein Herrschaftswissen, das alles technische Herrschaftshandeln in sich schon vorwegnimmt. Der verborgene, erst durch Nietzsche ans Licht gebrachte Grund solchen Verstehens von Subjekt und Objekten ist der Wille zur Macht. Insofern kann Nietzsche als Vollender der neuzeitlichen Philosophie gelten.

"Nihilistisch" ist dieses neuzeitliche Denken in einem zweifachen Sinne: Zunächst erweist dieses Denken sich dadurch als "nihilistisch", dass die vom Subjekt beherrschte Objektwelt durch den Willen zur Macht "zerstört" und zugleich "verwüstet" wird: zerstört durch die Übermächtigung des Seienden durch die menschlichen "Machenschaften", verwüstet, weil der Mensch, der es nur noch mit seinen "Gemächten" zu tun hat, sich schließlich in einer "Wüste" von Sinnlosigkeit wiederfindet, die er vergeblich durch selbstentworfene "Werte" zu überwinden sucht. In einem zweiten und wesentlicheren Sinne ist dieses durch die Subjektivität und die von ihr festgestellte Objektivität bestimmte Denken nihilistisch, weil sich im Wechselspiel von Wert-Entwurf und Entwertung der Werte herausstellt: "Mit dem Seienden ist es nichts" (177). Weil aber das Sein innerhalb eines solchen "metaphysischen" Denkens nur als die apriorische Bedingung des Seienden gedacht werden kann, ergibt sich daraus der zweite Satz "Auch mit dem Sein ist es nichts" (206).

In einem weiteren Schritt versucht Heidegger nun nachzuweisen, dass das neuzeitliche Subjektivitätsdenken nicht erst mit Descartes, sondern schon mit Sokrates und Platon beginnt - vor allem sofern dieser das Sein als "Idea" bestimmt und diese aus der Korrelation zum menschlichen "Idein", als das von ihm in den Blick gefaßte, begreift. "Platon schuf mit der entfalteten Ideenlehre das Werkzeug der Metaphysik; der eigentliche Macher aber ist Sokrates" (89, vgl. dazu die 1942 veröffentlichte Schrift "Platons Lehre von der Wahrheit"). Bezeichnend für den Versuch, die gesamte europäische Geschichte auf gewisse Ereignisse der Philosophiegeschichte zurückzuführen, sind Äußerungen wie die folgende: "Die Ansetzung des Agathon als Idea ... ist der erste und d. h. der eigentlich am weitesten tragende Schritt zur serienmäßigen Herstellung von Kampfflugzeugen und zur Erfindung des radiotechnischen Nachrichtenwesens, mit dessen Hilfe jene zum Einsatz kommen im Dienste der gleichfalls durch jenen Schritt vorgezeichneten unbedingen Mechanisierung des Erdkreises und des Menschen" (164). Damit aber reicht die (Vor-)Geschichte des Nihilismus bis in die Anfänge der abendländischen Metaphysik zurück, auch wenn ihr "nihilistisches" Wesen erst im modernen Nihilismus offenbar wird.

Das Wesen der Metaphysik und damit der ihr von Anfang an eingestiftete Nihilismus besteht also darin, dass der Mensch sich als das Subjekt versteht, das sich seine Objekte gegenüberstellt und fortschreitend durchschaut, dass diese Objekte von ihm transzendental konstituiert und also sein "Gemächte" sind. Dann aber kann die Überwindung der Metaphysik und damit des Nihilismus nicht von einer menschlichen Leistung erwartet werden. Eine solche als Leistung gedachte "Überwindung" wäre selber ein "Gemächte" des Menschen und würde so in jene Denkweise zurückfallen, die sie zu überwinden meint. "Die Überwindung der ... Metaphysik kann daher nicht das Vorbringen anderer Lehren und Meinungen sein" (33). Sie ist, wenn sie geschieht, "kein Gemächte nach der Art einer Abänderung von Lehren und Lehrmeinungen der Philosophie durch andere" (15). Sie ist "nicht ein Unterfangen von Denkversuchen, sondern Geschichte des Seyns" (13).

