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Ausgabe:

Mai/1998

Spalte:

443–458

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hans Hübner

Titel/Untertitel:

Fundamentaltheologie und biblische Theologie

Daß Fundamentaltheologie nicht eine spezifisch katholische Angelegenheit ist, hat sich im Raum der evangelischen Theologie allmählich herumgesprochen, auch wenn es Lehrstühle für Fundamentaltheologie an evangelisch-theologischen Fakultäten zur Zeit kaum gibt. Die bahnbrechenden Arbeiten von Gerhard Ebeling und Wilfried Joest sind bekannt. Zugegeben: Die Fundamentaltheologie ist weithin immer noch die Domäne katholischer Theologen. Aber daß sich evangelische Theologie, nimmt sie sich wirklich als Theologie ernst, der fundamentaltheologischen Aufgabe nicht entziehen kann, ist im selben Augenblick evident, in dem man sich die Aufgabenstellung dieser theologischen Disziplin vergegenwärtigt.

Nun mag sich vielleicht der eine oder die andere ein wenig wundern, daß ausgerechnet ein Exeget einen Beitrag über Fundamentaltheologie schreibt, sogar einen reichlich programmatischen, was bei den folgenden Ausführungen deutlich werden wird. Der Grund ist nicht, daß sich der Exeget in das Geschäft der Vertreter der Systematischen Theologie einmischen wollte. Vielmehr ist schon von vornherein die fundamentaltheologische Problematik so sehr mit der Aufgabe der Auslegung biblischer Schriften verflochten, daß sich ein Bibelwissenschaftler dieser Fragestellung überhaupt nicht entziehen kann, will er nicht die Exegese auf das Niveau eines positivistischen Wissenschaftsverständnisses degradieren und so seiner genuin theologischen Verpflichtung eben nicht gerecht werden. Denn der Exeget ist von seiner Aufgabe her Theologe - oder er ist nicht Exeget!

Die hier zu besprechenden Bücher sind Werke, die die Mitte theologischen Nachdenkens - mehr noch: die Mitte theologischer Re-Flexion (im strengen Sinne des Begriffs!) - thematisieren. Und sie thematisieren zugleich bibeltheologische Grundfragen. Zu rezensieren aufgegeben war mir zunächst der 4. Band von "Wort und Glaube" aus der Feder von Gerhard Ebeling (E.). Da aber in der ThLZ der 3. Band bisher nicht rezensiert wurde, dieser aber wichtige fundamentaltheologische Beiträge enthält, sei auch er hier besprochen, wenn auch mehr als zwanzig Jahre nach seinem Erscheinen. Angesichts der überaus hohen theologischen Relevanz dieses Buches ist das nicht nur zu verantworten, sondern sogar geboten. Bezeichnend ist schon sein Untertitel: "Beiträge zur Fundamentaltheologie, Soteriologie und Ekklesiologie".(1)

Das Buch enthält gemäß diesem Untertitel drei große Abschnitte, deren Aufsätze jedoch z. T. ohne weiteres einem der jeweils anderen Abschnitte zugeordnet werden könnten, wie der Überblick sofort zeigt:

Zur Fundamentaltheologie: Die Klage über das Erfahrungsdefizit in der Theologie als Frage nach ihrer Sache. - Luther und der Anbruch der Neuzeit. - Frömmigkeit und Bildung. - Beobachtungen zu Schleiermachers Wirklichkeitsverständnis. - Schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl als Gottesbewußtsein. - Leitsätze zur Frage der Wissenschaftlichkeit der Theologie. - Überlegungen zur Theologie in der interdisziplinären Forschung. - Zur Existenz theologischer Fakultäten an staatlichen Universitäten.

Zur Soteriologie: Theologie zwischen reformatorischem Sinnverständnis und heutiger Einstellung zum Bösen. - Das Problem des Bösen als Prüfstein der Anthropologie. - Was heißt Glauben? - Zwei Glaubensweisen? - Der Aussagezusammenhang des Glaubens an Jesus. - Was heißt: Ich glaube an Jesus Christus? - Pfingsten. - Luthers Ortsbestimmung der Lehre vom Heiligen Geist. - Das Verständnis von Heil und säkularisierter Zeit. - Lebensangst und Glaubensanfechtung. Erwägungen zum Verhältnis von Psychotherapie und Theologie. - Die Beunruhigung der Theologie durch
die Frage nach den Früchten des Geistes. - Das Gebet. - Erwägungen zur Eschatologie. - Thesen zur Frage der Auferstehung von den Toten in der gegenwärtigen Diskussion. - Ewiges Leben.

Zur Ekklesiologie: Das Grund-Geschehen von Kirche. - Verstehen und Verständigung in der Begegnung der Konfessionen. - Memorandum zur Verständigung in Kirche und Theologie. - Kerygma. - Der Theologe und sein Amt in der Kirche. - Die Notwendigkeit des christlichen Gottesdienstes. - Fundamentaltheologische Erwägungen zur Predigt. - Leitsätze zur Zweireichelehre. - Kirche und Politik. - Kriterien kirchlicher Stellungnahme zu politischen Problemen. - Register. Es ist schon auffällig, daß E. den Beitrag über die fundamentaltheologischen Erwägungen zur Predigt nicht unter die Studien zur Fundamentaltheologie einordnet. Aber es hat sicher auch seinen guten Sinn, ihn im Rahmen der Ekklesiologie zu bringen. Ähnliches gilt z. B. für die Erwägungen zum Verhältnis von Psychotherapie und Theologie oder für das Memorandum zur Verständigung in Kirche und Theologie.

Kommen wir nun zu E.s 4. Band von "Wort und Glaube" mit dem Untertitel "Theologie in den Gegensätzen des Lebens"!(2)

Vielleicht ist dessen wichtigster Beitrag der 1970 in Innsbruck auf Einladung des dortigen katholischen Instituts für Dogmatik und Fundamentaltheologie gehaltene Vortrag "Erwägungen zu einer evangelischen Fundamentaltheologie", von E. laut Vorwort zu diesem Buch als programmatische Erwägungen konzipiert. Er hoffte damals, also vor über einem Vierteljahrhundert, diese Überlegungen in einen bald abgeschlossenen Gesamtentwurf der Fundamentaltheologie einbringen zu können. Inzwischen hat er sich, wie weithin bekannt, dafür entschieden, statt dessen seine dreibändige Dogmatik zu schreiben, deren 3. Band in 1. Auflage seit 1979 vorliegt.(3) Man mag bedauern, daß deshalb seine Fundamentaltheologie nicht geschrieben wurde. Doch ist es schließlich jeweils der Autor selbst, in dessen Kompetenz und Entscheidung es liegt, was er publizieren und was er aufgrund anderer Arbeiten nicht schreiben will. Da es jedoch gerade E. war, der vor allem maßgeblich dafür gesorgt hat, daß evangelische Theologen ein Bewußtsein dafür erhielten, daß die Fundamentaltheologie als unverzichtbare Aufgabe auch für die evangelische Theologie gesehen werden muß, ist unser Bedauern über die von ihm nicht verfaßte Fundamentaltheologie nur um so größer. E. meint aber im Vorwort des 4. Bandes von "Wort und Glaube", es wolle ihm "scheinen, als könne es den Grundzügen nach dasjenige ersetzen, was mit der Fundamentaltheologie geplant war" (IX). Tatsächlich ist dieser Aufsatzband so anregend, daß wir ihn als "Ersatz" dankbar zu Hand nehmen. Wer in Zukunft eine evangelische Fundamentaltheologie schreiben will - und der Autor dieser Zeilen hat ja im Vorwort zum 3. Band seiner Biblischen Theologie des Neuen Testaments angekündigt, daß er in der Konsequenz dieser seiner hermeneutisch konzipierten Biblischen Theologie eine Evangelische Fundamentaltheologie schreiben will -, kommt um E.s Aufsätze nicht herum. Er muß sie studieren, nein: er darf sie studieren und das ungeheure Potential dieser 687 Seiten (und selbstverständlich auch das Potential in den ersten drei Bänden!) nutzen. Der Horizont ist, wie immer bei E., weit gesteckt. Zunächst nun der Überblick über den Inhalt:

