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Ausgabe:

Mai/1999

Spalte:

463–488

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Siegfried Bräuer

Titel/Untertitel:

Bischof in schwieriger Zeit. Die Einführung der Wehrpflicht und die Kampagne der DDR-Regierung gegen Bischof Krummacher 1962*

"Im März 1962 führten die Bischöfe Mitzenheim und Krummacher mit dem Ministerpräsidenten Stoph ein Gespräch über die Probleme, die die Wehrpflicht für Christen mit sich brachte. Dabei wurde aber nicht über die Position Mitzenheims hinausgegangen, der lediglich auf bestimmte Ausnahmeregeln für die Mitarbeiter der Kirche abhob und sich ansonsten mit der ,Friedenspolitik’ der DDR identifizierte."1

Diese Information aus einer Publikation für die politische Bildung gibt die gängige Auffassung wieder. Sie ist jedoch im einzelnen ungenau, verkürzt den Tatbestand und ist somit insgesamt unzutreffend. Schon der Terminus "Gespräch" ist dem spektakulären Geschehen vom 12. März 1962 nicht angemessen. Weiter ist auf die Reihenfolge der Namen der Vertreter der Kirche aufmerksam zu machen. Verhandlungsführer war Bischof Friedrich-Wilhelm Krummacher als Vorsitzender der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR, der von seinem Stellvertreter Landesbischof Moritz Mitzenheim begleitet wurde. Ungenauigkeiten dieser Art sind Früchte der SED-Informationspolitik, durch die das Bild von dem Ereignis am 12. März 1962 in der Öffentlichkeit lange geprägt wurde. Sie sorgte dafür, daß nach einigem Zögern sechs Tage später Stophs "Erklärung" im Presse-Organ der CDU "Neue Zeit" veröffentlicht wurde, die 1967 Aufnahme in die offiziöse kirchenpolitische Dokumentensammlung "Auf dem Wege zur gemeinsamen humanistischen Verantwortung" fand.2 Erst durch Mitzenheims 73. Rundbrief an die Thüringer Pfarrer vom 26. März 1962 wurde bekannt, daß es sich bei dem Artikel der "Neuen Zeit" um die "wesentlichste(n) Passagen" der Ausführungen Stophs vom 12. März 1962 handelt. In der DDR konnte der Rundbrief allerdings nur auf dem Wege innerkirchlicher Vervielfältigung verbreitet werden.3





Die wenigen älteren Darstellungen über das Verhältnis von Staat und Kirche in der DDR, die überhaupt auf das Ereignis vom März 1962 eingehen, sind von den damals publizierten Texten abhängig.4 Erst der Historiker Joachim Heise deutete in einem Zeitungsartikel von 1993, mit dem er auf eine Veröffentlichung im "Spiegel" gegen Bischof Krummacher reagierte, die tatsächlichen Zusammenhänge etwas genauer an.5 Seine noch für 1993 angekündigte umfangreiche Dokumentation von zentralen Beschlüssen und Materialien der SED über ihre Beziehungen zur Kirche erschien erst 1995.6 Zwei Jahre früher legte Gerhard Besier den ersten Band seines dreibändigen Werkes "Der SED-Staat und die Kirche" vor, in dem auch der kirchenpolitische Konflikt von 1962 auf archivalischer Grundlage dargestellt wird. Seine Angaben sind leider nicht durchweg zuverlässig.7 Das Material, das zu Rate gezogen werden kann, ist außerdem umfangreicher.

Die Bedeutung des Ereignisses vom 12. März 1962 rechtfertigt es, der Situation der Vorbereitung sowohl auf kirchlicher als auch auf staatlicher Seite, dem Verlauf der "Aussprache" auf Regierungsebene und der Nachgeschichte anhand der Quellen im folgenden noch einmal nachzuspüren. Dabei kann exemplarisch erkennbar werden, unter welchen Bedingungen zu Beginn der sechziger Jahre in der DDR kirchenleitende Verantwortung wahrgenommen wurde, was es heißen konnte, Bischof in schwieriger Zeit zu sein.



1. Die Situation nach dem Mauerbau

Das Stichwort Mauerbau zeigt eine Zäsur an. Der englische Historiker Garton Ash meint sogar, damals erst sei der 1914 einsetzende Prozeß der Teilung Europas in Ost und West zum Abschluß gekommen.8 Deutschlandpolitisch gesehen ging zumindest die dreijährige Berlinkrise, aber auch die bisherige Ostpolitik zu Ende. Die spätere Formel von Egon Bahr und Willi Brandt "Wandel durch Annäherung" war damals im Entstehen.9 Die ältere DDR-Forschung der Bundesrepublik ist sich einig, der Mauerbau leitete für die DDR zunächst eine Phase der Stabilisierung des politischen und ökonomischen Systems ein.10 Ähnlich beurteilten die Situation die DDR-Politiker, verbanden damit aber auch ein Sicherungsbedürfnis von fast traumatischem Ausmaß. Bezeichnend hierfür ist die Devise, die Ulbricht in der Politbürositzung am 19. September 1961 ausgab: "Alles, was der Stärkung der DDR dient, ist richtig. Wer zu Maßnahmen der DDR schwankt, gibt dem Gegner bereits Platz."11 Im Gefälle dieser Devise ist der Aufruf des Zentralrats der FDJ vom 16. August 1961 "Das Vaterland ruft! Schützt die sozialistische Republik!", mit seiner militanten publizistischen Begleitmusik und den rüden Werbemethoden, besonders unter Studenten zu beachten.12 Am 20. September wurde das Verteidigungsgesetz beschlossen.

Verschärfend für die Kirche kam die Ausbürgerung des Ratsvorsitzenden der EKD, Präses Kurt Scharf, am 31. August hinzu. Alle Interventionen der Kirche hierzu und auch zu den allgemeinen Folgen des Mauerbaues, blieben erfolglos.13 Gesamtkirchlich gesehen begann eine Zeit der Verunsicherung, die erst mit der Gründung des Kirchenbundes teilweise beendet werden konnte. Es galt, den status quo so gut wie möglich zu halten und mit der Zeit Ansätze auszuprobieren, aus der reinen Konfrontation mit dem Staat herauszukommen, ohne die kirchliche Freiheit zu gefährden.

Krummacher war für diese neuen flexiblen Bemühungen alles andere als unbelastet. Nicht nur die Eingaben im Gefolge des Mauerbaus trugen seine Unterschrift, sondern schon die zum Entwurf des Arbeitsgesetzbuches vom 14. März 1961.14 Negativpunkte auf seiten des Staates hatte er sich aber vor allem durch seine publizistische Fehde mit Emil Fuchs im Frühjahr 1961 erworben. Fuchs hatte in einer von der CDU initiierten Veranstaltung am 9. Februar 1961 gegenüber Walter Ulbricht die Auffassung vertreten, die Ziele von Christentum und Mar

xismus seien die gleichen. Dagegen hatte Krummacher am 22. März 1961 in einem Brief Einspruch erhoben.15 An der Replik von Fuchs am 19. April war die ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen beteiligt. Der Öffentlichkeit blieb das natürlich verborgen.16 Die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen stellte am 8. April für das ZK der SED einen regelrechten Maßnahmenkatalog zusammen, zu dem auch eine Medienkampagne gegen den Bischof gehörte.17 Auch die gewaltsame Behinderung seiner Fahrt zur Leitungssitzung in Berlin am 11. Juli 1961 muß wohl im Zusammenhang mit dieser Kampagne gesehen werden.18

Krummachers Teilnahme an der Wahl der örtlichen Volksvertreter am 17. September 1961 unter Benutzung der Wahlkabine und sein Verzicht auf die Fahrt zur 3. Ökumenischen Weltkonferenz in Neu Delhi im November 1961 auf Grund der angespannten Situation wurden von den staatlichen Beobachtern als Taktik gedeutet.19 Um die Jahreswende 1961/62 kamen weitere Konfliktpunkte hinzu: Probleme mit den vom Staat zugestandenen Bedingungen für die kirchlichen Landwirtschaftsbetriebe, die als illegal beurteilte Einfuhr von dringend benötigten Medikamenten, vor allem aber der Entwurf für eine "Handreichung zur Friedensfrage", ausgearbeitet von einem theologischen Sonderausschuß der EKD und am 9. November 1961 den Kirchenleitungen zugegangen.20 Wegen dieser Handreichung war es am 11. Januar 1962 zwischen der sächsischen Kirchenleitung und dem Rat des Bezirkes Dresden zu schweren Spannungen gekommen.21 Als Vorsitzendem der kirchenleitenden Konferenzen wurde ihm die Handreichung von seiten des Staates in besonderer Weise zur Last gelegt. Er hatte am 18. Dezember 1961 den Superintendenten seines Kirchengebietes 18 Exemplare für die Konventsarbeit übergeben. Auf den Generalkonvent in Züssow am 16. Januar 1962 hatte er sich ausführlich zur Friedensthematik und den Problemen des Wehrdienstes geäußert. Den staatlichen Stellen lagen schon bald genaue Berichte vor.22 In einem "harten Gespräch" mit Staatssekretär Hans Seigewasser am 6. Februar 1962 wurde er der gefährlichen "Aufweichungspolitik" beschuldigt. Seinen Versuch, die Dinge zu versachlichen, verknüpfte er mit dem Hinweis, es gäbe neue konkrete Probleme im Zusammenhang mit dem neuen Wehrpflichtgesetz vom 24. Januar 1962 zu besprechen. Er wies vor allem auf den Fahneneid hin. Seigewasser lehnte diesen ersten Versuch, die Besorgnisse der Kirche zur Sprache zu bringen, rundweg ab. Erst müsse die "Handreichung zur Friedensfrage" vom Tisch.23 Aus einem ergänzenden Vermerk seines Stellvertreters Fritz Flint geht aber hervor, daß sich Krummacher nicht abblocken ließ. Er entwickelte vielmehr schon Vorstellungen über ein Gespräch auf Regierungsebene über die Wehrpflichtproblematik.24

2. Die komplizierte Vorbereitung des Gesprächs mit der Regierung auf seiten der Kirche

Mit dem "Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht" vom 24. Januar 1962 kam die Thematik nicht aus heiterem Himmel auf den Tisch der kirchlichen Leitungsgremien. Von der EKD-Synode 1950 in Berlin an hatten sie sich immer wieder mit der Wiederbewaffnung, der Atombewaffnung, der Kriegsdienstverweigerung, der Militärseelsorge, vor allem aber mit der Friedensfrage auseinandergesetzt. Die Versuche, seit 1955 eine Regelung für die Seelsorge bei Angehörigen der Nationalen Volksarmee zu vereinbaren, waren stets gescheitert. Selbst die von der Kirche erbetenen Vermittlungsversuche des stellvertretenden Ministerpräsidenten, Otto Nuschke, blieben erfolglos.25 Solange keine Wehrpflicht bestand, konnte sich das konkrete kirchliche Engagement nur auf die Klärung einschlägiger Einzelkonflikte beschränken.26 Erst mit dem Druck auf die Theologiestudenten im Zuge des FDJ-Aufgebotes im Herbst 1961 und mit der spektakulären Erklärung der Berliner Theologischen Fakultät vom 26. Oktober, verantwortet vom Dekan Erich Fascher, kulminierten diese Reibungen. Die Hintergründe dieser unter dubiosen Umständen zustande gekommenen Erklärung sind erst kürzlich erhellt worden.27 Nachdem sich bereits die Landeskirchen hierzu mit deutlicher Kritik zu Wort gemeldet hatten, beschäftigte sich auch die Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen am 6. Dezember 1961 damit.28

An dem Tage, an dem das Wehrpflichtgesetz veröffentlicht wurde, am 25. Januar 1962, schrieb Krummacher sofort an den Leiter der Kirchenkanzlei für die Gliedkirchen in der DDR, Hans-Jürgen Behm. Er teilte ihm mit, daß sich nach seiner Meinung für die Kirche vier verpflichtende Überlegungen aus dem neuen Gesetz ergeben würden: 1. Zusicherung der Glaubens- und Gewissensfreiheit für die Eingezogenen, 2. Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen, 3. Wehrdienst von Theologen als Sanitätsdienst, 4. Fahneneidproblematik. Behm möge das seit Jahren angefallene Material hierzu sichten und für Beratungen und Beschlüsse aufbereiten. Als Stufen für das weitere Vorgehen nannte er: a) Gespräch mit dem Staatssekretär, b) schriftliche Entwürfe, c) Vortrag beim amtierenden Ministerpräsidenten.29 Unabhängig von Krummachers Aufforderung hatte die Berliner Dienststelle ebenfalls am 25. Januar mit entsprechenden Beratungen begonnen.30

Als der Berliner Erzbischof Alfred Bengsch am 29. Januar bei Krummacher in Greifswald seinen Antrittsbesuch machte, nutzte dieser die Gelegenheit, auch die Wehrdienstproblematik zur Sprache zu bringen. Er fand eine erstaunliche Aufgeschlossenheit für seine Überlegungen. Reichlich eine Woche später aber, am 6. Februar 1962, verständigte sich die Berliner Ordinarienkonferenz auf eine innerkirchliche seelsorgerliche Erklärung. In ihr wurde festgestellt, daß der Fahneneid die verfassungsmäßig garantierte Bekenntnisfreiheit nicht einschränke und "die Eidesleistung ... demzufolge vom Christen keine weltanschauliche Konzession" fordere.31 Bei einer erneuten Begegnung, vermutlich am 18. Februar, hat Bengsch zu diesem "Rückzug" gegenüber Krummacher bemerkt: "Sie werden mich für einen Jesuiten halten, aber die Gewissenslast müssen wir Bischöfe auf unser Gewissen nehmen und damit das Gewissen der jungen Menschen entlasten."32

Der bereits erwähnte 6. Februar 1962 war offenbar im Blick auf die Wehrpflichtthematik überhaupt ein sitzungsintensiver Tag. Nach dem harten Gespräch bei Seigewasser nahm Krummacher an einer Leitungssitzung der EKU teil. Es wurde u. a. der Entwurf eines Briefes an Ulbricht verabschiedet, in dem die Probleme mit dem Wehrpflichtgesetz klar zur Sprache kamen. Vermutlich im Auftrage Krummachers wurde noch am Abend Mitzenheim eine Abschrift übergeben, der sich ebenfalls bereits in Berlin befand. Auf diese Weise sollte verhindert werden, daß sich Mitzenheim mit dem Argument der Überraschung bei der Beratung der lutherischen Bischöfe einer Entscheidung entziehe.