Das aber setzt voraus, dass auch das zu Überwindende, die Metaphysik und der Nihilismus als deren Wesensfolge, sich nicht darin erschöpft, ein Gefüge von Lehren und Meinungen zu sein. "Metaphysik ist nicht Lehre und Meinung, auch nicht nur Grundstellung des denkenden Menschen" (35). Auch sie ist Phase in der Geschichte des Seins, und zwar näherhin die Phase seiner "Verweigerung". Die Aufgabe des Denkens besteht dann darin, "dem Ausbleiben des Seins selbst entgegenzudenken" (249). Ist aber auch die Verweigerung eine Weise, wie das Sein, im Modus des Entzugs, den Menschen angeht, dann wird es möglich, "das Versprechen im Entzug" zu vernehmen (249): die Verheißung seiner Überwindung. "Im Ausbleiben verspricht es sich selbst in seiner Unverborgenheit" (243).

Fragt man aber - wenn schon ein "Herleiten" oder "Begründen" nicht erlaubt ist, weil jeder derartige Versuch die Herrschaft des Subjekts über die von ihm methodisch gesicherte Objektivität der Objekte wiederherstellen würde - nach dem Anlaß solchen "seinsgeschichtlichen" Denkens, dann zeigt sich: Der Anlass liegt in dem "Entsetzen" über die Zerstörung und Verwüstung, die sich ergibt, wenn das wahre Wesen der Metaphysik als Wille zur Macht unverstellt hervortritt. Wenn nämlich die "Übermacht der Machenschaften den Menschen entsetzt", wird sie als "Widerschein" der "Seinsverlassenheit" verstanden. Sofern nämlich "das Entsetzen den Menschen trifft, ... kann die Erfahrung erwachsen, dass vom Sein her die Seinsverlassenheit des Seienden zerbrochen und das Seiende im Ganzen in eine andere - erstmalige Fragwürdigkeit aus dem Wesen des Seyns und durch dieses versetzt wird" (17). Die offenkundig gewordene und im "Entsetzen" ausdrücklich erfahrene Seinsverlassenheit enthält so selbst das "Versprechen" ihrer Überwindung. So ist es das Entsetzen, das den Menschen in eine neue Weise des Denkens, das seinsgeschichtliche, versetzt.

Erinnert man sich nun - trotz Heideggers Ablehnung aller "historischen" Betrachtung der Philosophie - daran, dass die hier veröffentlichten Manuskripte teils unmittelbar vor, teils unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind, dann wird man auch in dem "Entsetzen" Heideggers die Spuren konkreter historischer Veranlassung aufspüren dürfen. Dies gilt vor allem für seine Beschreibung der "Weltanschauung", in der die Metaphysik sich vollendet und zugleich an ihr Ende kommt, "ver-endet" (113-122). "Die Ver-endung ist die Wesensfolge der Vollendung" (113). Denn in der zur Weltanschauung gewordenen Metaphysik zeigt sich "aus langer Herkunft von der Idea Platons", dass "alles nur ankommt auf die Sicherung der Wirkfähigkeit der Macht, von deren Wesen (Machenschaft) alles durchherrscht wird" (116). Ihr Ziel ist ,Neuordnung der ,Welt' und ,Herrschaft' über die Erde" (113). Mit diesem "Rezept für die politische Weltanschauung" (122) verbindet sich "das biologistische Halbverstehen des Willens zur Macht" (121). Diejenige "Weltanschauung", auf die Heideggers Kritik sich primär bezieht, ist also biologistische Ideologie, deren Ziel darin besteht, den Anspruch auf Weltherrschaft zu begründen. Es ist nicht schwer, in solchen Beschreibungen das wiederzuerkennen, was im Nationalsozialismus "Weltanschauung" genannt worden ist und, als Quelle einer alles umgreifender Zerstörung und Verwüstung, allen Anlass zum "Entsetzen" gegeben hat. Insofern dokumentieren diese Texte mit aller wünschenswerten Deutlichkeit Heideggers Abkehr vom nationalsozialistischen "Weltanschauungs-Denken". Ja man wird vermuten dürfen, dass die "Zerstörung und Verwüstung", die die Folge eines solchen Denkens gewesen ist, zu den Gründen gehört, die Heidegger dazu veranlasst haben, der "Überwindung" eines solchen Denkens "entgegenzudenken".

