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Ausgabe: | Januar/2001 |
Spalte: | 3–20 |
Kategorie: | Religionswissenschaft |
Autor/Hrsg.: | Dalferth, Ingolf U. |
Titel/Untertitel: | Theologie im Kontext der Religionswissenschaft Selbstverständnis, Methoden und Aufgaben der Theologie und ihr Verhältnis zur Religionswissenschaft 1 |
Theologie ist schon lange nicht mehr das, was sie einmal war.2 Auch an ihr ging der Prozess der Moderne nicht spurlos vorüber. Und auch bei ihr erwies er, dass sie nur kontingent war, was sie war, und ist, was sie ist. Die Theologie gibt es nicht, und es hat sie auch nie gegeben. Stets war und ist Theologie Funktion ihrer Geschichte. Die war immer schon vielfältig, aber in der Neuzeit ist sie irreversibel pluriform geworden. So hat der Prozess der wissenschaftlichen Ausdifferenzierung die Theologie seit dem 17. Jh. nicht nur intern in eine Vielzahl für sich genommen kaum verbundener Disziplinen unterschieden, er hat auch systematisch divergierende Konzeptionen von Theologie hervorgebracht, und er hat Disziplinen wie die Religionsgeschichte und Religionskunde entstehen lassen, die sich verselbständigten und der Theologie heute als eigenständige Religionswissenschaft gegenüberstehen.
Damit entstanden nicht nur Abgrenzungs- und Bezugsbereichsprobleme zwischen den Disziplinen, deren Schwierigkeiten vor allem in der kritischen Bestimmung der Reichweite und der möglichen Konkurrenz der jeweiligen Erkenntnisansprüche bestehen. Auch ergab sich angesichts der Methodenorientierung neuzeitlicher Wissenschaft für jede dieser Disziplinen die metakritische Nötigung, sich angesichts der Präsenz der anderen in ihrer Eigenart zu profilieren. Das gilt nicht nur für die seit dem 19. Jh. traditionellen theologischen Disziplinen vom Alten Testament bis zur Praktischen Theologie. Das gilt auch von der Theologie insgesamt im Verhältnis zur Religionswissenschaft.
1. Religion als Thema von Religionswissenschaft und Theologie
Solange Religion ausschließlich ein Thema der Theologie war, war sie kein besonderes theologisches Thema. Dazu wurde sie erst, als in der Frühaufklärung Religion über die Theologie hinaus auch zum Thema von Juristen, Philosophen, Historikern und Weltreisenden wurde. Aber je mehr sich auch nichttheologische Wissenschaften auch mit Religion befassten, desto mehr stellte sich die Frage einer konzentrierten Behandlung dieses Themas in einer dafür spezifisch zuständigen Wissenschaft, die nicht theologisch, sondern historisch und empirisch diesen komplexen Phänomenbereich menschlichen Lebens erforscht; und die Ausbildung von Religionsgeschichte und Religionswissenschaft im 19. Jh. war die Antwort auf diese Frage.3
Lange vor Entstehung der Religionswissenschaft wurde Religion so außerhalb der Theologie thematisiert, und das konnte diese auch dadurch nicht wettmachen, dass sie - in gewohnt verspäteter Überreaktion - im 19. Jh. ganz von Gott auf Religion als Leitthema umzustellen suchte. Schon ehe es die Religionswissenschaften gab, bestand eine disziplinäre Konkurrenz im Blick auf die Zuständigkeit für das Religionsthema. Gegen Ende des 18. Jh.s wurde diese Konkurrenz im ,Streit der Fakultäten' zwischen Philosophie und der Theologie ausgetragen. Dieser Streit setzte sich im 19. Jh. mit der Religionswissenschaft fort, die von Anfang an in kritischer Distanz zur Theologie stand. Diese Distanz war nicht allein in den differenten Gegenstandsbereichen der christlichen und nichtchristlichen Religionen begründet. Sie wurde und wird immer wieder polemisch auf den Gegensatz einer wissenschaftlichen und einer dogmatischen Behandlung des Religionsthemas gebracht, und sie wird nicht selten als unergiebiger Weltanschauungsstreit ausgetragen- unergiebig deshalb, weil Wissenschaft nicht immer so weltanschauungsfrei ist, wie sie meint, und Theologie nicht immer so unwissenschaftlich, wie gemeint wird. Von Anfang an war das Verhältnis von Theologie und Religionswissenschaft jedenfalls belastet durch die wissenschaftstheoretischen und wissenschaftspraktischen Differenzen, die mit der Zugehörigkeit zur theologischen bzw. philosophischen Fakultät markiert waren.
Die hier nur angedeutete Entwicklung der Religionswissenschaft hat die Theologie nicht nur als Zuschauerin erlebt. Angesichts der Veränderungen in der philosophischen Fakultät konnte sie nicht bleiben, was sie war, sondern musste sich darüber klar werden, was sie als Theologie im Verhältnis zur Philosophie auf der einen und zur Religionswissenschaft auf der anderen Seite sein wollte und sein konnte. Die Antworten waren und sind vielfältig. Zu den markantesten Mutationen kam es dadurch, dass die Außendifferenz zwischen Theologie und Religionswissenschaft binnentheologisch reproduziert, rechtlich ausgestaltet und institutionell verankert wurde. Seit am 1. Oktober 1877 in den Niederlanden der Gegensatz zwischen einer kirchenbezogenen ,Theologentheologie' (F. Wagner) und einer kulturbezogenen ,wissenschaftlichen Theologie' legalisiert und institutionell festgeschrieben wurde, ist der theologische Richtungsstreit über angebliche Modernitätsdefizite bzw. Theologieabstinenz der jeweils anderen Seite mit der wissenschaftspolitischen Auseinandersetzung um das Recht theologischer Fakultäten an Universitäten eines säkularen Staates verknüpft.4 Das ist bis in die Gegenwart einer der Hauptgründe dafür, dass das Gespräch zwischen Theologie und Religionswissenschaft so oft als Weltanschauungsstreit und nicht als wissenschaftliche Auseinandersetzung geführt wird. Man ist daher in mehrere Diskurse verwickelt, einen weltanschaulichen, einen wissenschaftspolitischen und einen innertheologischen, wenn man sich theologisch zum Verhältnis von Theologie und Religionswissenschaft äußert. Ich konzentriere mich im Folgenden auf den letzten Aspekt.
2. Christliche, konfessionelle und wissenschaftliche Theologie
Dass es die Theologie nicht gibt und auch nie gegeben hat, ist bekannt, seit man in Athen von ,Theologie' und ,Theologen' zu reden begann. Die Christen zögerten mit Recht, diese Bezeichnung für sich zu übernehmen. Als es seit Euseb und Augustin geschah, wurde Theologie schnell gleichbedeutend mit christlicher Theologie, weil nur sie nach christlicher Überzeugung wirklich von Gott und von Gott wirklich so handelte, wie er wahrhaft ist. Erst Abaelard gebrauchte den Begriff zur Bezeichnung des Ganzen der christlichen Lehre. In diesem Sinn etablierte sich Theologie an den Universitäten Europas als christliche Theologie, und bis weit ins 20. Jh. blieb sie das auch fast ausschließlich.
Christlich war sie nicht allein auf Grund ihres thematischen Bezugs auf den Glauben an Jesus Christus, christlich war sie insbesondere auch auf Grund ihres institutionellen Bezugs zur Kirche, in der dieser Glaube gemeinschaftlich gelebt wurde. Beides wurde ihr in der Neuzeit zum Problem. Seit der Spaltung der Kirche im Gefolge von Reformation und Gegenreformation gibt es Theologie an europäischen Universitäten nur noch in konfessioneller Konkretion. Und seit der Trennung von Staat und Kirche im Gefolge von Aufklärung und Säkularisierung gibt es Theologie an europäischen Universitäten nur noch im Streit um ihre konfessionelle Konkretion.
Beides prägt deutsche Universitäten bis in die Gegenwart. Das Erste manifestiert sich institutionell im Nebeneinander evangelischer und katholischer Fakultäten, das Zweite im Nebeneinander theologischer Fakultäten und religionswissenschaftlicher Fachbereiche oder Abteilungen (die Bezeichnungen variieren). Doch die Analogie ist nur oberflächlich. Während es zwischen evangelischer und katholischer Theologie heute eine vor 100 Jahren kaum vorstellbare Kooperation gibt, kann das vom Verhältnis zwischen Theologie und Religionswissenschaft nach über 100 Jahren kultivierter Antipathien trotz mannigfacher Annäherungen immer noch kaum gesagt werden. Denn während zwischen den konfessionsverschiedenen Theologien nicht der Bezug auf den christlichen Glauben, sondern das Verständnis dieses Glaubens zur Debatte steht, sind zwischen Theologie und Religionswissenschaft nicht nur der Religionsbezug und das Religionsverständnis, sondern auch das Wissenschaftsverständnis und der Wissenschaftsstatus der Theologie strittig.
