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Ausgabe:

September/1999

Spalte:

859–874

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Elke Blumenthal

Titel/Untertitel:

Religionsgeschichte und Sinngeschichte des alten Ägypten

Es sind zwei gewichtige Bücher hier vorzustellen, die beide in einem weiteren Sinne demselben Gegenstand gelten und mit geringem zeitlichen Abstand erschienen sind; das spätere liegt bereits in einer Taschenbuchausgabe vor.* Klaus Koch, der Verfasser des ersten, ist dem Theologen als Alttestamentler bestens bekannt, aber mit den forschungsgeschichtlichen Vorarbeiten zu seiner ägyptischen Religionsgeschichte (und einigen Aufsätzen zu Einzelthemen) ist er auch auf ägyptologischem Terrain aufgetreten und in dieser Zeitschrift besprochen worden.1 Jan Assmann hat sich längst über den engen Kreis der Ägyptologen hinaus als Kulturwissenschaftler einen Namen gemacht und sich nicht nur hinsichtlich des alten Ägypten2 als theologischer Denker von hohen Graden erwiesen, so zuletzt in seinem aufsehenerregenden Moses-Buch;3 bezeichnenderweise sind ihm kürzlich sowohl der evangelisch-theologische Ehrendoktor der Universität Münster als auch der Deutsche Historikerpreis verliehen worden. Es kann als erfreuliches Symptom für die zunehmend durchlässigeren Grenzen zwischen den Fachdisziplinen beurteilt werden, daß es hier der Alttestamentler ist, der eine Geschichte der ägyptischen Religion vorlegt, während die "Sinngeschichte" des Ägyptologen kaum ohne die Methoden der Traditions- und Redaktionskritik zu denken ist, die in den Bibelwissenschaften entwickelt wurden,4 auch wenn er sich nicht ausdrücklich darauf bezieht.

Religionsgeschichte und/oder/versus Sinngeschichte? Assmann klärt die kognitiven und methodischen Voraussetzungen für seine Wahl bereits im Vorwort (9-12) und vor allem in der Einleitung: Die sinnhafte Form der Geschichte (15-38) mit den Kapiteln und Abschnitten 1. Die Spinnen und die Netze. - Offene und verborgene Geschichte - Spuren, Botschaften und Erinnerungen. 2. Die kulturelle Konstruktion der Zeit. - Das ägyptische Chronotop - Lineare und zyklische Zeit. - 3. Die dynastische Struktur als Konstruktion von Dauer. - Die Lehre von den zwei Ewigkeiten - Die dynastische Struktur als symbolische Form - Staat und Zeit. Für seine zentrale Kategorie "Sinn" orientiert er sich an Niklas Luhmann, der jeweils von den Gesellschaften für sich selbst konstruierte Sinnformationen annimmt, in denen Fakten durch Zwecke, Motive, Ursachen, Wirkungen usw. verknüpft sind. Sinn, individuell und kollektiv, entsteht aber nicht nur dadurch, daß er im nachhinein verliehen und zielgerichtet erinnert wird, sondern ebenso kann er Handlungen im voraus bestimmen und Tatsachen schaffen. Ohne Sinn, so Luhmann, ist menschliches Leben nicht lebbar.

Theoretisch läßt der Titel "Sinngeschichte" zwei Interpretationen zu: Er kann den Sinn meinen, den eine Gesellschaft ihrer Geschichte unterlegt, kann aber auch die Geschichte dieser Sinngebung oder, umfassender, des Wirklichkeitsverständnisses einer Gesellschaft betreffen, von der die Ereignisgeschichte nur einen Teil ausmacht.

Angesichts einer Vielzahl von Philosophien, Ideologien, Religionen, die sich um diese Frage bemühen, wird man heutzutage "Sinn" als die umfassendere Kategorie verstehen müssen, die die "Religion" einschließt. Anders im Fall des alten Ägypten, dessen Kultur noch vollkommen von der Religion ausgefüllt ist und dessen Denk- und Wertmuster von ihr vorgegeben sind. Hier ist Religion die beherrschende Größe, und die Sinngebung aller Lebensbereiche wird aus ihr abgeleitet. Der Religionshistoriker beschreibt demnach die Strukturen, Handlungen und Semantik des Götter-, Königs- und Totenkults und ihre Wandlungen, der "Sinnhistoriker" die Semantik der Geschichte und ihre Wandlungen, also sowohl den Sinn der Geschichte als die Geschichte dieses Sinns. Beider Arbeit verzahnt sich auf der Gegenstands- wie auf der Deutungsebene.

Was aber ist Geschichte? Sie "ist nicht nur das, was einer Gruppe, einem Volk, einer Kultur objektiv ,widerfährt’, sondern auch das, was sie im Rahmen ihrer eigenen Zielsetzungen und Sinngebungen einerseits handelnd anstrebt und andererseits erinnernd festhält" (31) und "erscheint uns heute nicht mehr als ein abstrakter, unveränderlicher Parameter, sondern als eine kulturelle Form, die sich in ihren Aggregatzuständen und in ihrem Tempo verändert mit den Sinnrahmen der Gesellschaft" (11). Geschichtsschreibung hat es daher nicht nur mit den Tatsachen, Sinngeschichtsschreibung mit deren zeitgenössischen oder nachträglichen Deutungen zu tun, sondern beide behandeln dasselbe Objekt aus unterschiedlicher Perspektive und mit unterschiedlichem Ziel. "Eine ,Sinngeschichte’ thematisiert Geschichte als kulturelle Form, wobei ihr ereignisgeschichtlicher Ablauf den Hintergrund und die sinnstiftenden und sinnreflektierenden Diskurse den Vordergrund bilden" (11), bei der "Ereignisgeschichte" ist es umgekehrt.

Wenn aber Geschichte nicht als eine objektive Gegebenheit, sondern als eine kulturspezifische Konstruktion aufgefaßt wird, so ist auch das jeweilige Zeitverständnis entscheidend an dieser Konstruktion beteiligt und muß vom Historiker in Rechnung gestellt werden. Für die alten und viele außereuropäische Gesellschaften galt nicht der durch den Pfeil symbolisierte lineare Zeitbegriff der - nach Lévi-Strauss - "heißen" Kulturen. Ihm entspricht ein Geschichtsverlauf, der von einem Anfang zu einem Ende gerichtet ist, sich in seinen Wandlungen durch erzählte Erinnerung und Historiographie und durch die Erwartung einer Zukunft festhalten läßt. Die "kalten" Kulturen dagegen leben in den Kreisläufen der Natur und damit in einem zyklischen Zeithorizont und versuchen, mit dem Vollzug von Ritualen kosmische und menschliche Ordnungen in Übereinstimmung zu bringen und zu halten. Ihr Geschichtsbild ist von der Wiederkehr des Gleichen bestimmt und in Mythen formuliert, das einmalige Ereignis wird als irrelevant nach Möglichkeit ausgeklammert. Das Sinnbild dieser Zeit- und Weltsicht ist der Kreis. Freilich sind die beiden Annäherungsweisen an die Wirklichkeit nur im Modell säuberlich zu scheiden. In der Praxis kommen sie in allen Gesellschaften in Mischungsverhältnissen vor, und ihre Orte im Rahmen der Sinnsysteme, die Formen ihrer Institutionalisierung und die Spannungen zwischen ihnen machen die Eigenart des jeweiligen Geschichtsbewußtseins aus.