In sechs großen Abteilungen bringt der 4. Band folgende Beiträge: I. Theologie in den Gegensätzen des Lebens. - II. Evangelium und Religion: Evangelium und Religion (1976). - Religionslose Welt? Religionsloses Christentum? (1980). - Zum Religionsbegriff Schleiermachers (1983). - Zum Religionsverständnis Feuerbachs (1984). - III. Heiliger Geist und Zeitgeist: Heiliger Geist und Zeitgeist. Identität und Wandel in der Kirchengeschichte (1990). - Kirchengeschichte und Kirchenrecht. Eine Auseinandersetzung mit Rudolph Sohm ([1947/1948]1990). - Genie des Herzens unter dem genius saeculi. Johann Caspar Lavater als Theologe (1992). - Johann Caspar Lavaters Glaubensbekenntnis (1993). - Hermeneutik zwischen der Macht des Gotteswortes und seiner Entmachtung in der Moderne (1994). - IV. Reformation einst und jetzt: Erwägungen in entwurzelter Zeit (1990). - Der Lauf des Evangeliums und der Lauf der Welt. Die Confessio Augustana einst und jetzt ([1980]1982). - Über die Reformation hinaus? Zur Luther-Kritik Karl Barths (1986). - Befreiende Autorität. Schrift, Wort und Geist im Sinne der Reformation (1987). - Der Mut zum Christsein. Fragen an Martin Luther (1993). - V. Theologie und Wissenschaft: Die Bibel als ein Dokument der Universität ([1979]1981). - Die theologische Verantwortung und ihre institutionelle Wahrnehmung (1986). - Miszelle zur Wortgeschichte von theologia naturalis (1982). - Erwägungen zu einer evangelischen Fundamentaltheologie (1970). - Das rechte Unterscheiden. Luthers Anleitung zu theologischer Urteilskraft (1988). - Luthers Wirklichkeitsverständnis (1993). - Zu meiner "Dogmatik des christlichen Glaubens" (1980). - Dogmatik und Exegese (1980). - Zum Verhältnis von Dogmatik und Ethik (1982). - Eine Skizze zum Konfessionsproblem ([1980]1988). - VI. Leben und Lehre: Ist Leben lehrbar (1993). - Der Lebensbezug des Glaubens. Über die verworrene Lage der Theologie (1976). - Interpretatorische Bemerkungen zu Schleiermachers Christologie (1991). - Der Sühnetod Christi als Glaubensaussage. Eine hermeneutische Rechenschaft (1990). - "Christus ... factus est peccatum metaphorice" (1992). - Des Todes Tod. Luthers Theologie der Konfrontation mit dem Tode (1987). - Verfremdete Weihnacht (1979). - Erfahrungen mit Liedern von Paul Gerhardt (1976). - Gespräch über Dietrich Bonhoeffer. Ein Interview (1978). - Lautere Sprache - nährendes Wort (1987). - Register.

Die beiden anderen hier zu besprechenden Werke stammen aus dem katholischen Bereich. Zunächst ist es ein Buch von Gerald O’Collins, S. J., (O.). Er ist Fundamentaltheologe an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Auf sein früheres Werk "Fundamental Theology" (New York/Mahwah, Neuauflage 1986) sei hier nur verwiesen. Zu rezensieren ist an dieser Stelle seine aus dem Jahre 1993 datierende Monographie "Retrieving Fundamental Theology" mit dem Untertitel "The Three Styles of Contemporary Theology"(4), die, wie noch darzulegen ist, gegenüber der älteren römisch-katholischen Konzeption der Fundamentaltheologie einen totaliter anderen Ansatz bringt, eine Konzeption nämlich, die der evangelische Theologe - wohl nicht nur der Rezensent! - mit großer Freude zur Kenntnis nimmt.

O. gliedert sein Buch wie folgt: Introduction. - 1. Catholic Theology Since 1965. - 2. Theology. Its Nature and Methods. - 3. Fundamental Theology. - 4. Dei Verbum. - 5. The "Other" Documents on Relevation. - 6. Saving Revelation for All Peoples. - 7. Revelation Past and Present. - 8.God’s Symbolic Self-Communication. - 9. Experience and Symbols. - 10. The Revelation of Love. - 11. Revelation and the Bible. - 12. Dei Verbum and Exegesis. - Conclusion. - Register.

Erst 1997 erschien der von Rino Fisichella herausgegebene Sammelband "La teologia fondamentale". Wie der Untertitel ausweist, geht der Blick ins kommende Jahrtausend: Convergenze per il terzo millennio.(5) Es handelt sich um Referate auf dem Congresso Internazionale di Teologia Fondamentale, veranstaltet von der Pontificia Università Gregoriana in Rom vom 25.-30. September 1995. Auf diesem Kongreß ging es darum, den Weg von der Konstitution Dei Filius des Ersten Vatikanischen Konzils (125jähriges Jubiläum!) zur Dogmatischen Konstitution Dei Verbum des Zweiten Vatikanischen Konzils zu sichten und zu beurteilen. Dementsprechend enthält das Buch die Abschnitte: I - Storia. II - Contenuti e metodo. III - Prospettive.

Die genauere Gliederung des Buches: I - Storia: H. J. Pottmeier, La costituzione Dei Filius. - S. Pié y Ninot, 1965-1995: correnti di Teologia fondamentale. - J. Doré, L’evoluzione dei manuali cattolici di Teologia fondamentale. - II - Contenuti e metodo: A. González Montes, Dei Verbum
sullo sfondo di Dei Filius. - R. Fisichella, Atto di fede: Dei Verbum ripete Dei Filius. - M. Seckler, Teologica fondamentale e Dogmatica. - A. Dulles,
Uso della Scrittura in Teologia fondamentale. - C. Izquierdo, Uso della Tradizione in Teologia fondamentale. - J. C. Scannone, Teologia e filosofia in Teologia fondamentale - D. Tracy, La Teologia fondamentale e le scienze sociali. III - Prospettive: H. Waldenfels, La Rivelazione cristiana e le altre religioni. - K. H. Neufeld, L’identità del teologo fondamentale. - G. Ruggieri, Il futuro della Teologia fondamentale. Danach folgt eine Ansprache von Papst Johannes Paul II. - Register.

Nun ausführlicher zu Gerhard Ebeling! Wie eng die Frage nach der Auslegung der Heiligen Schrift und die Systematische Theologie miteinander verbunden sind, zeigt sein Lebenswerk. 1942 erschien seine Dissertation "Evangelische Evangelienauslegung. Eine Untersuchung zu Luthers Hermeneutik" (München 1942). Es ist die Hermeneutik, die die Auslegung biblischer Texte als Auslegung thematisiert. Es ist Martin Luther, der für die evangelische Exegese die Auslegung des ATs und NTs als Re-Flexion aufgibt. Mit diesem Ansatz hat der Reformator jede Exegese, die sich von der Hermeneutik dispensiert, mit dem Menetekel "gewogen und zu leicht befunden" disqualifiziert. Und die katholische Exegese hat die absolute Bedeutsamkeit der Hermeneutik für die Exegese in der zweiten Hälfte unseres Jh.s klar erkannt. Hermeneutik ist heute kein Kriterium konfessioneller Differenz mehr!

Des weiteren hat E. die große Bedeutung der Heiligen Schrift dadurch herausgehoben, daß er in seiner Habilitationsvorlesung "Kirchengeschichte als Geschichte der Heiligen Schrift" (Tübingen 1946)(6) die Auslegung der Heiligen Schrift als konstitutiv für Wesen und Existenz der Kirche während ihrer bisherigen 2000jährigen Geschichte erklärt. Wer Kirche, Kirche in ihrer Geschichte, sagt, sagt zugleich Heilige Schrift. Und es sollte in diesem Zusammenhang auch daran erinnert werden, daß er, der Hermeneutiker, das Gespräch mit dem hermeneutisch denkenden Neutestamentler Rudolf Bultmann in "Theologie und Verkündigung" führte.(7) Im Grunde war jenes Gespräch bereits sowohl auf seiten E.s als auch auf seiten Bultmanns ein fundamentaltheologisches. Denn die Hermeneutik gehört zum Horizont fundamentaltheologischen Denkens. Im Verstehen - und um Verstehen geht es ja in der Hermeneutik - ist der die Schrift Auslegende mit in das Denken der biblischen Autoren einbezogen. Hermeneutik, die auch konstitutives Wesenselement der Fundamentaltheologie ist, bedenkt als Theologie den Theologen.