Nun ist es sachlich relativ uninteressant, ob man eine Disziplin als ,Wissenschaft' bezeichnet. Wissenschaftsbegriffe sind die Abbreviatur systematischer Problemlagen in geschichtlicher Entwicklung, und angesichts des Zusammenbruchs eines einheitlichen Wissenschaftskonzepts ist es heute eine einigermaßen obsolete Frage, ob Theologie eine Wissenschaft ist. Es ist immer möglich, einen Wissenschaftsbegriff so zu fassen, dass die Theologie darunter fällt oder auch nicht. Doch im Disput zwischen Theologie und Religionswissenschaft stehen meist nicht sachliche, sondern weltanschauliche und wissenschaftspolitische Differenzen im Vordergrund. Beide Disziplinen haben universitäre Legitimationsprobleme, die Theologie im Blick auf ihren Status als Wissenschaft, die Religionswissenschaft in ihrem Status als eigenständige Wissenschaft gegenüber Religionssoziologie, Religionspsychologie oder Religionsgeschichte. Beide neigen zudem dazu, sich als Wettbewerber auf demselben Markt misszuverstehen und lassen sich dementsprechend immer wieder in mehr oder weniger freundliche Übernahme- oder Verdrängungsmanöver verwickeln.
Doch Theologie ist nicht Religionswissenschaft, und Religionswissenschaft ist nicht Theologie. Zwar gibt es keinen Phänomenbereich der Religionswissenschaft, den die Theologie nicht auch thematisieren könnte, und es gibt auch keine Methode der Religionswissenschaft, die in der Theologie nicht auch zu gebrauchen wäre. Aber beide verfolgen verschiedene Fragestellungen und haben ein verschiedenes Selbstverständnis: Während Religionswissenschaft über ihr Bezugsfeld Religion und die Methoden zu seiner Bearbeitung als sektorale Kulturwissenschaft definierbar ist, wird Theologie durch keinen Gegenstandsbereich und keine Methoden, sondern nur durch ihre Fragestellung5 zusammengehalten und fällt in ihre einzelnen Disziplinen auseinander, wenn von dieser Fragestellung abgesehen wird: Man kann dann immer noch das ganze Spektrum der Fächer vom Alten Testament bis zur Praktischen Theologie bearbeiten, praktiziert aber keine Theologie, sondern eben - je nach Fach- eine philologische, historische, philosophische, ethische, sozial- oder religionswissenschaftliche Disziplin.
Die entscheidende Frage zur Bestimmung des Verhältnisses von Theologie und Religionswissenschaft ist daher nicht, wovon beide Seiten handeln und welche Methoden sie gebrauchen, sondern im Horizont welcher Fragestellungen sie es tun.
3. Strategien zur Bestimmung des Verhältnisses zwischen Theologie und Religionswissenschaft
Wie wenig das beachtet wird, kann man sich an den gängigen Versuchen verdeutlichen, das Verhältnis beider Disziplinen zu bestimmen. Knapp typisierend lassen sich folgende Strategien unterscheiden:
1. Man bemüht sich um einen Abbau der Differenz durch Entwurf der Theologie als Religionswissenschaft. Das kann auf verschiedene Weise geschehen. So wird sie als grundlegende Religionswissenschaft von der absoluten Religion des Christentums präsentiert (so vor allem im 19. Jh.). Oder sie wird als spezifische Christentumswissenschaft unter und neben entsprechenden Religionswissenschaften anderer Religionen konzipiert (so vor allem im 20. Jh.). Oder sie wird in Verknüpfung beider Momente als Wissenschaft des christlichen Glaubens in der allgemeinen Religions- und Kulturwissenschaft verankert, durch die normative Auszeichnung des christlichen Glaubens gegenüber anderen religiösen Orientierungen aber zugleich als der- jenige Fall von Religionswissenschaft ausgegeben, der im Unterschied zu allen anderen als einziger "die wahre (nämlich christliche) Religion" thematisiert.6
2. Eine zweite Strategie bemüht sich umgekehrt um einen Abbau der Differenz durch Entwurf der Religionswissenschaft als Theologie, sei es, indem man sie als theologische Disziplin reklamiert und praktiziert (,theologische Religionswissenschaft'), sei es, indem man sie in Gestalt einer ,Theologie der Religionen' in die Theologie zu integrieren sucht, oder sei es, indem man sie als fundamentaltheologische Grundlegung aller möglichen oder gar als bessere Alternative jeder wirklichen Theologie präsentiert.
3. Eine dritte Strategie vermeidet Annäherungen und Angleichungen und betont gerade die Differenz zwischen Theologie und Religionswissenschaft, indem die spezifische Eigenart der Theologie im Unterschied zur Religionswissenschaft und umgekehrt herausgestellt wird. Seitens der Theologie geschah das vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jh.s. So betonte Barth in den 20er Jahren, dass "der Vorgang der Neukonstituierung der Theologie als ,Religionswissenschaft' ... ein unguter, ein Widerwillen und Zorn erregender Vorgang" sei, weil dadurch Theologie als Theologie ruiniert würde.7 Ganz entsprechend wurde seitens der Religionswissenschaft vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s herausgestellt, dass diese auf keinen Fall so etwas wie Theologie oder gar akademische Religionsstiftung sein dürfe, weil sie sonst keine Wissenschaft mehr wäre. Jeder Versuch, sie im Gefolge von R. Otto, J. W. Hauer, W. F. Otto oder M. Eliade in eine ,Zeugniswissenschaft', eine ,Offenbarungslehre' oder eine akademische "Lesemystik und Schreibtischsoteriologie" zu überführen, wird von religionswissenschaftlicher Seite deshalb ebenfalls energisch als ein unguter, ein Widerwillen und Zorn erregender Vorgang kritisiert.8
4. Aus der Betonung der prinzipiellen Differenz zwischen Theologie und Religionswissenschaft können freilich ganz unterschiedliche Folgerungen gezogen werden. So kann man die Meinung vertreten, dass beide schlechterdings nichts miteinander zu tun haben; oder dass beide auf je ihre Weise dasselbe traktieren, also komplementäre Zugänge zum Thema ,Religion' sind; oder dass beide Unterschiedliches behandeln, gerade so aber miteinander zu tun haben und sich ohne Berührungsängste und Verteidigungsmanöver aufeinander einlassen können.
Ganz offenkundig liegen diesen verschiedenen Vorschlägen unterschiedliche Auffassungen darüber zu Grunde, worin die Differenz zwischen diesen Disziplinen besteht, was ihre jeweilige Eigentümlichkeit ausmacht und ihr jeweiliges Selbstverständnis auszeichnet.
4. Differenzlinien zwischen Theologie und Religionswissenschaft
Prima facie haben Theologie und Religionswissenschaft eine Reihe bemerkenswerter Ähnlichkeiten. "Beide vermitteln eine - unterschiedlich große - Distanzierung vom eigenen religiösen Herkommen. Beide bleiben aber in dieser oder jener Weise ihrem Herkommen verpflichtet."9 Beide sind jeweils nicht eine Disziplin, sondern ein intern differenziertes Ensemble von Disziplinen mit ihren je eigenen (philologischen, historischen, empirischen, philosophischen, sozialwissenschaftlichen) Methoden. Beide haben keine für sie eigentümliche Methode, sondern benützen die Methoden ihrer verschiedenen Nachbardisziplinen, um die Bearbeitung ihrer Fragestellungen kritisch kontrollieren und korrigieren zu können. Beide haben in ihrer Geschichte den Gegensatz zur jeweils anderen Disziplin intern so reproduziert, dass die Differenz zwischen Theologie und Religionswissenschaft auch in ihnen selbst aufgetreten ist: in der Theologie in der Verzweigung einer ,wissenschaftlichen' und einer ,kirchlichen' bzw. ,theologischen' Theologie, in der Religionswissenschaft in der Entgegensetzung einer ,deskriptiven' oder ,wissenschaftlichen' und einer ,direktiven' oder ,schreibtischsoteriologischen' Religionswissenschaft. Und beide lassen sich nicht durch ein einziges, sondern nur durch verschiedene Differenzmuster voneinander unterscheiden. Die Grenzlinie zwischen ihnen kann deshalb nicht nur auf eine, sondern auf verschiedene Weisen gezogen werden, aber jede Grenzziehung kommt auch an den Punkt, wo sie unscharf wird und zusammenbricht.