Bei einem Besuch im Staatssekretariat am darauffolgenden Tag berichtete Mitzenheim Seigewasser von Krummachers Absicht, zur Wehrpflichtfrage einen Brief an die Regierung zu schreiben. Er verschwieg aber, daß er den Briefentwurf bereits bei sich hatte. Stattdessen regte er - wie es in Flints Kurzbericht heißt - "ein vertrauliches und friedliches Gespräch" auf Regierungsebene in kleiner Besetzung an. Flint hält auch fest, Mitzenheim habe mitgeteilt, Krummacher werde als Gast an der Bischofsberatung der Lutheraner teilnehmen. Er habe versichert, er werde seine bisherige Position beibehalten, um zu verhindern, "daß kirchlicherseits wieder mit dieser Frage eine politische Aktion gestartet würde."33 An der besagten Sitzung der Lutheraner am 8. Februar weigerte sich Mitzenheim tatsächlich, den Briefentwurf zu unterschreiben. Er beharrte auf der Zwischenlösung, über Seigewasser einen Brief an Ministerpräsident Grotewohl zu richten und ein Gespräch mit Krummacher, Mitzenheim sowie den Bischöfen Jänicke und Noth über die Wehrpflichtprobleme zu erbitten. Darauf einigte man sich, beschloß aber darüber hinaus, den Brief an Ulbricht abzusenden, wenn binnen einer Woche kein Gespräch zustande komme. Vorsorglich wurde eine Bischofskonferenz für den 16. Februar vereinbart. Die Landeskirchenleitungen sollten ihre Pfarrer vorerst nur unterrichten, daß Schritte zu seelsorgerlichen Schwerpunktfragen eingeleitet worden seien.34

In der EKU-Leitung, die nur in der Person Krummachers an der Veränderung des Vorhabens beteiligt war, gab es Verstimmung. Sie verschärfte sich, als bekannt wurde, daß Mitzenheim nach der Sitzung das Staatssekretariat telefonisch über das Sitzungsergebnis informiert und als mögliche Termine für das Regierungsgespräch den 16. oder 20. Februar genannt hatte.35 Seigewasser verstärkte diesen Ärger, indem er Mitzenheim am 14. Februar telefonisch mitteilen ließ, daß keiner der beiden Termine realisiert werden könne. Mitzenheim gab die Nachricht weiter und verband sie mit der Bitte, die Sitzung am 16. Februar abzusagen. Damit hatte er den Bogen endgültig überspannt. Krummacher war sich mit den Berliner Dienststellenleitern der EKD, der EKU und VELKD einig, die Sitzung findet, wie abgesprochen, statt. Noch am 14. Februar wurden die Bischöfe entsprechend telefonisch informiert. Mitzenheim teilte am nächsten Tag ebenfalls telefonisch nach Berlin mit, er könne noch keine Zusage geben. "Die Reise wäre eine Zumutung für ihn." Den Brief an Ulbricht werde er auf keinen Fall unterschreiben.36

Die Bischofskonferenz am 16. Februar einigte sich auf eine neue Variante für das Vorgehen in Sachen Regierungsgespräch. Falls bis zum 20. Februar keine bindende Zusage vorliege, soll ein neuer Versuch unternommen werden. Für diesen Kompromiß setzten sich Noth und der Schweriner Bischof Beste ein, wohl um eine völlige Isolierung Mitzenheims zu verhindern. Dieser hat aber auch dem Kompromißbeschluß seine Zustimmung verweigert.37

Am 20. und 21. Februar hatten sich die Bischofskonferenz und die Konferenz der Kirchenleitungen vor allem mit der Verabschiedung der Geschäftsordnung für beide Gremien zu befassen. Die Einigung war wegen der Thüringer Einsprüche schwierig genug, gelang aber. Zur Wehrpflichtproblematik verständigte man sich, die Lösung vom 16. Februar zu praktizieren. Krummacher erhielt den Auftrag, sich im Namen der Bischöfe in einem ausführlicheren Schreiben noch einmal an Grotewohl zu wenden und die Schwerpunktprobleme darzulegen. Dieses konziliant formulierte Schreiben ging am 22. Februar ab. Als bis zum 27. Februar noch keine Antwort der Re

gierung vorlag, sandte Krummacher den anderen Bischöfen eine Abschrift seines Briefes vereinbarungsgemäß zu.38 Einen Tag später erhielten er und Mitzenheim die Nachricht aus dem Staatssekretariat, das Regierungsgespräch werde mit beiden Bischöfen voraussichtlich am 9. März stattfinden.39

Zu diesem Zeitpunkt hatten die Landeskirchen bereits in unterschiedlicher Weise über die Wehrpflichtproblematik informiert. Am ausführlichsten hat sich Mitzenheim in seinem 72. Rundbrief vom 19. Februar in seelsorglicher Weise und auf der Grundlage eines lutherischen Schriftverständnisses geäußert. Er vermied eine direkte politische Stellungnahme und ist vermutlich wegen seiner bekannten kirchenpolitischen Position in der Publizistik der Bundesrepublik in diesem Fall zu Unrecht verdächtigt worden.40 Wegen erster rechtlicher Schritte gegen Wehrdienstverweigerer hatte sich auch Noth schriftlich an Grotewohl gewandt.41

Auf der nächsten Bischofskonferenz am 5. März bestimmte man eine Vierergruppe für das Regierungsgespräch, dessen genauer Termin noch immer nicht feststand: Krummacher, Mitzenheim, Noth und Jänicke. Variationen hielt man für möglich. Gebilligt wurden auch die fünf Punkte einer Erklärung, die Krummacher schon einmal vorgelegt hatte und die dann am 12. März beibehalten wurden. Debatten gab es noch einmal zu den Punkten Wehrdienst und Fahneneid. Zu letzterem blieb eine Minderheit bei dem Standpunkt, daß Christen diesen Eid nicht leisten können. Die Mehrheit vertrat die Meinung, die Grenze sei das 1. Gebot. Darauf habe die Kirche den Staat hinzuweisen. Eine Erklärung zum Eid, die für die Berlin-Brandenburgische Synode vorgesehen war, floß in die Überlegungen mit ein. Zur Eidesfrage hielt der Protokollant die ernüchternde Einsicht fest: "Allgemein wird betont, daß keine Regelung wirklich voll befriedigt, aber es ist die Frage, ob nicht die Kirche auch hier bereit sein muß, um der Liebe willen mitschuldig zu werden."42

Als sich die Beschöfe am 9. März, dem ursprünglichen Termin für das Gespräch mit der Regierung, wieder trafen, ging es noch einmal um das Memorandum, das der Regierung vorgetragen werden sollte. Mitzenheim legte einen eigenen Entwurf vor. Nach einer Stasiinformation ist dieser durch Krummacher abgelehnt worden, weil "zu viele politische Formulierungen darin seien".43 Man akzeptierte den Wunsch der Regierung, am 12. März nur mit dem Vorsitzenden der Konferenz und seinem Stellvertreter zu sprechen. Die Hintergründe hierfür wie für die Verzögerung blieben der kirchlichen Seite verborgen.



3. Die zentralgesteuerte Vorbereitung des Gespräches auf Regierungsebene auf seiten des Staates

Das Vorfeld des Wehrpflichtgespräches ist auf staatlicher Seite bislang nicht bis ins einzelne anhand der Quellen zu verfolgen. Der Militärseelsorgevertrag von 1957 ist als Unruhefaktor auch für das Kirche-Staat-Verhältnis in der DDR virulent geblieben. Bei der Wehrpflichtdebatte von 1962 stand das vertraute polemische Arsenal schnell wieder bedienungsbereit. Neue Sorgen bereiteten der ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen die bisher geförderten NATO-kritischen Gruppen in Kirche und Theologie in der Bundesrepublik wegen ihrer pazifistischen Tendenzen.44

Der in Westberlin ansässige Systematiker Heinrich Vogel, der auch nach dem Mauerbau an der Humboldt-Universität lehren konnte, versuchte angesichts der Wehrpflichtproblematik Seigewasser am 12. Februar die Information zu vermitteln, die Bundesregierung sei bereit, den Militärseelsorgevertrag neu zu fassen. Um die Gliedkirchen der EKD in der DDR endgültig zu entlasten, werde ein Abschluß mit den einzelnen Landeskirchen erwogen.45 Die Funktionäre der SED ließen sich durch solche Rauchzeichen jedoch nicht irritieren.

Einen Tag nach dem Vogel-Gespräch erteilte das Politbüro dem für Kirchenfragen zuständigen ZK-Sekretär Paul Verner den Auftrag, auf Grund des Briefes von Krummacher und Mitzenheim an Grotewohl eine "Stellungnahme zur Frage Kirche und Wehrpflicht" auszuarbeiten. Er bediente sich, wie üblich, der Zu- und Mitarbeit seiner bewährten Organe, der Arbeitsgruppe Kirchenfragen, des Staatssekretariats für Kirchenfragen und - insbesondere zur Aufklärung von Krummachers Tätigkeit im 3. Reich - des Staatssicherheitsdienstes.46 So findet sich in den Vorbereitungsunterlagen der ZK-Arbeitsgruppe eine Fotokopie des Merkblattes über Feldseelsorge vom 21. August 1939. Gleich der Beginn mit der Überschrift "Wesen und Aufgabe der Feldseelsorge" hat die Funktionäre verständlicherweise besonders interessiert. Es heißt da: "Die Feldseelsorge ist daher ein wichtiges Mittel zur Stärkung der Schlagkraft des Heeres." Wahrscheinlich wußten die Funktionäre nicht, daß dieses Merkblatt gerade nicht typisch für die Militärseelsorge im 2. Weltkrieg war.47

Die Aufgabe, für den Staatssicherheitsdienst systematisch belastendes Material aus dem 3. Reich über kirchliche Persönlichkeiten im Zentralarchiv Potsdam ausfindig und einsatzbereit zu machen, lag in den Händen des IM "Roland". Hinter dem Decknamen verbarg sich der 1948 wegen disziplinarischer Vergehen entlassene ehemalige Berlin-Brandenburgische Pfarrer Paul Beckmann. Seinen Recherchen und Gutachten ist die zwangsweise Umbenennung der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union genauso zu verdanken wie eine Argumentationshilfe bei der Verurteilung des Leipziger Studentenpfarrers Siegfried Schmutzler.48 Er stöberte einen großen Teil des Materials gegen das Kirchliche Außenamt auf, besonders gegen Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier und den ehemaligen Bischof Theodor Heckel.49 Bei der Aktion gegen Krummacher war er ebenfalls mit tätig. Außer Beckmann war an der Materialbeschaffung aus dem 3. Reich vor allem der hochrangigere IM "Gerhard", Hans-Joachim Seidowski, der erste persönliche Referent des Staatssekretärs für Kirchenfragen, beteiligt.50 Von 1960 an arbeitete auf diesem Felde schließlich noch die sogenannte Auswertungsgruppe des MfS, zu der im Frühjahr 1961 als IM "Anton" der CDU-Funktionär Herbert Trebs, der spätere Berliner Ökumenikprofessor, stieß.51

Die ersten Anzeichen für eine Materialsammlung gegen Krummacher stammen aus der Zeit der Debatte um den Militärseelsorgevertrag Anfang 1957. Sie fand Niederschlag in einer Flugblattaktion. Mit Hilfe eines Westberliner Journalisten, Hartmut Bunke, wurden solche Kampagnen mehrfach wiederholt bis 1967.52 Am 30. April 1961, nach der Kontroverse mit Emil Fuchs, verfaßte Leutnant Riedel in der Bezirksverwaltung des MfS Potsdam einen Bericht über Krummachers Zeit als Militärpfarrer in Frankreich und im Osten. Riedel war einst als Fahrer der Militärpfarrer eingesetzt gewesen und beschuldigte Krummacher einer nazistischen Gesinnung.53 1961 gibt es auch schon Hinweise auf Kopien von Dienstpost des Kirchlichen Außenamtes in den Unterlagen des MfS.54 Wichtiger ist eine vollständige Abschrift auf 63 Maschinenschriftseiten von Krummachers Kriegspredigten, die auf Veranlassung des Kirchlichen Außenamtes 1940 als Manuskriptdruck unter dem Titel "Evangelium für deutsche Männer" erschienen. Von diesen Predigten existieren Auszüge, genauer 27 Zitate aus 11 Predigten.55 Dieses Papier von sechs Seiten hat dann eine besondere Rolle im Regierungsgespräch gespielt. Schließlich ist noch der ungewöhnlich umfangreiche Auskunftsbericht der Stasi über Krummacher zu erwähnen. Er umfaßt 34 Seiten, enthält auch einige Zitate aus dem "Evangelium für deutsche Männer" und Inhaltsangaben von Schriftstücken des Kirchlichen Außenamtes von 1936 und 1939. Ein längeres Zitat des ehemaligen Militärkraftfahrers Riedel ist ebenfalls aufgenommen worden. Am interessantesten ist das Datum des Auskunftsberichtes: 16. Februar 1962. Mit Sicherheit haben wir es hier mit einer Auftragsarbeit im Zuge der Vorbereitung auf das Regierungsgespräch zu tun. So sorgfältig der dokumentarisch aufbereitete Bericht wirkt, er ist alles andere als fehlerfrei. Fritz von Bodelschwingh wird beispielsweise als "Nazi-Bischof" bezeichnet und Krummacher soll 1939 erst zum Oberkirchenrat ernannt worden sein. Ihnen wird Partizipation an der Agentengruppe der faschistischen Abwehr vorgeworfen. Schließlich heißt es, von 1950 an habe er "alle Illusionen über die Änderung seiner Gesinnung nach 1945 zerstört" und sei ständig als Gegner der DDR und des Sozialismus in Erscheinung getreten.56

Mit einem derart diskreditierenden Material in der Hinterhand wurde in der Politbürositzung am 20. Februar die angeforderte "Argumentation zu Fragen über die allgemeine Wehrpflicht, die von Bischöfen der evangelischen Kirche gestellt werden", vorgelegt. An diesem Tage war das Beschlußgremium sehr reduziert. Es fehlte mehr als die Hälfte der Mitglieder, darunter auch Willi Stoph und Kurt Hager. Der Leiter der Arbeitsgruppe Kirchenfragen, Willi Barth, war zum Verhandlungspunkt 8 zugegen.57 Es wurde beschlossen: "1. Auf der Grundlage der Argumentation (Anlage Nr. 4) ist mit den Bischöfen Mitzenheim und Krummacher eine Aussprache bei der Regierung zu führen. Diese Aussprache soll regierungsseitig von den Genossen Leuschner und Seigewasser sowie dem Minister Sefrin bzw. von Kollegen Flint (Stellvertreter des Genossen Seigewasser) geführt werden. 2. Im Verlauf des Gesprächs sind den Bischöfen die diskriminierenden Stellen aus dem Material "Evangelium für Deutsche Männer", das Bischof Krummacher während des 2. Weltkrieges herausgegeben hat und in dem er das Naziregime und seine aggressive Politik verherrlichte, zur Kenntnis zu bringen. Das geschieht mit dem Ziel, von Krummacher eine schriftliche Stellungnahme zu erreichen, in der er von diesem Machwerk abrückt. 3. Bischof Krummacher ist zu erklären, daß er aufgrund dieser Sachlage sein Bischofsamt in Greifswald ausüben kann, daß ihn die Regierung aber nicht mehr als Vertreter der Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen und Bischöfe in der DDR anerkennen kann."58

Damit waren klare Festlegungen über das taktische Vorgehen genauso wie über das Ziel, nämlich die Ausschaltung Krummachers aus der Kirchenpolitik auf zentraler Ebene, getroffen worden. Es fehlte nur noch der Termin. Vielleicht erklärt sich die verzögerte Ausführung mit der Abwesenheit von Stoph, der dann ja die Stelle von Bruno Leuschner, Minister für die Koordinierung volkswirtschaftlicher Grundaufgaben und stellvertretender Ministerpräsident, in den Gesprächen einnahm. Was hinter den Kulissen der Gremien vor sich ging, bedarf noch genauerer Untersuchung. Die lange Unklarheit um den Termin 12. März trug nicht gerade dazu bei, die Spannungen auf kirchlicher Seite zu mindern, zumal es keinerlei Information über die Gründe gab.