Auf den programmatischen Innsbrucker Vortrag "Erwägungen zu einer evangelischen Fundamentaltheologie" wurde schon aufmerksam gemacht. Es versteht sich von selbst, daß er im Rahmen unserer Rezension besondere Beachtung verdient. Beginnen wir deshalb mit ihm! Aus ihm greife ich nur den Abschnitt VI., Die Grundlage der Theologie, heraus. E. fragt nach der Grundlage, nach dem Fundament der Theologie. Fundament aber bestimmt er als Relationsbegriff (406): "Etwas ist Fundament für anderes". Hinsichtlich der Theologie geht der Bezug auf ein Fundament als auf etwas Vorgegebenes. So ist der Glaube als solcher ein Grund-Haben, nämlich das Sichverlassen auf seinen Grund. Gründet der Glaube demnach nicht in sich selbst, sondern in einem anderen, so ist er "nichts anderes als das, was den Menschen außerhalb seiner selbst sein läßt" (406). Man wird bei dieser Formulierung E.s an Eph 2,6 erinnert, wo es heißt, daß Gott uns mit Christus nicht nur mitauferweckt, sondern sogar auch im Himmel mitinthronisiert hat,"synekathisen en epuraniois". Als Glaubende existieren wir also nicht allein in unserem geschichtlichen Dasein, sondern zugleich kraft unseres In-Christus-Seins in der jenseitigen Wirklichkeit Gottes und Christi, in die wir "versetzt" sind. E. hat somit unsere eschatologische Wirklichkeit in seine fundamentaltheologische Argumentation hineingenommen. Und er hat das mit vollem Recht getan. Theologie und Glaube sind also in dieser Realität zusammenzudenken. Für E. ist das Fundament der Theologie nicht der je eigene Glaubensvollzug des Theologen. Dieses ist vielmehr "das Überlieferungsproblem, das im umfassenden Sinne die Lebenswirklichkeit des Glaubens ist" (406). So folgt, daß die Theologie dem Glauben dient. Theologie gründet aber nicht nur auf der ihr vorgegebenen Offenbarung. Der zweite entscheidende Aspekt ist nämlich, daß auch der Mensch in diese Begründung miteinzubeziehen ist. So hat Theologie es "im besonderen mit dem Ermöglichungsgrund des Verständnisses von Offenbarung zu tun" (407). Mit den altprotestantischen Theologen unterscheidet E. fundamentum dogmaticum (die Glaubensartikel), fundamentum organicum (die Schrift) und fundamentum substantiale (Christus). Für unsere Fragestellung ist das fundamentum organicum von besonderer Relevanz: Hat E. zuvor von der Offenbarung als dem Vorgegebenen gesprochen, so hat er nun auf die Schrift als Offenbarung in ihrem Geschrieben-Sein verwiesen. Fundamentaltheologie hat also, indem sie nach dem Fundament von Theologie und Glauben fragt, die Bibel zum zentralen Gegenstand.

Halten wir bereits an dieser Stelle fest: Es gehört wesenhaft zur Aufgabe der Fundamentaltheologie, das Wesen der Heiligen Schrift zu reflektieren. Genau diese Aufgabe ist es aber, die in gleicher Weise dem Ausleger der Heiligen Schrift gestellt ist. Fundamentaltheologie und Bibelwissenschaft überschneiden sich somit in Hinsicht auf ihre je spezielle Aufgabe an zentraler Stelle. Die Fundamentaltheologie lebt vom Bedenken der Heiligen Schrift - die Bibelwissenschaft lebt vom Bedenken der Heiligen Schrift. Das heißt aber, daß der Fundamentaltheologe immer auch Neutestamentler ist und der Neutestamentler immer auch Fundamentaltheologe (in gewisser Weise gilt das natürlich auch vom Verhältnis von Fundamentaltheologe und Alttestamentler). Und die "Schnittmenge" ihrer Aufgabe läuft dabei darauf hinaus, daß es um das ganz grundsätzliche Bedenken dessen geht, was Theologie wesensmäßig ausmacht.

Reflektieren wir nun des weiteren aus der Dreiheit von fundamentum dogmaticum, fundamentum organicum und fundamentum substantiale den dritten Fundamentalaspekt! Heißt es bei E., daß das fundamentum substantiale Christus sei, so ist damit erneut etwas darüber gesagt, was sowohl für die Fundamentaltheologie als auch für die biblische Theologie von hoher Bedeutsamkeit ist. E. sagt ausdrücklich im Blick auf das fundamentum substantiale (409): "Das kann ja nur heißen: nicht ein christologisches Dogma, sondern der lebendige Christus selbst; Fundament also verstanden als Inbegriff und Ursprung des Lebens, mit dem die Theologie zu tun hat, als lebenspendendes Leben".

Das bedeutet für die Schrift, daß sie nicht etwa Christus als Inhalt einer Aussage nur mitteilte. Vielmehr gilt, daß da, wo sie ihr Ureigenes sagt und wo dieses Ureigene im eigentlichen Sinne des Wortes gehört wird, die "dynamis theu" - und das heißt: der "dynatos theos" - präsent ist (s. Röm 1,16 f.!). In der Tat sind es nicht zwei Fundamente, sondern, mit E. formuliert (408), zwei "Fundamentalaspekte", wenn vom fundamentum organicum und fundamentum substantiale die Rede ist: Insofern im Evangelium, von dem die Schrift kündet, Gott bzw. Christus präsent ist, koinzidieren Schrift und Gott. Die Rede von solcher Koinzidenz mag leicht zum gravierenden Mißverständnis führen und deshalb theologisch nicht ungefährlich sein. Aber Theologie ist immer, weil es in ihr um nichts Geringeres als um Leben und Tod geht, dem Mißverständnis ausgesetzt, wie ja schon nach dem Zeugnis des Mk und des Joh die Verkündigung Jesu mißverstanden worden ist. Wo Gottes Wahrheit gesagt wird, da wird sie notwendig da das Opfer des Mißverständnisses, wo Menschen sind, die nicht hören können (Joh 8,43 f.!). Das gilt auch intra muros ecclesiae.

Im Zusammenhang mit dem Verständnis des fundamentum substantiale im Sinne von Christus als der Wirklichkeit Christi, nicht als dem Dogma von Christus, bringt E. den entscheidenden Begriff Geschehen (409): "Fundament der Theologie [ist] ein Geschehen ...; nicht ein Grundsatz, sondern ein Grundvorgang". Daß die Wirklichkeit der christlichen Wahrheit Ereignis ist, daß also im Raum der Theologie der sich je neu zueignende Christus das Fundament allen theologischen Denkens ist und sich somit Theologie "in Christus" vollzieht, das ist es, was E. - wenn auch etwas moderater formuliert - zutreffend als conditio sine qua non herausgestellt hat.

Es ist nun noch ein weiterer Gedanke, den E. in diesem Aufsatz (und auch sonst recht oft) ausgesprochen hat, und zwar im Zusammenhang mit dem soeben skizzierten Problemkomplex, nämlich dem Verhältnis von Theologie und Philosophie - eine Thematik, die im Grunde so alt ist, wie das Christentum selbst. In dem hier besprochenen Aufsatz argumentiert E. - und zwar als unmittelbare Konsequenz aus dem theologischen "Sach"-Verhalt, daß das Fundament der Theologie Geschehen ist - aber zunächst einmal in entgegengesetzter Richtung: Bei dieser Überlegung seien nicht rein erkenntnistheoretische Gesichtspunkte im kantischen Sinne leitend, wonach wir es stets mit den Erscheinungen, nicht aber mit dem Ding an sich zu tun hätten. Zwar beständen zu dieser Erwägung entferntere Beziehungen; ihnen genauer nachzugehen erfordere jedoch, sich auf das ontologische Problem einzulassen. Daran komme auch der Theologe, wie jeder gründlich Denkende, nicht vorbei (409). In der Tat! Die Ontologiephobie, meist als Aversion gegen ein angeblich "metaphysisches" Denken zum Ausdruck gebracht, ist leider im evangelischen Raum ein verbreitetes Phänomen. Doch ehe einiges über das fundamentaltheologisch relevante Verhältnis von Theologie und Philosophie gesagt wird, noch ein für E. wichtiger Gedanke aus seinen "Erwägungen zu einer evangelischen Fundamentaltheologie"!

E. stellt betont heraus, daß der theologische Gegenstand immer der Form nach ein Gegensatz sei (409 f.). Das sei deshalb so, weil es die Theologie mit einem Geschehen zu tun habe, durch das letzte Entscheidungen in bezug auf das Leben fallen: "Darum ist theologisches Denken, wie die Sprache des Glaubens selbst, an Fundamentalunterscheidungen orientiert wie Gott und Welt, Zeit und Ewigkeit, Sünde und Gnade, Tod und Leben usw." E. beruft sich dafür - konsequent im Blick auf bereits Gesagtes - sowohl auf die biblische Überlieferung als auch auf Lebenserfahrungen: "Es genügt nicht, auf den Geschehnischarakter des theologischen Gegenstandes hinzuweisen. Es muß das antithetische Moment hervorgehoben werden, das dem Geschehen seine Notwendigkeit im Sinne des Notwendenden verleiht". Ich habe, abgesehen vom hohen Stellenwert dieses Gedankens im Innsbrucker Vortrag, vor allem deshalb darauf aufmerksam gemacht, weil für E. gerade dieser Punkt besonders wichtig ist. Das sagt schon allein der Untertitel von "Wort und Glaube IV": "Theologie in den Gegensätzen des Lebens", übernommen von der Überschrift der ersten Studie des Buches.