Das kann man sich an allen gängigen Mustern zur Unterscheidung von Theologie und Religionswissenschaft klarmachen. So werden beide nach ihren Gegenstandsbezügen oder Leitthemen unterschieden (Gott vs. Religion); oder nach dem Modus ihrer Aussagen (normativ vs. deskriptiv); oder nach ihrem Wissenschaftsstatus (nichtwissenschaftlich vs. wissenschaftlich); oder nach ihrer wissenschaftlichen Haltung (voreingenommen vs. neutral); oder nach ihren Thematisierungsperspektiven (intern vs. extern).
Doch jede dieser Unterscheidungen und Grenzziehungen ist immer nur von begrenzter Reichweite. Auch Theologie handelt nicht einfach von Gott, sondern entfaltet den christlichen Glauben an Gott und dessen Gottes- und Wirklichkeitsverständnis. Sie sagt auch nicht nur, was sein soll, sondern beschreibt, was ist und gilt coram Deo. Sie ist keine historisch-empirische, wohl aber eine praktische Wissenschaft. Neutralität ist auch keine natürliche Qualität religionswissenschaftlicher Beschreibungen, sondern Resultat methodisch-(selbst)kritischer Kontrolle der eigenen Vorurteile und Hinsichtnahmen. Das ist bei der Theologie nicht anders. Beide stehen auf je ihre Weise vor der Aufgabe, kritisch zwischen den von ihnen thematisierten Phänomenen und ihrer Thematisierung zu unterscheiden und sich so um die Rettung der Phänomene gegenüber ihren Konstruktionen zu bemühen.
Ähnliches gilt schließlich auch für das Differenzmuster intern vs. extern: Theologie, so heißt es häufig, gehöre zur practice of religion und reflektiere diese in der internen Partizipantenperspektive, Religionswissenschaft dagegen sei eine science of reli- gion und beschreibe und erkläre diese in externer Beobachterperspektive. Oder mit H.-J. Greschat formuliert: "Theologen sind religiöse Spezialisten - Religionswissenschaftler sind Spezialisten für Religiöses."10 Diese griffige Entgegensetzung führt freilich in die Irre, wenn man sie auf die Personen bezieht, die Theologie und Religionswissenschaft betreiben. Diese können jeweils beides sein, ,religiöse Spezialisten' und ,Spezialisten für Religiöses'.11 Sie führt auch in die Irre, wenn man meint, anders als die Theologie sei die Religionswissenschaft nicht von bestimmten Wirklichkeitsannahmen geleitet, oder ihre Resultate könnten keine ähnlich praktisch-religiösen Wirkungen haben wie die der Theologie.12 Sie führt schließlich auch in die Irre, wenn man nicht beachtet, dass nicht nur die Religionswissenschaft, sondern auch die Theologie eine Form der Distanzierung vom gelebten Glauben ist. Allerdings distanziert sie in anderer Weise, weil sie eine andere Fragestellung verfolgt. Sie beschreibt keine religiöse Lebenspraxis auf der Suche nach Regeln religiösen Lebens in einer methodisch erzeugten Fremdperspektive, sondern sie beschreibt menschliches Leben im Horizont eines bestimmten Gottesverständnisses, indem sie sich in der Eigenperspektive des Glaubens reflexiv vom Glaubensvollzug distanziert, um dessen Lebensorientierung kritisch explizieren zu können.
Theologisch wie religionswissenschaftlich werden die Phänomene damit jeweils im Horizont der eigenen Fragestellung und insofern intern thematisiert, nur wechselt ,intern' seinen Sinn, weil die Unterscheidung zwischen intern vs. extern eine funktionale Differenz ist, die je nach Beschreibungsstandpunkt pragmatisch und semantisch anders zu fassen ist. Auch die Theologie ist dem Lebensvollzug des Glaubens gegenüber ,extern', wenn auch auf andere Weise als die Religionswissenschaft. Auch dieses Differenzierungsmuster ist daher nur bedingt brauchbar und verweist zurück auf das unterschiedliche Frageinteresse und Selbstverständnis beider Disziplinen.
5. Eigentümlichkeit und Selbstverständnis der Theologie
Das ist in beiden Fällen kontingent. Theologie und Religionswissenschaft sind, was sie geworden sind. Das ist zwar stets korrekturbedürftig13, aber auch bei einer idealtypischen Konstruktion beider Disziplinen14 ist von der Kontingenz ihrer geschichtlichen Selbstbestimmungsprozesse auszugehen.
Zu dieser Kontingenz gehört, dass Theologie Theologie (und nicht Religionswissenschaft) und Religionswissenschaft Religionswissenschaft (und nicht Theologie) ist. Das heißt nicht, dass es keine Gesichtspunkte gäbe, unter denen beide Disziplinen sich in ein bestimmtes Verhältnis setzen ließen. Doch alle Versuche sind irregeleitet, die Theologie und Religionswissenschaft gleichsetzen, oder die eine der anderen als besonderen Fall subsumieren, oder sie als verschiedene Exemplare einer Gattung ausgeben, oder die Bezeichnung der einen übernehmen, um unter ihr das Geschäft der anderen zu betreiben. Nicht dass all das nicht möglich wäre: Es ist beinahe der Normalfall. Aber keiner dieser Versuche wahrt zureichend die Andersheit der anderen oder die Eigentümlichkeit der eigenen Disziplin. Entweder wird die Pointe der eigenen Disziplin verspielt, indem man diese dem Maßstab der anderen unterwirft (oder umgekehrt), oder es wird ein falscher Schein erzeugt, indem unter dem Namen ,Theologie' Religionswissenschaft bzw. unter dem Namen ,Religionswissenschaft' Theologie betrieben wird. Denn wo immer nur die - mit Ricur gesprochen - idem-Identität und nicht auch die ipse-Identiät der beiden Disziplinen in den Blick gefasst wird, wo sie also nur taxonomisch klassifiziert und nicht in ihrem jeweiligen Selbstverständnis wahrgenommen werden, da wird ihr Verhältnis unzureichend bestimmt, weil sie nur als verschiedenartige Gleiche, aber nicht als Identische je eigner Art verstanden werden.
6. Theologie als exemplarische Kulturwissenschaft
Beide Disziplinen, heißt es häufig, beziehen sich auf Religion, Religion aber sei eine kontingente Manifestation einer notwendigen anthropologischen Grundstruktur. Beide bezögen sich daher mit der Religion bzw. den Religionen, die sie thematisieren, immer zugleich auch auf die anthropologische Grundstruktur und thematisierten damit immer auch dasselbe an verschiedenen Orten und auf verschiedene Weisen: sie seien material different, formal aber identisch.
In diesem Sinn ist E. Herms zufolge "Theologie ... Religionswissenschaft, und zwar in exemplarischer Gestalt Religionswissenschaft als Kulturwissenschaft"15. Sie thematisiere mit dem Glauben einen besonderen Fall religiöser "Daseinsgewißheit"16, ohne die es kein menschliches Leben und Handeln gäbe und die sich deshalb irgendwie überall finden lasse. Christliche Theologie und die Religionswissenschaften anderer Religionen hätten so formal denselben Gegenstand und seien deshalb verschiedene "Exemplare einer Gattung".17
Doch damit ist Theologie systematisch doppeldeutig bestimmt. Einerseits ist sie als Theologie die wissenschaftliche Reflexion einer kontingenten Ausprägung der anthropologischen Grundstruktur ethisch-religiöser Lebensorientierung: Das macht sie zu einem Fall von Religionswissenschaft.18 Andererseits ist sie als christliche Theologie die Reflexion derjenigen "Daseinsgewißheit", von der her die anderen religiösen Orientierungen als "irrige[] Gewißheiten" zu bestimmen sind: Das macht sie im Unterschied zu anderen Religionswissenschaften zur Wissenschaft der wahren Religion.19 Doch wahr und falsch sind keine Differenzbestimmungen, mit denen sich der religions- oder kulturwissenschaftliche Religionsbegriff spezifizieren ließe. Hier wird von einer deskriptiven zu einer normativen Sicht gewechselt, von einer Beschreibung fundamentalanthropologischer Daseinsgewissheit zu einem theologischen Urteil über die christliche und nichtchristliche Daseinsgewissheit, das religions- und kulturwissenschaftlich nicht mehr gedeckt ist.