Gerade wenn die hier veröffentlichten Manuskripte "Die Überwindung der Metaphysik" und "Das Wesen des Nihilismus" den Kontext angeben, innerhalb dessen nach Heideggers Selbstverständnis alle seinen früheren und späteren Veröffentlichungen gelesen werden müssen, verdienen diejenigen Passagen besondere Aufmerksamkeit, die sich in den später veröffentlichten Texten so nicht wiederfinden. Dann aber lassen sich kritische Fragen nicht unterdrücken.

Die erste Frage lautet: Ist Heidegger nicht, mehr als er selber will und weiß, der "metaphysischen" Geschichtsphilosophie Hegels verpflichtet, wenn er die Geschichte des "Abendlands" ausschließlich als Philosophiegeschichte von Sokrates und Platon bis zu Nietzsche beschreibt? Ein derartiger verborgener Hegelianismus zeigt sich in der zweifachen Neigung Heideggers: einerseits die ganze Geschichte Europas durch gewisse "Schritte" der Philosophie vorentschieden zu sehen und andererseits diese Geschichte als einen notwendigen Gang zu beschreiben, innerhalb dessen durch den "ersten Schritt" schon alles entschieden ist.

Die zweite Frage aber lautet: Macht die "seinsgeschichtlich" verstandene Geschichte all jene historisch-moralischen Alternativen "unwesentlich", vor die der Mensch als der Handelnde gestellt ist? Der Satz "Alles und das Einzige ist hier Wesung des Wesens der Wahrheit selbst, d. h. Geschichte des Seyns" (35), später ausgelegt durch den Satz "Aus der Weise, wie das ursprüngliche Wesen der Wahrheit west, entspringen die seltenen und einfachen Entscheidungen der Geschichte" (Wesen der Wahrheit 17), lässt diejenigen Entscheidungen, die vom Menschen, in moralischer Abwägung seiner Handlungsmöglichkeiten, getroffen werden, als hilflose Versuche erscheinen, mit seinem eigenen "Gemächte" in den Gang der Seinsgeschichte einzugreifen. Gewiss: Der Mensch bleibt, auch nach Heideggers Auffassung, in allen "Schickungen" der Geschichte der "Geschickte", ja "Gebrauchte". Aber er kann über die Wendungen der Geschichte, über die wechselnden Weisen, wie er vom Sein "angegangen" wird, nicht nach eigenem Ermessen verfügen, auch dann nicht, wenn diese Geschichte in die äußerste Zerstörung und Verwüstung führt. "Den Nihilismus ... überwinden wollen hieße, daß der Mensch von sich aus gegen das Sein selbst in seinem Ausbleiben anginge" (229). Was in dieser Stunde gefordert ist, ist daher nicht die in den Verlauf der Geschichte eingreifende Tat, auch nicht der heroische Versuch, sich den Mächten der Zerstörung und Verwüstung machtlos entgegenzustellen, sondern "die Inständigkeit im Wesen der Wahrheit" und "die Geduld der Milde, die das Stillste gewagt hat und eine Tapferkeit erfordert, die den Heroismus noch hinter sich lassen muß" (164/65).