Das trifft auch auf Ägypten zu, das zwar zum "kalten" Grundtyp gehört, aber beträchtliche Spielräume besitzt, in denen sich Geschichtsreflexion entfaltet hat. Wäre es anders, so könnte man wohl die Geschichtstheologie systematisch darstellen,5 aber keine Sinngeschichte schreiben. Assmanns Interesse gilt daher der Auseinandersetzung der Ägypter mit den Geschichtsereignissen und dem Geschichtsbewußtsein, das sie daraus formten. Seine Definition von "Ereignis" als einem "Vorgang, der sich durch seine Außergewöhnlichkeit vor dem Hintergrund des Üblichen und Erwartbaren abhebt", als "eine Ausnahme von der Regel", die eine "gewisse Verwandtschaft zwischen dem Begriff des Ereignisses und dem des Wunders" schafft (296), mag auf den ersten Blick befremden, ist aber vor der Folie des zyklischen Weltbilds verständlich: Fakten, die keine "Ereignisse" waren, wurden in Ägypten nicht reflektiert. Als solche würde man aus unserer Sicht den Zusammenbruch des Alten Reiches und die Erste Zwischenzeit, die Zweite Zwischenzeit und die Fremdherrschaft der Hyksos, die monotheistische Revolution der Amarnazeit und den Wechsel von der 20. Dynastie zum Gottesstaat der 21. Dynastie6 bewerten. Obwohl wir dabei nicht nur von unserem eigenen Urteil ausgehen, sondern auch von Äußerungen der antiken Zeitgenossen, finden wir nur die drei ersten in der späteren Überlieferung widergespiegelt und dann kaum in der offiziellen Geschichtsschreibung. Das gilt teilweise ebenso für die Gegenstände positiver Erinnerung: die Wende zum Staat, die Wende zum Steinbau und schließlich die Wende zur Gottessohnschaft des Königs im Laufe der vierten und zu Beginn der fünften Dynastie (38).

Der Fall zeigt, daß die Bedeutung, die die Ägypter ihrer Geschichte beimaßen, auf zwei Ebenen zu erfassen ist: in ihrer Wiedergabe in den zeitgenössischen Quellen und in der Form, die ihnen die Nachlebenden gegeben haben. Assmann bezeichnet die erste als "Botschaften", die "ikonisch", d. h. bildlich, "epigraphisch", d. h. schriftlich, und "mythologisch" tradiert sind (mit letzterem sind weniger Mythen im engeren Sinne als vielmehr Erzählungen normativer Geschichtsereignisse gemeint). Um heute die Semantik zu verstehen, die sie formulieren und den Mitlebenden vermitteln wollten, muß man, über die Kenntnis von Schrift und Sprache (und das Erkennen von Bildinhalten) hinaus, die dafür festgelegten kulturimmanenten Codes entschlüsseln können.

Das gilt natürlich auch für die "Erinnerungen" an eine Vergangenheit, die in Ägypten schließlich einen Zeitraum von 3000 Jahren ausmachte. Im Unterschied zu den "Botschaften" sind sie überwiegend schriftlicher Natur und in ihrer Aussage oft weit von deren Absichten entfernt. Denn jetzt ging es nicht mehr darum, Orientierung in gegenwärtigem Geschehen zu vermitteln, sondern die Gegenwart sollte durch die Vergangenheit legitimiert, im Rückblick sollte Identität gestiftet werden: "Wir sind, was wir erinnern" (23). Um diesem Anspruch zu genügen, war es nötig, die Geschichte neu herzustellen. "Jede Erinnerung ... rekonstruiert die Vergangenheit ... in den Rahmenbedingungen der Gegenwart. Das macht aber die Erinnerung noch lange nicht zum Geschäft reiner Erfindung. Es gibt weder ein authentisches Bild der Vergangenheit, das sich frei von rekonstruierten Eingriffen im Gedächtnis erhalten könnte, noch gibt es eine rein phantasmagorische Erinnerung, die bar jeder Erfahrung wäre" (125).

Dieses Dilemma jedes Historikers, der zu den Tatsachen vordringen möchte, betrifft in besonderem Maße denjenigen, der ägyptische Geschichte untersucht, da sie uns weitgehend in "Botschaften" und "Erinnerungen" überliefert ist. Allerdings muß sich auch der "Sinnhistoriker" auf einen faktengeschichtlichen Hintergrund beziehen, und so führt Assmann eine dritte heuristische Kategorie in sein Instrumentarium ein, die "Spuren". Bei ihnen handelt es sich um Zeitzeugen, meist (aber nicht ausschließlich) solche der materiellen Kultur, die unmittelbar den Erfordernissen ihrer Gegenwart dienten und unabsichtlich hinterlassen wurden. Sie bilden, soweit sie geschichtliche Fakten dokumentieren, den Gradmesser für die beiden anderen und können sie bestätigen oder korrigieren, allerdings unter der Voraussetzung, daß sie sachgemäß befragt werden, denn "das Zeugnis der Spuren wiederum wird auf Ereignisse hin lesbar im Rahmen der Semantik unserer eigenen Zeit" (98). Assmanns vielversprechendes Programm sieht daher vor, die Sinnformationen der Geschichte Ägyptens aus den Brechungen des Prismas von "Spuren", "Botschaften" und "Erinnerungen" zu erhellen. Ich will versuchen, die etwa 430 Textseiten in aller Kürze zu referieren, auf denen dieses Programm entfaltet wird.

Erster Teil/Vorgeschichte und Altes Reich - Staat und Zeit (39-93) besteht aus zwei Kapiteln mit drei bzw. vier Abschnitten und deren Unterabschnitten. 1. Die Anfänge (Nagade I-III, Dyn. 0: 4500-3100 v. Chr.).7 Hier wird aus den archäologischen Spuren gelesen, daß die ursprüngliche Vielheit vorgeschichtlicher Kulturen zunehmend durch die von Süden nach Norden vordringende Naqada-II-Kultur verdrängt wurde, so daß ein prädynastisches Einheitsreich entstand. Das Wie dieses Prozesses ist umstritten. Botschaften: Die Gründungssemantik der Reichseinigungszeit. Nach den Bildzeugnissen aus Grab- und Tempelkult ist der Einheitsstaat in einem gewaltsamen Akt durch einen siegreichen König geschaffen worden. Da die Gegner als Festungsbewohner charakterisiert sind, kann man folgern, daß damit das Prinzip des Flächenstaats gegen das - mesopotamische - Modell des Stadtstaatenverbunds durchgesetzt worden ist. Erinnerungen: Die Mythomotorik des ägyptischen Staates. Wird unter "Mythomotorik" der dynamische Umgang mit den Geschichtsereignissen verstanden, die für das Selbstverständnis grundlegend waren, so sind auch die nicht-narrativen Annalen und Königslisten aus späterer Zeit daran beteiligt. In Auswahl und Organisation von Namen und Fakten vermitteln sie Geschichtsbewußtsein; die Reichsgründung durch Menes wird teils als Zäsur in einem Kontinuum von Herrschern interpretiert, teils als Neuansatz nach der Herrschaft von Götterdynastien. Der als Mythos des Königtums seit der Pyramidenzeit allgegenwärtige Mythos von Horus und Seth dagegen beruht auf dem Dualismus von Recht und Kraft und hat ursprünglich nichts mit dem zumindest später stets virulenten Nord-Süd-Dualismus zu tun.



2. Das Alte Reich. Der Abschnitt Geschichtlicher Abriß: Der Prozeß des Alten Reiches umfaßt die frühdynastische Zeit (1.-2. Dyn.: 3100-2670 v. Chr.) und die Pyramidenzeit (3.-6. Dyn.: 2670-2150). Ihr Verlauf steht im Zeichen von (Binnen-)Kolonisierung, Bürokratisierung, Demotisierung (d. h. Verbreiterung der Teilhabe an Privilegien der Elite, nicht zu verwechseln mit der demotischen Schrift- und Sprachstufe der Spätzeit); Krise und Zusammenbruch erwachsen aus der Spannung zwischen der starren Hierarchie und der auf Kooperation angelegten Distributionswirtschaft. Mit der Entwicklung Vom Beamten zum Patron (d. h. dem selbstverantwortlichen, fürsorgepflichtigen Regionalherrscher) bahnt sich ein tiefgreifender sozialer Strukturwandel an.