Fundamentalanthropologische Grundlegungen dieser Art sind daher keine Antwort auf die Frage nach dem Differenzverhältnis von Theologie und Religionswissenschaft. Sie beschreiben allenfalls einen (aber eben nur einen!) möglichen Horizont, in dem sich dieses Verhältnis bestimmen lässt. Bloß deskriptiv als zwei material verschiedene Fälle von etwas formal Gemeinsamem lässt sich dieses Verhältnis aber nicht zureichend fassen, weil der normative Gegensatz zwischen wahr und falsch, richtiger und falscher Religion, verlässlicher und irriger Daseinsgewissheit keine deskriptive Unterscheidung religionswissenschaftlicher Beschreibung ist.
Das Argument vom angeblich gemeinsamen Gegenstandsbezug von Theologie und Religionswissenschaft greift daher nicht nur zu kurz, sondern wird zum apologetischen Grundlegungsprogramm, wenn zur Überwindung der Erklärungswiderständigkeit des Zufälligen hinter die Phänomene zurückgegangen wird, um Zufälliges als Kontingentes eines Notwendigen auszuweisen. Es genügt nicht, dass Religionen geschichtliche Kulturphänomene sind, sie müssen als solche Variationen einer anthropologischen Grundstruktur sein, mit der immer und überall zu rechnen ist, wo es Menschen gibt. Nur dann scheint man gewiss sein zu können, dass sich Theologie und Religionswissenschaft nicht nur wirklich mit einem wissenschaftlich respektablen Gegenstand befassen (also etwas Wirkliches traktieren), sondern dass sie es mit derselben Struktur zu tun haben (also dasselbe traktieren). Doch selbst wenn das möglich wäre, wäre nicht gezeigt, mit welchem Recht Theologie beansprucht, nicht nur eine, sondern die wahre religiöse Grundorientierung des Menschen zu thematisieren.
Der Versuch, Theologie auf diese Weise als exemplarische Religionswissenschaft zu begründen, geht daher nicht nur zu weit, sondern auch nicht weit genug: Er fordert anthropologisch mehr als nötig ist und erreicht theologisch weniger als er meint. Niemand muss religiös sein, und nicht jeder ist es.20 Aber alle- das ist theologisch entscheidend! - haben es mit Gott zu tun. Dafür muss man nicht nachweisen, dass jeder Mensch religiös ist, auch wenn er es bestreitet, sondern umgekehrt zeigen, dass Gott so ist, dass er jedem Menschen gegenwärtig ist, wie immer er sich versteht.
7. Religionswissenschaft als Entlarvung der Theologe
Genau das kann man freilich als Symbolisierung einer religiösen Totalperspektive deuten, und so wird es von Kritikern auch immer wieder (miss)verstanden. "Gott", meint Norbert Bolz, "ist die traditionelle Formel für die Einheit der Welt ... Es geht beim Thema Gott ... letztlich um die Möglichkeit, sich ein Bild von dem Ganzen zu machen, dem man selbst zugehört".21 Da dieses Ganze aber nichts anderes sei als die Gesellschaft, steht in offenkundiger Anlehnung an Durkheim die Diagnose fest: "Im Begriff Gott bezieht sich die Gesellschaft auf sich selbst - aber ohne es zu wissen, nämlich als Transzendenz." Diese Unbewusstheit ist entscheidend. Sie bedeutet im Blick auf die Theologie, diese müsse in ihrer "Kommunikation über Gott" permanent verbergen und verdunkeln, dass dabei die Gesellschaft über sich selbst spricht, indem sie behauptet, "daß Gott kommuniziert (Offenbarung) und daß man mit Gott kommunizieren kann (Gebet)." Doch das, so Bolz, "sind Sprechakte, die allererst erzeugen, was sie unterstellen. Es gibt Gott, denn man könnte andernfalls gar nicht mit ihm kommunizieren."22
Was der religionssoziologische Blick auf die Theologie so als systematische Verdunkelung des wahren Sinns religiöser Rede von Gott entlarvt, stellt die Religionssoziologie allerdings vor ein fundamentales Methodenproblem, wie Bolz bemerkt: "Die Soziologie der Religion steht vor der Paradoxie, daß ihr Gegenstand ihre Theorie gar nicht akzeptieren darf. Es gäbe nämlich gar keine Religion, wenn es nicht Leute gäbe, die nicht glauben, daß man Religion soziologisch verstehen kann. Wer glaubt, kann nichts von der gesellschaftlichen Funktion der Religion wissen."23 Und wer von ihr weiß, so ist wohl zu ergänzen, kann nicht mehr glauben.
Bolz' Argumentation stellt exemplarisch dar, was die Kommunikation zwischen Theologie und Religionssoziologie bzw. Religionswissenschaft so schwierig macht: Jede scheint der anderen mitzuteilen, was sie ,eigentlich' tut oder wie sie ,eigentlich' verstehen müsste, was sie zu tun meint. Das kann nur im Widerspruch, Kommunikationsabbruch oder Zusammenbruch der einen oder anderen Seite enden. Übernähme die Theologie diese Sicht, gäbe sie sich selbst auf. Folgt dagegen die Religionswissenschaft Cantwell Smiths problematischer Regel: "Es kann kein religionswissenschaftliches Untersuchungsergebnis Gültigkeit besitzen, wenn es nicht von den Anhängern der betreffenden Religion anerkannt werden kann"24, dann liefert sie ihre Sicht unkritisch dem Urteil der religiösen Binnenperspektive aus. Doch das eine ist so falsch wie das andere. Gerade weil man ernst nehmen muss, "daß die religionswissenschaftliche Darstellung einer anderen Religion vom Angehörigen dieser Religion in der Regel nicht als Selbstdarstellung wird akzeptiert werden können"25, sondern Religionen irreduzibel verschieden und damit auch immer strittig verstanden werden, ist auf Entlarvungsansprüche des ,eigentlichen' Sinns des Beschriebenen zu verzichten: Religionswissenschaft und Theologie reden in je ihrem Horizont und in je ihren Perspektiven über die im Licht je ihrer Fragen thematisierten Phänomene, und von diesen verschiedenen Thematisierungshinsichten und -horizonten kann nicht abgesehen werden, wenn man ihr Verhältnis klären will.
8. Verschiedene Thematisierungshorizonte
Nicht was sie thematisieren, sondern wie und in welchem Sinn sie es tun, unterscheidet Theologie und Religionswissenschaft. In beiden ist (z. B.) von Religion die Rede, aber anders als die Religionswissenschaften versteht Theologie Religion(en) im Licht eines bestimmten Verständnisses von Gott und Gottes Wirken. Religion wird in beiden Disziplinen also nicht gleichsinnig, sondern verschieden, von verschiedenen Standpunkten, in verschiedenen Horizonten und unter anderen Fragestellungen thematisiert.
Religionswissenschaft liefert also nicht die Fakten, die Theologie dagegen die christlichen Deutungen: Das wäre hermeneutisch naiv. Beide sprechen auch nicht von ganz Verschiedenem, wenn sie auf Religion rekurrieren: Das wäre realitätsfremd.26
Beide Disziplinen verstehen Religion und religiöse Phänomene vielmehr verschieden. Es ist ja ein Missverständnis zu meinen,
Religion ließe sich nicht definieren. Das Umgekehrte ist der Fall, es gibt eine kaum überschaubare Vielzahl von Religionsdefinitionen.27 Nur definieren wir nicht Phänomene, sondern Begriffe, und Begriffe sind der "auf seine definitorischen Grundmomente reduzierte Bestand eines systematischen Problems, also gleichsam dessen Abbreviatur"28. Insofern ist Religion das, was wir so definieren, und wir definieren das als Religion, womit wir uns unter einer bestimmten Fragestellung theologisch oder religionswissenschaftlich beschäftigen.29
Was als Religion thematisiert wird, manifestiert daher stets die Hinsicht, in der wir es in den Blick fassen - theologisch wie religionswissenschaftlich. Keine Religionsdefinition erfasst daher "das Wesentliche aller Religionen" und "das allen ,Religionen' Gemeinsame"30. Wer nach ,dem Wesen der Religion' fragt, wird immer nur das zur Antwort erhalten, was er für wesentlich hält. Und es gibt immer gute Gründe, anderes auch für wesentlich oder gar für noch wesentlicher zu halten.
Das Verhältnis von Theologie und Religionswissenschaft ist daher nicht dadurch zu bestimmen, dass man einen einheitlichen Religionsbegriff unterstellt und Theologie für das Christliche, Religionswissenschaft für das Fremdreligiöse zuständig erklärt. So war und ist der Untertitel der ThLZ nicht gemeint. Eine solche Sicht blendete genau das aus, was entscheidend ist: die verschiedenen Fragestellungen, unter denen sie das tun, und die unterschiedlichen Horizonte und Bezugsrahmen, in denen sie ihre Fragestellungen verfolgen. Denn diese leiten nicht nur ihre Verfahrensweisen, sondern gehen schon in die Bestimmung ihres Frage- und Themenfeldes ein.