Beide Fragen zusammengenommen führen auf eine dritte Frage: Wenn auch über die "massenhafte Herstellung von Kampfflugzeugen" und über die elektronischen Mittel, "mit denen jene zum Einsatz kommen", seit Platons Ideenlehre seinsgeschichtlich schon entschieden ist, und wenn es widersinnig ist, "daß der Mensch von sich aus gegen das Sein selbst ... anginge", dann ist auch gegenüber dieser "Vollendung der Metaphysik" in der "unbedingten Mechanisierung des Erdkreises und des Menschen" jeder Widerstand von vorne herein vergeblich. Dann aber lässt sich die Frage nicht vermeiden: Liegt hier ein Grund dafür, dass dieser Autor, auch nach seiner Abkehr von der nationalsozialistischen "Weltanschauung", zu einem wirksamen Widerspruch gegen diese "letzte" Form des Willens zur Macht unfähig blieb?

Gewiss, und dies sei noch einmal betont, ist es verfehlt, die ganze Diskussion um Heidegger auf die eine Frage zu konzentrieren, wie er sich zum Nationalsozialismus verhalten habe. Das politisch-moralische Urteil über einen Autor kann nicht die argumentative Auseinandersetzung mit seinen Texten ersetzen. Eine solche argumentative Auseinandersetzung hat den Rez. auf die beiden soeben gestellten Fragen geführt: ob die Deutung der gesamten europäischen Geschichte als Geschichte der "Metaphysik" nicht eine idealistische Verengung darstelle, und ob die "seinsgeschichtliche" Deutung der so verstandenen Metaphysik-Geschichte nicht die moralischen Entscheidungen der Menschen voreilig entwerte. Auf dem Hintergrunde solcher philosophischer Fragen darf und muss dann freilich auch die politisch-moralische gestellt werden, ob das "seinsgeschichtliche" Verstehen des "Grauenhaften" nicht eine höchst fragwürdige "Geduld der Milde" erzeugt habe, und ob nicht diejenigen den höheren Respekt verdienen, die im Widerstand gegen die nationalsozialistische Übermacht den "Heroismus" nicht "hinter sich gelassen", sondern bis zur Hingabe ihres Lebens vorgelebt haben.

Band 85 der Gesamtausgabe "Vom Wesen der Sprache"3 bietet, nach Auskunft der Hgn., "die Aufzeichnungen und Entwürfe zu einem im Sommersemester 1939 gehaltenen zweistündigen Oberseminar". Textgrundlage war Herders Preisschrift "Über den Ursprung der Sprache". Im Anhang beigefügt sind "elf Seminarprotokolle von den jeweiligen Sitzungen" (Nachwort, 217).

Das Interesse, das dieser Band verdient, beruht darauf, dass er eine frühe Phase in Heideggers Sprachdenken dokumentiert. Sowohl die "Aufzeichnungen" als auch die "Protokolle" zeigen, dass Heidegger sich schon 1939 die Aufgabe gestellt hat, ein "metaphysisches" Verständnis der Sprache zu überwinden, zu dessen Repräsentanten er auch Herder zählt. Die Protokolle bieten sich besser als die "Aufzeichnungen" für eine erste Lektüre an, auch wenn sie nicht aus der Hand Heideggers, sondern von unterschiedlichen Seminarteilnehmern stammen. Denn hier hat der Leser durchformulierte Texte vor Augen, von denen her auch die zuweilen schwer interpretierbaren, sich oft auf unverbundene Stichworte beschränkenden "Aufzeichnungen" leichter verständlich werden. Aber die Zielsetzung, um derentwillen Heidegger die Sprache zu einem bevorzugten Gegenstand seines Nachdenkens macht, wird in den "Aufzeichnungen" deutlicher angegeben: "Die Besinnung auf die Sprache gilt hier als ein entscheidender Weg zum Einsprung in das ganz andere, nämlich seynsgeschichtliche Denken" (5).