Im nächsten Abschnitt Pyramidenzeit: die "Steinzeit" der ägyptischen Sinngeschichte entfaltet der Vf. "die Semantik des Steinbaus" als die "charakteristische Sinnformation des Alten Reichs" (472). Unter den Schlagzeilen Sprache und Baukunst - Die "Öffnung" des Steins und die Semantik des Steinernen - Zeichen und Götter - Die Symbolik der Pyramide - Der heilige Raum als Chronotop wird der Steinbau mit seinen Bildern und Inschriften als Übermittler von Gehalten beschrieben. Er ist dank seines Materials ein Medium der Unsterblichkeit und umschließt heilige Räume; die Pyramide ist die Form, die die Macht des Königs und seinen Himmelsaufstieg symbolisiert. Im historischen Gedächtnis bleiben König Djoser und sein Oberbaumeister Imhotep, denen die Erfindung der Steinbauweise zugeschrieben wird, und die Könige der 5. Dynastie, die dem Sonnengott Re die ersten großen Göttertempel gebaut haben. Die Botschaft der Gräber hat mehrere Aspekte: Vom Stil zum Kanon betrifft die für die Ewigkeit ausgebildete spezifische Formensprache der Skulpturen und Reliefs. Grab, Schrift und Unsterblichkeit werden durch die Verbindung des Bauwerks mit Inschriften zusammengebracht, die das Gebäude kommentieren und seine Bestimmung unterstützen, die Unsterblichkeit des Individuums zu ermöglichen. Dasselbe geschieht durch Schrift und Ritus. Die liturgische Konstruktion von Dauer, obschon die seit alters zelebrierten Rituale des Toten- ebenso wie die des Götterkults erst aus späterer Zeit erhalten sind. Von "Botschaft" zu sprechen ist von nun an tatsächlich berechtigt, da sich ein Teil der Grabinschriften - vor allem die Autobiographien der Bestatteten - an Leser wendet. Insgesamt sind Staat und Unsterblichkeit als die zeitüberdauernde Sinngebung der frühdynastischen Zeit und des Alten Reiches anzusehen.

Zweiter Teil/Die Erste Zwischenzeit - Chaos als politische Erinnerung (7.-11. Dyn.: 2150-2040; 93-131). 1. Geschichtlicher Abriß. Der Einheitsstaat ist in viele rivalisierende Kleinkönigtümer auseinandergebrochen; nach langen Kämpfen gelingt Mentuhotep II. von Theben die erneute Reichseinigung. 2. Spuren bezeugen das weitgehende Aufhören der Bautätigkeit, stilistisches Auseinanderdriften von Nord und Süd, Veränderungen im Totenkult zugunsten des Magischen, die "Demotisierung" königlicher Totenbräuche und das Aufkommen von Großgräbern für die Haushalte der Patrone. 3. Die Botschaften der Autobiographien rühmen die Versorgungsleistungen der lokalen Potentaten für ihre notleidenden Untertanen, die im Gegenzug Loyalität zu beweisen haben, und entwickeln eine neue Verantwortlichkeitsethik gegenüber der Gottheit oder dem eigenen Selbst. 4. Erinnerungen. Die Entdeckung des Individuums führt später, in der 12. Dynastie, dazu, daß die (Schöne) Literatur als Medium entsteht. In ihr wird die 1. Zwischenzeit als politisches, soziales, religiöses, auch kosmisches Chaos reflektiert und politisch als negativer Kontrast zur wiederhergestellten staatlichen Ordnung instrumentalisiert; der König kann zum Heilbringer stilisiert werden. Während "Spuren" und "Botschaften" einigermaßen übereinstimmen, erscheint das Chaosmotiv als ideologischer und literarischer Topos.

Dritter Teil/Das Mittlere Reich - autoritärer Staat und geistige Kultur (11.-13. Dyn.: 2040-1650; 133-222). 1. Geschichtlicher Abriß. Die Gottkönigsideologie wird anknüpfend an das Alte Reich wiederhergestellt, die Patronatsideologie der 1. Zwischenzeit für den König adaptiert. Nach der 12. Dynastie als einer Zeit höchster kultureller Blüte endet die Epoche erneut in Zersplitterung. 2. Staat, Schrift und Bildung: eine Despotie mit Innenbeleuchtung. - Die Geburt der Schule führt dazu, daß eine Beamtenschaft in Königsinschrift und Literatur Loyalismus zu propagieren versteht. Die Schule vermittelt Weisheit und Bildung, niedergelegt vor allem in den Weisheitslehren, die das Ethos der 1. Zwischenzeit mit einer neuen Beamtenethik verknüpfen. Solidarität und Gedächtnis und Konnektive Gerechtigkeit: Die schon in den Biographien des Alten Reiches anklingende Sinnkonstruktion Maat8 wird jetzt expliziert. Als "vertikale Solidarität" ermöglicht sie das Leben der Unterprivilegierten in hierarchischen Machtstrukturen, als "konnektive Gerechtigkeit" das soziale Zusammenleben; sie ist verpflichtend für den, der im Gedächtnis der Nachwelt fortdauern will. 3. Die Politisierung der konnektiven Gerechtigkeit.- Die Lehre vom Herzen - Loyalismus - Die Verkündung des pharaonischen Königtums. Das eigene Herz, nicht mehr der König bestimmt das Handeln. Loyalismus bedeutet Entscheidung für den König und öffentliches Bekenntnis zu ihm. 4. Zorn und Liebe. Das Doppelgesicht der Macht und die Rhetorik der Entscheidung. - Gewalt und Gerechtigkeit - Politik und Magie - Die Vorstellung der Grenze. Da die Weltordnung (Maat) sich nicht von selbst versteht, muß sie fortwährend aufrechterhalten werden. Der König straft und belohnt je nach Verhalten seines Gegenübers. Ägyptens Grenzen markieren die geordnete Welt, außerhalb droht das Chaos. Gleichheit und Gerechtigkeit sind nicht notwendig identisch, doch muß die Tugend schmerzhafte Folgen sozialer Unterschiede zu mildern suchen. 5. Die Jenseitsfundierung der konnektiven Gerechtigkeit: die Idee vom Totengericht.- Das Jenseits als moralische Anstalt - Totengericht und Lebensführung - Das Totengericht im Mittleren Reich - Totengericht als Fundierung von Gerechtigkeit. Mit der Osirisreligion entwickelt sich der Gedanke einer Gerecht-Sprechung des Toten analog zu der des Gottes in seinem Rechtsstreit mit Seth. So führt der mythische Präzedenzfall zu einer Beurteilung des Lebenswandels der Verstorbenen vor dem Totengott, voll ausgeprägt dann im Neuen Reich. Die "negativen Sündenbekenntnisse" "Ich habe nicht ... getan" könnten einem virtuellen Gebotskatalog "Du sollst nicht ... tun" antworten. 6. Die zwei Welten und die Sprache der Verzweiflung. - Zwei-Welten-Lehren, die die Götter gänzlich ins Jenseits verweisen, hat es kaum gegeben. Das Gespräch zwischen "Seele" und "Selbst" allerdings, der literarische Dialog des sog. "Lebensmüden" mit seiner Seele, behandelt die tiefe Einsamkeit des Menschen in einer Welt ohne Maat, in der der Tod als Trost erscheint. 7. Repräsentation, Mittelbarkeit, die "gespaltene" Welt und das Problem des Bösen. - Repräsentative Theokratie bezeichnet die Stellung des Königs als beauftragter Verwalter Gottes auf Erden im Unterschied zu der "identitären" des Alten Reiches, in der er als irdische Verkörperung Gottes galt. Die schon in der 4./5. Dynastie formulierte Konstruktion seiner Gottessohnschaft wird jetzt als
Geburtsgeschichte erzählt. Theodizee: Sinnkonstruktionen angesichts des Bösen. Sinn und Ordnung sind nicht mit der Schöpfung gegeben, denn sogar der Sonnengott ist vom Bösen bedroht. Der Mensch muß die Maat herstellen, selbstverschuldete Gottesferne durch das Prinzip Herrschaft kompensieren.