4.Die "Aussprache" zwischen Regierung und Kirche am 12. März 1962

14.30 Uhr begann die Begegnung und 18.45 Uhr endete sie. Über das Geschehen während der reichlichen vier Stunden sind
wir relativ gut unterrichtet. Staatssekretär Anton Plenikowski, der das Büro des Ministerrates leitete und an dem Gespräch zusätzlich teilnahm, hat drei Tage später ein ausführliches Ver

laufsprotokoll erstellt. Die entscheidenden Passagen der Redebeiträge sind, wohl auf der Grundlage eines Stenogramms, wörtlich festgehalten worden. Andere Teile finden sich als Zusammenfassungen in Klammern. Im Dokumentenband von Joachim Heise liegt dieses Protokoll jetzt in voller Länge gedruckt vor.59 In allen wesentlichen Details wird es durch zwei

Schriftstücke in Krummachers Nachlaß bestätigt, durch seinen einseitigen vertraulichen Bericht für Generalsuperintendent Fritz Führ und Bischof Noth vom 7. August 1962 sowie durch entsprechende Notizen in seinen Memorabilia.60 Letzte Sicherheit zur Authentizität einzelner Formulierungen im Verlaufsprotokoll Plenikowskis läßt sich natürlich nicht gewinnen. Anzeichen für kleinere Ausfälle gibt es.61

Zu Beginn der "Aussprache" übergab Krummacher dem amtierenden Ministerpräsidenten mit einigen einleitenden Worten den Appell der 3. Vollversammlung des Ökumenischen Rates in Neu-Delhi. Stoph wies in seiner Erwiderung darauf hin, daß die Regierung den Appell schon zur Kenntnis genommen habe. Man sei bereit, die Bischöfe zu ihren bereits im Schreiben vom 8. Februar genannten Themen anzuhören, sich über die Standpunkte auszusprechen und möglichst eine Übereinstimmung herbeizuführen. Bevor Krummacher dazu kam, das Memorandum vorzutragen, betonte Mitzenheim, der seinen Vaterländischen Verdienstorden angesteckt trug, ihr ausschließlich kirchliches Anliegen, das staatliches Recht und staatliche Pflicht zum bewaffneten Schutz nicht berühre. Sefrin fühlte sich als CDU-Repräsentant offenbar gedrängt, sich ebenfalls zu Wort zu melden und rief damit einen ersten kleinen Schlagabtausch hervor. Seine Bemerkung, Chruschtschow habe das Telegramm der Ökumene beantwortet, Kennedy aber nicht, korrigierte Krummacher mit dem Hinweis, er verwechsle die Prager Friedenskonferenz mit der Weltkonferenz in Neu-Delhi.62 Darauf trug er das Memorandum zu den Schwerpunkten Glaubens- und Gewissensfreiheit, Kriegsdienstverweigerer, Fahneneid und Rückstellung vor. Der einst in innerkirchlichen Abschriften viel verbreitete Text ist bis heute ungedruckt.63

Stophs Antwort in Gestalt der vom Politbüro beschlossenen Argumentation nahm zu den Schwerpunkten, allerdings in veränderter Reihenfolge Stellung. Im Kern lief seine Darlegung auf die Behauptung hinaus, alle kirchlichen Besorgnisse seien angesichts einer klaren Rechtslage gegenstandslos. Beschränkte sich die Polemik Stophs in der ersten Gesprächsphase auf Hiebe gegen die NATO und gegen westdeutsche Kirchenführer, so vollzog er in einer zweiten Phase fast übergangslos eine Schwenkung. Er lüftete das Geheimnis, weshalb sie nur mit Krummacher und Mitzenheim, den beiden Briefunterschreibern, sprechen wollten. Es seien einige Vorgänge aus der Vergangenheit von Bischof Krummacher zu klären. Darauf las Stoph Auszüge aus Krummachers Kriegspredigten vor und führte Schreiben aus der Tätigkeit im Kirchlichen Außenamt ins Feld. Diese unvermutete Attacke endete in der Aufforderung, Krummacher solle endlich öffentlich von seiner damaligen Verherrlichung des faschistischen Raubkrieges abrücken. Der Angegriffene wies darauf hin, daß es sich bei den vorgetragenen Stellen um situationsbezogene Einstiegsvergleiche handle, um ganz andere religiöse Wahrheiten zu sagen. Die Predigten stammten auch aus der Anfangszeit des Krieges. Später habe er einen Umdenkungsprozeß vollzogen, vor allem durch das Erlebnis der Massengräber bei Kiew. Diese Wende habe er auch öffentlich kundgetan. Stoph nannte darauf den Grund, weshalb die Regierung an der Aufrichtigkeit seiner Wende zweifle. Er habe nie seine neuen Erkenntnisse "als eine Mahnung" oder sonstwie an die westdeutsche Kirche gerichtet, ja er habe "sogar in grober Weise" sein "kirchliches Amt mißbraucht ..., um die westdeutsche NATO-Politik zu unterstützen."64

Überboten wurde diese massive Polemik noch durch die schon sprachlich unqualifizierten Angriffe des CDU-Funktionärs Sefrin, der sich als durch Krummacher tief enttäuschten Christen darstellte und Mitzenheim als leuchtendes Gegenbeispiel eines Bischofs hervorhob. Als Stoph im Stile eines Bußpredigers noch einmal nachhakte und Krummacher direkt auf seine Gewissensverantwortung für die Zusammenarbeit mit der Gestapo ansprach, wies der Angegriffene durch einen Zwischenruf diese Anschuldigung als unzutreffend zurück. Darauf teilte Stoph ihm die vorgesehene Maßnahme mit. Bischof in Greifswald könne er bleiben, als Sprecher der Bischöfe könne ihn die Regierung nicht mehr betrachten.

Erst als auch noch Seigewasser den Beschuldigten an die vielen Differenzen in ihren Gesprächen erinnerte und ihn aufforderte, endlich aus dem Zwielicht herauszukommen, hatte sich der völlig überraschte Mitzenheim etwas gefangen. Mit tastenden Worten wies er darauf hin, daß er wohl gar nicht gekommen wäre, wenn er den Verlauf der "Unterhaltung", in der es ja um Dinge gehe, "die von Mann zu Mann zu besprechen" seien, geahnt hätte. Er machte einen schwachen Versuch, für Krummacher einzutreten, indem er ihn als einen Vermittler bezeichnete. Bei denjenigen, die bewahrt geblieben seien, könne nicht von Verdienst gesprochen werden. Es sei "wirklich Führung gewesen".65 Betroffen fragte er schließlich, ob nun das Gespräch zu Ende sei. Krummacher ergriff darauf noch einmal das Wort, lehnte einen Versuch der Selbstrechtfertigung aus christlicher Überzeugung ab und betonte, er habe in Absprache mit allen Bischöfen Anliegen vorgetragen, die um der Gewissen mancher willen ernst genommen werden sollten. Wenn sich die Regierung nicht in der Lage sehe, seine Motive richtig zu würdigen und ihn nicht als Sprecher der Kirche ansehen könne, werde er seine Konsequenzen daraus ziehen. Danach wollte er die Verhandlung verlassen. Stoph bat ihn jedoch zu bleiben, weil man sich nun den Sachfragen zuwenden wollte.66

In der dritten Gesprächsphase herrschte überwiegend ein sachlicher Ton. Die Gesprächsführung auf kirchlicher Seite übernahm jetzt Mitzenheim. Zusagen für gesetzliche Regelungen waren nicht zu erreichen. Es wurden aber der weltliche Charakter des Fahneneides unterstrichen und für Rückstellungsgesuche kirchlicher Ausbildungsstätten Hinweise gegeben. Am Ende übergab Stoph Mitzenheim eine vorbereitete Pressemitteilung, die er für änderungsfähig hielt. Über die Frage der Änderungen soll es zwischen Mitzenheim und den anderen Bischöfen zu einer schweren Kontroverse gekommen sein, wie ein Stasiinformand berichtete.67 Plenikowski hat in einer Nachbemerkung zu seinem Protokoll festgehalten, daß auf die Veröffentlichung des Entwurfs, den Mitzenheim in veränderter Form zurückgebracht habe, verzichtet wurde. Eine Meldung über das Gespräch zwischen den Vertretern des Staates und der Kirche in der Westberliner Presse werde als Vertrauensbruch, "der durch bestimmte Kirchenstellen verübt wurde", gewertet.68 Staatssekretär Seigewasser hatte der kirchlichen Seite dagegen telefonisch als Begründung mitgeteilt, Präses Figur habe auf der Synode von Berlin-Brandenburg über das Gespräch informiert. Figur hat diese Behauptung sofort dementiert.69 Mit den Querelen um eine Pressemitteilung hatte die Nachgeschichte der Begegnung vom 12. März bereits begonnen.

5. Die konfliktreiche Nachgeschichte

Die Kirchenleitungen sahen sich verpflichtet, sobald wie möglich ihre Pfarrer über den Stand der Wehrpflichtproblematik zu unterrichten und ihnen Hinweise für ihre seelsorgerlichen Aufgaben zu geben. In der außerordentlichen Konferenz der Kirchenleitungen am 19. März 1962 kam man deshalb überein, die Landeskirchen sollten Krummachers "Memorandum" und dessen thesenartige Zusammenfassung der Gesprächsergebnisse vom 12. März auf innerkirchlichem Wege ihren Pfarrern zuleiten. Von einer Veröffentlichung beider Schriftstücke sei aber "unbedingt abzusehen".70 Krummacher selbst wandte sich mit einem ausführlichen Hirtenbrief am 22. März 1962 an die Pfarrer seiner pommerschen Landeskirche und fügte die beiden Schriftstücke als Anlage bei. Er ließ seinen Hirtenbrief mit Anlagen durch die Berliner Kirchenkanzlei auch den anderen leitenden Geistlichen der östlichen Gliedkirchen zukommen.71 Fast alle Landeskirchen in der DDR stellten ihren Pfarrern die beiden kirchlichen Schriftstücke über die Begegnung am 12. März zur Verfügung.72 Mitzenheim dagegen machte davon

keinen Gebrauch. Er verschickte stattdessen am 26. März seinen 73. Rundbrief an die Thüringer Pfarrer, in dem er relativ ausführlich über den Sachteil des Gespräches vom 12. März informierte. In der Reihenfolge der Sachpunkte hielt er sich an Stophs "Argumentation", nicht an Krummachers Memorandum. Als einzige gedruckte kirchliche Äußerung bestimmte sie, wie erwähnt, in der Folgezeit vor allem das Urteil in der Öffentlichkeit.73 Bei den zentralkirchlichen Leitungssitzungen von April bis Juni 1962 wurde berichtet, daß das Regierungsgespräch in den Landeskirchen gewisse Erleichterungen brachte. Es gab zwar einzelne Verhaftungen von Wehrdienstverweigerern, insgesamt waren die Musterungskommissionen jedoch bemüht, öffentlichkeitswirksame Härten zu vermeiden.74 Die innerkirchlichen Zerreißproben im Verhältnis zu Mitzenheim waren im Gegensatz dazu keineswegs rückläufig. Krummacher gibt in seinen "Memorabilia" an, sein Eisenacher Kollege sei "voller Mißtrauen immer wieder auf diesen Vorgang" - gemeint ist die angebliche Zusammenarbeit mit der Gestapo - zurückgekommen.75 Noch am Abend des Regierungsgespräches hat Krummacher Bischof Jänicke und weiteren leitenden kirchlichen Mitarbeitern ausführlich berichtet, auch über die gegen ihn gerichteten Angriffe. Am nächsten Tag unterrichtete er Noth, der wegen der vorgesehenen Presseerklärung nach Berlin gekommen war. Seinem Stellvertreter Mitzenheim, aber auch Noth und Jänicke, teilte er schriftlich mit, daß er seine Funktion als Vorsitzender vorläufig als ruhend betrachte. Er bat Mitzenheim, baldmöglichst eine außerordentliche Bischofskonferenz einzuberufen, auf der die Frage des Vorsitzes und der weiteren kirchenpolitischen Linie zu klären seien.76 Am 13. März lud die Berliner Kirchenkanzlei zum 19. März, 11.00 Uhr, zu einer außerordentlichen Bischofskonferenz und um 14.00 Uhr zu einer außerordentlichen Sitzung der Konferenz der Kirchenleitungen ein.77

Noch vor dieser Sitzung erhielt Krummacher eine Vertrauensbekundung der Mecklenburgischen Landessynode mit der Aufforderung, seinen verantwortungsvollen Dienst unbeirrt fortzusetzen. Später äußerte sich die Berliner Kirchenleitung ähnlich.78 Untätig blieb auch die Gegenseite nicht. Drei Tage nach dem Regierungsgespräch beauftragte die Stasi ihren geheimen Informator "Berg", den Rektor des Eisenacher Katechetenseminars, Walter Grundmann, mit einer Ausarbeitung über das "faschistische Kirchliche Außenamt". Der ehemalige DC-Theologe sollte auch Mitzenheim in seinem "schweren Kampf mit dem Bischof Krummacher" beistehen.79 Ob und wie er diesen Auftrag ausführte, ist nicht bekannt.