Aus dem Gang des Seminars wird deutlich: Heidegger hat nicht versucht, eine Alternative zu Herders Sprachphilosophie vorzulegen, sondern in die oft verborgenen Voraussetzungen zurückzufragen, von denen her sich Herders Position (und mit ihm die der traditionellen Metaphysik) erst ergibt, um dann von diesen Voraussetzungen her Herders Auffassung zu kritisieren. Dieses Verfahren ist Teil eines umfassenden Programms, innerhalb dessen die Auseinandersetzung mit Herder und seiner Schrift "Über den Ursprung der Sprache" nur ein spezielles Anwendungsbeispiel darstellt. Die "Aufzeichnungen und Entwürfe" bieten, weit über die bloße Programmskizze einer geplanten Lehrveranstaltung hinaus, Stichworte und Leitgedanken, aus denen dieses umfassende Programm erkennbar wird. Daraus wird verständlich, dass sie, trotz ihrer stichwortartigen Knappheit, in der vorliegenden Ausgabe doppelt so viele Druckseiten füllen wie die ausformulierten Sitzungsprotokolle. Dem Nachwort der Hgn. ist nicht zu entnehmen, ob wirklich alle 19 Konvolute, aus denen diese "Aufzeichnungen und Entwürfe" bestehen, schon im Jahr 1939 niedergeschrieben worden sind und, falls dies zutreffen sollte, ob sie nicht zusätzliche Eintragungen aus späteren Jahren enthalten. Dies zu wissen, wäre von Interesse, wenn man den Weg nachzeichnen will, auf dem Heidegger von seinen frühen Entwürfen zu seinen späteren, veröffentlicht vorliegenden Ausführungen über "Wort" und "Sprache" gelangt ist.

An dieser Stelle können nur Beispiele dafür geboten werden, dass Heidegger im Jahr 1939 noch um den rechten Ansatz gerungen hat, von dem aus es möglich werden sollte, zu einem nicht-metaphysischen Verständnis der Sprache zu gelangen. Was in den Protokollen über das Horchen gesagt wird, das den Menschen fähig macht, das Seiende in seinem "Anwesen" zu erfahren, und zwar näherhin in seinem "Entgegenkommen auf uns zu, derart, daß das Entgegenkommende zurückbleibt und in sich zum Stehen kommt" (204), macht denjenigen Satz verständlich, der wie ein Programmsatz über den "Aufzeichnungen" steht: "Der Mensch ,hat' die Sprache [... aber] das Wort ,hat' den Menschen" (3): Die Weise, wie das Seiende "auf uns zu entgegenkommt", hat den Charakter des Wortes, das den Horchenden in seinen Anspruch nimmt - später wird Heidegger sagen, das ihn "denken heißt" (vgl. "Was heißt denken"). Das Entscheidende ist dieser An-Spruch als das ursprüngliche Wort, nicht die apriorische Einfügung dieses Wortes in die Struktur einer Sprache, also in ihre Grammatik. Und so findet sich in einem der erwähnten Konvolute auch jenes Gedicht von Stefan George, das mit dem oft zitierten Satz endet "So lernt' ich traurig den Verzicht, kein Ding sei, wo das Wort gebricht" (zit. 71). Diesem Gedicht und vor allem der soeben zitierten Schlusswendung hat Heidegger im Jahr 1953 große Teile der drei Vorträge "Die Sprache im Gedicht" gewidmet (Unterwegs zur Sprache, 35 ff.); dem gleichen Gedicht von Stefan George galt der 1958 gehaltene Vortrag "Das Wort" (Unterwegs zur Sprache 219 ff.). So hat das Programmwort "Das Wort ,hat' den Menschen" Heideggers Weg für eine lange Strecke vorgezeichnet. Aber bei allem bleibenden Misstrauen gegen ein "grammatisches" Verständnis der Sprache hat er den ersten Teil dieses Programmsatzes "Der Mensch ,hat' die Sprache" später nicht mehr aufrechterhalten (vgl. den 1950 gehaltenen Vortrag "Die Sprache", wo ausgeführt wird, dass die Menschen sprechend nicht nur dem Wort des Seienden antworten, sondern "entnehmend-entgegnend der Sprache entsprechen" - Unterwegs zur Sprache, 32).