Vierter Teil/Das Neue Reich - Religion und Imperium (Zweite Zwischenzeit 14.-17. Dyn.: 1650-1550; Neues Reich 18.-20. Dyn.: 1550-1070; 223-315). 1. Geschichtlicher Abriß. Von den Teilkönigtümern der 2. Zwischenzeit bleiben die Herrschaft der asiatischen Hyksos (15./16. Dyn.) und ihre Vertreibung durch die thebanische 17. Dynastie im Gedächtnis der Nachwelt. Seitdem ist der Ausgriff ins Ausland Staatsdoktrin, der Auslandsgott Seth wird Staatsgott, die Seevölkerkriege werden zu Befreiungskriegen stilisiert; gleichzeitig wird Ausgleichspolitik durch Heiraten und Bündnisse praktiziert. Militär und Priesterschaft bestimmen die Politik und verursachen schließlich den Zerfall des Einheitsstaates. 2. Kosmotheismus als Wissensform. - Der Kosmos und die Dimensionen der Götterwelt- Kosmo-Hermeneutik: der mystische Sinn des Sonnenlaufs - Die Neue Sonnentheologie. Kosmotheismus, d. h. die Verehrung von kosmischen Göttern (oder des Kosmos als Gott), ist als Polytheismus, bei Echnaton als Monotheismus und, vor allem in der Spätzeit, als Pantheismus anzutreffen. Das Zentrum des kosmischen Prozesses bilden der Lauf der Sonne und ihre Fahrt am Himmel und in der Unterwelt innerhalb wechselnder Götterkonstellationen (nach der Neuen Theologie ganz allein), vom regierenden König als Sonnenpriester gekannt und rituell, in stündlicher Hymnenrezitation, mitvollzogen. 3. Echnatons Umsturz. - Die erste Religionsstiftung in der Geschichte - Der Große Hymnus - Das Trauma von Amarna. Mit dem israelitischen teilt der Monotheismus von Amarna nur die radikalen antipolytheistischen Impulse. Echnaton reduziert das Göttliche auf Atons kosmische Wirksamkeit, die alles Sichtbare erzeugt und erhält (Elemente dieser Motivik in Psalm 104) und sich nur dem König offenbart. Er allein ist Heilsmittler; Ethik, Geschichte, Totenkult sind ausgeblendet. Nach der politischen Restauration, die als Wende im historischen Bewußtsein bleibt, werden alle "Spuren" getilgt. Aber die verdrängte traumatische Erfahrung bricht in gräko-ägyptischer Geschichtstradition als Erzählung von der Schreckensherrschaft asiatischer Aussätziger durch und bildet die Keimzelle des ägyptischen Antijudaismus. 4. Persönliche Frömmigkeit und die Theologie des Willens. - Gottesbeherzigung - Das Fest als Ursprung der Persönlichen Frömmigkeit - Gott als Patron: Frömmigkeit als Gottesloyalität. Persönliche Frömmigkeit ist ein Spezifikum der Zeit:9 Aus dem autonomen wird das göttlich bestimmte Herz, Maat legitimiert sich als Gotteswille, die Loyalität zum König wird auf die Gottheit übertragen. Ansatzpunkt ist das (Prozessions-)Fest, die einzige physische Kontaktstelle zwischen Gott und der Masse des Volkes. Die Theologisierung der konnektiven Gerechtigkeit und die Lesbarkeit der Geschichte. Der Automatismus von Tun und Ergehen ist zugunsten des freien Gotteswillens aufgehoben, das Tun des Guten versteht sich als Akt der Frömmigkeit, die nun wahrgenommene Kontingenz der Wirklichkeit wird teils durch Gottvertrauen, teils durch Magie bewältigt. Die Gottheit wird zum Lenker der Geschichte, dem sich der König unterordnet. 5. Ramses II. und die Schlacht bei Qadesch. - Zur historischen Semantik des Krieges - Die Zannanza-Affäre - Die Machtübernahme des Militärs. Unterwerfung des Auslands gehört jetzt
zum Pflichtenkanon des Königs und wird ereignisgeschichtlich dokumentiert. Die neue Dynastie nach Amarna (19. Dyn.) kommt aus der Generalität, die vermutlich die Eheschließung einer Königswitwe mit dem hethitischen Prinzen verhindern wollte und ihn daher ermordet hat. Die Schlacht bei Qadesch - Die Verkündung der Machterweise. Die Hethiterschlacht 1274 war kein ägyptischer Erfolg. Dennoch stellt ein großangelegtes Bild-Text-Programm landesweit das Eingreifen des Gottes Amun zur Rettung des Königs im Stil der Persönlichen Frömmigkeit und dazu das Versagen der Militärs dar, womit Ramses seine Friedens- und Ausgleichspolitik begründet. 6. Strukturwandel der Vergangenheit. - Die Entstehung von Vergangenheit durch Traditionsbruch - Die ramessidische Renaissance. Nachdem das bislang unreflektierte Kontinuum durch die Amarna-Episode unterbrochen wurde, erscheint die Vergangenheit als Gegenüber. Die Literatur des Mittleren Reiches wird zur Klassik stilisiert, die Ramessidenkönige proklamieren ihre Dynastie als Wiedergeburt und usurpieren königliche Monumente der 12. Dynastie. Später wird die griechische Überlieferung die Sesostris-Könige dieser Zeit mit Ramses II. zu einem mythischen "Sesostris" verschmelzen. Klassizismus und Karneval. Neben dem Bildungsstreben der Elite entstehen Freiräume für ihre Unterhaltung, die sie mit Humor, Satire, Travestie, Karikatur aus der Lachkultur der Unterschichten ausfüllt. 7. Der Untergang des Neuen Reichs äußert sich in erneutem Zerfall in Regionen. Daß die ägyptische Kultur in den wechselnden Fremdherrschaften des 1. Jt.s v. Chr. mit sich identisch bleibt, erweist die Spätzeit als dynamischen Prozeß und nicht als Periode des Verfalls.

Fünfter Teil/Theokratie, Polyarchie und Archaismus (3. Zwischenzeit 21.-23. Dyn.: 1070-760; Spätzeit 24.-26. Dyn.: 760-525;10 316-403). - 1. Tanis und Theben - die Zeit der Teilung.- Teilung der Herrschaft, Entdifferenzierung der Gewalten - Theokratie. Erneuter Nord-Süd-Dualismus (21./22. Dyn.): Fortbestehendes Königtum in Tanis, in Theben das autoritäre Regime des Hohenpriesters des Amun, der in "identitärer Theokratie" durch Dekret und Orakel regiert. Unter- und Mittelägypten wandeln sich unter den Libyerfürsten zum plurizentralen Kleinstaatenverbund mit feudalistischen Zügen. 2. Die libysche Polyarchie und das Reich von Napata. - Die libysche Polyarchie (22./23. Dyn.) erzeugt Rivalitäten mit bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen; in den "Botschaften" klingen die Chaosbeschreibungen des Mittleren Reiches an. Theben wird durch Ausbau des Priesteramtes der Gottesgemahlin des Amun zum Pontifikat erneut aufgewertet. Zeitgleich entwickelt sich am 4. Nilkatarakt Das Reich von Napata zu einem ägyptisierten Staat, dem es gelingt, nach Ägypten auszugreifen und, an das Neue Reich anknüpfend, ein stabiles Königtum zu begründen. Das Epos des Piye, eine klassizistische monumentale Königsinschrift, schildert den Siegeszug des ersten Königs der napatanisch-kuschitischen 25. Dynastie - ausgehend von Theben - als heiligen Krieg gegen die 24. Dynastie in Sais im Delta und stilisiert den Pharao als Priester-Feldherrn nach Art der 3. Zwischenzeit. 3. Erinnerung und Erneuerung. Die äthiopische und die saitische Renaissance. - Geschichtlicher Abriß. Piyes Nachfolger Schabaka residiert in Memphis; die Assyrer fallen in Ägypten ein, dringen bis Theben vor und entmachten den Amunkult politisch für immer. Die von ihnen eingesetzte 26. Dynastie von Sais versucht, ein starkes Königtum zu restituieren, kann aber die Eroberung Ägyptens durch die Perser im Jahr 525 nicht verhindern. Die Findung und Erfindung der Vergangenheit in der Kuschiten- und Saitenzeit geht zeitlich parallel mit dem Aufbruch des historischen Bewußtseins in Israel und Griechenland. In Architektur und Bildkunst werden alte Formen zitiert und kopiert, Sprache und Botschaft der Texte greifen auf alte Vorbilder zurück. Das memphitische Manifest des Schabaka (re-)konstruiert einen Mythos über die Erschaffung von Welt und Herrschaft durch Geist und Wort des göttlichen Schöpfers und die Benennung der Geschöpfe (vgl. Gen 2,20). Taharqas annus mirabilis. Herausragende Naturereignisse und politische Geschehnisse des sechsten Regierungsjahrs des Kuschitenkönigs, des biblischen Tirhaka, werden nach ägyptischer Manier als göttliche Gnadenerweise gedeutet. Der Kult der Vergangenheit gibt auch dem Götterkult eine zeitliche Tiefe: In den Tiernekropolen der Tempel werden verstorbene Götter verehrt, Amun erhält eine Sonderform als präexistenter Urgott, die Generationenkonstellation des Königtums wird auf Götter übertragen.