Mitzenheim war ebenfalls in der Sache aktiv. Er verschaffte sich vor der Bischofskonferenz Einblick in die Auszüge aus den Kriegspredigten Krummachers und fertigte eigene Abschriften an. Auch die besagten Schreiben des Kirchlichen Außenamtes konnte er im Staatssekretariat für Kirchenfragen kurz einsehen. Auf seine Bitte hin war das Material über Willi Barth vom MfS besorgt worden.80 Vereinbarungsgemäß sprach er am Morgen der außerordentlichen Bischofskonferenz vom 19. März noch einmal bei Seigewasser vor. Seigewasser berichtet, Mitzenheim habe die Kriegspredigten "als schwarz-weiß-rot und Hakenkreuz" beurteilt und immer wieder erklärt, "daß kein Geistlicher gezwungen war, so zu predigen".81 Mitzenheim unterrichtete Krummacher unmittelbar vor der Konferenz von seiner Einsichtnahme in die Unterlagen. Der Beschuldigte hatte bereits Noth und Generalsuperintendent Führ gebeten, die Materialien, um deren Beschaffung er sich umgehend beim Kirchlichen Außenamt in Frankfurt bemühte, ohne Rücksicht auf seine Person zu prüfen.82

Außerordentlich spannungsvoll ist am Abend des 19. März die Bischofskonferenz verlaufen. Mitzenheim erhob Einspruch gegen ein offizielles Vertrauensvotum für Krummacher. Er konnte aber nicht verhindern, daß die Bischöfe Krummacher weiter im Amt des Vorsitzenden beließen und er dieses Amt auch am nächsten Tag bei der Sitzung der Konferenz der Kirchenleitungen ausübte.83 Wohl nur mit Mitzenheims Erbitterung ist es erklärbar, daß er anschließend bedenklich detailreich Seigewasser über den Verlauf beider Sitzungen berichtete, was dieser wiederum der ZK-Arbeitsgruppe weitergab.84 Um Mitzenheim zu stützen, bestätigte ihm Seigewasser am 14. April mit einem offiziellen Schreiben, daß ihn die Regierung auf Grund des Verhaltens von Krummacher als Sprecher der Kirchen für alle zentralen Fragen anerkenne.85 Dieser Vorgang führte zu einem neuen Konflikthöhepunkt in der Bischofskonferenz am 10. Mai. Mitzenheim hatte Krummacher in einem persönlichen Gespräch unmittelbar vor der Sitzung von diesem Schreiben unterrichtet. Den Vorschlag der Ämterteilung in Vorsitzender und Sprecher wies Krummacher zurück. Er nötigte Mitzenheim, den Bischöfen das Schreiben zur Kenntnis zu geben. Die Reaktionen waren heftig. Hatte ihn Krummacher vorher schon auf die Gefahr, zu einer Art Staatskommissar gemacht zu werden, aufmerksam gemacht, so bekam er nun sogar einen Vergleich mit Reichsbischof Müller zu hören. Krummacher notiert in seinen "Memorabilia", daß niemand bereit war, Mitzenheim zu folgen. Er weist auch auf die Tragweite dieser Entscheidung hin und deutet an, daß hier eine kirchenpolitische Weichenstellung in Richtung mancher osteuropäischer Diasporakirchen vermieden wurde.86 Wiederum berichtete Mitzenheim, diesmal begleitet von seinen Kirchenleitungsmitgliedern Lotz und Braecklein, dem Staatssekretär am 12. Mai von den - aus seiner Sicht - "erschütternden" Erfahrungen. Er deutete auch die Möglichkeit an, daß Krummacher im Juli wieder zum Vorsitzenden gewählt werde. Seigewasser interpretierte diesen Fall als "demonstrative Entscheidung im Sinne eines unfreundlichen Aktes gegen die Regierung".87

Noch einmal kam es zu einer heftigen Kontroverse über die Sprecherfunktion in der Bischofskonferenz am 6. Juni. Mitzenheim erhielt auch für die Einschränkung, das Amt des Sprechers nur im Falle einer Beauftragung durch die Bischofskonferenz auszuüben, keine Unterstützung. Daraufhin teilte er am 27. Juni Krummacher mit, er werde an der Neuwahl des Vorsitzenden am 6. Juli nicht teilnehmen und stehe auf Grund der jüngsten Erfahrungen auch als Kandidat nicht zur Verfügung. Er sei aber bereit, weiterhin als Stellvertreter zu fungieren, falls man anstelle der Wahl den bisherigen Status prolongieren wolle.88 Krummacher antwortete ihm noch vor dem Wahltermin in einem persönlichen Schreiben, es mache ihn besorgt, daß er den anderen Bischöfen nicht abnehme, es gehe ihnen "um den rechten Weg der Kirche in dieser Zeit, ... um die Freiheit kirchlichen Handelns von jeder fremden Bindung".89

Die Wahl am 6. Juli 1962 in der Stoecker-Stiftung in Berlin verlief ohne Eklat, wenn auch nicht ohne Spannungen. Mitzenheim ließ sich durch Lotz und Braecklein vertreten. Diese gaben Erklärungen ab und bemängelten den Verzicht auf eine Personaldebatte. In getrennten Wahlgängen wurden jeweils mit sieben Stimmen gegen eine Enthaltung (Braecklein als Vertreter Thüringens) Krummacher als Vorsitzender und Noth als Stellvertreter gewählt. Auf Vorschlag Krummachers leitete die Wahl der dienstälteste Jurist, der Präsident des Schweriner Oberkirchenrates Konrad Müller. Die Sitzungsteilnehmer ahnten nicht, daß Müller schon sechs Jahre als IM "Konrad" für die Stasi tätig war.90 Auf ihn geht wohl einer der ausführlichen geheimen Berichte über den Wahlverlauf zurück.91

Mitzenheim wurde mit offiziellen Dankschreiben aus seiner bisherigen Funktion eines stellvertretenden Vorsitzenden verabschiedet.92 Im Einvernehmen mit den anderen Bischöfen hat ihn Krummacher in Eisenach aufgesucht. Nach zwei langen und sehr offenen Gesprächen am 21. und 22. September 1962, in dem es vor allem um den Unterschied zwischen dem historischen Bekenntnis und dem aktuellen Bekennen ging, trennten sie sich sachlich ohne Ergebnis, aber in etwas freundlicherer Atmosphäre.93

Krummacher und Noth haben noch am Tag der Konferenzsitzung dem Staatssekretär für Kirchenfragen offiziell vom Wahlergebnis Mitteilung gemacht und um die Möglichkeit eines Besuches gebeten.94 Partei und Staat waren aber nicht gewillt, den nach ihrer Überzeugung "von den westberliner und westdeutschen Vertretern der Militärkirche" inspirierten provokatorischen Wahlausgang hinzunehmen. Diesen Standpunkt vertrat der Leiter der Arbeitsgruppe Kirchenfragen, Willi Barth, in seiner Vorlage für das Politbüro am 12. Juli 1962.95 Sein Vorschlag, Krummacher zu isolieren, wurde im Politbürobeschluß vom 17. Juli 1962 aufgegriffen und präzisiert: "Krummacher und sein Stellvertreter sollen für einige Zeit völlig ignoriert werden, wobei man gleichzeitig jede Gelegenheit benutzen muß, um Bischof Mitzenheim in den Vordergrund zu stellen".96 Danach wurde verfahren. Barths Maßnahmenkatalog galt dabei als Handlungsanweisung, vor allem für die Pressekampagne gegen Krummacher auf Grund des Materials aus dem 3. Reich. Die Beteiligung der CDU-Presse und "von fortschrittlichen Geistlichen und Theologen" wurde gleichfalls durch das ZK in Gang gesetzt. Weitere Schritte gegen den Greifswalder Bischof kamen hinzu, beispielsweise ein Ausreiseverbot.97 Der erneute Einbau von Abhörtechnik in die Wohnung des Bischofs durch die Stasi ist offensichtlich ebenfalls im Zusammenhang mit Krummachers Engagement in der Wehrpflichtfrage beschlossen worden. Die Vorbereitungen waren aber schon in Gang, als das Politbüro den Maßnahmenbeschluß faßte. Erst am 10. August 1962 konnte diese konspirative Aktion vollzogen werden.98

Krummacher bemühte sich vergeblich um ein klärendes Gespräch beim amtierenden Ministerpräsidenten Stoph. Am 10. Oktober wandte er sich mit einer schriftlichen Erklärung an ihn, in der er klar zu den Vorwürfen vom 12. März Stellung nahm und die Echtheit seiner Wende von 1943 bekräftigte. Er wies aber auch darauf hin, daß er gegenüber der Regierung stets im Auftrag der Mitbischöfe und im Sinne des Kommuniqués vom 21. Juli 1958 gehandelt habe. Eine Antwort hat er wohl nicht erhalten.99

Die SED-Führung glaubte offenbar, trotz der Niederlage in den Plänen für den Vorsitz bei den zentralkirchlichen Leitungsgremien die kirchenpolitische Situation in den Griff bekommen zu haben. Ende November 1962 wird in einer umfangreichen ZK-Information über die evangelischen Landeskirchen in der DDR die Überzeugung geäußert, die Politik von Partei und Regierung gegenüber den Kirchen sei richtig und erfolgreich. Unter den kirchlichen Amtsträgern mache "sich ein langsamer, aber deutlicher Differenzierungs- und Klärungsprozeß bemerkbar". Nach wie vor sei Mitzenheims Position "weiter zu festigen und zu unterstützen". Krummachers Einfluß aber sei "weiter zurückzudrängen".100 Zu diesem Zeitpunkt zeichnete es sich bereits ab, daß die Taktik der Isolierung Krummachers nicht mehr allzu lange durchzuhalten war. Seinem eigenen taktischen Konzept und seiner Erfahrung entsprechend, ergriff er die Initiative. Er ließ durch seinen Stellvertreter in der Greifswalder Kirchenleitung, Willi Woelke, auf Bezirksebene sondieren. Am 15. Januar 1963 gratulierte er Volkskammerpräsident Johannes Dieckmann, mit dem er schon früher gelegentlich Kontakt gehalten hatte, persönlich und im Namen der Kirche herzlich zum 70. Geburtstag.101 Als Staatssekretär Seigewasser am 5. Februar 1963 zu einer Aussprache mit den Superintendenten und Pfarrern der beiden Greifswalder Ephorien nach Greifswald kam, ließ ihm Krummacher durch seinen persönlichen Referenten die Bitte um einen Besuch im "Bischofssitz" nach der Veranstaltung überbringen. Der überraschte Staatssekretär mußte erst durch die Vertreter der Bezirksleitung Rostock und der lokalen Behörden überredet werden, "diesem Wunsch des Bischofs nachzukommen". Sie hatten Kenntnis davon erhalten, daß Krummacher die Superintendenten über sein Vorhaben informiert hatte. Bei diesem Gespräch unter vier Augen, das mit seiner Berichterstattung von staatlicher Seite eine Reihe quellenkritischer Fragen aufwirft, bemühte sich Seigewasser, den Bischof für eine öffentliche Stellungnahme zu Ulbrichts deutschlandpolitischem "Sieben-Punkte-Programm" vom VI. Parteitag der SED (15. bis 21. Januar) zu gewinnen.102 Trotz aller Bedenken griff Krummacher diesen Impuls auf, stellte aber seine Äußerung bewußt in einen ökumenischen Rahmen. Am 21. Februar 1963 gab er dem Evangelischen Nachrichtendienst Ost (eno) als Mitglied der ökumenischen "Kommission der Kirchen für Internationale Angelegenheiten" (CCIA) ein Interview, in dem er sich für die Entspannungspolitik aussprach und dabei Ulbrichts "Sieben-Punkte-Programm" als einen ernster zu prüfenden Vorschlag erwähnte.103 In der Hoffnung auf die ganze Hand, ergriffen die SED-Strategen bereitwillig den ausgestreckten Finger. Der Kontakt sollte zuerst auf Bezirksebene wieder probiert werden. Das empfahl ein Stasigutachten vom 04. März 1963 mit der bezeichnenden Begründung, das Regierungsgespräch am 12. März 1962 "wäre ein Wendepunkt im Denken des Bischofs" gewesen.104 Der Kurzschluß bei dieser Sicht der Dinge liegt auf der Hand. Es liegt deshalb nahe, sich der Frage nach einer sachgemäßen Beurteilung des Vorgangs vom 12. März 1962 und seinen Folgen zu stellen.

6. Konturen einer Beurteilung nach dem Ende der DDR

Die Signale für eine gewisse kirchenpolitische Entkrampfung gegen Ende des Jahres 1962 wurden von kirchenleitender Seite durchaus festgestellt, aber auch nüchtern eingeschätzt.

Bei einer "Begegnung der Kirchenführer aus Ost und West" am 30. November 1962 in Berlin wurden die Berichte aus den Landeskirchen auf die Formel gebracht, es bestehe eine "gewisse Dialektik der Situation". Der Verbesserung des Klimas stehe der Programmentwurf der SED gegenüber. Das zeige, wie relativ dies alles sei.105 Gänzlich erfolglos war der kirchliche Vorstoß in der Wehrpflichtproblematik nicht geblieben, zumal Presseäußerungen nach der Veröffentlichung des Wehrpflichtgesetzes irgendwelche Differenzierungen auszuschließen schienen. Paul Fröhlich, bekannt durch seine stalinistische Linie als 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED von Leipzig und Vorsitzender des Ständigen Ausschusses für Nationale Verteidigung der Volkskammer, hatte auf einem Forum der Nationalen Front in Leipzig pazifistische Auffassungen unter den Bedingungen des Arbeiter- und Bauernstaates als "sehr schädlich und gefährlich" bezeichnet. Der CDU-Funktionär Heinrich Toeplitz, Präsident des Obersten Gerichts der DDR, behauptete bei einem Telefon-Forum gar, "wer sich der Landesverteidigung entziehe, stelle sich auf die Seite derjenigen, die einen Krieg vorbereiten".106 Angesichts derartiger "Vorgaben" konnte es wohl zu Recht als Teilerfolg gelten, wenn die Musterungskommissionen nach dem Gespräch vom 12. März 1962 zu einem flexiblen Vorgehen angewiesen wurden.