Ein anderes Beispiel bietet die Verhältnisbestimmung von Wahrheit und Freiheit. Das Protokoll der 9. Stunde vermerkt, wiederum im Zusammenhang der Ausführungen über "Hören" und "Horchen", solches Horchen bringe "den Menschen in seine eigene Freiständigkeit, in den vernehmenden Bezug zur Welt" (200). Freiständigkeit und die Fähigkeit zum Vernehmen werden so in engem Zusammenhang gesehen. Die "Aufzeichnungen" enthalten dazu die Stichworte. "Freiheit zu ... als zur Verfügung stehen ... Zu-gehörig in die Wahrheit des Seins" sowie den Zusatz "Freiheit ist ... in sich als Zugehörigkeit in die Ereignung die Stille des Seyns selbst, ist Wort" (76). Auf das Wort hörend ist der Mensch ihm zu-gehörig. Aber dabei handelt es sich, wovon in den Prokollen nicht die Rede ist, um das Wort als "Wahrheit des Seyns", das zugleich, im Unterschied von allem Andrang des Seienden, als seine "Stille" verstanden werden muss. Damit sind Gedanken andeutend vorweggenommen, die in dem 1950 gehaltenen Vortrag "Die Sprache" (Unterwegs zur Sprache, 11 ff.) im Anschluss an ein Gedicht von Trakl in dem scheinbar rätselhaften Satz zusammengefasst wird "Das Geheiß ist das Geläut der Stille" (a. a. O., 30).

Beispiele dieser Art machen deutlich: Einer der letzten Sätze aus den Protokollen "Vielleicht eröffnet sich hier die Möglichkeit, dem Wesen der Sprache noch einmal in einer anderen Weise nachzufragen, als es bisher geschehen ist" (215) verweist auf Denk-Ansätze Heideggers, die er in den "Aufzeichnungen und Entwürfen" nur umrisshaft vorgezeichnet hat, die aber in seinen späteren, veröffentlichten Schriften zur Entfaltung gekommen sind. Der besondere Reiz des vorliegenden Bandes besteht darin, dass er dem Leser Gelegenheit bietet, Heideggers Sprach-Denken sozusagen "in statu nascendi" zu beobachten.

Entscheidend für dieses Sprachdenken aber ist die Überzeugung: Alle menschliche Freiheit beruht darauf, dass der Mensch in das Offene jener Lichtung versetzt wird, in der ihm allererst die Seienden begegnen können; sie ist "Frei-Ständigkeit", das freie Stehen im Offenen, innerhalb dessen Seiendes dem Menschen gegenübertreten kann. Diese Lichtung aber kann nicht vom Menschen "gemacht" werden, sondern hat sich, ehe der Mensch etwas zu machen beginnt, immer schon als "Wahrheit des Seins" ereignet, und zwar von diesem her auf eine für den Menschen unverfügbare, geschichtliche Weise. In seinem späteren Vortrag "Die Frage nach der Technik" wird Heidegger sagen: "Der Mensch kann zwar dieses oder jenes so oder so vorstellen, gestalten und betreiben. Allein über die Unverborgenheit, worin sich jeweils das Wirkliche zeigt oder entzieht, verfügt der Mensch nicht" (Vorträge und Aufsätze, 25). Die je geschichtliche Weise dieser Unverborgenheit eröffnet sich in einem "Zuspruch", den Heidegger in den hier vorliegenden Entwürfen, im Unterschied von den vielen Wörtern, mit denen wir die Seienden benennen, das "Wort des Seyns" nennt (5). Dieses Wort des Seyns ist der Ursprung der Sprache, sofern das Sein im hörenden Sprechen des Menschen zur Sprache kommt. In seinem "Brief über den Humanismus" wird Heidegger sagen: "Das Sein kommt, sich lichtend, zur Sprache. Es ist stets unterwegs zu ihr" (Über den Humanismus, 45).