Sechster Teil/Ägypter unter Persern und Griechen (Spätzeit 27.-30. Dyn., 2. Perserherrschaft: 525-332; Ptolemäerzeit: 332-30 v. Chr.; 405-474). 1. Geschichtlicher Abriß. Die persischen Könige werden akzeptiert, solange sie die übernommene Pharaonenrolle traditionsgemäß ausfüllen. Alexander der Große und seine ersten Nachfolger inszenieren erfolgreich eine proägyptische, antipersische Religionspolitik; seit dem Ende des 3. Jh.s kommt es zu antigriechischen Aufständen. 2. Die Demotische Chronik und der politische Messianismus der Spätzeit. - Alexander der Große und der ägyptische Mythos des Heilskönigs. Der Eroberer läßt sich als Sohn des Ammon von Siwa anerkennen und reaktiviert den Mythos der göttlichen Geburt des Königs als Sohn des Amun. Deuteronomismus und Messianismus: die Demotische Chronik. Erstmals wird die Amtsführung von Königen der Vergangenheit (wie in der kritischen deuteronomistischen Geschichtsschreibung des Alten Testaments) positiv oder negativ beurteilt und außerdem nach altem Vorbild ein Heilskönig angekündigt. Das Orakel des Lammes - Das Töpferorakel. Beide Texte stellen langandauernde Leidens- und Kriegszeiten einer fernen Zukunft unter einem Heilskönig gegenüber. Deuteronomismus, Messianismus und Apokalyptik reagieren auf die Erfahrungen von Scheitern und Unterdrückung, indem sie Geschichte bewerten. Die traditionelle Vorstellung, daß Königsherrschaft bereits Heilszeit sei, wird nun zur Utopie, Sehnsucht nach dem Goldenen Zeitalter der Urzeit signalisiert die Distanz zur Gegenwart. 3. Die kulturelle Konstruktion des Anderen: Trauma und Phobie. - Die Verteufelung des Seth - Die Verschärfung der kulturellen Grenzen - Der Mythos der Aussätzigen. Als Reaktion auf die Konfrontation mit dem Ausland erhält der ägyptische Fremdlandsgott Seth Züge des Welteroberers und wird verfemt. Zum Schutz seiner religiösen Unversehrtheit umgibt Ägypten seine Kulte mit realen und ideellen Schutzmauern; die Unvereinbarkeit mit der Jahwe-Religion führt zu Judenfurcht und -haß, die sich im Mythos vom Auszug der Aussätzigen, einer Gegenüberlieferung zum biblischen Exodus, verdichten (s. o. IV 3). Die Darbringung der Maat an die Götter wird zum wichtigsten Ritual zur Inganghaltung der Welt, doch auch Haßrituale und Chaosbeschreibungen nehmen zu; in der Bilderverehrung werden die Götter auf Erden anwesend gemacht. Daher gewinnen der Tempelkult und Das Priestertum als Lebensform einer Elite, die allein die Heilsgeheimnisse verwaltet, zunehmend an Bedeutung. Das längst außer "Alltagsgebrauch" gekommene hieroglyphische Schriftsystem wird unter theologischen Prinzipien, die von Tempel zu Tempel wechseln, ausgeweitet und verkompliziert. 4. Der Eine und die Vielen: der monistische Kosmotheismus. Daneben gibt es die weltweite Austrahlung der (hellenisierten) ägyptischen Isis und des gräko-ägyptischen Gottes Sarapis, die als Allgottheiten alle Götter, auch aus anderen Religionen, in sich aufnehmen und sich im Kosmos verkörpern können.

5. Das ägyptische Chronotop (d. h. Ägyptens kulturelle Entität) bringt in den Hellenismus ebenso viel ein, wie es aus ihm empfängt. Es findet erst dort ein Ende, wo neue Religionen, besonders das Christentum, statt unausgesetzter "Versöhnung im Sinne der Herstellung von Kohärenz und Kontinuität" und "Weltbeheimatung" (474), typischen Sinnformationen von Oberschichten, Erlösung von der Welt anbieten und damit auch die unteren Bevölkerungsgruppen erreichen.

Schluß/Ägypten als Spur, Botschaft und Erinnerung (475-487). Neben Israel und Griechenland/Rom gehört Ägypten, obwohl nur durch diese beiden Bereiche vermittelt, eigenwertig zu den Wurzeln unserer Kultur. Von der Renaissance bis in das 18. Jh. war es als Teil biblischer, griechisch-römischer, patristischer und spätantiker Tradition (Neuplatonismus, Hermetik, Gnosis, Alchemie) mehr Gegenstand der "Erinnerung" als der "Begegnung", besonders in der theologischen Diskussion der Aufklärung.11 Die wissenschaftliche Ägyptologie in ihrer positivistischen Deutungsabstinenz bedeutet demgegenüber "den Sieg des Antiquarianismus über das Erinnerungsbild Ägyptens, wie es im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes wirksam geblieben war" (486).

Diese dürre Inhaltsangabe kann nur einen unzureichenden Eindruck von einem Buch vermitteln, das nicht Fakten, sondern deren Deutungen untersucht und dessen Stärke in seinem Reichtum an Gedanken und Einzelinterpretationen besteht. Doch lassen sich gerade an dem Skelett die Struktur der Arbeit und die Perspektiven ablesen, die sie öffnet.

1. Assmann behandelt einerseits den Sinn von historischen Ereignissen, wie er in "Botschaften" und "Erinnerungen" formuliert ist (z. B. Reichsgründung, Erste Zwischenzeit, Amarna, Kadeschschlacht Ramses’ II.). Weit mehr aber geht es ihm um das religiöse Sinnsystem, das die Zeitgenossen der sich verändernden Wirklichkeit unterlegt und mit dem sie ihrerseits diese Wirklichkeit gestaltet haben, also um die "heiße" Seite der ägyptischen Gesellschaft. Es wäre verlockend, ihr die "kalten" Grundpositionen - zyklisches Zeitverständnis, "Geschichte als Fest"12 - entgegenzustellen und das dialektische Wechselverhältnis zwischen beiden nachzuzeichnen.

2. Der Dreitakt "Spuren" - "Botschaften" - "Erinnerungen" hat sich nicht systematisch durchführen lassen, obwohl er, wenn auch nicht als Gliederungsprinzip, in fast allen Kapiteln präsent ist. Offensichtlich reicht das überlieferte Material dafür nicht aus, denn nur selten ist ein Phänomen zugleich als "Botschaft" und "Erinnerung" reflektiert, und oft gibt es keine dazu passenden "Spuren", so daß an deren Stelle meistens der aus Zeugnissen aller Art rekonstruierte "Historische Abriß" einer Epoche treten muß.