Zumindest im Blick auf die kirchlichen Ausbildungsstätten erbrachte eine Berichtsrunde in der Sitzung der Konferenz der Kirchenleitungen am 27. September 1962, daß nicht überall gleich verfahren, aber im großen und ganzen den Anträgen auf Rückstellung entsprochen wurde.107 In der Frage des Eides konnte wenigstens die Bestätigung erlangt werden, daß er rein säkular und nicht weltanschaulich zu verstehen ist. Die Kirchen wiesen darauf hin, daß für Christen die Forderung des unbedingten Gehorsams ihre Grenze im ersten Gebot findet. Diese Ergebnisse wurden nicht als befriedigend empfunden, da sie auf mündlichen Zusagen oder gar nur angekündigten Möglichkeiten basierten und eine Rechtsgrundlage fehlte.108 Vermutlich sind diese Debatten und Verhandlungen aber auch als eine Vorstufe für die Regelung von 1964, Baueinheiten einzurichten, einzuordnen. Erst da wurde jungen Christen insgesamt eine Alternative zum Dienst mit der Waffe ermöglicht. Konfliktreich war auch diese Entscheidung. Sie war in der Regel mit erheblichen Nachteilen für die Betroffenen verbunden.109

Die intensive Auseinandersetzung mit der Wehrpflichtproblematik ist trotz ihrer begrenzten Ergebnisse für den Klärungsprozeß innerhalb der Kirchen in der DDR nicht zu unterschätzen. Die Aufforderungen zur seelsorgerlichen Vorbereitung und Begleitung von Wehrpflichtigen in den erwähnten Schreiben der Landeskirchen an Superintendenten und Pfarrer nach Veröffentlichung des Wehrpflichtgesetzes standen nicht nur auf dem Papier. Sie wurden vielfach mit großem Engagement in die Tat umgesetzt. In Krummachers Gesprächen mit Vertretern der kirchlichen Praxis in den Gemeinden und in der Arbeit mit Studenten ist diese Thematik 1962 stets als ein Schwerpunkt anzutreffen. Das belegen vor allem Niederschriften der von der Stasi abgehörten Gespräche.110 Am deutlichsten entwickelte sich bei ihm die Meinungsbildung zur Frage, ob ein ordinierter Pfarrer Waffendienst leisten sollte. Als am 2. Juli 1962 in der Tagespresse der Hinweis erschien, daß in Kürze mit der Erfassung der Jahrgänge 1937 bis 1939 auf Grund des Wehrpflichtgesetzes zu rechnen sei, regte er noch am gleichen Tag entsprechende personelle Übersichten in den Landeskirchen und eine Absprache leitender theologischer Referenten auf zentraler Ebene an. Vor allem aus Urlaubsgründen konnte eine entsprechende Zusammenkunft erst am 30. Juli 1962 realisiert werden.111 Seine Position ließ Krummacher in schriftlicher Form den leitenden Geistlichen der Landeskirchen und der gliedkirchlichen Zusammenschlüsse zugehen. "Unbeschadet aller theologischer Erwägungen" vertrat er "ganz entschieden" die Meinung, "unter allen Umständen für die ordinierten Amtsträger die Rückstellung vom Wehrdienst mit der Waffe" zu beantragen. Zwei Gründe bewegten ihn dazu: 1. Die geringe Möglichkeit eines einfachen Soldaten, seelsorgerlich zu wirken und die Unabkömmlichkeit von jüngeren Pfarrern in den Gemeinden in Notzeiten. 2. "Unsere Gemeinden können nach den jahrelangen Erörterungen über ,Christ und Krieg’ es einfach nicht ertragen, daß ordinierte Pfarrer zugleich Waffenträger sind. An diesem Punkt wird ganz deutlich, daß sich das Waffenhandwerk nicht mit der Verkündigung des Evangeliums und der Austeilung der Sakramente in Einklang bringen läßt. Man muß hier einfach auf das schlichte Empfinden der Christen im Atomzeitalter Rücksicht nehmen".112 Diese seelsorgerliche Begründung konnte eine theologische Klärung nicht ersetzen. Sie blieb vermutlich für Krummacher selbst, auch durch die kirchenpolitische Situation bedingt, letztlich offen. Das gilt erst recht für den Kreis der Bischöfe, der nach der Erinnerung von Johannes Jänicke nicht nur im Blick auf diesen Problemkreis "unter einem weiten Spannungsbogen persönlicher und sachlicher Art gestanden hat".113

Krummachers vorrangiges Interesse am seelsorgerlichen Aspekt, seine kirchenpolitische Erfahrung und eine gewisse diplomatische Veranlagung haben ihm vor allem bei der staatlichen Seite den Ruf eines schwer zu stellenden Taktikers eingetragen. Nach dem Eklat vom 12. März 1962 ist im Gespräch mit Staatssekretär Seigewasser gegenüber Präses Figur sogar die plakative Äußerung gefallen, Krummacher sei "ein Mann mit drei Gesichtern".114 Der Bischof selbst sah sich in seinen Äußerungen und in seinen Entscheidungen letztlich im biblischen Auftrag und im reformatorischen Bekenntnis verankert. Sein Verhältnis zum Staat war diesem Verständnis verpflichtet. "Der Staat ist Obrigkeit im biblisch-reformatorischen Sinne", lautete die erste der 12 Thesen seines Referates über "Die Fragen des Verhaltens des Christen und der Kirche zum Staat", das er am 4. Februar 1958 in einer Sitzung des Rates der EKD gehalten hat. Er war sich darüber im klaren, daß im Weltanschauungsstaat der DDR "eine unbefangene Anwendung der Zweireichelehre gar nicht ohne weiteres möglich ist". Neben der Respektierung des Staates als Ordnungs- und Erhaltungsmacht habe die Kirche die Aufgabe, "Mund der Stummen" zu sein und den Staat immer wieder auf seine Grenzüberschreitungen, vorrangig auf dem Gebiet der Erziehung und des Rechts, anzusprechen.115 Diese schwierige Gratwanderung traf auf seiten des Staates nicht auf Verständnis. In politisch sensiblen Situationen wie in der Wehrdienstfrage wurde nicht nur erwartet, daß die Entscheidungen der Partei und des Staates respektiert, sondern daß sie öffentlich unterstützt wurden. In der Kirchenpolitik schloß diese Erwartung in der Regel auch kritische Stellungnahmen gegen die EKD und ihre leitenden Persönlichkeiten in der Bundesrepublik ein.116

Erschwert wurde Krummachers Bemühen, eine eigenständige Position zu bewahren, nicht nur durch die politische Konstellation und den unüberbrückbaren Gegensatz zwischen christlichem Glauben und der Weltanschauung des Marxismus-Leninismus. Durch seine Funktion als Vorsitzender der Konferenz der Bischöfe und der Konferenz der Kirchenleitungen, dazu seine Verflechtung mit der Leitung der EKD als Ratsmitglied, konzentrierten sich die Konflikte zwischen Kirche und Staat in der DDR in besonderer Weise auf seine Person. Unterstellungen und Verdächtigungen, zumal bei der Wehrdienstproblematik, waren vor allem die Äußerungen ausgesetzt, in denen sich Krummacher wie andere Vertreter der Kirchenleitungen in der DDR auf die gemeinsame Geschichte mit den Kirchen in der Bundesrepublik beriefen und nur bedingt bereit waren, politische Grenzen für die Verbundenheit im Glauben und Leben der Kirchen gelten zu lassen.117

Nicht gerade entlastend wirkte in diesen Spannungen, daß es Krummacher wie anderen Vertretern der Kirche oft genug schwer fiel, sich schon in der Sprachregelung auf die politische Realität einzustellen. Im Memorandum, das er am 12. März 1962 Stoph vortrug, hielt sich Krummacher beispielsweise noch an den traditionellen kirchlichen Terminus "Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen", der in der Bundesrepublik auch offiziell in Geltung war. Erst in der Zusammenfassung der Gesprächsergebnisse dieses Tages und in seinem Hirtenbrief vom 22. März 1962 griff er den von Stoph und auch sonst in der DDR verwendeten Begriff "Wehrdienstverweigerung" auf.118 In der verwendeten Begrifflichkeit sahen die Funktionäre von Partei, Staat und MfS nur Symptome für eine generelle "Westlastigkeit" der Kirche in der DDR, insbesondere des Vorsitzenden der beiden zentralen kirchlichen Leitungsgremien.

In der Überzeugung, daß seine Tätigkeit ständig überwacht werden müsse, waren sich alle drei Institutionen einig. Sie wirkten für dieses Ziel auch lückenlos zusammen. Die inoffizielle Berichterstattung ist sowohl in der zeitlichen Dauer, als auch in der Intensität im kirchlichen Bereich ohne Analogie. Allein die Aktenüberlieferung der Bezirksverwaltung Rostock des Ministeriums für Staatssicherheit umfaßt über 2200 Blatt. Seine Leitungsverantwortung mußte Krummacher wie in einem Glashaus wahrnehmen. Die Gespräche und Sitzungen in der Bischofswohnung und im Konsistorium waren mehrfach längere Zeit durch Abhörtechnik kontrollierbar. Im Konsistorium war mit Dr. Weber ein leitender Mitarbeiter als IM "Bastler" installiert worden, der nicht nur Gesprächs- und Verhandlungsergebnisse sowie alle wichtigen kirchlichen Unterlagen bis zu Personal- und Haushaltsplänen der Landeskirche umgehend den Offizieren des MfS übermittelte, sondern das dunkle Geschäft auf zentralkirchlicher Ebene gleichfalls betrieb, soweit er dazu Gelegenheit hatte.119 Hierfür standen dem MfS aber vor allem die leitenden Kirchenjuristen Thüringens, OKR Lotz alias IM "Karl", und Mecklenburgs Präsident Müller, alias IM "Konrad" zur Verfügung. Lotz gegenüber wurde in kirchlichen Kreisen außerhalb Thüringens wegen seiner offenen staatsnahen Haltung eine gewisse Distanz gewahrt.120 Krummacher begegnete mit der Zeit auch Weber mit einem gewissen Mißtrauen, vor allem seit dem Konflikt um die Wehrpflichtfrage.121 Häufige Handwerkerarbeiten im Bischofshaus nährten den Verdacht, daß eine Abhöranlage vorhanden sein könnte.122 Ab und zu sorgten überdies rätselhafte Vorgänge dafür, mit Aktivitäten des Staatssicherheitsdienstes zu rechnen. So stellte sich beispielsweise 1967 heraus, daß das Faszikel über den Eklat um das Wehrpflichtgesetz im März 1962 aus den Akten der Bischofssekretärin verschwunden war.123

Krummacher hat sich zum Verdacht der Bespitzelung durch den Staatssicherheitsdienst nicht nur im internen Gespräch geäußert. Er ist auch in der kirchlichen Öffentlichkeit in die Offensive gegangen. Auf der Tagung des Generalkonvents am 16. Januar 1962 in Züssow hat er an die kirchliche Brüderlichkeit appelliert. Er hat die kirchlichen Amtsträger aufgefordert, sich nicht für Spitzeldienste werben zu lassen und sich bei solcherart Verstrickungen vertrauensvoll an ihn zu wenden. Er würde auch dafür sorgen, daß erpreßte Verbindungen beendet würden.124 Es war für ihn eine besonders schmerzliche Erfahrung, nach dieser Ermahnung an den theologischen Details in den staatlichen Reaktionen erkennen zu müssen, daß sich auch diesmal Pfarrer für Zuträgerdienste hergegeben hatten.125

Ähnlich verletzt haben ihn Mitzenheims Sonderkontakte mit der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen nach dem Eklat vom 12. März 1962 und im Vorfeld der Wahl des Vorsitzenden der zentralkirchlichen Leitungskonferenzen. Auf einer Informationskonferenz für Superintendenten seines Kirchengebietes soll er offen gesagt haben, "Bischof Mitzenheim werde nach seiner Meinung staatlicherseits mißbraucht".126 In der Verbitterung über seine Isolierung in den zentralkirchlichen Leitungsgremien hat sich Mitzenheim auf jeden Fall über die vorgeblich redlichen Absichten und die Vertrauenswürdigkeit seiner staatlichen Gesprächspartner täuschen lassen. Die "Enthüllungen" über Krummachers "nationalsozialistische Vergangenheit" haben einen nicht geringen Anteil daran. Für die Pommersche Kirche waren Anwürfe dieser Art seit der Kampagne gegen Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier und Krummachers ehemalige Kontakte zu ihm nicht mehr ganz neu.127 Am Abend des 11. Juli 1961, nach dem gewaltsamen Abbruch einer Berlinreise, hatte der Ratsvorsitzende des Bezirkes Rostock, Harry Tisch, diese Vorwürfe erneuert.128 Im Monat darauf, am 20. August, ist ihm nach dem Protesttelegramm gegen die Maßnahmen vom 13. August (Mauerbau) in einem Konfliktgespräch bei dem neuen Ratsvorsitzenden des Bezirkes Rostock, Karl Deutscher, vom Chef der Bezirksbehörde der Volkspolizei Nyffenegger auch schon die Veröffentlichung von "Daten aus seiner Vergangenheit" angedroht worden.129 Krummacher hat diese Gefahr offensichtlich unterschätzt. Erst nach dem Eklat vom 12. März 1962 hat er in den zentralkirchlichen Gremien ausführlicher zu den Anwürfen Stellung genommen und sich um die Überprüfung von Schreiben des Kirchlichen Außenamtes bemüht.130

Die Anschuldigung, er habe sich nicht wirklich von der Zeit des Nationalsozialismus abgewendet, ließ er zu Recht nicht gelten. Im Brief an Stoph vom 10. Oktober 1962 nannte er noch einmal die Basis für seine tiefgehende endgültige Neuorientierung seit der Gefangennahme 1943: Die ehrliche Erkenntnis der Mitschuld auch der Christen an der deutschen Vergangenheit, das Stuttgarter Schuldbekenntnis, das er zugleich als sein "eigenes Bekenntnis" mitvollzogen habe, seine öffentlichen Berichte über Babi Jar und das Regime Hitlers, sein Aufruf, dem Eid auf den "verbrecherischen Führer" den Gehorsam zu verweigern sowie die Mitarbeit im Nationalkomitee Freies Deutschland insgesamt. Mögliche Kritiker im Raume der Kirche verwies er auf dieselbe Grundlage.131 Da die kirchenpolitischen Absichten von SED und Regierung der DDR, eine gefügigere Leitung der zentralkirchlichen Gremien in der DDR und die Trennung der DDR-Kirchen von den Gliedkirchen der EKD in der Bundesrepublik und in Westberlin zu erreichen, schnell durchschaut wurden, erwog Krummacher auch den Rücktrittsgedanken nicht. Die Lehre von 1933, daß man "mit einer solchen Geste eines Gentleman ... die Türen für unerwünschte Elemente" öffnet, beherzigten er wie fast alle seine Mitbischöfe.132 Als weitere Schlußfolgerung aus der Vergangenheit kam die Erkenntnis hinzu: "Die Kirche des Evangeliums hat jedem Mißbrauch ihrer Botschaft zur Untermauerung politisch und historisch bedingter Ideologien zu widerstehen".133 Im großen und ganzen wurde die Freiheit der evangelischen Kirche in der DDR 1962 gewahrt.

In seinen persönlichen Aufzeichnungen zu 1962 gibt Krummacher an, die Fragen um die Wehrpflicht und die um den
Vorsitz in der Konferenz der Kirchenleitungen hätten ihn "persönlich in diesem Jahr vornehmlich beansprucht". Das, was die Kirche überhaupt in diesem Jahr beschäftigt hat, deutet er in neun weiteren Stichworten an: Arnoldshainer Abendmahlsthesen, Erziehungsfrage, Wandlungsprozeß in den Dörfern, Tauffrage, Konfirmationsproblem, Gemeindeaufbau, Zurüstung von Laien, Verstehen des Sozialismus, "Brot für die Welt". Von der Vielzahl der Termine, die er wahrzunehmen hatte und die er auflistet, hängt nur ein Sechstel mit dem Konflikt mit dem Staat zusammen.134 Ein Blick in meinen eigenen Amtskalender für 1962 bestätigt diesen Hinweis. Obgleich ich als Pfarrer in Leipzig in diesem Jahr einen der ersten Wehrdienstverweigerer zu beraten und zu begleiten hatte, fällt auf dieses besondere Engagement nur ein geringer Teil der Termine, die ich dienstlich wahrzunehmen hatte.