Zusammenfassend lässt sich sagen: In seinen Entwürfen zur "Überwindung der Metaphysik" (Band 67) hat Heidegger, im Gegensatz zu allem vor-stellenden Denken und allem her-stellenden Handeln und deshalb in Abgrenzung gegen alle "Weltanschauung", ein "seinsgeschichtliches" Denken vorbereiten wollen. In den Entwürfen zum "Wesen der Sprache" (Band 85) hat er die Seinsgeschichte aus dem "Wort des Seins" zu begreifen versucht, das den Menschen ins Offene einer "Lichtung" versetzt und ihn so in seine Freiheit ruft. Diese Freiheit hat er als "Freiständigkeit" gegenüber der Übermacht des Seienden und zugleich als "hörende Zugehörigkeit" gegenüber dem Sein begriffen, das in der Antwort des Menschen "zur Sprache kommen" will. Die Zuwendung zur Sprache, und vor allem zur nicht-metaphysischen Sprache der Dichtung, sollte den Zugang zu einem solchen Verständnis der Seinsgeschichte eröffnen und zugleich die antwortende Verantwortung des Menschen deutlich machen.

Doch bleibt auch hier die Frage, ob das "Entsetzen" über die "Verwüstung und Zerstörung", die der im vorstellenden Denken wirkende "Wille zur Macht" angerichtet hat, nicht dazu geführt hat, dass Heidegger in einer Art von Überkompensation dieser Verirrung die Entscheidungsfreiheit des Menschen unterschätzt hat. Reicht es wirklich aus, die Verantwortung des Menschen auf die Entscheidung einer einzigen Frage zu konzentrieren: ob der Mensch, vom Sein auf einen Weg des Entbergens geschickt, "sich an das Schickliche gebunden" hat, "das dem Geschick gemäß ist" (Über den Humanismus, 47)? Ist aber diese kritische Anfrage an Heideggers Verständnis der "Seinsgeschichte" einmal gestellt, dann lässt sich auch die moralische Frage nicht unterdrücken: Ist Heideggers Überzeugung, dass es von vorne herein aussichtslos sei, dem "Geschick des Seins" und seinen "Schickungen" widerstehen zu wollen, nicht auch der Grund dafür gewesen, dass er unfähig war, sich rückschauend auf die kurze Periode seiner nationalsozialistischen Verirrung zu einem Bekenntnis seiner Schuld (und nicht nur eines bedauerlichen Irrtums) zu entschließen?

Summary

Discussion about Martin Heidegger in the last decade has concentrated above all on the question of his relationship to National Socialism. As a result, the mistake was often made in supplut discussion about his thought as a philosopher with moral judgement on his person.

Nevertheless, the question cannot be avoided whether there is a probable connection in content between Heidegger's philosophy and his academic experience during his year as Rector in 1933-1934. Volumes 16, 67 and 85 of Heidegger's Collected Works published in 1999 and 2000, supply the necessary documentary evidence for such an analysis. The main thesis made here is that Heidegger's entanglement with National Socialism was not the expression of some original affinity, but rather an overcompensation for something he felt lacking.

Fussnoten:

1) Heidegger, Martin: Reden und andere Zeugnisse eines Lebensweges 1910-1976. Frankfurt/M.: Klostermann 2000. XXI, 842 S. gr.8 = Martin Heidegger Gesamtausgabe. I. Abt., Bd. 16. Kart. DM 148,-. ISBN 3-465-03040-0.

2) Heidegger, Martin: Metaphysik und Nihilismus. 1. Die Überwindung der Metaphysik. 2. Das Wesen des Nihilismus. Hrsg. von H.-J. Friedrich. Frankfurt/M.: Klostermann 1999. XII, 273 S. 8 = Martin Heidegger Gesamtausgabe, II. Abt., Bd. 67. Kart. DM 68,-. ISBN 3-465-02786-8.

3) Heidegger, Martin: Vom Wesen der Sprache. Die Metaphysik der Sprache und die Wesung des Wortes zu Herders Abhandlung "Über den Ursprung der Sprache". Hrsg. von I. Schüßler. Frankfurt/M.: Klostermann 1999. XII, 220 S. 8 = Martin Heidegger Gesamtausgabe, IV. Abt., Bd. 85. Kart. DM 58,-. ISBN 3-465-03025-7.