3. Der zu überblickende Zeitraum ist so weitgespannt, die auszuwertenden Quellen sind so heterogen, daß das anspruchsvolle Programm nur anhand von Schwerpunkten durchgeführt werden konnte, deren Quellen nach Gattung und sozialen Trägern durchaus unterschiedlich sind, die aber in Assmanns Verständnis die signifikante Semantik der jeweiligen Periode
bilden. Für das Alte Reich ist es der "monumentale Diskurs" der Steinbauten, für das Mittlere sind es die "Ethisierung des monumentalen Diskurses" und die "Politisierung der konnekti-
ven Gerechtigkeit" (472), im Neuen Reich werden Sonnentheologie, "Theologie des Willens" und Persönliche Frömmigkeit als die wesentlichen Sinnformationen herausgehoben, in der Spätzeit Restauration und Klassizismus, in der Ptolemäerzeit Apokalyptik, "Deuteronomismus" und Messianismus. Die meisten hat der Vf. schon separat oder in anderen Kontexten behandelt; jetzt sind sie unter der sinngeschichtlichen Fragestellung zusammengefaßt, ergeben aber kein Kontinuum, und auch die Triebkräfte der Veränderungen werden noch nicht erkennbar. Doch schlägt Assmann für das Konstrukt der ägyptischen Geschichte im ganzen das Modell der Spirale vor, weil es die Dialektik von Zyklus und Veränderung am besten symbolisiert. Ihm liegt die permanente Spannung zwischen dem Einheitsstaat an der Oberfläche und den territorialen Tiefenstrukturen zugrunde, die zum Wechsel von Blüte- und "Zwischen"zeiten führt, wobei "sich die eigentümliche Form der ägyptischen Geschichte zu einem sehr erheblichen Teil der Wirksamkeit solcher kanonisierenden Prinzipien verdankt, die man als Formen einer besonderen Erinnerungskultur, eines kulturellen Langzeitgedächtnisses zu verstehen hat" (80 f.). Das müßte nun im einzelnen nachvollzogen werden.

Die drei genannten strukturellen Besonderheiten bestätigen, was der Autor selbst über sein Buch gesagt hat (11). Es ist ein großangelegter "Essay", und erst so gesehen erscheinen seine Vorzüge in ihrem vollen Licht. Denn bei einem "Versuch" (11) kommt es auf den neuartigen geschichtsphilosophischen Entwurf an und nicht auf Vollständigkeit oder allseitige Absicherung des Forschungsstandes zu den Details; vielmehr hat der Autor das Recht und geradezu die Pflicht zur Subjektivität. Essayistisch ist auch sein brillanter Umgang mit der deutschen Sprache, sind die pointierten, oft kontrastierenden Formulierungen, die gebildeten oder aktuellen Anspielungen und suggestiven Bilder, essayistisch ist die Begrifflichkeit, deren Kategorien teils aus weitverzweigter kulturwissenschaftlicher Kenntnis, teils aus eigener Sachlogik oder spielerischer Erfindung stammen. Dem Leser allerdings wird ein hohes Maß an kritischer Mitarbeit und etymologischer Kompetenz abverlangt.

Essays bedürfen gewöhnlich keines wissenschaftlichen Apparats. Doch entspricht es dem in vielem noch unabgeschlossenen Forschungsstand und ist daher überaus hilfreich, daß dem Buch Anmerkungen beigegeben sind (auch wenn man, da sie nur kapitelweise und nicht insgesamt durchnumeriert sind, lange auf den Seiten 489-543 blättern muß, um die jeweils richtige zu finden), ja man hätte sich darüber hinaus auch ein Literaturverzeichnis und vor allem ein Register gewünscht. Denn Kabinettstücke wie der Abschnitt über Magie als Kontingenzbewältigung (269 f.) oder über die Nachschrift zu Totenbuch Kapitel 70 (187 ff.) und viele andere meisterhafte Textinterpretationen wären dann leichter aufzusuchen.

Von dem fruchtbaren Wechselspiel des Gebens und Nehmens zwischen Ägyptologie und Kulturwissenschaften, das Assmanns Veröffentlichungen der letzten zwanzig Jahre so erfolgreich gemacht hat, wird auch die Leserschaft der "Sinngeschichte" mit Gewinn und Genuß beschenkt. Der christliche Theologe findet darüber hinaus eine Vielzahl von Bezügen zur Welt der Bibel, Vertrautheit mit seinen Sprech- und Denkweisen und das Musterbeispiel praktizierter Hermeneutik. Nicht zuletzt aber betrifft ihn das Konzept der kultur- und zeitspezifischen Sinnmodellierung von Geschichtstraditionen und deren existenzieller Relevanz. Er muß es als Herausforderung verstehen - im Blick sowohl auf die Bücher des Alten und Neuen Testaments wie auch auf den universalen Anspruch ihrer Botschaft.

Es könnte als Geringschätzung des gewichtigen Buches von Klaus Koch erscheinen, daß es hier gleichsam als Appendix vorgestellt wird. Dieser Eindruck trügt. Denn die Prinzipien, nach denen er die ägyptische Religion behandelt, sind von ihm bereits 1989 in seiner vorlaufenden Abhandlung über das Wesen der ägyptischen Religion (im folgenden zitiert: Wesen) dargelegt und von mir eingehend besprochen worden.13 Auf die Fülle des Materials allerdings, die er in dem großen Werk zusammengetragen und in eine zeitliche Ordnung gebracht hat, kann hier ebensowenig eingegangen werden wie bei Assmanns "Sinngeschichte". Ich muß mich auch jetzt mit einer Inhaltsübersicht und einigen systematischen Bemerkungen begnügen.

Auf die eingangs gestellte Frage 0. Warum eine Geschichte der ägyptischen Religion? (15-20) gibt Koch im wesentlichen dieselben Antworten wie vier Jahre zuvor. Ihn haben der ausgezeichnete Stand der Aufarbeitung dieser Religion und die ihr inhärente Dialektik von Konstanz und Wandel gereizt, dazu ihre Bedeutung für unsere eigene Kultur, ihre alternativen Denkmuster und die spezielle Art numinoser Erfahrung. Die geschichtliche Betrachtungsweise zog er der bisherigen phänomenologischen vor, weil nur im historischen Ablauf das "spannende Ringen eines führenden Kulturvolks des Altertums um Eigenart und Sinn von Sein und Welt" (16) nachvollzogen werden kann. Nachdem der Vf. 1. Ägypten, das Geschenk des Nils. Landschaft, Geschichte, Kultur vorgeführt (21-31) und seine methodischen Vorentscheidungen unter dem Titel 2. Der mythische Hintergrund der ägyptischen Sprache (32-48) erklärt hat, geht er daher rasch zu dem chronologisch aufgebauten Hauptteil über und verschiebt weitere prinzipielle Überlegungen über die Verschränkung von Anthropologie und Theologie im ägyptischen Denken als Kapitel 8 an das Ende des Abschnitts Altes Reich (49-193).

Auf diesen Abschnitt, in den Rückblenden zur vordynastischen Zeit eingeschaltet sind, folgen die Blöcke Erste Zwischenzeit und Mittleres Reich (194-261), Neues Reich (262-416) und Das letzte vorchristliche Jahrtausend (417-643), wobei der letzte nicht nur die Ptolemäer-, sondern auch - über die Zeitenwende hinaus - die Römerzeit Ägyptens und sogar die Ablösung der pharaonischen durch die christliche Religion einschließt. Dieses weiträumige Raster ist mit je vier bis sechs, im letzten Abschnitt mit elf durchnumerierten Kapiteln und jeweils bis zu sieben Unterkapiteln ausgefüllt, in denen Königtum, Totenkult, Götterkult, später auch Magie und Astrologie bis hin zu Hermetismus und Gnosis dargestellt werden. Bereits an den Überschriften der Hauptkapitel zum Alten Reich wird der Unterschied zu Assmanns Betrachtungsweise deutlich. Sie heißen 3. Pharao als vollkommener Gott auf Erden und der göttliche Falkengott14 - 4. Das Ringen um die Unsterblichkeit des Leibes - 5. Niltal und Götterwelt. Das Weltbild - 6. Der Aufstieg des Sonnengottes - 7. Osiris verleibt sich den toten König ein. Umgestaltung von Begräbnis und Mythologie und zeigen, daß Koch bemüht ist, die Grundpositionen der Religion möglichst vollständig zu erfassen und zudem die Entwicklung des Gesamtsystems herauszuarbeiten.