9. Theoretische Wissenschaft und praktische Kunst
So sucht Religionswissenschaft den Bereich religiöser Phänomene und Orientierungen zu beschreiben und im Rekurs auf Regeln religiösen Lebens zu erklären. Sie ist damit eine empirisch-historische Wissenschaft neben anderen, mit spezifischen Konkurrenz- und Profilierungsproblemen im Verhältnis zu Religionssoziologie und Religionspsychologie, aber gerade nicht zwangs- läufig zur Theologie. Insofern Theologie nach Gottes Wirken und seiner Resonanz in allen Bereichen menschlichen Lebens fragt, ist sie auch dann keine bereichsbezogene Wissenschaft, wenn sie religiöse Phänomene thematisiert, und sie steht auch dann nicht in Konkurrenz zur Religionswissenschaft, wenn sie ihren anderen Blick auf dasselbe Material wirft. Anders als die Religionswissenschaft hat die Theologie nur ihre besondere Fragestellung, aber eben auf Grund derselben keinen besonderen Bezugsbereich, sondern verfolgt ihre Fragen nach Gottes Wirken und seiner (fehlenden) Wahrnehmung in Bezug auf alle Bereiche.
Während sich Religionswissenschaft wesentlich als theoretische Wissenschaft versteht, die mit philologischen, historischen und empirischen Methoden Religionen als geschichtliche Kul-
turphänomene zu beschreiben und im Rekurs auf Regeln religiösen Lebens zu erklären sucht, versteht sich evangelische
Theologie wesentlich als eine praktisch-hermeneutische Disziplin, die im Ausgang vom Lebensvollzug des Glaubens das Leben der Menschen und die Welt, in der sie leben, als Praxisfeld göttlichen Handelns versteht und als einen Spielraum zugespielter, versäumter, unerwarteter, unverdienter, überraschender Lebensmöglichkeiten deutet, auf die mit Dank und Klage, Bitte und Lob zu reagieren angemessen ist. Was heißt es, sein Leben im Licht der Gegenwart Gottes zu leben und zu verstehen? Was zeichnet diese Gegenwart aus? Wie kommt Gott als Gott in ihr zur Wirkung, zur Sprache, zur Geltung? Wie ist zu leben, wenn es die Grundsituation des Lebens ist, coram Deo, im Horizont der von Gott zugespielten Lebensmöglichkeiten gelebt zu werden? Was heißt es für die Welt, den Menschen, das Leben, wenn sie so als Orte von Gottes Gegenwart zu verstehen sind?
Leitfragen dieser Art machen die Theologie zur Theologie, nicht die exegetischen, historischen, philosophisch-systematischen und praktisch-empirischen Methoden, mit denen sie in ihren Teildisziplinen Teilprobleme zur Beantwortung dieser Leitfragen bearbeitet. Theologie ist sie allein durch ihre Fragestellungen, nicht durch ihre Methoden. Allenfalls ist sie insgesamt als hermeneutische Methode zur Beantwortung ihrer Leitfragen zu beschreiben, nämlich als Kunst der kritischen Kombination theologischer und nichttheologischer Lebens- und Wirklichkeitsdeutungen im Horizont des Gottesverständnisses des christlichen Glaubens, um das Leben auf die ihm zugespielten Möglichkeiten, das dadurch überraschend eröffnete Neue und das damit zum Vergehen bestimmte Alte hin durchsichtig zu machen.
Auf der einen Seite entfaltet die Theologie ein bestimmtes Gottesverständnis, im kritischen Ausgang vom christlichen Glaubensleben und in permanenter Auseinandersetzung mit anderen Lebensorientierungen. Auf der anderen prüft sie es im Denken und am Leben, indem sie alles Wirkliche und Mögliche in seinem Licht versteht und deutet als Feld der Gott zu verdankenden Möglichkeiten und vor Gott zu verantwortenden Chancen. Das sind die beiden Grundaufgaben, die sich aus ihrer Leitfrage nach Gottes Gegenwart in den Erfahrungen der Zeit ergeben, und um sie gruppieren sich alle Bemühungen ihrer Einzeldisziplinen.
Theologie redet damit ausdrücklich von Gott, während Religionswissenschaft Gott nur im Zitat und als Begriff kennt. Als historisch-empirische Wissenschaft beschreibt sie, was Menschen zu und über Gott sagen, was sie von Gott denken und glauben und wie sie ihren Glauben leben. Theologie dagegen redet von Gott, und zwar so, dass sie auch dort im Modus der zweiten Person von Gott spricht, wo sie die Sprache der dritten Person gebraucht, weil sie ihn als den thematisiert, dem für das Leben und seine Möglichkeiten zu danken, vor dem die Übel, das Böse und die Mängel des Lebens zu beklagen und der um ihre Überwindung zu bitten ist. Gott ist für sie ein Thema, bei dem nicht auszublenden ist, dass man selbst im Guten wie im Bösen in dieses Thema verwoben ist, weil man das Leben lebt, das man lebt. Für die Theologie markiert Gott daher nicht ein Thema neben anderen, sondern den Horizont, in dem alle Phänomene des Lebens zu verstehen sind, wenn sie theologisch verstanden werden sollen. Verliert sie dieses Thema, hat sie nicht nur etwas weniger, sondern gar nichts mehr zu sagen.
Theologie und Religionswissenschaft verfolgen damit verschiedene Fragestellungen, und zwar auch dort, wo sie dieselben Phänomene thematisieren. Während die eine nach theoretischen Erkenntnissen strebt, die sich auf Regeln bringen lassen und unser empirisches und historisches Wissen über Religion und Religionen erweitern, sucht die andere nach praktischen Einsichten, die uns über die Situation unseres Lebens und damit uns selbst Einsichten vermitteln, die für uns nicht offensichtlich sind, indem sie die Phänomene des Lebens als Indizien für Gottes Gegenwart und Wirken in unserer Welt deutet.
10. Praktische Wissenschaft
Von Anfang an verstand sich reformatorische Theologie daher als eine praktische Disziplin, und zwar in spezifischem Sinn. Seit Duns Scotus war betont worden, Gott sei nicht spekulativ, sondern in seiner Funktion für den Menschen und das menschliche Leben und Handeln in den Blick zu fassen, Theologie also als praktische Wissenschaft zu begreifen, die nicht nur wissen will, was ist, sondern darauf zielt, das, was ist, in bestimmter Weise zu verändern. Wie die Medizin Krankheiten nicht nur beschreiben, sondern Wege zu ihrer Heilung aufweisen will, so will Theologie nicht nur wahre Aussagen über Gott, Mensch und Welt machen, sondern dazu anleiten, dass Menschen das Heil finden und an ihm Anteil gewinnen können.
Dieses Theologieverständnis modifizierte die reformatorische Theologie an entscheidender Stelle, indem sie den praktischen Charakter der Theologie nicht vom menschlichen Tun und Handeln, sondern vom Handeln Gottes am Menschen her bestimmte: In der Theologie geht es nicht primär um das, was Menschen im Blick auf Gott tun oder tun sollten, sondern um das, was Gott für sie tut und getan hat; und das Entscheidende, was Gott für die Menschen getan hat und tut, ist, dass er sie aus dem Unglauben in den Glauben versetzt, indem er ihnen in ihrem Leben so gegenwärtig wird, dass sie ihm in seinem Leben ewig gegenwärtig bleiben.
Praktisch ist die Theologie also nicht, wie es im Gefolge der neuprotestantischen Umprägungen der Theologie zu einer positiven Wissenschaft dann hieß, weil sie ein bestimmtes gesellschaftliches Praxisfeld reflektiert: das der religiösen Kommunikation innerhalb und außerhalb der Kirche. Praktisch ist sie vielmehr als eine auf Gottes Heilswirken konzentrierte und insofern soteriologisch ausgerichtete Wissenschaft, die den Spuren von Gottes Wirken an und für seine Geschöpfe in deren Lebenswelt und Geschichte nachgeht, um den Menschen an den Phänomenen ihres Lebens die Augen für ihre Situation vor Gott zu öffnen.
Beides war in Schleiermachers Verständnis der Theologie als praktisch-positiver Wissenschaft verknüpft, in der Gottes Wirken als Geist der Gemeinde den Horizont zur soteriologischen Deutung des Praxisfeldes der Religion abgab, die Phänomene religiöser Kommunikation also als Indizien für Gottes Gegenwart und Wirken gelesen wurden. Beides bricht aber auseinander, wo man zwar den Bezug auf das kulturelle Praxisfeld religiöser Kommunikation, aber nicht mehr den soteriologischen Horizont von Gottes Wirken zum Heil des Menschen festhält. Religion und Religionen treten dann nur noch als kulturelle Phänomene in den Blick, über deren anthropologische Notwendigkeit oder geschichtliche Zufälligkeit man sich streiten kann, die aber keinen Anlass mehr für das bieten, was die theologische Zuwendung zum Feld der Religion und Religionen motivierte: die Spurensuche nach Gottes Wirken anhand der symbolischen Repräsentationen der Wahrnehmung seiner Präsenz in der Geschichte.