Doch nun zum fundamentaltheologisch relevanten Verhältnis von Theologie und Philosophie! Die Theologie hat schon allein deshalb ein äußerst inniges, untrennbares Verhältnis zur Philosophie, weil sie, die Theologie nämlich, ohne Hermeneutik undenkbar, Hermeneutik aber im philosophischen Denken fundiert ist. Welch entscheidendes Wort E. in der zweiten Hälfte unseres Jh.s zu diesem Problemkomplex gesprochen hat, ist bekannt und bedarf keiner Explikation. Für "Wort und Glaube IV" sei nur auf die Studie "Hermeneutik zwischen der Macht des Gotteswortes und seiner Entmachtung in der Moderne" verwiesen, sicher einer der interessantesten Beiträge des Buches. Im Schlußwort dieses Aufsatzes zitiert er Luther (225):

"Ein menschliches Herz ist wie ein Schiff auf einem wilden Meer, welches die Sturmwinde von den vier Orten der Welt treiben. Hier stößt her Furcht und Sorge vor zukünftigem Unfall; dort fähret Grämen her und Traurigkeit von gegenwärtigem Übel. Hier weht Hoffnung und Vermessenheit von zukünftigem Glück; dort bläst her Sicherheit und Freude von gegenwärtigen Gütern. Solche Sturmwinde aber lehren mit Ernst reden und das Herz öffnen und den Grund herausschütten".

Im Anschluß an dieses Zitat sagt E., es habe an seinen Ausführungen wohl verwundert, "daß Hermeneutik dazu Anlaß gab, so betont zugleich die Macht und das Herz zu thematisieren" - ich gestehe allerdings, daß mir dies geradezu evident war und ist - und "daß dabei Ontologie und Sprachlehre so eng miteinander ins Blickfeld rückten". E. hat in der Tat überzeugend gezeigt, daß Hermeneutik ohne Ontologie nicht auskommt. Wahrscheinlich ist die heutige philosophische Großwetterlage nicht besonders geeignet, Ontologie in demjenigen Sinne zu fördern, wie E. und auch der Rezensent sie verstehen. Als Neutestamentler, der seit Jahrzehnten immer wieder um das Verhältnis von Bibelauslegung und Philosophie bemüht war, füge ich mit Nachdruck hinzu: Die Schriften des NTs enthalten sicherlich keine thematischen Ausführungen über Ontologie. Aber sie reflektieren das Sein der Glaubenden, das In-Christus-Sein, "einai en Christo", auch das forensische Sein coram Deo usw. Der Bibelausleger, der sich von der ontologischen Fragestellung dispensiert, bekommt Essentielles der neutestamentlichen Verkündigung nicht in den Blick!

Und noch einmal ist es der Zusammenhang mit der Theologie Luthers, in dem E. auf den fundamentaltheologischen Charakter ontologischer Fragestellung zu sprechen kommt, nämlich in der Studie "Luthers Wirklichkeitsverständnis". Aus dieser Studien zitiere ich (aus Platzgründen) nur folgenden Passus (466, Kursive durch mich):

"Ihm (sc. Luther) geht es dabei um die Frage nach dem wahrhaft Theologischen. Insofern wird die ontologische Frage bei ihm zur fundamentaltheologischen schlechthin. Wir können auch sagen: Ihm geht es dabei um die angemessene Erfassung des biblischen Wirklichkeitsverständnisses. Dem korrespondiert durchaus die Frage: ,Woraufhin kann ich angesichts des Sterbens sagen: Amen, so ist es!?’ Denn das biblische Wirklichkeitsverständnis erhebt selbst angesichts des Todes den Anspruch befreiender Wahrheit und deshalb letztgültig gewißmachender Gewißheit".

Wiederum also der unmittelbare Zusammenhang von biblischem Wirklichkeitsverständnis (Verständnis impliziert Hermeneutik!), Fundamentaltheologie und Ontologie. Somit war Luther bereits als biblischer Theologe von der theologischen "Sache" her notwendig Fundamentaltheologe. Der Fundamentaltheologe setzt beim Wort Gottes an - der biblische Theologe setzt beim Wort Gottes an.

Es wäre nun möglich, in nahezu allen anderen Aufsätzen von "Wort und Glaube IV" programmatische Aussagen E.s zu dem uns hier interessierenden Problem zu zitieren und zu interpretieren. Es muß aber unterbleiben, um den anderen hier noch zu rezensierenden Werken die erforderliche Aufmerksamkeit zu schenken und ihnen somit gerecht zu werden. Aber ich mache zuvor wenigstens noch auf folgende Aufsätze E.s aufmerksam: "Befreiende Autorität. Schrift, Wort und Geist im Sinne der Reformation", "Die Bibel als ein Dokument der Universität", "Dogmatik und Exegese" und "Christus ... factus est peccatum metaphorice" (in diesem Aufsatz vor allem den Abschnitt III: Hermeneutisches in der Auslegung von Jes 64: Figürliche Redeform [Synekdoche]).

Mit dieser Erkenntnis nun zu Gerald O’Collins! Sein neuestes fundamentaltheologisches Buch "Retrieving Fundamental Theology" ist beredtes Zeugnis für den Wandel im Bewußtsein katholischer Fundamentaltheologen, der nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Der Vergleich etwa mit der Fundamentaltheologie von Albert Lang(8) macht evident, welch ungeheure Veränderung in der katholischen Fundamentaltheologie geschehen ist. Ihr vormaliger so betont apologetischer Charakter, durch den Titel "Apologetik" zum Ausdruck gebracht, machte sich in der Dreistufigkeit demonstratio religiosa, demonstratio christiana und demonstratio catholica deutlich vernehmbar. Albert Lang allerdings - und das war bereits ein guter Schritt in die richtige Richtung - betrachtete die demonstratio religiosa nicht mehr als Teil der Fundamentaltheologie: "Die Zuständigkeit der Fundamentaltheologie beginnt erst dort, wo die übernatürliche Offenbarung in Sicht kommt und nach der Berechtigung ihrer gläubigen Hinnahme gefragt wird"(9). Und folglich behandelt sein 1. Band mit dem bezeichnenden Untertitel "Die Sendung Christi" die demonstratio christiana und sein 2. Band mit dem Untertitel "Der Auftrag der Kirche" die demonstratio catholica. Die Sprache beider Bände, auch wo es um biblische Gehalte geht, ist aber immer noch durch und durch die einer apologetischen Beweisführung.

Ganz anders das Buch von O.! Es steht ganz und gar im Zeichen des Zweiten Vaticanums, vor allem seiner Dogmatischen Konstitution Dei Verbum, die am 18. November 1965 erlassen wurde. Der Ansatz von O.s Buch bei gerade dieser Konstitution macht es in evangelischen Augen so interessant, worüber nachher noch zu reden ist. Wir sollten aber auch zur Kenntnis nehmen, daß der Autor im Vorwort ausdrücklich auf den streng römisch-katholischen Charakter seines Buches verweist. Doch sogleich wendet er sich im selben Zusammenhang auch an seine nichtkatholischen Leser. Zitieren sollte man unbedingt einen aufschlußreichen Passus aus dem Vorwort (3):

"Right from the outset I realize (a) that its concentration on the creative reception of the conciliar documents will give this book a strongly Roman Catholic look, and (b) that for years Christians of other denominations have made up part of my readership. To them I say: Yes, the form (and title) of this book are Roman Catholic. But the questions I face about such matters as revelation, the role of theologians and the interpretation of the Bible are common to us all, and, in fact, common to members of other world religions".

Er rät dann seinen nichtkatholischen Lesern, mit Kap. 8 zu beginnen, das überschrieben ist "God’s Symbolic Self-Communication".

Zunächst zum Titel des Buches: Die Ausführungen zu Ebeling zeigen, daß der Titel keineswegs exklusiv römisch-katholisch ist. Doch fragen wir noch genauer: Wie sollen wir "Retrieving Fundamental Theology" im Sinne des Autors übersetzen? To retrieve heißt - so z. B. Langenscheidts Taschenwörterbuch - "wiederbekommen", "wiederherstellen". Danach wäre es die Absicht von O., der Fundamentaltheologie wieder ihre ursprüngliche Intention zurückzugeben. Oxford Advanced Learner’s Dictionary of Current English umschreibt das Wort u. a. mit "put or set right". Wenn ich O. richtig verstanden habe, geht es ihm darum, der Fundamentaltheologie diejenige Aufgabe zuzuschreiben, die der Theologie als solcher schon von ihren Ursprüngen zukommt. Vor dem 3. Kap., das das Wesen der Fundamentaltheologie darlegt, bringt der Autor im 2. Kap., überschrieben "Theology, Its Nature and Methods", Ausführungen über Theologie als solche. Dabei beruft er sich weitgehend auch auf Dei Verbum. Als "sacred science" reflektiere Theologie die göttliche Offenbarung. Da Gottes Selbsterschließung zum Ziel hat, uns zu erlösen, seien Offenbarung und Erlösung durch Christus praktisch derselbe Vorgang (19: "it follows that revelation and salvation through Christ are practically synonymous"). Das Konzil habe der Theologie nicht nur die Aufgabe zugeschrieben, "die geoffenbarten Wahrheiten" zu studieren, sondern auch "die Geheimnisse der Erlösung". Dann verweist
O. auf die Heilige Schrift. Nach Optatam Totius (Dekret des Vaticanums II zur Ausbildung der Priester) soll ja die Bibel Seele aller Theologie sein. Soweit wird der evangelische Leser das von O. zum Wesen der Theologie vom Zweiten Vaticanum her Gesagte mit Zustimmung lesen, ein wenig skeptisch aber zur Kenntnis genommen haben, daß nach Dei Verbum die Aufgabe der authentischen Auslegung des Wortes Gottes Aufgabe des kirchlichen Lehramtes sei. Aber über diese Formulierung müßte man reden, um genau zu verstehen, was denn nun damit gemeint ist. Denn auch im evangelischen Verständnis ist nicht die Auslegung dieses oder jenes Professors des NTs die maßgebliche Auslegung. Es ist schon, wie bei Ebeling deutlich wurde, der Glaube der Kirche.