So belastend die Wehrdienstproblematik für die betroffenen Jahrgänge, für manche Pfarrer und für die Kirchenleitungen war, den Alltag des kirchlichen Lebens insgesamt bestimmte sie nicht. Aus gehöriger Distanz zu den Konflikten um die Wehrpflicht war es sogar möglich, in einem Jahresrückblick neben der Zwischenüberschrift "Nach wie vor Spannungen" auch diese zu verwenden: "Das Jahr 1962 war ein ruhiges Jahr".135 Die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Susan Sontag hat daran erinnert, daß "die Erlebnisweise einer Ära ... nicht nur ihr entscheidender, sondern zugleich ihr vergänglichster Aspekt" ist.136 Das gilt es im Blick zu behalten, wenn im Vorstehenden anhand der meist ungedruckten Überlieferung der Konflikt um die Einführung der Wehrpflicht und die Kampagne gegen den Vorsitzenden der beiden zentralkirchlichen Konferenzen 1962 rekonstruiert wurde. Für Bischof Friedrich-Wilhelm Krummacher war dieses Jahr allerdings in einem besonderen Ausmaß eine schwierige Zeit.

Summary

Stasi policy’s long arm can be felt in particular matters including Church-State relations right up to the present. Since the recent opening-up of the archives it is possible to make corrections at last; in this case apropos the discussions between Church and State representatives on 12 March 1962 about the issues concerning the introduction of military conscription. The strategy and formulation of Prime Minister Willy Stoph were fixed in fact by a decision of the SED Central Committee long before Stoph’s own formulation. The MfS was also involved in the preparatory phase.

However, the aim to discredit bishop Friedrich-Wilhelm Krummacher as chairman of the Council representing the governing bodies of the GDR Protestant churches (EKL), and replace him with his deputy, bishop Moritz Mitzenheim, was not achieved. Krummacher was re-elected as chairman despite the State’s attempts to influence events. Within the Church, the State’s policy of divide and rule led to considerable tension. On the other hand, the Church’s involvement in the military conscription issue was not without success. The events of 1962 are exemplary in a number of ways.

Fussnoten:

* Vorlesung zur Eröffnung des Sommersemesters an der Theologischen Fakultät der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, 1. April 1998

1) Ehrhart Neubert: Geschichte der Opposition in der DDR. Bonn 1997, 187 = Bundeszentrale für politische Bildung; Schr.-R; 346.

2) Die Wehrpflicht und die Christen in der DDR. Indem wir die Staatsgrenze schützen, gewährleisten wir auch das ungestörte Leben der Kirchen. Neue Zeit Nr. 66 vom 18. März 1962; Horst Dohle, Klaus Drobisch, Eberhard Hüttner, Günter Wirth u. a. [Bearb.]: Auf dem Wege zur gemeinsamen humanistischen Verantwortung. Eine Sammlung kirchenpolitischer Dokumente 1945 bis 1966 unter Berücksichtigung von Dokumenten aus dem Zeitraum 1933 bis 1945. Berlin 1967, 385-392; hier mit der vagen Terminangabe "Mitte März 1962" unter der Überschrift: Erklärung des Vorsitzenden des Ministerrates Willi Stoph gegen-über Landesbischof D. Dr. Mitzenheim und Bischof D. Krummacher zur Frage der allgemeinen Wehrpflicht.

3) Drucke des 73. Rundbriefes von Mitzenheim 1962: Kirche in der Zeit 23 (10. Juli 1962), 410-413; Kirchliches Jahrbuch für die Evangelische Kirche in Deutschland 89 (1962) 199-201 (= KJ). Noch 1969 wurde der Druck in einer Aufsatzsammlung Mitzenheims verhindert. Oberkirchenrat Gerhard Lotz übernahm den Auftrag, Mitzenheim zu überzeugen, seinen Sammelband "Rufe in die Zeit" zurückzuziehen. Das geschah, vgl. Siegfried Bräuer/Clemens Vollnhals [Hrsg.]: "In der DDR gibt es keine Zensur". Die Evangelische Verlagsanstalt und die Praxis der Druckgenehmigung 1954-1989. Leipzig 1995, 206-209. Neudruck des 73. Rundbriefes vgl. Thomas Bjorkman [Hrsg.]; Ein Lebensraum für die Kirche. Die Rundbriefe von Landesbischof D. Mitzenheim 1945-1970. Lund 1991, 278-281. = Bibliotheca Historico-Ecclesiastica Lundensis; 28.

4) Vgl. Hans Gerhard Koch: Staat und Kirche in der DDR. Zur Entwicklung ihrer Beziehungen von 1945-1974. Darstellung, Quellen, Übersichten. Stuttgart 1975, 77-79; Horst Dähn: Konfrontation oder Kooperation? Das Verhältnis von Staat und Kirche in der SBZ/DDR 1945-1980. Opladen 1982, 93. = Studium zur Sozialwissenschaft; 52.

5) Joachim Heise: "Ich mache keinen Versuch der Selbstrechtfertigung ...". Bei der SED-Spitze unbeliebt, aber dem sowjetischen Geheimdienst verpflichtet - Notizen über Bischof Friedrich-Wilhelm Krummacher - Neues Deutschland, 31. Juli/1. August 1993, 3. Vgl. auch Horst Dähn: DDR-Protestantismus und Kriegsdienstverweigerung. Interpretation eines bisher nicht veröffentlichten Dokuments vom 12. März 1962. Berliner Dialog-Hefte. Sonderheft 1993, 24-31.

6) Joachim Heise [Bearb.]: SED und Kirche. Eine Dokumentation ihrer Beziehungen. Hrsg. von Frédéric Hartweg. Bd. 1: 1946-1967. Neukirchen-Vluyn 1995, 365-390. Dok. 70-72 = Historisch-Theologische Studien zum 19. und 20. Jahrhundert (Quellen); 2/1.

7) Gerhard Besier: Der SED-Staat und die Kirche. Der Weg in die Anpassung. München 1993. Zum Beispiel beginnt das lange Zitat aus dem bislang ungedruckten Schriftstück von Erwin Wilkens "Unsere" statt "Die". In der zweiten Zeile fehlen nach "die Kirche" die verstärkenden Worte "auf alle nur mögliche Weise" (497), desgleichen am Ende der Hinweis, daß man diesen Schritt Hildebrandts "nicht überschätzen und nicht dramatisieren" dürfe (498). Nicht korrekt sind die Zitate aus den Äußerungen Stophs und Seigewassers wiedergegeben (499). Die Intention von Krummachers Verzicht auf Selbstrechtfertigung und seinem Bemühen um die jungen Christen bleiben unerwähnt bzw. sind mißverständlich formuliert (500).

8) Timothy Garton Ash: Im Namen Europas. Deutschland und der geteilte Kontinent. München/Wien 1993, 15.

9) Zur Politik der kleinen Schritte nach dem Mauerbau, über den Begriff der "Transformation" (1962) bis zur Formel "Wandel durch Annäherung" (1963) vgl. Egon Bahr: Zu meiner Zeit. München 1996, 149-157.

10) Vgl. Christoph Kleßmann: Zwei Staaten, eine Nation. Deutsche Geschichte 1955-1970. Göttingen 1988, 330-378; Hermann Weber, DDR. Grundriß der Geschichte. 1945-1990. Vollst. überarb. u. erg. Neuaufl. Hannover 1991, 97-128 = Edition Zeitgeschehen.

11) Jochen Staadt: Die geheime Westpolitik der SED 1960-1970. Von der gesamtdeutschen Orientierung zur sozialistischen Nation. Berlin 1993, 69. = Studien des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin.

12) Vgl. Bernd Eisenfeld: Kriegsdienstverweigerung in der DDR - ein Friedensdienst? Frankfurt a. M. 1978, 26. Dokument 3 f.

13) Vgl. Besier: SED-Staat, 421-432 (wie Anm. 7); Thomas E. Heck: EKD und Entspannung. Die Evangelische Kirche in Deutschland und ihre Bedeutung für die Neuformulierung der Ost- und Deutschlandpolitik bis 1969. Frankfurt a. M. 1996, 64-70.

14) KJ 88 (1961), 4.8-10 und 193-196. Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, DY IV 2/14/5, 48 (= SAPMO); Bundesarchiv Berlin, DO-4/2936 (= BAB).

15) KJ 88 (1961), 110-129. Krummachers Brief basierte auf einem Beschluß der 73. Kirchlichen Ostkonferenz vom 8. März 1961. Nach sorgfältiger Vorbereitung und kritischer Durchsicht des Entwurfs durch den Präsidenten der Kirchenkanzlei der EKU, Franz-Reinhold Hildebrandt und OKR Hans-Jürgen Behm von der Berliner Stelle der Kirchenkanzlei der EKD, gab er seinem Schreiben am 22. März 1961 die Endfassung, vgl. Landeskirchliches Archiv Greifswald, Best. 3 Nr. 40, 19-62 (= LKAG)

16) KJ 88 (1961), 129-134; SAPMO, DY IV 2/14/5, 9 f., 61-72.

17) vgl. BAB, DO-4/2393. Die in hoher Auflage als Sonderdruck verbreitete Antwort von Fuchs schickte Gerald Götting am 16. Mai 1961 Krummacher zu, vgl. LKAG, Best. 3 Nr. 40, 259.

18) Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (= BStU), AST Rostock, AKK 2507/76, Bd. 2, 36-38 (Maßnahmeplan zur Verhinderung der Teilnahme des Bischofs Krummacher aus Greifswald am Kirchentag in Westberlin, 10. Juli 1961); Evangelisches Zentralarchiv Berlin, 104/108: Aktenvermerk Behm zur Besprechung der Bischöfe, 12. Juli 1961 (= EZA).

19) SAPMO IV 2/14/5, 170. 191; BStU, ZA, AP 10668/92,3.

20) KJ 88 (1961), 76-80; EZA, 104/101: Niederschrift über die Sitzung der Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen am 6. Dezember 1961.

21) Besier: SED-Staat, 493 f. (wie Anm. 7).

22) BStU, AST Rostock, AKK 2507/76, 202-204. 206-211.

23) BStU, ZA, AP 10667/92, 123 f. (vermutlich Bericht IM "Bastlers" vom 10. Februar 1962 über Krummachers Information zum Seigewasser-Gespräch in der Kollegialsitzung vom 9. Februar 1961). Ebd., 125-129: Niederschrift über eine Aussprache mit Bischof D. Krummacher am 6.2.1962, von Fritz Flint.

24) Ebd., 130.

25) EZA, 104/630 (Bemühungen um eine Regelung für die Betreuung von Gliedern der evangelischen Kirchen innerhalb der Nationalen Volksarmee 1955-1957); Berlin 1956. Bericht über die außerordentliche Tagung der zweiten Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 27. bis 29. Juni 1956. Hannover [1956], 74-79. (Krummachers Gesprächsbeitrag am 27. Juni 1956).

26) EZA, 104/630 (Beschwerdefälle von 1957-1961).

27) Vgl. Friedemann Stengel: Die Theologischen Fakultäten in der DDR als Problem der Kirchen- und Hochschulpolitik des SED-Staates bis zu ihrer Umwandlung in Sektionen 1970/71. Theol. Diss. Halle 1996, 464-470 (Druck in Vorbereitung).

28) EZA, 104/101 (Niederschrift über die Sitzung am 6. Dezember 1961).

29) EZA, 104/630 (Krummacher an Behm, 25. Januar 1962).

30) Ebd. (Aktenvermerk Behm, 10. Februar 1962).

31) Martin Höllen: Loyale Distanz? Katholizismus und Kirchenpolitik in SBZ und DDR. Ein historischer Überblick in Dokumenten. Bd. 2. Berlin 1997, 332. Entgegen Höllens Annahme ist die staatliche Seite schon Anfang März 1962 durch ein Fernschreiben des MfS, BV Halle, über die Erklärung informiert worden, als Kirchenpräsident Martin Müller/Dessau auf der Tagung seiner Landessynode eine entsprechende Mitteilung Krummachers zur Kenntnis gebracht hatte, vgl. BStU, ZA, AP 10667/92, 122.

32) Friedrich-Wilhelm Krummacher: Memorabilia, Jg. 1962, 2 (Masch.-Manuskript im Besitz von Prof. Dr. Hans-Henrik Krummacher/ Mainz). Vermutlich hat bereits am 8. Februar Prälat Johannes Zinke, der seit der Begegnung Bengsch/Krummacher mit dem regelmäßigen Kontakt zur evangelischen Kirche in Person von OKR Christa Lewek beauftragt war, über die veränderte Position informiert.

33) BAB, DO-4/422 (Kurzbericht Flint über das Gespräch zwischen Mitzenheim und Seigewasser am 7. Februar 1962); dasselbe: SAPMO, DY IV 2/14/61, 54-56.

34) EZA, 104/630 (Vertraulicher Vermerk Krummachers am 9. Februar 1962 über die Sitzung am 8. Februar und Abschrift des Briefes von Krummacher und Mitzenheim an Grotewohl, 3. Februar 1962) An der Sitzung der lutherischen Bischöfe Beste, Mitzenheim und Noth, nahm Präsident Reimer Mager/Dresden als Ratsmitglied der EKD, die Oberkirchenräte im Lutherischen Kirchenamt Berlin, Fritz Heidler und Gerhard Schmitt sowie Krummacher als Gast, teil. (Vgl. auch Landeskirchl. Archiv Hannover, D 15 X 5970, Bd. 8. Vertrauliche Aktennotiz von OKR Walter Zimmermann, Hannover 17. Februar 1962).

35) BAB, DO-4/2623, 208 (Aktennotiz von Ernst Kusch, 8. Februar 1962).

36) EZA, 104/630 (Aktennotiz Behms, 14. Februar 1962); Vermerk Zimmermanns (wie Anm. 34)

37) EZA, 104/630 (Aktenvermerk Behms vom 14./15. Februar und 6. März 1962); Landeskirchl. Archiv Hannover, D 15 X 5970 Bd. 8 (Streng vertrauliche Bemerkungen und Beobachtungen zur gegenwärtigen kirchlichen Situation in der DDR von Erwin Wilkens, Hannover, 26. Februar 1962).

38) EZA, 104/630 (Krummacher an Grotewohl, 22. Februar 1962; Krummacher an die Bischöfe der Gliedkirchen in der DDR, 27. Februar 1962); BAB DO-4/2623, 147-149 (Krummacher an Grotewohl, 22. Februar 1962)

39) EZA, 104/630 (Flint an Krummacher, 28. Februar 1962); SAPMO, DY IV 2/14/61, 63 (Flint an Mitzenheim, 28. Februar 1962).