In einer Schlußbetrachtung (644-653) resümiert er seine Ergebnisse. 1. Die zentrale Bedeutung des lebenspendenden solaren Geschehens in seiner ständigen Spannung zum chthonischen Bereich (letzteres freilich nur im Totenkult), der hohe Aufwand um Toten- und Jenseitsfürsorge und die Stellung des sakralabsolutistischen irdischen Monarchen sind die bestimmenden Wesenszüge der ägyptischen Religion.15 2. Ihre Geschichte ist gekennzeichnet durch den immer weiter ausgreifenden Horizont von Welterfahrung, die zunehmende Eigenständigkeit und religiöse Kompetenz des einzelnen Ägypters und durch das Anwachsen von Ritualismus und Magie. 3. Horizonterweiterung und religiöse Individualisierung sind auch in der Entwicklung der alttestamentlichen Religion festzustellen, aber den Tendenzen zu Ritualismus und Magie sind dort systemimmanente Grenzen gesetzt. 4. Über die alexandrinische Theologie hat die ägyptische Religion Einfluß auf die christliche Theologie genommen, ja sogar eine "gewisse Weiterführung" erfahren (653). 5. Das intensive Bemühen der Ägypter um das Verständnis von Mensch, Gott, Welt verdient als "Beweis für die Geschichtlichkeit alles Denkens und Redens, für die Geschichtlichkeit von Wahrheit und Vernunft" Respekt und Aufmerksamkeit (653).

Der Ägyptologe wird gern bereit sein, die herausgearbeiteten Charakteristika der ägyptischen Religion und ihrer Geschichte als für ihr Verständnis wesentlich anzuerkennen. Weiteren Nachdenkens bedürfen eher die methodischen Voraussetzungen des Buches.

Es ist dies der "mythische Hintergrund der ägyptischen Sprache", den Koch mit den Zwischenüberschriften seines einschlägigen zweiten Kapitels erläutert: 2.1. Zeitvorstellungen - 2.2 Dualitäten als Seinskonstituenten - 2.3 Die Rolle von Namen und der Mangel an Individualisation bei Menschen und Göttern - 2.4 Göttereinigung und -trennung als Sprachphänomen und der Mangel an Personalitätsbewußtsein - 2.5 Strahlkräfte und Wirkgrößen im Umkreis menschlicher und göttlicher Wesen. Wenn ich ihn recht verstanden habe, liegt dem die Frage nach dem Verhältnis von Sprache und Denken zugrunde, die er, wohl im Sinne Heideggers (dem er mitunter auch in seinem eigenen Sprachstil huldigt), zugunsten eines Primats der Sprache beantwortet. Mit dem "mythischen" Hintergrund ist wohl gemeint, daß strukturelle Eigenarten der ägyptischen Religion sich im Medium der Sprache nicht nur äußern, sondern von ihm geradezu verursacht sind. Als solche Eigenarten behandelt der Vf. zum einen die Komplexität von "Wirkgrößen" oder "Strahlkräften" wie Ka ("Erhalt- und Gestaltseele", u. a.), Ba ("Aktiv- und Bewegungsseele", u. a.) und Ach ("Verklärungsseele"),16 die neben vielen anderen (wenngleich in unterschiedlicher Verteilung) göttliche ebenso wie menschliche Personen konstituieren und beispielsweise für die Komplexität der Gottesvorstellungen, so für den allen gegenläufigen Tendenzen zum Trotz durchgehaltenen Polytheismus, verantwortlich sind.

Als zweites Spezifikum nennt Koch die Wandlungsfähigkeit der Seinsweisen von Göttern und Menschen, die er mit der Austauschbarkeit und Kombinierbarkeit von Götternamen und -epitheta, vielleicht auch dem durch das Determinativsystem ausgedrückten Denken in Bedeutungsklassen erklärt. Doch könnte diese Dynamik eher durch die Vielzahl der Persönlichkeitskonstituenten Ka, Ba, Ach, Name, Gestalt, Herz, Leichnam, Mumie usw. begünstigt sein, die nicht alle gleichzeitig, sondern von Fall zu Fall aktualisiert werden, während der Name vor allen anderen die (unverzichtbare!) Erhaltung von Individualität und Identität gewährleistet.

Weitere Kriterien wie der ausgeprägte Dualismus oder die Bildhaftigkeit der Sprache, die im Bereich des magischen Denkens Bild und Sache gleichsetzt, sind unumstritten. Dagegen muß gefragt werden, ob wirklich die Sprache das Denken generiert oder ob es nicht vielmehr umgekehrt ist bzw. beide in einer dialektischen Beziehung stehen. Koch konnte nur immer wieder auf sein Vorverständnis verweisen, beweisen läßt es sich in dem deskriptiven Kontext nicht.

Wie überall in diesem Band hat der Autor auch hier darauf verzichtet, seine erkenntnistheoretischen Voraussetzungen bekanntzugeben. In Anmerkungen und Bibliographien an den Kapitelenden zitiert er ausschließlich die ägyptologische Literatur, auf der er fußt, d. h. vor allem die deutschsprachige bis in die 80er Jahre.17 Für eine Veröffentlichung, die nicht wie die meisten Fachpublikationen mit dem 2. Jt. v. Chr. endet, sondern das erste einschließlich des Hellenismus einbezieht und außerdem mit den geistigen Strömungen im Imperium Romanum bis zum Beginn des ägyptischen Christentums über die Zeitenwende und den ägyptologischen Zuständigkeitsbereich hinausgreift, war das eine große Arbeitsleistung. Sie ist um so höher zu bewerten, als der Vf. als erster überhaupt unternommen hat, die pharaonische Religion chronologisch darzustellen, und damit die Grundlagen für jede weitergehende und detaillierte Beschäftigung mit dem überfälligen Thema einer ägyptischen Religionsgeschichte und ihren Triebkräften gelegt hat. Die drei Register (664-676) werden dabei gute Dienste tun. Vielleicht war es dem Außenseiter auch deshalb leichter, das Wagnis einzugehen, weil er sich unbefangener als die Spezialisten Übersetzungen zu eigen machen und über Schwierigkeiten bei der Interpretation und quellenkritischen Einordnung der Texte und der Bilder hinwegsetzen konnte, die er zwar erfreulich zahlreich wiedergegeben, aber meist nur am Rande ausgewertet hat.

Wenn man ägyptologischerseits dennoch ein gewisses Unbehagen nicht los wird, so hat das nichts mit Besserwisserei zu tun. Kein Fachvertreter ist heute mehr imstande, einen komplexen Gegenstand wie die ägyptische Religion so zu überschauen, daß ihm keine sachlichen Fehler unterliefen und er in allen Fragen den neuesten Stand der Diskussion berücksichtigen könnte. Das Problem der Kochschen Darstellung besteht wohl darin, daß sie die eines Insiders zu sein scheint, aber ausschließlich aus zweiter Hand lebt. Ungeachtet der Ungenauigkeiten, Mißverständnisse und Widersprüche, die sich daraus ergeben, werden mit oft zu raschen, zu einfachen, mitunter auch zu psychologischen Deutungen und einer dezidiert vom Fachjargon abgesetzten, eigenwilligen Diktion Gewißheiten suggeriert, die unsere Erkenntnis derzeit nicht bieten kann.