Doch nun zum 3. Kap., in dem O. ausführt, was Fundamentaltheologie ist. Zitieren wir (41):

"The ’object’ which gives Fundamental Theology its own identity can be stated as follows: 1) the self-revelation of the tripersonal God in Jesus Christ, 2) the credibility of that revelation, and 3) its transmission and interpretation".

Einige Anmerkungen zu den drei Momenten des "Objekts" der Fundamentaltheologie: Daß der Autor mit der Selbstoffenbarung Gottes einsetzt, ist von höchster theologischer Relevanz. Damit ist nämlich gesagt, daß Gott zunächst als Offenbarer, spezifischer noch: als Selbst-Offenbarer gesehen wird. Es ist das vom AT und NT her gesehene Gottesverständnis, das hier zum Ausgangspunkt gemacht wird; es ist nicht ein abstrakter Gottesbegriff, der von aller Konkretheit und somit auch von aller Realität abstrahiert ist. Gott ist vielmehr als personaler Gott gesehen, der die Menschen als zur Begegnung fähige personale Wesen geschaffen hat und der als personaler Gott auch die Begegnung mit den Menschen sucht. Würde er als kommunikationsunwilliger Gott und zugleich als Person gedacht, in diesem Sinne als ein mächtiger, mit höchstem Wollen und Wissen ausgestatteter Gott, so wäre das Paradox zu registrieren: Als Person wäre Gott kommunikationsfähig, als Person ist der Mensch kommunikationsfähig - aber Gott dächte nicht im entferntesten daran, mit dem Menschen in irgendeine personale Beziehung zu treten. Gehen wir davon aus, daß Gott Person und als Person der Schöpfer von personhaften Wesen, nämlich Menschen, ist, dann dürfte es ein in sich durch und durch sinnvoller Gedanke sein, das Verhältnis zwischen Gott als Person und dem Menschen als Person von der Begegnung her zu denken, die ja per definitionem personalen Charakter hat. Genau das ist das Zeugnis beider Testamente! In diesem Sinne können wir von Gott als dem Deus hermeneuticus sprechen.(10) Genau in diesem Sinne sagt auch O. (41):

"Fundamental Theology’s work here involves examining the profoundly personal nature of divine revelation, its means, its mediators and its specific characteristics (as being, for example, historical, salvific and sacramental). In particular, those engaged in Fundamental Theology must grapple with the way revelation is simultaneously both event and mystery".

Und so lädt uns die Fundamentaltheologie nach O. ein, sorgsam die historische Dimension der Offenbarung im Zusammenhang der Ereignisse des ATs und NTs zu untersuchen.

Zur Glaubwürdigkeit (credibility) der Offenbarung erklärt er- gegen jeden Fideismus, obwohl er in diesem Zusammenhang den Begriff nicht bringt - (42): "nothing in the Christian scriptures and tradition justifies going to the extreme of interpreting faith as an unmotivated act of intellectual suicide". Gegen die Glaubwürdigkeit der Offenbarung stehen s. E. in der nordatlantischen Welt Intellektuelle der Nachaufklärungsperiode, die ausschließlich "in this-worldy terms" alles positivistisch erklären wollen, während in der Dritten Welt Hunger, Gewalt, soziales, politisches Unrecht usw. die Glaubwürdigkeit der Offenbarung bestritten. Im Blick auf die Weitergabe der Offenbarung spricht O. von der damit gestellten hermeneutischen Aufgabe.

Gehen wir nun über zum 4. Kap., das der Dogmatischen Konstitution Dei Verbum gewidmet ist. O. selbst betrachtet - und ich denke mit Recht! - dieses Kapitel als das Herz des Buches. Er verweist auf das vielfache Lob, das diese Konstitution erfahren durfte (48):

"Acknowledging clearly the divine initiative, the document interprets revelation as the personal self-revelation of the triune God who invites human beings to enter freely into a dialogue of love, so that through their response of integral faith they may receive salvation. Dei Verbum has been evaluated as thoroughly christocentric, since it recognizes the climax of revelation and its signs in the death and resurrection of God’s incarnate Son ..."

Es muß genügen, was hier zu O.s Sicht von Dei Verbum zu sagen ist. Ich muß leider darauf verzichten, auf weitere Abschnitte seines Buches genauer einzugehen. Für das, was hier über das Verhältnis von Fundamentaltheologie und biblischer Theologie zu sagen ist, wurde aber das Erforderliche zur Genüge ausgebreitet.

Wir können aufgrund des bisher zu Ebeling und O’Collins Gesagten folgendes herausstellen: Beide Fundamentaltheologen, der evangelische und der katholische, stimmen darin überein, daß das biblische Zeugnis von der Selbstoffenbarung Gottes der Ansatzpunkt der Theologie ist. Insofern sind, bei allem konfessionellen Dissens in Einzelfragen, beide in einem ganz entscheidenden Punkte einig. Der Wandel im katholischen Verständnis von Fundamentaltheologie und das Erwachen fundamentaltheologischen Denkens im evangelischen Raum sind ein ökumenisches Ereignis von nicht zu unterschätzender theologischer Relevanz. Beide Fundamentaltheologen haben in früheren Publikationen der Bibelauslegung große Aufmerksamkeit geschenkt. Ich denke bei E. an seine großartige Auslegung des Galaterbriefs(11), ich denke bei O. an seine Untersuchungen über die Ostertexte des NTs.(12) Bei beiden bestätigt sich: Die Fundamentaltheologie lebt von der biblischen Theologie.

Die bereits gegebene Inhaltsübersicht über den Sammelband "La teologia fondamentale" bestätigt weithin, was sich uns durch O.s Buch erschloß. Ist dieser Sammelband als Jubiläumsbuch zur Dogmatischen Konstitution Dei Filius des Ersten Vaticanums gedacht, so mag in evangelischer Sicht ein solches Jubiläum vielleicht manchen auf den ersten Blick etwas befremden. Nach dem Zweiten Vaticanum und seinem ungeheuren theologischen Fortschritt gegenüber dem Ersten Vaticanum nun ein Jubiläum dieses Konzils des vergangenen Jh.s? Es wäre aber völlig ungeschichtlich gedacht, wollte man evangelischerseits erwarten, daß man in Rom die Kontinuität zum Katholizismus des vergangenen Jh.s negiert! Und schießlich ging es ja auch bei der Tagung der katholischen Fundamentaltheologen in Rom gerade nicht um Dei Filius an sich, sondern um den Weg hin zu Dei Verbum, wobei der theologische Fortschritt vom Ersten zum Zweiten Vaticanum theologisch in aller Offenheit reflektiert wurde!

Das Erste Vaticanum steht bei evangelischen Theologen in keinem guten Ruf. Und auch der auf evangelischer Seite im hohen Maße ökumenisch Gesinnte wird die damals definierte Unfehlbarkeit des Papstes hinsichtlich der doctrina de fide et moribus (Sess. IV, Cap. 4) ablehnen. Aber das uns hier beschäftigende Problem, wie denn nun evangelischerseits Fundamentaltheologie zu verstehen und zu konzipieren sei, hat entschieden mehr mit der Frage zu tun, in welcher theologischen Denkweise die constitutio dogmatica de fide catholica (Sess. III vom 24. April 1870, also die Konstitution Dei Filius) formuliert ist. Und hier sind nicht nur auf evangelischer Seite die neuscholastische Begriffsbildung und Sprache Stein des Anstoßes! Auch katholische Theologen üben an den theologischen Voraussetzungen von Dei Filius scharfe, z. T. sogar überaus scharfe Kritik. Ich nenne hier nur Peter Eichers Ausführungen über das Erste Vaticanum in seiner Habilitationsschrift "Offenbarung".(13) Und es ist meines Erachtens heutzutage evident, daß die in Dei Filius verwendeten theologischen - und philosophischen - Kategorien durch das für uns inzwischen selbstverständlich gewordene geschichtliche Denken überholt sind. Ungeschichtliches Denken ist für uns heute Verlust an Realität. Eichers Kritik am neuscholastischen Denken, in dem die in der Hochscholastik gesehene Spannung zwischen Natur und Übernatur zu einem spannungslosen Nebeneinander gemacht wird, dürfte berechtigt sein.(14) Dennoch bleibt die kritische Anfrage an diese Kritik, ob nicht hinter dem genannten Begriffspaar ein Anliegen der Konzilsväter des Ersten Vaticanums verborgen ist, das ernstgenommen sein will. Aber lassen wir dieses Problem hier auf sich beruhen; es angemessen zu behandeln wäre eine Aufgabe, die unser Ziel weit übersteigt. Und vielleicht ist hier doch der katholische Theologe eher gefordert als der evangelische. Also verweise ich an dieser Stelle nur auf Hermann Joseph Pottmeyers Beitrag in dem zu rezensierenden Sammelband: La costituzione Dei Filius (s. auch das Vorwort von Rino Fisichella).(15)