11. Neutrale Theologie?
Dieser Verlust des theologischen Verstehenshorizonts religiöser Kulturphänomene war nicht zufällig, aber ohne ihn gibt es keine Theologie. Thematisiert man Religionen als symbolische Weltentwürfe, mit deren Hilfe sich Menschen in der Welt einrichten und orientieren, kann man methodisch nicht von Gott, sondern nur von Gottessymbolisierungen reden. Deren Funktion in menschlichen Sozietäten und ihren symbolischen Universen kann man wissenschaftlich beschreiben und erklären, aber nach ihrem Realitätsbezug, also nach Gott zu fragen, wird prinzipiell vermieden: Man thematisiert gerade deshalb Religion, weil Gott sich mit den gewählten Methoden nicht thematisieren lässt.
Die Begründung für diesen Rückzug auf das empirisch und historisch Beschreibbare und die Epoché von allen Wahrheits- und Geltungsurteilen in Sachen Religion ist bekannt. Von Gott mag man halten, was man will. Von der Religion auch. Aber dass es sie gibt, ja dass Religionen Gegenwartsmächte von nicht zu unterschätzenden sozialen, politischen, ökonomischen Wirkungen sind, das kann man schlechterdings nicht bestreiten. Anders als Gott ist Religion eine beschreibbare Realität im Leben der Menschen und scheint damit den Anfragen des Skeptizismus und Atheismus nicht in derselben Weise ausgesetzt zu sein. Man kann die Wirklichkeit von Religion dann immer noch sehr unterschiedlich beurteilen: als atavistisches Relikt einer menschheitsgeschichtlichen Frühstufe, über die hinauszukommen nun endlich an der Zeit wäre, oder als Ausdruck einer Grunddimension menschlichen Seins, ohne die Menschen nicht Menschen wären. Aber so oder so weiß man sich von den kritischen Anfragen an eine Wissenschaft von Gott nicht mehr betroffen, weil man eine sich an diesem Punkt des Urteils enthaltende Human- und Kulturwissenschaft betreibt.
Man kann die Attraktivität verstehen, die diese Argumentation auf Theologen ausübt, die angesichts der Theologie- und Religionskritik der Neuzeit die Nerven verlieren. Doch Theologie nach diesem Muster als Kulturwissenschaft, als "protestantische Kulturhermeneutik" menschlicher Alltagsreligion zu konzipieren, die "generell auf die Bewertung von Kulturphänomenen" verzichtet und "sich stattdessen der Beschreibung der Erfahrungen" widmet, "die sie gewähren"31, ohne sich über den eigenen theologischen Horizont dieser Beschreibung Rechenschaft abzulegen, ist kurzschlüssig. Wird die Frage nach der Frage, deren Beantwortung Theologie zur Theologie macht, ausgeblendet, zerfällt Theologie nicht nur in ihre einzelnen Disziplinen, sondern sie kann auch nicht mehr klarstellen, inwiefern sie nicht Religionswissenschaft, sondern Theologie ist, und an dieser Unterscheidung haben nicht nur Religionswissenschaftler, die keine Theologen sein wollen, ein berechtigtes Interesse.
Das lässt sich auch nicht dadurch leisten, dass Theologie auf das reduziert wird, was sich zur wissenschaftlichen Normallage der Zeit vermitteln lässt. Damit provoziert man nur Reaktionen wie die der 'radical orthodoxy', die sich dagegen verwahren, die Agenda der säkularen Moderne für die Theologie als maßgeblich zu akzeptieren, und stattdessen die Legitimation der Moderne in Frage stellt. Im Gegenzug heißt es, dass man hinter die säkulare Verzweigung wissenschaftlicher und kirchlicher Theologie nicht zurückgehen könne, bei ihr aber auch nicht stehen bleiben dürfe. Die modernitätsunfähige ,Theologentheologie' sei vielmehr durch eine rationale Kulturtheologie abzulösen, die angesichts der Religionskritik der Moderne ihre Gehalte konsequent ,enttheologisiert' und "sich auf die Realisierung von Freiheitsverhältnissen" konzentriert, "die dem Kriterium der vermittelten Selbstbestimmung verpflichtet sind".32
12. Die Unverzichtbarkeit theologischer Rede von Gott
Warum die Theologie in einer säkularen Welt allein und gerade dadurch überleben können soll, dass sie sich selbst säkularisiert, bleibt freilich dunkel. Auch angesichts eines Zeitgeistes, der sich zwar mit Religionswissenschaft abfinden, mit Theologie aber kaum noch etwas anfangen kann, kann diese nicht darauf verzichten, den christlichen Glauben zu explizieren. Das geht nicht, ohne von Gott zu sprechen. Theologie aber spräche nicht von Gott, wenn sie nicht das thematisierte, was der christliche Glaube mit ,Gott' meint, und wenn sie im Licht dieses Gottesverständnisses nicht das Gottesverhältnis als letztgültigen Verstehenshorizont des Lebens explizierte, in dem das Leben als Feld der Gott zu verdankenden Möglichkeiten und vor Gott zu verantwortenden Chancen durchsichtig wird. Nicht nur redet Theologie notwendig von Gott, sie redet von Gott und damit auch vom Leben notwendig auch auf bestimmte Weise.
Anders als die Religionswissenschaft kann Theologie an diesem Punkt keine Epoché vollziehen, ohne ihr Thema zu verlieren und ihre Aufgabe zu verfehlen. Das gilt auch dann, wenn sie sich am Leitbegriff der Religion entwirft und christlichen Glauben als einen Fall von Religion thematisiert. Das Problem tritt dann in Gestalt der unterschiedlichen Thematisierungshinsichten von Beteiligten und Nichtbeteiligten auf: Während der Glaube um Gottes Wirklichkeit weiß, weil er weiß, dass es ihn nicht gäbe, wenn Gott nicht wirklich wäre, kann man als Religion von ihm nur sagen, dass er um Gottes Wirklichkeit zu wissen meint. Denn ist ,Religion' das, was Religionswissenschaft mit ihren Methoden thematisiert, dann gilt: Religionen mögen meinen, um Gottes Wirklichkeit zu wissen, Religionswissenschaft weiß davon prinzipiell nichts. Das gilt sowohl für die weltanschaulichen Versionen von Religionswissenschaft, die der Meinung sind zu wissen, dass Religionen nichts von Gottes Wirklichkeit wissen (weil es Gott nicht gibt), als auch für die wissenschaftlichen Versionen von Religionswissenschaft, die nicht wissen, ob Religionen von Gottes Wirklichkeit wissen oder nicht (und sich eines Urteils enthalten).
Theologie im Kontext der Religionswissenschaft steht damit grundsätzlich vor drei Möglichkeiten: Entweder sie entfaltet als fides quaerens intellectum in überkommener Weise den Inhalt des christlichen Glaubens, dann muss sie in bestimmter Weise von Gott, vom Leben, von der Welt sprechen. Oder sie thematisiert den Glauben religionswissenschaftlich als Religion, dann wird sie zu einer Anführungszeichentheologie, die von Gott nur in Form des Zitats zu reden weiß. Oder sie thematisiert ihn theologisch als Religion, knüpft also anders an die Lebensphänomene an als die Religionswissenschaft, indem sie diese Phänomene als Resonanz göttlichen Wirkens versteht. Im ersten Fall redet sie selbst von Gott und nicht nur darüber, wie andere von Gott reden. Im zweiten ebnet sie die Differenz zur Religionswissenschaft ein und verliert ihre Pointe als Theologie. Im dritten redet sie anders von Religion als die Religionswissenschaft,33 indem sie die entsprechenden Lebensphänomene im Horizont der Gegenwart Gottes thematisiert, kann dann aber die angeblichen Erleichterungen der religionswissenschaftlichen Enthaltsamkeit angesichts der theologie- und religionskritischen Anfragen nicht auch auf ihr Konto verbuchen. Sie bleibt ihnen auch dort ausgesetzt, wo sie systematisch von der Wissenschaft von Gott auf eine Wissenschaft von der Religion umgestellt wird. Prüfstein, ob man es mit Theologie oder einer Version von Religionswissenschaft zu tun hat, ist daher nicht, ob von Religion oder Glaube oder Gott die Rede ist, sondern ob von Gott, Glaube oder Religion christlich und damit anders die Rede ist als in den Religionswissenschaften, nämlich so, dass normative Folgen für die Orientierung menschlichen Lebens im Licht des christlichen Glaubens zur Darstellung und zur Geltung kommen.