40) Zu den Drucken (nicht in der DDR) vgl. Stimme der Gemeinde (8/1962), 253 f.; KJ 89 [1962], 196-198; Bjorkmann [Hrsg.]: Lebensraum, 275-277 (wie Anm. 3). Ebenfalls ausführlich schrieb OKR Hans-Joachim Fränkel an die Superintendenten seines Kirchengebietes am 8. Februar 1962, vgl. EZA, 104/630.

41) EZA, 104/630 (Aktenvermerk Behms, 6. März 1962).

42) Ebd. Zur Erklärung der Synode von Berlin-Brandenburg vgl. KJ 89 (1962), 207 f.

43) Gerhard Besier/Stephan Wolf [Hrsg.]: "Pfarrer, Christen und Katholiken". Das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR und die Kirchen. Neukirchen-Vluyn 1991, 246. = Historisch-Theologische Studien zum 19. und 20. Jahrhundert (Quellen); 1; BStU, AP 10667/92, 132. Der Informant war vermutlich OKR Lotz alias IM "Karl".

44) SAPMO, DY IV 2/14/5, 223 f. (Information Willi Barths an das Politbüro, 15. Februar 1962); Heise [Bearb.]: SED und Kirche, 304 (wie Anm. 6).

45) SAPMO, DY IV 2/14/61, 60-62 (Kurzbericht Flint, 12. Februar 1962).

46) Vgl. SAPMO, DY J IV 2/2/813; ebd., DY 2/14/33.

47) SAPMO, DY 2/14/33; dazu vgl. Dieter Beese: Seelsorger in Uniform, Evangelische Militärseelsorge im Zweiten Weltkrieg: Aufgabe - Leitung - Predigt. Hannover 1995, 72-74.

48) Vgl. BStU, AGMS 7972/80, 3 f. (Abschlußbericht zu IM "Roland" von Hauptmann Fischer, 23. April 1980).

49) Vgl. Vom SD-Agenten P 36/546 zum Bundestagspräsidenten. Die Karriere des Eugen Gerstenmaier. Ein Dokumentarbericht. Hrsg. vom Nationalrat der Nationalen Front des demokratischen Deutschland. Berlin (1969). Zur Vorarbeit vgl. BStU, ZA, AIM 3654/71 A Bd. 4, 20, 22, 50 f. 71 f. 78-80.

50) Vgl. BStU, ZA, AIM 3654/71 A Bd. 1, 41 f. A Bd. 3, 226. Zu Seidowskys Tätigkeit für das DDR-Fernsehen vgl. Der Spiegel 39/1994, 110-116: Der kleine Schalck.

51) Vgl. BStU, ZA, AIM 10990/68 A Bd. 8, 31-40 u. ö.; Bräuer/Vollnhals [Hrsg.]: Zensur, 96 (wie Anm. 3).

52) Vgl. BStU, ZA, AP 11422/92, 87 und 92; Bräuer: Krummacher, 453, 458. Bunke soll einige Semester Theologie an der Kirchlichen Hochschule in Berlin-Zehlendorf studiert haben. Er arbeitete als freier Journalist und gehörte der DFU an. Da seine Dienste nicht nur vom französischen Geheimdienst, sondern auch vom KGB in Anspruch genommen wurden, konnte ihn die Stasi auf Weisung der sowjetischen Behörde nicht formal als IM verpflichten.

53) BStU, ZA, AP 10668/92, 96f. (Bericht Riedels vom 26. April 1961, Anlaß: Krummachers Kontroverse mit Fuchs). 33 f. (Riedels Ergänzungsbericht vom 15. Juli 1961)

54) BStU, ZA, AP 11422/92, 2.7.123-126 (Krummacher an das Auswärtige Amt, 29. April 1939: Konsequenzen der Rede des Erzbischofs von Canterbury am 29. März 1939 für das Kirchliche Außenamt).

55) Ebd., 142-203 (vollständige Abschrift der Druckschrift); 127-132. 136-142 (2 Exemplare der Auszüge); BStU, ZA, AP 10668/92, 98 (handschriftl. Abschrift des Vorwortes zu Krummachers Kriegspredigten; Zusammenhang: Bericht von Leutnant Riedel, vgl. Anm. 53). Die Akten der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen (DO-4) enthalten mehrere Exemplare der vollständigen Abschrift von Krummachers Kriegspredigten.

56) BStU, ZA, AP 11422/92, 39-72, bes. 41. 44. 42. 48. Von Interesse war auch Krummachers Beteiligung an der Reise einer EKD-Delegation nach Bonn in der Wehrpflichtfrage am 3.7.1956 (ebd., 52). Diese Thematik spielte außerdem eine Rolle bei der Anwerbung von Krummachers Hausmeister, Otto Plotz, als IM "Anton" (später "Helmut") durch das MfS am 12./13. Juli 1956, vgl. BStU, AST Rostock, AIM 1072/66.

57) SAPMO, DY J IV 2/2/814 Bd. 1.

58) Heise: SED und Kirche, 365 Dok. 70 (wie Anm. 6)

59) Ebd., 371-389 Dok. 71.

60) Krummacher: Memorabilia, Jg. 1962, 4 f. (u. a. Zeitangabe für die Begegnung). 6 f., ebd., Anlage 10 (Anschreiben Krummachers an Führ, 7. August 1962, vertrauliche Darstellung des "Gesprächs" vom 12. März 1962).

61) In Plenikowskis Protokoll z. B. fehlen die Namen der Bischöfe, die Stoph als Beweis für den wiederauflebenden "Faschismus der westdeutschen Nato-Kirche" genannt hat und auf die Krummacher in seinen Memorabilia Jg. 1962, Anl. 10, hinweist, genauso wie der Vorwurf gegen Krummacher, er sei zum "Sturmbock und Symbol des Widerstandes gegen die DDR" geworden (ebd., 1 und 2. 6).

62) Heise: SED und Kirche, 371-373 (wie Anm. 6). Zum Appell von Neu-Delhi, vgl. KJ 89 (1962), 376 f.

63) Das aus Schutzgründen nur für den innerkirchlichen Dienstgebrauch "verbreitete" Memorandum Krummachers ist auch von der Stasi dokumentiert worden, z. B. als Bestandteil von Krummachers Bericht an die Geistlichen seines Kirchenbezirkes vom 22. März 1962, vgl. zwei Exemplare in: BStU, ZA, AP 10667/92, 102-106 und 113-117.

64) Heise: SED und Kirche, 374 f. (wie Anm. 6).

65) Ebd., 379.

66) Von dieser neuen Wendung des Gesprächs geben nur Krummachers Aufzeichnungen Kenntnis, vgl. Krummacher; Memorabilia Jg. 1962, 4. Plenikowskis Protokoll, in dem jeder Hinweis auf Krummachers Absicht zu gehen und Stophs Aufforderung zu bleiben fehlt, erweckt den Eindruck, daß Mitzenheim zum Sachgespräch übergeleitet hat, vgl. Heise: SED und Kirche, 381.

67) Vgl. Besier/Wolf (Hrsg.): "Pfarrer, Christen ...", 246 (Von den Hrsg. mit der von Stoph vorgetragenen Argumentation des Politbüros verwechselt).

68) Heise: SED und Kirche, 389. (wie Anm. 6).

69) EZA 102/10 (Behms Niederschrift über die außerordentliche Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen in der DDR am 19. März 1962).

70) Ebd.

71) Vgl. EZA, 104/630: Krummacher an Behm, 26. Februar 1962. Krummacher schickt Behm außer den sieben Exemplaren für die leitenden Geistlichen, weitere drei für die gesamtkirchlichen Dienststellen. In einem Vermerk bittet Krummacher die Kirchenkanzlei, bei Anlage 1 seines Hirtenbriefes ("Memorandum") auf S. 4 zu korrigieren in "Sozialismus im Sinne der marxistisch-leninistischen Ideologie". Die Exemplare in den MfS-Unterlagen sind unkorrigiert, vgl. BStU, ZA, AIM 1377/62 A Bd. 13, 119-123 (mit den weiteren von Weber am 29. März 1962 Oberleutnant Weiß übergebenen Unterlagen); BStU ZA, AP 10667/92, 105 und 116; BStU, AST Rostock, AKK 2507/76 Bd. 2, 223. Das Exemplar in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen hat die korrigierte Fassung, vgl. BAB, DO-4/5518, 82-89.

72) Das Konsistorium von Berlin-Brandenburg sandte den Pfarrern am 20. März 1962 Krummachers Zusammenfassung zu, vgl. BAB, DO-4/433, 487-490 und BStU, ZA, AIM 2968/70 A Bd. 3, 241 (Bericht von IM "Horst"/Hans Wilke an Unterleutnant Klaus Roßberg am 3. April 1962). Landesbischof Beste übersendet am 20. März 1962 den mecklenburgischen Landessuperintendenten Krummachers Memorandum und Gesprächszusammenfassung, vgl. EZA, 104/630. Zusammen mit einem seelsorglichen Schreiben von Landesbischof Noth schickt Präsident Kurt Johannes am 27. März 1962 Memorandum und Gesprächszusammenfassung an die sächsischen Pfarrer, vgl. EZA, 104/630. Das Konsistorium der Evangelischen Kirche von Schlesien versendet die beiden Schriftstücke mit einer vierseitigen seelsorgerlichen Handreichung am 11. April 1962, vgl. ebd. Die Kirchenleitung der Kirchenprovinz Sachsen hatte bereits in ihrer Sitzung vom 13./14. März 1962 das Gesprächsergebnis auf Regierungsebene als unbefriedigend beurteilt und deshalb eine eigene knappe und klare Orientierung formuliert, vgl. ebd. Eine "Erklärung des Landeskirchenrates zum Wehrpflichtgesetz" für Geistliche und Synodale beschloß am 5. April 1962 auch die Dessauer Kirchenleitung.

73) Vgl. Anm. 3. Außerdem Abschrift in EZA, 104/630 (Eingang am 6. April 1962)

74) Vgl. EZA, 104/630.

75) Krummacher: Memorabilia Jg. 1962, 7 und Anlage 10, 4 f.

76) Ebd., Anlage 10, 4. Vgl. dazu SAPMO DY 2/14/61, 65 f. (Krummachers Schreiben an Mitzenheim, Greifswald, 13. März 1962); vgl. auch Besier/Wolf [Hrsg.]: Pfarrer, Christen ..., 246 (undatierte andere Fassung).

77) EZA, 104/101 (Vermerk Behms vom 13. März 1962).

78) Ebd. (Mecklenburger Synode, 16. März 1962, und Generalsuperintendent Führ für die Kirchenleitung Berlin-Brandenburg, 26. März 1962).

79) BStU, ZA, AIM 2455/69 A Bd. 1, 78 (Treffbericht von Hauptmann Franz Sgraja, 16. März 1962).

80) Besier/Wolf [Hrsg.]: "Pfarrer, Christen ...", 247 f. (Mielkes Einzelinformation Nr. 162, 17. März 1962); BStU, AST Rostock, AP 10667/92, 131-134.

81) BAB, DO-4/422 (Niederschrift über Seigewassers Gespräch mit Mitzenheim am 19. März 1962, 8.30-10.00 Uhr); dasselbe SAPMO, DY IV 2/14/61, 67.

82) Krummacher: Memorabilia Jg. 1962, 7 und Anlage 10, 5.

83) Ebd., Anlage 10, 4 f.; Besier/Wolf [Hrsg.]: "Pfarrer, Christen ...", 248 f. (wie Anm. 43).

84) BAB, DO-4/422 (Niederschrift über Seigewassers Gespräch mit Mitzenheim am 20. März 1962). Nach dieser Niederschrift war der Bericht über die Sitzung der Konferenz der Kirchenleitungen allerdings zwischen Seigewasser und Mitzenheim vereinbart worden.

85) SAPMO, DY IV 2/14/61, 64 (undatierter Entwurf). Zum Datum vgl. BAB, DO-4/422 (Mitzenheim an Krummacher, 27. Juni 1962).

86) Krummacher: Memorabilia Jg. 1962, 8f. Anlage 10, 5.

87) BAB, DO-4/422 (Niederschrift über Seigewassers Gespräch mit Mitzenheim, 12. Mai 1962). Seigewasser bemühte sich, Mitzenheim in seiner Position zu stärken und beschloß, die Prager Regierungsstellen zu bitten, daß die vorgesehene Ehrenpromotion des Thüringer Bischofs in Bratislava "auch von der politischen Seite sehr repräsentativ und demonstrativ durchgeführt wird". Zum Gespräch Mitzenheims mit Seigewasser bereits am 10. Mai 1962 vgl. den Kurzbericht Flints ebd.

88) BAB, DO-4/422 (Mitzenheim an Krummacher, 27. Juni 1962). Seigewasser leitete am 6. Juli 1962 eine Abschrift an das ZK der SED weiter. Weber überbrachte am 29. Juni 1962 eine Abschrift seinem Rostocker Führungsoffizier der Stasi, zusammen mit der Information, daß alle Bischöfe und weitere Leitungspersönlichkeiten der Kirche umgehend eine Abschrift erhalten hätten, vgl. BStU, ZA, AIM 1377/62 A, Bd. 13, 192-194; ebd., A Bd. 18, 453.

89) BAB DO-4/422 (Krummacher an Mitzenheim, 2. Juli 1962; Abschrift des Staatssekretariats vom 5. Juli 1962).

90) Müller hatte sich als Oberlandeskirchenrat am 4. April 1956 in Dresden als IM "Konrad" zur geheimen Zusammenarbeit mit der Stasi verpflichtet und setzte diese Tätigkeit nahtlos nach seinem Wechsel in die Schweriner Funktion am 1. September 1959 bis 1971 fort, vgl. BStU, ZA, AIM 1822/64 Bd. P, 4.37.125.

91) BStU, ZA, AP 10667/92, 91-95 (Berlin, 7.7.1962, ohne Unterschr.). Vgl. BAB, DO-4/422 (Bericht über eine Aussprache durch die Kollegen Flint und Weise mit OKR Lotz, 6. Juli 1962). Die kurze Kontroverse mit den Thüringer Vertretern über den Wahlablauf hat in beiden Berichten schärfere Konturen erhalten als in der offiziellen Niederschrift über die Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen vom 6. Juli 1962, unterzeichnet von Manfred Stolpe, vgl. EZA 102/10.

92) Vgl. BAB, DO-4/422, Abschrift eines Schreibens der sieben leitenden Geistlichen der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen (außer Thüringen) an Mitzenheim, 6. Juli 1962; Abschrift von Krummachers Schreiben an Mitzenheim mit Wunsch eines persönlichen Gesprächs, 10. Juli 1962.