Es versteht sich nach dem bisher Gesagten von selbst, daß ich auf die Beiträge von Adolfo González Montes (G.) und Rino Fisichella (F.) etwas ausführlicher eingehen sollte, da diese beiden katholischen Fundamentaltheologen das Verhältnis von Dei Filius und Dei Verbum thematisieren. G. behandelt Dei Verbum auf dem Hintergrund von Dei Filius; F. fragt, ob Dei Verbum lediglich Dei Filius wiederhole.

G. holt weit aus. Er stellt die Frage, ob das Verhältnis der Dogmatischen Konstitutionen der beiden Konzilien unter dem Gesichtspunkt von Abhängigkeit bzw. Kontinuität zu sehen oder als Bruch (rottura) zu verstehen sei. Er stellt diese Frage in den Horizont der Diskussion um neue Parameter in der Philosophie und dann auch in der Theologie, wobei er auf den dogmatischen Rationalismus, den modernen kritischen Rationalismus und auch den Marxismus (oggi fallito come concezione della realtà e del mondo, 84) zu sprechen kommt. G. geht dann auf die Beziehung zwischen Parameter, Begriff (concezione), Wirklichkeit (realtà) und die darin immer implizierte forma mentis ein. Die moderne hermeneutische Theorie wird der Einseitigkeit geziehen, weil sie den Primat des Subjekts betonte. Seine Meinung (84): "Jeder Wechsel der Denkweise (ogni cambio di mentalità), in besonderer Weise um der Antwort auf das Wesen des begrenzten Wissens willen, geschieht nicht nur aufgrund der Spontaneität des Geistes, sondern auch ... aufgrund der Realität selber oder der Ergebnisse der Handlungen der Realität beim Subjekt". Für die Klärung des Verhältnisses von Subjekt und Realität verweist G. auf die transzendentale Reinterpretation der kritischen Doktrin des Thomas von Aquin durch Karl Rahner. So weit die Eröffnung des Problems durch G.

Der nächste Abschnitt des Beitrags von G. ist überschrieben "Concettualismo e personalismo come paradigmi usuali dei due concili". Er will zunächst die unausweichliche Voraussetzung des Vaticanums I für das Vaticanum II herausstellen. Seine These (85): Die Konstitution Dei Filius arbeitet mit einem Glaubensbegriff, der als begriffliche Aneignung (come appropriazione concettuale) verstanden sei. Er spricht deshalb von einer zu starken Akzentuierung des intellektualisten Charakters des Offenbarungsverständnisses durch das Vaticanum I und von dessen Mangel an Wahrnehmungsbewußtsein für die Geschichtlichkeit der Offenbarung (la sua mancanza di percezione della storicità della rivelazione). Diese begriffliche Aneigung stehe im Gegensatz zum Modell des Vaticanums II, das sich ganz grundsätzlich personalistisch und heilsgeschichtlich definiere. In diesem Zusammenhang bezieht er sich auch auf Peter Eichers bereits genannte Schrift, aber auch auf Autoren wie Joseph Ratzinger, Heinrich Fries, Hans Waldenfels und René Latourelle.

G. spricht, was aufgrund des bisher Ausgeführten verständlich ist, vom Konzeptualismus des Vaticanums I, das sich vor der Aufgabe sah, die natürliche Erkenntnisfähigkeit (la capacità conoscitiva naturale) des Zugangs zu Gott zu bewahren; diese Erkenntnisfähigkeit sei die notwendige Voraussetzung für die Unterscheidung von natürlicher und übernatürlicher Offenbarung. Dies erkläre, warum wichtige Publikationen unserer Zeit beabsich
tigen, die Doktrin des Vaticanums I von ihrem polemischen und apologetischen Kontext zu befreien, um so ihre wahre Bedeutung (la vera potata di questa dottrina) über die natürliche und übernatürliche Gotteserkenntnis zu klären (88).

Von besonderem ökumenischen und biblisch-theologischem Interesse und somit auch von besonderem fundamentaltheologischen Interesse ist der zweite große Abschnitt des Beitrags von G. Seine Überschrift enthält bereits eine Inhaltsangabe: La rivelazione divina, avvenimento storico che implica la sua obiettivazione nel linguaggio. Nach einer kurzen geschichtlichen Einführung folgt der eigentliche thematische Teil mit dem Untertitel La mutua implicazione di Tradizione, Scrittura e Magistero nella rivelazione come evento linguistico. Titel und Untertitel interpretieren einander. G. zieht die Linie vom Tridentinum über das Vaticanum I zum Vaticanum II aus. Er hebt hervor, daß das Tridentinum nur eine einzige Glaubensquelle kannte, nämlich das Evangelium (Sess. IV): hanc veritatem ... contineri in libris scriptis et sine scripto traditionibus. Er sieht in der tridentinischen Formulierung das geschichtliche Ereignis (evento storico) der göttlichen Offenbarung impliziert. Dieses geschichtliche Ereignis finde jedoch in "geschriebenen Büchern und in Traditionen" seine "ihm eignende sprachliche Objektivierung" (la propria obiettivazione linguistica); genau diese sei es, die davor bewahrt habe, den Inhalt der Offenbarung in zwei unterschiedlichen Glaubensquellen (depositi) zu sehen. Daß Schrift und Tradition in dieser Weise in Trient als Einheit gesehen wurden, hat für G. hohe ökumenische Relevanz, wie seine weiteren Ausführungen noch zeigen werden.

Das Konzil habe, so seine Auffassung, ein neues Fundament gelegt; die Konzilsväter hätten die Philosophie und die transzendentale Theologie der Sprache mit voller Überzeugung betont, bedeutsam sogar noch für unsere Gegenwart. Und so sieht G. in der Offenbarung als einem geschichtlichen Ereignis zugleich ein "sprachliches Ereignis" ("evento linguistico"; Anführungszeichen durch G.). Dieser Begriff ist freilich nicht in dem spezifischen Sinne gebraucht, wie es z. B. bei Ernst Fuchs oder Gerhard Ebeling der Fall ist.(16) G. geht es um die Objektivierung der Tradition und damit um die geschichtliche Kontinuität des Geistes mit sich selbst - mit anderen Worten: um die geschichtliche Identität, die den Menschen mit sich selbst in Einklang zu bringen ermögliche. Die Offenbarung als geschichtliches Ereignis wird in diesem Sinne insofern zutreffend auch vom Menschen her gesehen, als es "Objekt der menschlichen Erfahrung" ist.

Wir verweilten bewußt so lange bei den Ausführungen von G. über das Tridentinum, weil er hier das Grundlegende auch für das Vaticanum I und das Vaticanum II gesagt hat. Was er über die Offenbarung als geschichtliches und zugleich sprachliches Ereignis im Blick auf das Tridentinum ausführt, sieht er auch auf dem Vaticanum I ausgesprochen. Tridentinum und Vaticanum I haben aber nach G. den Mangel, daß sie ihre Vorstellung vom Ereignischarakter der Offenbarung nicht in der Ausführlichkeit und der Tiefe expliziert hätten, wie dies dann in der theologischen Entwicklung durch das Vaticanum II geschehen sei. Tridentinum und Vaticanum I hätten ihre Voraussetzung nicht genannt. Wichtiger sei jedoch, daß bereits diese beiden Konzilien das - frei übersetzt - "Ziel der Offenbarung" (il soggetto della rivelazione) gesehen hatte, nämlich l’uomo destinatario della rivelazione (92). Diese Gedanken habe jedoch das Vaticanum II aufgrund seines Personalismus betont.