Als Theologe dagegen hat sich Koch weitgehende Zurückhaltung auferlegt; weder auf seinem ureigensten Gebiet, dem Alten Testament, noch auf dem der religionswissenschaftlichen Systematik geht er über knappe Andeutungen hinaus, und doch hätte er hier die Chance ergreifen können, den Stoff mit Leitfragen aus der Außenperspektive zu durchdringen. So hat er sein Programm von 1989 nur ansatzweise eingelöst, und der erhoffte Befreiungsschlag gegen disziplinäre Begrenztheit ist ausgeblieben.

Dem Kohlhammer Verlag gebührt Dank, daß er sich auf das große Unternehmen eingelassen hat. Vermutlich um den Preis nicht weiter zu steigern, hat er die stattliche Zahl von 172 Abbildungen zwar akzeptiert, aber die in ihrer Qualität überaus unterschiedlichen Vorlagen in Kauf genommen. Weniger erfreulich ist die geringe Sorgfalt, die er dem Text angedeihen
ließ. Bei einem Werk dieses Umfangs und einer jahrelangen
Entstehungsgeschichte wäre ein Redakteur mit Sachkenntnis und Abstand erforderlich gewesen, um die Vollständigkeit und Richtigkeit der zitierten Literatur zu überprüfen, Abkürzungen und Umschriften zu vereinheitlichen und Versehen (Abb. 94A und 139 bilden dasselbe ab, im Kolumnentitel S. 19 ist "schreiben" zu streichen) sowie sinnentstellende Druckfehler auszumerzen (Kapitelüberschrift 27 S. 12. 589 ff. "römische" statt "ägyptische", S. 23 "dennoch" statt "demnach", S. 31 "ikonographisch" statt "ikonisch", S. 459 "Korporationstiere" statt "Inkorporationstiere", S. 475 "Altgott" statt "Allgott", S. 550 "Isis" statt "Ibis", S. 565 "Erklärung" statt "Ernährung", S. 603 "autografisch" statt "autobiografisch"; S. 667 ist "Knefis>Kematef" zu lesen; von den "harmlosen" Druckfehlern ganz zu schweigen. Der renommierte Verlag sollte der allgemeinen Verwahrlosung der Branche eigentlich entgegenwirken.

Die beiden hier vorgestellten Bücher zeigen gerade in ihrer Verschiedenheit, wie lohnend es ist, die scheinbar gut erforschte ägyptische Geisteskultur mit neuen Fragestellungen zu untersuchen. Dabei richten sie sich nicht ausschließlich an die Fachwelt und haben den Stoff nicht um seiner selbst willen aufgearbeitet und interpretiert, sondern weil er zu unserer Vergangenheit gehört und zu unserem Selbstverständnis beiträgt. Daß, vereinfacht gesprochen, das Sachbuch von dem Theologen und die bewußtseinsgeschichtliche Studie von dem Ägyptologen stammt, sollte die Leser dazu inspirieren, sich ihrerseits in die fächerübergreifende Diskussion einzuschalten.

Summary

Klaus Koch’s ,Geschichte der ägyptischen Religion’ and Jan Assmann’s ,Ägypten’ are two seminal contributions - written from quite different angles - to the intellectual history of Ancient Egypt. Koch treats religion as such under the following main headings: 1. Veneration of the Sun god as the central event in divine worship; 2. Divine absolute kingship as its religious agent on earth; 3. Assumptions about life after death and cult of the dead as the chief obligation of society in its entirety. Koch is the first scholar not to treat this subject phenomenologically; instead he considers historical development between the Old Kingdom and the Ptolemaic and Roman Periods including the origins of Coptic Christianity. Assmann interprets the idea of history which the Egyptians themselves had (including in passing that of the Israelites, Greeks, and Romans). This comprises both the interpretation of specific historic events, and the history of the conceptions to understand the meaning of the world. Assmann uses as his sources material ’traces (Spuren)’, ’witnesses (Botschaften)’ - contemporary interpretative texts and images - and ’memories (Erinnerungen)’ recorded by future generations. The most typical features are ’state and eternity’ as expressed by the monumental stone architecture in the Old Kingdom, the struggle to fulfil the ethical category Maat in the Middle Kingdom, Sun theology, the supremacy of the divine will and Personal Piety in the New Kingdom, classicism and restoration in the Late Period and apocalypticism, critical historiography, and messianism in the Ptolemaic Period.

Fussnoten:

* Koch, Klaus: Geschichte der ägyptischen Religion. Von den Pyramiden bis zu den Mysterien der Isis. Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1993. 676 S. m. 172 Abb., 1 Farbtaf. gr.8. geb. DM 129,-. ISBN 3-17-009808-X.

Assmann, Jan: Ägypten. Eine Sinngeschichte. München-Wien: Hanser 1996. 550 S. gr.8. Lw. DM 68,-. ISBN 3-446-18522-4.

Assmann, Jan: Ägypten. Eine Sinngeschichte. Ungekürzte Taschenbuchausgabe. Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1999. 550 S. 8. Kart. DM 34,90. ISBN 3-596-14267-9.

1) K. Koch: Das Wesen der altägyptischen Religion im Spiegel ägyptologischer Forschung. Hamburg 1989; dazu E. Blumenthal, Vom Wesen der altägyptischen Religion, ThLZ 117, 1992, 891-896.

2) Vgl. besonders J. Assmann: Ägypten. Theologie und Frömmigkeit einer frühen Hochkultur. Stuttgart 1984; dazu E. Blumenthal, Eine systematische Theologie der alten Ägypter, OLZ 83, 1988, 133-140.

3) Deutsche Ausgabe: Moses der Ägypter. München 1998; vgl. die Besprechung von K. Koch, Sp. 874 ff.

4) Vgl. schon S. Morenz, Traditionen um Cheops, ZÄS 97, 1971, 111-118, und: Traditionen um Menes, ZÄS 99, 1972, X-XVI, beide mit dem Untertitel: Beiträge zur überlieferungsgeschichtlichen Methode in der Ägyptologie.

5) Grundlegend E. Hornung: Geschichte als Fest. Darmstadt 1966, wiederabgedruckt in ders.: Geist der Pharaonenzeit. Zürich; München 1989, 147-163.

6) So wohl statt "von der 19. zur 20. Dynastie" 38 oben; vgl. 38 unten.

7) Zu Daten und Periodisierung vgl. die Zeittafel 544-550.

8) Vgl. Assmanns grundlegende Monographie: Maat. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im alten Ägypten. München 1990, dort als "vertikale Solidarität" interpretiert.

9) Deutliche Ansätze schon im Mittleren Reich: E. Blumenthal, Sinuhes persönliche Frömmigkeit, in: I. Shirun-Grumach [Hrsg.]: Jerusalem Studies in Egyptology. Wiesbaden 1998 (Ägypten und Altes Testament 40), 213-231.

10) So nach 549; 33 werden die 24.-25. Dyn. zur 3. Zwischenzeit hinzugezählt.

11) Vgl. das Anm. 3 zitierte Moses-Buch des Vf.s.

12) S. o. Anm. 5.

13) S. o. Anm. 1.

14) Sollte mit dieser Tautologie der Unterschied zwischen dem falkengestaltigen Himmelsgott und dem König als dessen irdischer Verkörperung angedeutet werden? Oder sollte das Wesen des Horus als "königlicher Gott" (so 61) gemeint sein?

15) Reduziert und umgewichtet gegenüber Wesen 10-35; vgl. ThLZ 117, 1992, 891-893.

16) Zu ihnen vgl. Wesen 23 f.; ThLZ 117, 1992, 891 f.

17) Die ThLZ 117, 1992, 894 hinzugefügten neueren Titel seien ergänzt um B. E. Shafer [Hrsg.]: Religion in Ancient Egypt. Ithaca-London 1991 und die prinzipiellen Artikel von J. Baines, Interpretations of Religion: Logic, Discourse, Rationality, Göttinger Miszellen 76, 1984, 25-54; Egyptian Myth and Discourse, JNES 50, 1991, 81-105.