13. Zusammenfassung
Die Fragen, die in der mir gestellten Aufgabe enthalten sind, können im Licht dieser Überlegungen folgendermaßen beantwortet werden:
Meinem Verständnis des Selbstverständnisses evangelischer Theologie zufolge ist diese eine praktische Disziplin der Lebensorientierung durch kritische Entfaltung des christlichen Glaubens und seines Wirklichkeitsverständnisses, keine wie auch immer verstandene theoretische und schon gar keine historisch-empirische Wissenschaft. Ihre zentrale Aufgabe gegenüber der Religionswissenschaft besteht darin, Theologie zu bleiben und sich als Theologie zu profilieren, indem sie die spezifische Fragestellung klärt, deren Bearbeitung sie zur Theologie und nicht zu Religionswissenschaft macht. Diese Fragestellung ist praktisch und hat die Pointe, in der Entfaltung der Lebensorientierung des Glaubens alles Wirkliche und Mögliche im Horizont der Gegenwart Gottes zu verstehen. Dazu muss Theologie das Gottesverständnis klären und das Leben in seinem Licht deuten, also einerseits christliches Glaubensleben anhand seiner Selbst- zeugnisse im Licht seiner Selbstunterscheidung von seinem Grund als Gott gewirkte Wirklichkeit verstehen, und andererseits die Wirklichkeiten und Möglichkeiten menschlichen Lebens im Licht des Glaubens deuten und in Auseinandersetzung mit anderen Lebensdeutungen bewähren.
Methodisch ist die Theologie insgesamt daher theologische Hermeneutik, nämlich die Kunst, durch kritische Kombination theologischer und nichttheologischer Perspektiven auf das menschliche Leben im Horizont des Gottesverständnisses des christlichen Glaubens einen Spiel- und Wahrnehmungsraum zu eröffnen, in dem lebensweltliche Phänomene auf das hin durchsichtig werden, was an ihnen neu, lebensförderlich und festzuhalten bzw. alt, lebensbehindernd und zu überwinden ist. Theologie schärft den Blick für Lebensmöglichkeiten, die uns schon dort und noch da zugespielt werden, wo wir noch nicht oder nicht mehr mit ihnen rechnen können. Da sie dabei argumentativ verfährt, also nicht nur Meinungen, sondern Gründe für und gegen Meinungen vorträgt, gehören die Orientierung an den wissenschaftlichen Tugenden der Klarheit, Genauigkeit und Nachprüfbarkeit der Argumente sowie die Klärung ihrer Voraussetzungen und Methoden zu jeder seriösen Theologie. Und da sie dabei reflektiert, also kritisch und selbstkritisch verfährt, gehört die systematische Wahrung der Differenz zwischen Fremdsicht und Selbstsicht im theologischen Verstehenshorizont zu den methodischen Tugenden jeder kritischen Theologie. Die Wahrung dieser Differenz ist eine wesentliche Bedingung dafür, die eigene Auffassung anderer an deren Selbstauffassung prüfen zu können, um die eigene Sicht zu korrigieren oder diese der Sicht der anderen Seite gegenüber kritisch zur Geltung zu bringen.
Das gilt im Blick auf alle Themenfelder der Theologie: Um zwischen ihrer Thematisierungshinsicht und dem Thematisierten kritisch unterscheiden zu können, ist sie auf andere Darstellungen dessen angewiesen, womit sie sich beschäftigt. Philosophische und religionswissenschaftliche Perspektiven auf ihre Themen sind für sie daher ebenso unverzichtbar, wie den Glauben in seinen lebensweltlichen Konkretionen gegenüber ihren theologischen Konstruktionen zu Wort kommen zu lassen. Das Verhältnis zwischen Theologie und Religionswissenschaften kann daher nur ein Verhältnis wechselseitiger Kritik und Korrektur sein. Beide Disziplinen verfolgen verschiedene Fragestellungen und thematisieren Lebensphänomene in verschiedenen Verstehenshorizonten. Die spezifische methodische Leistung jeder Disziplin für die andere besteht deshalb vor allem in ihrem Beitrag zur kritischen Unterscheidung zwischen Thematisierungshinsicht und Thematisiertem im Beschreibungshorizont jeder Disziplin. Sie bringen jeweils Anderes gegenüber den Beschreibungen der jeweiligen Disziplin so zur Geltung, dass das Andere als Anderes, das Fremde als Fremdes im Blick bleibt. Religionswissenschaftliche Beschreibungen fungieren im Horizont der Theologie so als eine Phänomenologie des Fremden als Fremden, und theologische Deutungen haben im Horizont der Religionswissenschaft die Funktion einer Erinnerung an alternative Horizonte zum Verständnis des Lebens. Die Religionswissenschaft hilft der Theologie, das Recht der Phänomene gegenüber ihrer theologischen Thematisierung zu wahren, die Theologie erinnert die Religionswissenschaft daran, dass es noch andere Horizonte des Lebens gibt als die, die sie methodisch privilegiert - Horizonte, in denen das Leben nicht nur wissenschaftlich thematisiert, sondern vor und mit Gott praktisch gelebt, erlebt, erlitten und gestaltet wird.
Summary
The rise of religious studies since the 19th century has challenged and changed theology. Whereas some have tried to restrict it to 'scientific', i.e. philological, historical and empirical problems, others have reacted by a 'theological theology' concentrating on biblical, dogmatic and practical issues. But religious studies are not a 'neutral' substitute for theology, nor is theology a dogmatic precursor of or alternative to religious studies. The two approaches differ not so much in what the study, or in the way they study it, but in the questions they ask, the aims they pursue, the horizons in which they understand their phenomena, and the perspectives in which they pose their problems. Theology seeks to provide orientation in life, not merely knowledge about religious life and history. It goes beyond the historical, empirical and comparative study of religion by placing everything in the light of God's presence. It may use materials from religion, but it cannot claim religion as its proper domain. For only some persons are religious, but all have to do with God. In focusing on God's hidden presence theology has no closer kinship with religion than with science, art, and other domains.
Fussnoten:
1) Vortrag auf dem Kolloquium "Theologie und Religionswissenschaft" anläßlich des 125-jährigen Bestehens der Theologischen Literaturzeitung am 19. Juni 2000 in Leipzig. Die mir gestellte Aufgabe war, aus theologischer Sicht über das Verhältnis der (evangelischen) Theologie zur Religionswissenschaft zu sprechen.
2) ,Theologie' meint im Folgenden stets christliche Theologie.
3) Vgl. aus der umfangreichen Literatur u. a. H. Junginger, Von der philologischen zur völkischen Religionswissenschaft. Das Fach Religionswissenschaft von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Dritten Reiches, Stuttgart 1999.
4) Vgl. E. J. Sharpe, Comparative Religion. A History, London 1986, 119-143, bes. 120 f.; A. L. Molendijk, Transforming Theology: The Institutionalization of the Science of Religion in the Netherlands, in: ders./P. Pels [Hrsg.], Religion in the Making. The Emergence of the Sciences of Religion, Leiden/Boston/Köln 1998, 67-95.
5) Die ist komplex und kann verschieden akzentuiert werden: als Frage nach Gott, nach der Welt in Beziehung auf Gott, nach Gottes Heilswirken für den sündigen Menschen, nach der Kirche, der Religion u. a. m., und je nach Bestimmung dieser Leitfrage ergeben sich verschiedene und nicht ohne weiteres kompatible Theologiekonzepte. Damit ist nicht bestritten, wie F. Stolz (mündlich) zu recht betont, dass Theologie in jeder dieser Bestimmungen als reflexive Begleitung des christlichen Glaubens und damit als Reflexionsform eines sektoralen Bereichs der Gesellschaft beschrieben werden kann oder dass Religionswissenschaft sich auch mit Kulturen befasst, die eine sektorale Ausdifferenzierung eines Bereichs von ,Religion' nicht kennen. Dennoch wäre Theologie missverstanden, wenn sie als Theorieform nur dieses Bereiches verstanden würde, und nicht als ein Komplex von Disziplinen, deren leitende Fragestellung(en), über die sie verknüpft sind, sich nicht nur auf diesen Bereich beschränken lassen.
6) E. Herms, Theologie und Religionswissenschaft, Variations hermÈneutique, No 9, 1998, 65-87, 71.
7) K. Barth, Die christliche Dogmatik im Entwurf (1927), GA II, 14, Zürich 1982, 398.