G. sieht also vom Tridentinum bis zum Vaticanum II die Offenbarung als solche als das eigentlich theologisch Bedeutsame, gegenüber der die Differenzierung in Schrift und Tradition zweitrangig ist. Und dann verweist G. mit einer gewissen inneren Genugtuung (93) auf die IV. Weltkonferenz von "Faith and Order" in Montreal, wo die Kirchen der Reformation von einer Gleichwertigkeit von Wort Gottes und Schrift Abstand genommen hätten, freilich unter Ausschluß der Tradition. Damit, so folgert er, habe Montreal die unausweichliche traditionelle Realität der geschichtlichen Erfahrung eingestanden und somit konsequenterweise das reformatorische sola-scriptura-Prinzip relativiert. Im Endeffekt teile Montreal die Überzeugung, daß die Schrift der literarische Niederschlag der Tradition sei. Parallel dazu sieht G. Dei Verbum, Art. 24: "Sacrae autem Scripturae verbum Dei continent et ... vere verbum Dei sunt".

Zur Relativierung des sola-scriptura-Prinzip habe ich mich - ohne jedoch diesen Begriff zu verwenden - ausführlich geäußert.(17) Es geht hier um die Frage nach dem Verhältnis von verbum praedicatum und verbum scriptum. In der Tat, das verbum Dei ist als das verbum praedicatum die fundamentale Konstituente der Kirche. Die Schrift des NTs ist gegenüber diesem verbum Dei praedicatum meines Erachtens unbestreitbar sekundär; denn sie hat ja ihre abgeleitete, also relativierte Autorität insofern vom gepredigten Wort, als sie nun dieses aufbewahrt. Insofern darf, ohne daß die Intention des sola-scriptura-Prinzips aufgegeben wird, in theologischer Verantwortung vor dem Worte Gottes gesagt werden, daß sich die evangelische Kirche nur im uneigentlichen Sinne als die Kirche der (geschriebenen!) Schrift versteht.(18) Und so sehe ich in der von G. genannten fundamentaltheologischen Annäherung in der Frage des Verhältnisses von Schrift und Tradition, also in der biblisch-theologisch relevanten Aussage des spanischen Fundamentaltheologen, eine Auffassung, der ich zumindest im Prinzip zustimme.

Der Beitrag des Herausgebers, Rino Fisichella (F.), bleibt weithin im Rahmen des unmittelbar zuvor stehenden Beitrags von Adolfo González Montes. Auch F. bemüht sich also um das Verhältnis von Dei Verbum zu Dei Filius. Insofern ist aber seine Optik gegenüber der von González verändert, als er fragt, ob Dei Verbum die Dogmatische Konstitution Dei Filius wiederhole. Für den lutherischen Rezensenten sind die Übereinstimmungen beider Referenten des römischen Symposions das bemerkenswerte Moment. Wahrscheinlich sind jedoch für den römisch-katholischen Fundamentaltheologen die Differenzen von höherer theologischer Bedeutung. Aber im Grunde ist diese unterschiedliche Optik eine hermeneutische Notwendigkeit, daraus unterschiedlich konfessioneller Sicht verständlicherweise jeweils andere Gewichtungen resultieren. Doch das, was beide Autoren bzw. beide Referenten der theologischen "Sache" nach sagen, kann natürlich vom katholischen wie vom evangelischen Leser begrifflich adäquat erfaßt werden. Es wird freilich in ein je anderes Koordinatensystem eingetragen. Sagen wir es optimistischer: in ein partiell je anderes Koordinatensystem. Die Eckdaten der konfessionell vorgegebenen Rezeptionsdifferenzen sind offenkundig: Dem katholischen Theologen wird es verständlicherweise darum gehen, auch bei einer positiveren Beurteilung des Vaticanums II gegenüber dem Vaticanum I letzteres zumindest in seiner theologischen Grundintention zu bejahen. Kein evangelischer Theologe kann vom katholischen verlangen, diese Fundamentalbejahung zu leugnen. Grundsätzlich gilt: Ein ökumenisch intendierter Dialog in rebus theologicis darf keinesfalls bedeuten, den Partner dazu zu bringen, an der Substanz seiner kirchlichen Lehre Abstriche vorzunehmen. Und in diesem Sinne wird auch der katholische Dialogpartner trotz aller ökumenischen Offenheit seines evangelischen Dialogpartners nicht erwarten, daß dieser die vom Vaticanum I definierte Unfehlbarkeit des Papstes akzeptiert. Auf unsere Thematik bezogen: Wenn sich um der ökumenischen Intention
willen Affinitäten im Blick auf fundamentale Konzeptions-Elemente einer zu entwerfenden Fundamentaltheologie abzeichnen, so konkretisiert sich dies in einer weithin positiven Deutung von Dei Verbum durch den evangelischen Theologen. Wie die Differenz zu Dei Filius theologisch und historisch zu beurteilen ist, wird dann das interkonfessionelle Gespräch über Dei Verbum gar nicht so sehr tangieren. Und vielleicht kann es sogar einer gewissen Entkrampfung dienen, wenn der evangelische Theologe bei dieser Thematik zum katholischen sagt: Tuares agitur - non mea.

Vergegenwärtigen wir uns also nun, freilich in größerer Kürze als bei González, F.s Überlegungen. Was ihn beschäftigt, ist vor allem das Verhältnis von unwandelbarer kirchlicher Lehre und deren beständiger Neuheit in unterschiedlichen geschichtlichen Momenten (l’immutabilità della dottrina e la sua costante novità nei diversi momenti storici, 105). Es ist genau diese Problematik, die die eben genannte Frage nach dem Verhältnis von Vaticanum I und Vaticanum II stellen ließ. Die Frage - mehr noch: die Fragerichtung - ist also ähnlich wie die von González. Für F. ist es anscheinend ein Anliegen, keinen eigentlichen Bruch (rottura) zwischen beiden Konzilien zu sehen: Dei Filius steht nicht in Opposition zu Dei Verbum, auch wenn er vom Vaticanum II sagt, es habe un suo proprio spazio di novità (123). Das, was das Vaticanum II auszeichnet, sei sein geschichtlicher Horizont, gekennzeichnet per il suo spiccato senso pastorale. Diese "deutlich pastorale Grundausrichtung" stellt F. dem apologetischen Kontext des Vaticanums I entgegen, auf dem es bekanntlich um das Verhältnis von Glaube und Vernunft gegangen ist.

Zur Frage nach der Bedeutung und Bedeutsamkeit von Dei Verbum in der Sicht F.s: Das neue Verständnis der Offenbarung, so stellt er mit Nachdruck heraus, sei durch die neue Begegnung mit der Heiligen Schrift und den Vätern bedingt (un rinnovato incontro con la Scrittura e i Padri, 116). Und es stimmt schon: Bereits ein flüchtiger Blick in die betreffenden Texte von Dei Filius und Dei Verbum zeigt unübersehbar, wie Dei Verbum aus der Vertrautheit mit der Heiligen Schrift gedacht und formuliert ist, während in Dei Filius Schriftstellen als Beweismittel vorgetragen werden; sie fungieren - oder soll man gar sagen: sie funktionieren? - als dicta probantia. Es ist richtig: Dei Verbum thematisiert die Geschichtlichkeit; diese Dogmatische Konstitution hat in der Tat jetzt il carattere personalistica delle rivelazione verstanden (124). Mit Recht spricht F. von der Verbindung von l’orizzonte storico alla luce della centralità e primarietà della Parola di Dio (123). Sagen wir es so: Daß Dei Verbum entschieden näher bei der Sprache der Heiligen Schrift und somit näher bei dem mit dieser Sprache Gesprochenen ist, hängt ganz entschieden damit zusammen, daß der Rückgriff auf die Bibel im Horizont geschichtlichen Denkens geschieht. Die Heilige Schrift und insbesondere das Neue Testament versteht, wer im Bewußtsein eigener Geschichtlichkeit das biblische Wort in dessen Geschichtlichkeit versteht. Es ist das hermeneutische Denken, das die Heilige Schrift mit dem in ihr ausgesprochenen Wort Gottes verstehen läßt, freilich jenes hermeneutische Denken, das im Akt des Glaubens geschieht. Spitzen wir zu: Aus der Koinzidenz von "ginoskein" bzw. "synienai" und "pisteuein" erwächst im Raum der Theologie diejenige biblische Theologie, deren Entelechie die Fundamentaltheologie ist. Das bedeutet aber auch, daß Theologie ohne ein verstehendes Glauben nicht möglich ist. Sine fide nulla theologia! Angesichts mancher gegenwärtigen Erscheinungen in der Theologie und auch und gerade in der neutestamentlichen Wissenschaft kann dieser Satz nicht energisch und deutlich genug ausgesprochen werden.