93) Krummacher: Memorabilia Jg. 1962 9. Vgl. in sachlicher Übereinstimmung, aber viel ausführlicher Krummachers vertraulicher Bericht gegenüber einem kirchlichen Gesprächspartner am 24. September 1962 in der Bischofswohnung in Greifswald, der abgehört wurde: BStU, AST Rostock, AKK 2507/76 Bd. 2, 269-272. Am 26. September 1962 berichtete Krummacher in der Bischofskonferenz ausführlich über seinen Besuch in Eisenach (Braecklein vertrat erneut Mitzenheim), vgl. EZA, 104/ 108 (Vermerk Krummachers, 26. September 1962).

94) BAB, DO-4/422 (Krummacher und Noth an Seigewasser, 6. Juli 1962).

95) SAPMO, DY IV 2/2A/911. In der Begründung der vorgeschlagenen Maßnahmen werden u. a. die Informationen von Lotz und Braecklein über die Sitzung der Konferenz am 6. Juli verwendet.

96) Heise: SED und Kirche, 390 Dok. 72 (wie Anm. 6).

97) Vgl. EZA, 102/10 (Niederschrift über die Sitzung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen am 27. September 1962): Ablehnung der Ausreise zur Konferenz Europäischer Kirchen in Nyborg im Oktober 1962, außerdem für Bischof Hornig/Görlitz, Präsident Mager/ Dresden, Präsident Hildebrandt/Berlin, OKR Schmitt/Berlin. Zur Verweigerung einer Reise nach Genf vgl. BAB/DO-4/433, 493 (Günter Jacob an Seigewasser, 18. Juni 1962). Zur Verweigerung einer Reise nach Paris zu einer ökumenischen Konferenz vgl. ebd., DO-4/310 Bd. 1 (Meldung im Hamburger Abendblatt, 2. August 1962).

98) Vgl. BStU, AST Rostock, AKK 2507/76 Bd. 3, 230 (personelle Sondierung, 5. Juni 1962); ebd. Bd. 1 Forts., 322-324 (Sondierung des Objektes "Mühle", Bischofshaus, 29. Juni 1962). 315 (Einbau der Abhörtechnik, 10. August 1962, 17.30-22.00 Uhr). 316 (Ausbau der Abhörtechnik, 29. Juli 1963, 14.00-16.30 Uhr); ebd. Bd. 1 Forts. 313-314 (Ein- bzw. Ausbau der Abhörtechnik, 30. Juli 1958 und 27. September 1959).

99) BStU, AP 10667/92, 78 f. (Abschrift, Krummacher an Stoph, 10. Oktober 1962). Noch am 3. Dezember 1962 konnte der Stellvertreter des Staatssekretärs für Kirchenfragen, Flint, Generalsuperintendent Führ auf Rückfrage bestätigen, daß Krummachers Brief bei Stoph eingetroffen sei und er diese Rückfrage nur zur Kenntnis nehme, vgl. BAB, DO-4/433, 508 (Vermerk Flints vom 6. Dezember 1962).

100) Heise: SED und Kirche, 410 f. (wie Anm. 6).

101) EZA 104/596. Bei seinen persönlich gehaltenen Segenswünschen knüpfte er an dem Wissen an, daß der Jubilar nicht nur mit seiner Familie, sondern auch im öffentlichen, staatlichen und gesellschaftlichen Bereich sein Leben in christlicher Verantwortung führe.

102) BStU, AP 10667/92, 74-77. Bericht Seigewassers vom 11. Februar 1963, der durch Hauptabteilungsleiter Hans Weise dem MfS zugeleitet worden ist. Daneben existiert ein eigener MfS-Bericht der Bezirksverwaltung Rostock vom 21. Februar 1963, vgl. ebd., 70 f. (Oberleutnant Weiss). Wesentlich moderater als diese beiden Erfolgsberichte wirkt der umfangreiche Abhörbericht über das Gespräch, fingiert als Informationsbericht "Brunhilde" vom 7. Februar 1963, vgl. BStU, AST Rostock, AKK 2507/76 Bd. 2, 432-446. Seigewasser ist offenbar die Information vorenthalten worden, die das MfS bereits am 24. Januar 1963 durch Weber (IM "Bastler") erhielt, daß ein Besuch des Staatssekretärs bei Krummacher am 5. Februar, 15.00 Uhr, vorgesehen sei, vgl. BStU, ZA, AIM 1377/62 A Bd. 14, 61.

103) KJ 90 (1963), 156. Nicht nur im Kirchenamt der EKD rief die Äußerung Irritationen hervor, vgl. ebd., 156 f. Der Aktenvermerk Behms über die Besprechung der Ratsmitglieder der EKD mit Wohnsitz in der DDR vom 1. März 1963 hielt ebenfalls die Kritik fest: "Allgemein wird der Alleingang von Bischof D. Krummacher in dieser Sache bedauert", vgl. EZA, 104/596.

104) BStU, AST Rostock, AKK 2057/76 Bd. 2, 453-455, bis 454 (Bezirksverwaltung Rostock, ohne Unterschrift)

105) EZA, 104/94 (Aktenvermerk Behm).

106) Neues Deutschland, Nr. 32 vom 1. Februar 1962; Neue Zeit, Nr. 27 vom 1. Februar 1962

107) EZA, 104/631 (Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen vom 27. September 1962); ebd., 102/10 (Niederschrift zur gesamten Sitzung).

108) Die Kirchenleitung der Kirchenprovinz Sachsen hat sich in ihrer Sitzung vom 13. und 14. März 1962 besonders zu den Gesprächsergebnissen vom 12. März kritisch mit der Feststellung geäußert, "daß durch das Ergebnis dieses Gesprächs die Gewissensbedrängnisse nicht beseitigt sind". Vgl. EZA 104/630 (Abschrift der Entschließung). Die selbstkritische Diskussionsäußerung von Bischof i. R. Werner Krusche, im Gegensatz zur Jugendweihe habe die Kirche beim Fahneneid nichts getan, da hier kein Kompromiß möglich gewesen wäre, erfaßt die Realität von 1962 nicht ausreichend, vgl. Staatskanzlei des Landes Sachsen-Anhalt [Hrsg.]: Kompromiß im Widerstreit. Überzeugung und Zugeständnis in der Politik. Dokumentation des 5. Wittenberger Gesprächs im April 1997. Halle 1998, 72.

109) Vgl. Eisenfeld: Kriegsdienstverweigerung, 61-139 (wie Anm. 12).

110) Vgl. z. B. BStU, AST Rostock, AKK 2057/76 Bd. 2, 320 (Ordinationsgespräch, 17. Oktober 1962); ebd., 355-362 (Gespräch über die Situation bei den Studenten, 1. November 1962).

111) Vgl. EZA, 104/631 (Unterlagen über die von Krummacher angeregten Aktivitäten zur Erfassung ordinierter Geistlicher u. a. kirchlicher Mitarbeiter sowie zur Besprechung der leitenden theologischen Referenten). Mitzenheim teilte am 24. Juli 1962 der Kirchenkanzlei in Berlin mit, aus Urlaubsgründen sei bei der Besprechung kein theologischer Referent zu erwarten. Der Landeskirchenrat habe zur Sache auch noch keinen Beschluß gefaßt. Gesuche für Ordinierte seien vom Landeskirchenrat bisher abgelehnt worden, "da er die gesetzlichen Voraussetzungen für einen solchen Antrag nicht als gegeben betrachtete" (ebd.).

112) Ebd., Krummacher an Behm, 20. Juli 1962. Die um die Briefformeln gekürzte Abschrift wurde als hektographierte Vervielfältigung (20 Exemplare) den gliedkirchlichen Gremien übermittelt.

113) Johannes Jänicke: Ich konnte dabeisein. Der Lebensweg des Johannes Jänicke (1908-1979) vom Elternhaus der Berliner Stadtmission, durch den Kirchenkampf unter ostpreußischen Bernsteinsuchern, die Aufbaujahre in der DDR in Halle und Magdeburg, zum Bischofsamt in der Kirchenprovinz Sachsen, von ihm selbst erzählt. Berlin 1984, 200. Jänicke, der in den friedensethischen Überlegungen unter den Bischöfen am klarsten pazifistische Gedanken vertrat, lehnte einen weltanschaulich begründeten Pazifismus ab (ebd., 210).

114) EZA, 104/596 (Gedächtnisprotokoll Figurs vom 3. April 1962).

115) Landeskirchl. Archiv Hannover, D 15 XII K 114/750 10 I (neun Seiten), 1.7.6. Vgl. Dazu Ernst Heinz Amberg: Staat und Kirche in der DDR. Studien auf der Grundlage der Akten der VELKD und der VELK in der DDR. Hannover 1995, 12-15. = Texte aus der VELKD 61/1995.

116) Selbst im erwähnten abgehörten Vier-Augen-Gespräch zwischen Seigewasser und Krummacher am 5. Februar 1963 blieben die Verständigungsmöglichkeiten begrenzt. Seigewasser konterte Krummachers Hinweis auf die Anerkennung des Staates als von Gott gegebene Obrigkeit mit der Bemerkung, "das müsse er genauso sagen, wenn er in Spanien lebt". Krummacher blieb dennoch bei seiner Überzeugung, "daß nur das glaubwürdig bleibt im Munde von Kirchenmännern, was unmittelbar aus dem Auftrag der Kirche herkommt". Dazu gehöre auch, den Anschein zu vermeiden, er erkaufe sich "eine Freiheit für seine ökumenische Funktion mit irgendeiner politisch klingenden Erklärung", vgl. BStU, AST Rostock, AKK 2507/76 Bd. 2, 442 und 444 f.

117) Im abgehörten Gespräch am 5. Februar 1963 schob Seigewasser den Hinweis Krummachers, "daß es eine übergreifende Gemeinschaft des christlichen Glaubens, auch über die Grenzen hinweg gibt", beiseite mit der Bemerkung, "das erkläre nicht alles", vgl. ebd., 438.

118) Zu Stoph vgl. Heise: SED und Kirche, 368 f. (wie Anm. 6); KJ 89 (1962), 204 f. Zu Krummacher vgl. z. B. BStU. ZA, AP 10667/92 103-105 (Memorandum). 107 (Gesprächsergebnis). 100 (Hirtenbrief).

119) Vgl. BStU, ZA, AIM 1377/62 P Bd. 1, 70-73 (Auskunft, Bericht vom 3. Mai 1960). Webers Stasiakten umfassen mindestens 17 Bände. Von den Personen, die zum Bischofshaus Zugang hatten, waren das Hausmeisterehepaar (IM "Anton", später "Helmut", von dessen Familie mit gelegentlichem Zutritt IM "Helga Schmidt", später "Loni" und eine Reinigungskraft (IM "Ella") durch die Stasi angeworben worden.

120) Weber gab in einem Treff mit seinem Führungsoffizier am 3. Juni 1964 die Information weiter, daß bei der Sitzung der juristischen Referenten der Landeskirchen in Berlin kein Bericht zur Lage gegeben werde, wenn Lotz teilnehme, vgl. ebd., 149. Die obigen Anmerkungen belegen, daß Lotz den internen kirchlichen Schriftwechsel zum Konflikt Mitzenheims mit Krummacher dem Staatssekretariat für Kirchenfragen übermittelte.

121) Vgl. z. B. als Seigewasser im Gespräch vom 6. Februar 1962 Krummacher gegenüber Weber als Gewährsmann für die kontroverse Meinung über das "Wort zum Frieden" in der Greifswalder Kirchenleitung erwähnt hatte, vgl. BStU, ZA, AIM 1377/62 A Bd. 18, 373. Bereits am 7. Februar 1962 wurde Weber von seinem Führungsoffizier gewarnt, daß Krummacher Verdacht geschöpft haben könnte, vgl. ebd., Bd. 13, 94 f. Zum Verdacht Krummachers 1968 vgl. BStU, ZA, AP 11365/92, 1 f.

122) Vgl. BStU, ZA, AIM 1377/62 Bd. 6, 126 (Mitteilung Webers an Oberleutnant Kintze beim Treff am 15. November 1963). Zu diesem Zeitpunkt war die Anlage allerdings bereits wieder ausgebaut worden (vgl. Anm. 98).

123) LKAG, Best. 3 Krummacher Nr. 12, 89. (Aktennotiz von Herta Wille, 12. September 1967).

124) Vgl. BStU, ZA, AIM 1377/62 A Bd. 13, 102 (Oberleutnant Weiß, 7. Februar 1962: Mündlicher Bericht IM "Bastler"/H.-J. Weber). Über die Züssower Veranstaltung erhielt das MfS drei weitere Berichte, einen von IM "Müller" (29. Januar 1962), ausführlicher von IM "Seiboldt" (19. Februar 1962), am detailreichsten und polemischsten, vermutlich über den staatlichen Funktionär für Kirchenfragen im Bezirk Neubrandenburg, durch den damaligen Pfarrer von Altenhagen/Kr. Altentreptow (16. Februar 1962), vgl. BStU, AST Rostock, AKK 2507/76, Bd. 2, 200. 203 f. 206-211.

125) BStU, AST Rostock, AKK 2507/76 Bd. 2, 485 f. (Abhörbericht über den Besuch von Albrecht Schönherr bei Krummacher, 1. April 1963).

126) BStU, ZA, AIM 1377/62 A Bd. 13, 174 (IM "Bastler"/Weber mündlich am 8. Juni 1962). Vgl. ebd. 158-163 (Auszug aus dem Bericht von IM "Bastler"/Weber vom 17. Mai 1962).

127) BStU, ZA, AP 10668/92, 127 f. 141 f. 151 f. 154-157 (Informationen von IM "Bastler"/Weber, Februar/März 1961).

128) BStU, ZA, AIM 1377/62 A Bd. 13 (Bericht von IM "Bastler"/ Weber, 2. August 1961).

129) BStU, AST Rostock, AKK 2507/76 Bd. 3, 205 (Aktenvermerk von Unterleutnant Ollick, 24. August 1961).

130) Vgl. Krummacher: Memorabilia Jg. 1962, Anlage 10; BStU, ZA, AIM 1377/62 A Bd. 13, 127 f. (mündlicher Bericht IM "Bastlers"/ Webers vom 12. April 1962 über Krummachers Besuch bei Kardinal Bengsch).

131) BStU, ZA, AP 10667/92, 78 f. (Krummacher an Stoph, 10. Oktober 1962); Krummacher: Memorabilia Jg. 1962, Anlage 10 (Aufzeichnung für Noth und Führ, 7. August 1962).

132) Krummacher: Memorabilia Jg. 1962, 8.

133) Ebd., Anlage 10.



134) Ebd., 1-3.

135) KJ 89 (1962), 144 f. (Mitteldeutsches Tagebuch, in: Deutsches Pfarrerblatt Nr. 3 vom 1. Februar 1963).

136) Vgl. Susan Sontag: Geist als Leidenschaft, Ausgewählte Essays zur modernen Kunst und Kultur. Leipzig/Weimar 1989, 42. = Gustav Kiepenheuer Bücherei; 91.