8) Vgl. B. Gladigow, "Imaginierte Objektsprachlichkeit". Der Religionswissenschaftler spricht wie der Gläubige (Vortrag 24. März 2000, im Druck).
9) F. Stolz, Grundzüge der Religionswissenschaft, Göttingen 21997, 44.
10) H.-J. Greschat, Was ist Religionswissenschaft? Stuttgart u. a. 1988, 129.
11) A. Grünschloß, Religionswissenschaft und Theologie - Überschneidungen, Annäherungen und Differenzen, in: Gebhard Löhr [Hrsg.], Die Identität der Religionswissenschaft, Greifswalder Theologische Forschungen GThF (Neue Folge). Frankfurt u. a. (im Druck).
12) Vgl. F. H. Tenbruck, Die Religion im Mahlstrom der Reflexion, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1993, 31-67.
13) Dass christliche Theologie in noch anderem Sinn korrekturbedürftig ist als die Religionswissenschaft, verweist auf einen wesentlichen Aspekt ihrer Verschiedenheit. Während für die Religionswissenschaft als historisch-empirischer Wissenschaft die Korrigierbarkeit und prinzipielle Falsifizierbarkeit ihrer Erklärungen, Hypothesen und Theorien an der empirischen und geschichtlichen Wirklichkeit der von ihr thematisierten Phänomene gilt, ist die Theologie als engagierte Selbstreflexion gelebten christlichen Glaubens in der Geschichte semper reformanda, also im Licht des Grundes und Gegenstands des Glaubens kritisch gefordert, dessen lebensverändernder Wirksamkeit im christlichen Lebens- und Denkvollzug immer wieder neu und besser gerecht zu werden.
14) Das ist Heideggers Alternative zu einem "Vergleich des faktischen Zustandes zweier geschichtlich vorliegender Wissenschaften", aus dem ihm zufolge "keine grundsätzliche Einsicht zu gewinnen" sei, wie beide - er spricht von der christlichen Theologie und Philosophie - "zueinander sich verhalten". Für eine "grundsätzliche Diskussion des Problems" sei von einer "idealen Konstruktion der Ideen beider Wissenschaften" auszugehen, um aus "den Möglichkeiten, die beide als Wissenschaften haben, ... ihr mögliches Verhältnis zueinander zu entscheiden" (Theologie und Phänomenologie, Frankfurt am Main 1970, 13). Dass auch diese ideale Konstruktion an die Geschichte verwiesen ist, aus der die ,Ideen' dieser Wissenschaften allein zu gewinnen sind, wird von Heidegger nicht reflektiert.
15) Herms, a. a. O., 70.
16) A. a. O., 70 ff.87.
17) A. a. O., 78.
18) Dass die ,anthropologische Grundstruktur' selbst schon ein Postulat ist, das auf normativen Vorgaben beruht und eine anthropologische Universalie in die Religions- und Kulturgeschichte projeziert (F. Stolz), sollte nicht übersehen werden.
19) Vgl. a. a. O., 71.
20) Natürlich kann man Religiosität als Daseinsgewissheit, Grundvertrauen oder Lebensorientierung anthropologisch so fundamental ansetzen, dass es niemand gibt, der nicht in diesem Sinn ,religiös' wäre. Man muss dann freilich auch die ausdrückliche Negation von Religion als Manifestation von Religion verstehen und nichtreligiöse Lebensorientierungen wider deren Selbstverständnis als religiöse bestimmen. Damit tritt nicht nur der normative Charakter dieser fundamentalanthroplogischen Deskription zu Tage, es ist auch weder die Ebene erreicht, auf der die normative Privilegierung des christlichen Glaubens begründet werden könnte, noch die, auf der sich Theologie und Religionswissenschaft in einer nicht bloß klassifikatorischen Weise unterscheiden ließen. Die meisten Fragen bleiben damit offen.
21) N. Bolz, Kommunikationsprobleme mit Gott. Die Theologie sollte sich aufs Fragen konzentrieren, Forschung & Lehre 7, 1999, 340-342, 340.
22) A. a. O., 341.
23) A. a. O., 340 f.
24) W. C. Smith, Comparative Religion: Whither - and Why? (1959), in: W. G. Oxtoby [Hrsg.], Religious Diversity, New York 1982, 146; deutsch in: M. Eliade, J. M. Kitagawa [Hrsg.], Grundfragen der Religionswissenschaft, Salzburg 1963, 75-105, 87.
25) Stolz, a. a. O., 42.
26) Insofern ist in der Theologie (oder der Religionsphilosophie oder der Religionswissenschaft) in der Tat nicht von etwas anderem die Rede als von dem, was im gelebten Glaubensvollzug erlebt wird, wenn ,das' theologisch, religionsphilosophisch oder religionswissenschaftlich bedacht wird. Nur wird es in jedem Fall eben anders bedacht.
27) Vgl. H. Adriaanse, On Defining Religion, in: J. G. Platvoet/A. L. Molendijk [Hrsg.], The Pragmatics of Defining Religion. Contexts, Concepts and Contests, Leiden/Boston/Köln 1999, 227-244.
28) N. Hartmann, zit. nach R. Wohlgenannt, Was ist Wissenschaft? Braunschweig 1969, Motto.
29) Vgl. E. Feil, Religio. Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs vom Frühchristentum bis zur Reformation, Göttingen 1986; ders., Religio. Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs zwischen Reformation und Rationalismus (ca. 1590-1620), Göttingen 1997; ders., Zur Bestimmungs- und Abgrenzungsproblematik von ,Religion', EuS 6, 1995, 441-445; ders., Streitfall ,Religion'. Diskussionen zur Bestimmung und Abgrenzung des Religionsbegriffs, Münster 2000.
30) Tenbruck, a. a. O., 66.
31) Vgl. Chr. Albrecht, Mit Auge und Herz. Für eine Erneuerung der Theologie als Kulturtheorie, EvKomm 5, 2000, 20-23.
32) F. Wagner, Religion und Gottesgedanke, Frankfurt am Main 1996, 12.
33) Man kann also nicht sagen: "Die kritische Linie verläuft zwischen der unvermeidlichen Phänomendistanzierung (im Falle der Religionsphilosophie [und der Religionswissenschaft]) und dem Selbstvollzug der Wirklichkeit Gottes (im Falle des christlichen Glaubens und der darauf beruhenden Theologie)." (H. Deuser, Was macht die Theologie systematisch? Über das Verhältnis von Theologie und Religionsphilosophie, BThZ 17, 2000, 67-84, 74). Denn das übersieht, dass auch die Theologie ,unvermeidliche Phänomendistanzierung' ist, nur distanziert sie eben anders, und d. h. unter einer anderen Leitfrage, vom Phänomenbereich gelebten Glaubens. Entsprechend geht es auch nicht um die Frage, ob denn "die theologisch bedachten Gotteserfahrungen wirklich andere als die [seien], die existentiell erlebt werden" (76), sondern dass diese anders thematisiert werden als im Lebensvollzug des Glaubens, zu dem das Denken - und insofern, wie rudimentär auch immer, auch theologische Reflexion - hinzugehört, der aber im Denken nicht aufgeht und nicht erst dort zu seinem eigentlichen Ziel kommt. Beide, Theologie und Religionsphilosophie (und, davon unterschieden, Religionswissenschaft), distanzieren von den Phänomenen (,Gotteserfahrungen') gelebten Glaubens, indem sie diese im Denken thematisieren, aber sie tun es auf je andere Weise: Sie sind nicht deshalb ,eigentlich' dasselbe oder auf derselben Spur, weil sie das Gleiche tun, nämlich Glaubensphänomene distanzierend zu thematisieren und zu reflektieren. Sie sind vielmehr verschiedene Distanzierungsweisen, die sich eben deshalb produktiv miteinander verbinden, aber in kein hierarchisches Unter- oder Überordnungsverhältnis bringen lassen und deshalb auch nicht bruchlos ineinander überführt werden können. Von ,Überschneidungsbereichen' beider Disziplinen (76 f.) oder einem "Überschneidungsfeld" (79) zu reden, ist deshalb irreführend. Es verdunkelt, dass beide auch dort, wo sie dieselben Erfahrungen und Phänomene zu thematisieren suchen, auf je andere Weise an diese anknüpfen, sie verarbeiten, sie weiterdenken oder kritisch und systematisch entfalten. Sie thematisieren die Phänomene gelebten Glaubens nicht ihm Horizont derselben Frage nach dem Allgemeinen und damit auch nicht im Horizont der Frage nach demselben Allgemeinen. Das ist auch dort nicht zu vergessen, wo sie miteinander kombiniert werden.