Angesichts der sich in Dei Verbum dokumentierenden Entwicklung, die in biblisch-theologischer und zugleich in fundamentaltheologischer Hinsicht von nicht zu überschätzender Bedeutung und Bedeutsamkeit ist, ist es geradezu selbstverständlich, wenn der Sammelband ein eigenes Kapitel über das Verhältnis von Heiliger Schrift und Fundamentaltheologie bringt. Der amerikanische Fundamentaltheologe Avery Dullas (D.) betitelte seinen Beitrag Uso della Scrittura in Teologia fondamentale. Es möge genügen, wenn ich hier nur die Untertitel nenne und dazu sehr wenige Worte sage: 1. Concetti di Teologia fondamentale. 2. Fede e credibilità. 3. La Scrittura negli apologeti storicisti. 4. La Scrittura nella teologia della conversione. 5. Scrittura e metodo teologico. Volle Zustimmung verdient, wenn D. im Blick auf die in der Theologie verwendete Methodik erklärt (162), daß eine "rein technische Exegese" zu wertvollen Einsichten führen könne. Aber: Für den theologischen Gebrauch der Heiligen Schrift genüge das nicht! Deutlich sagt D., daß das hermeneutische Zentrum der Schrift in Christus Jesus gegeben ist. In der Tat, um das Neue Testament zu verstehen, muß man den in ihm bezeugten Gott, der sich nach diesem Zeugnis in Jesus Christus offenbart hat, als Deus pro nobis verstehen. Andernfalls greift selbst die beste Methodik zu kurz. Eine solche, selbst optimal praktizierte Methodik außerhalb des Zirkels von neutestamentlicher Offenbarungsbotschaft und Glauben ist, vergleichsweise gesagt, wie ein Motor im Leerlauf; er läuft, aber er kommt keinen Millimeter weiter vorwärts. Der "Verstehende" erreicht im Verstehen nicht das zu Verstehende; die Realität wird durch einen bloßen Begriff substituiert.

D. unterscheidet drei grundsätzliche Konzepte der Fundamentaltheologie: 1. Sie hat den Nachweis der metaphysischen Möglichkeit einer Offenbarung zur Aufgabe, sie hat deren Glaubwürdigkeit (credibilità) aufzuweisen. 2. Sie untersucht im Lichte des Glaubens den Weg zum Glauben. 3. Sie begreift ihre Aufgabe als ein Studium im Lichte des Glaubens, deren Fundamente freilich nicht die des Glaubens, sondern der Theologie sind. Das Fazit des Beitrags von D. (164): "In conclusione, la Scrittura è una fonte preziosa per la Teologia fondamentale nei suoi tre aspetti". Aber: In keinem dieser drei Aspekte wirkt Schrift oder Vernunft allein.

Schauen wir auf die besprochene Literatur und die dabei sich meldenden Fragen, aber auch auf die z. T. auf diese Fragen bereits gegebenen Antworten zurück, so läßt sich zusammenfassend folgendes sagen: Mit dem Problemkomplex des Verhältnisses von Fundamentaltheologie und biblischer Theologie ist sowohl das Gefüge der theologischen Einzeldisziplinen als auch das Verhältnis von katholischer und evangelischer Fundamentaltheologie angesprochen. Vor allem aber: Es stellt sich mit unserer Thematik die Frage nach dem Wesen der Theologie als solcher. Aus anderer Perspektive formuliert: Es stellt sich die Frage nach dem Selbstverständnis von Theologie.

In erster Linie bedeutet dies, daß Theogie, will sie wirklich christliche Theologie sein, ihren Ausgangspunkt bei der Offenbarung nimmt; noch deutlicher: ihren Ausgang bei dem sich in seiner Offenbarung in Jesus Christus erschließenden Gott nimmt. Theologie aber, die den zentralen und originären Charakter der Offenbarung verkennt, hat das "Wesentliche ihres Wesens" verkannt und sich als Theo-logie aufgegeben. Die Wort-Gottes-Theologie in ihrer je spezifischen Ausformung bei Karl Barth oder Rudolf Bultmann hat sicher ihre zeitbedingten Schwächen, wie jede Theologie letzten Endes durch ihre notwendig geschichtliche Bedingtheit ihre Schranken hat, also beschränkt ist. Aber daß der Ansatzpunkt beim Worte Gottes durch die Dialektische Theologie und Rudolf Bultmann mit seiner theologischen Konzentration auf das Kerygma als Wort Gottes - auch nach seiner Trennung von der Dialektischen Theologie Barths - zur Mitte des eigentlichen theologischen Denkens führten, daß also der Protest gegen die sogenannte liberale Theologie durch Barth und Bultmann berechtigt war, das sollte am Ende des 20. Jh. mit allem Nachdruck festgehalten werden. Daß die Abwendung von der damaligen liberalen Theologie mit ihrem so erheblichen hermeneutischen Defizit keine Mißachtung der unverzichtbaren historisch-kritischen Methodik bedeutet, versteht sich von selbst. Der Protest der Dialektischen Theologie gegen die liberale Theologie war der Protest gegen deren Verkennung der theologischen Qualität des Wortes Gottes. Wer Offenbarung sagt, sagt auch Geschichtlichkeit. Und wenn Offenbarung notwendig geschichtlichen Charakters ist, dann hat sich der sich offenbarende Gott bei seinem Gang in die Geschichte hinhein auch der kritischen Geschichtswissenschaft ausgesetzt, ja, man kann zuspitzend sagen: sich ihr preisgegeben.

Fussnoten:

Was aber ist gewonnen, wenn von diesem Gottesverständnis her Fundamentaltheologie und biblische Theologie so nahe aneinanderrücken, so daß sie zum großen Teil geradezu miteinander verschmelzen? Was heißt es, wenn Fundamentaltheologie partiell - natürlich nur partiell! - biblische Theologie wird? Was heißt es, wenn biblische Theologie partiell - natürlich nur partiell! - Fundamentaltheologie wird? Es bedeutet, daß die biblischen Wissenschaften, und zwar sowohl die alttestamentliche also auch die neutestamentliche, die Unabdingbarkeit systematisch-theologischer Fragestellungen innerhalb ihrer eigenen Disziplinen erkennen. Es bedeutet, daß die Fundamentaltheologie als die Disziplin, die sagt, was Theologie denn sei, die Heilige Schrift als ihre genuine, ihre primäre Quelle versteht. Diese partielle Koinzidenz von biblischen Wissenschaften und Fundamentaltheologie gibt beiden Seiten die theologische Dynamik zum besten der ganzen Theologie. Es geht keinesfalls darum, die sich inzwischen seit etwa 200 Jahren eingebürgerte Disziplinentrennung in den theologischen Fakultäten in Frage zu stellen. Aber wohl geht es darum, bei diesen Disziplinen die viel beschworene "Einheit der Theologie" anzumahnen. Die unbestreitbare Gefahr der Isolierung der einzelnen Disziplinen besteht durchaus. Aber die Gravitationskraft des theologischen Denkens kann durch die Reflexion des sich uns in seiner Offenbarung erschließenden Gottes die Theologie zu ihrer ureigenen Mitte hin bewegen, um von da aus wieder nach außen zu wirken. In welcher theologischen Disziplin der einzelne auch lehrt und forscht, er ist in erster Linie Theologe und dann erst Alttestamentler, Neutestamentler, Kirchengeschichtler, Systematischer Theologe oder Praktischer Theologe! Theologie als Theologie kann in Bewegung versetzen, weil sie Wissenschaft vom "euaggelion" ist, von dem Paulus sagt, es sei "dynaris theu" (Röm 1,16 f.). Theologie als Wissenschaft vom "euaggelion"" ist als "logos tu stauru" die "dynaris"(1Kor 1,18). Als Wissenschaft dieser Dynamik Gottes geht dann diese Dynamis aus, wenn wirklich Gott als Gott - nämlich als Deus pro nobis - verstanden ist, nicht aber als abstrakter Begriff. Die hermeneutische Konsequenz wurde bereits genannt: Einzig und allein ein glaubendes Verstehen des sich offenbarenden Gottes ist Verstehen des in der Heiligen Schrift ausgesprochenen Wortes Gottes. Eine Theologie mit dem Anspruch eines "neutralen", weil objektivierten Verstehens ist keine Theologie.

Es ist nun - entgegen der Absicht des Rez. mag das pathetisch klingen - das Aufleuchten eines theologischen Ereignisses, wenn diese theologische Erkenntnis, von der soeben die Rede war, sowohl im evangelischen als auch zugleich im katholischen Raum aufbricht. Römisch-katholische Fundamentaltheologie war früher zu einem gewissen Teil apologetisch gegen den "Protestantismus" gerichtet; römisch-katholische Fundamentaltheologie ist heute nahe beim Verständnis des Wortes Gottes, wie es oben dargelegt wurde. Natürlich, konfessionelle Gegensätze bestehen immer noch. Und sie sollen und sie dürfen nicht verschleiert oder weggeredet werden! Aber der evangelische Theologe, der sich in seiner Theologie vom Worte Gottes her versteht, steht dem katholischen Theologen, der Dei Verbum zur theologischen Heimat hat, näher als dem "protestantischen" Theologen, der sich weigert, Theologie von der Offenbarung her zu denken.



(1) Ebeling, Gerhard: Wort und Glaube. III: Beiträge zur Fundamentaltheologie, Soteriologie und Ekklesiologie. Tübingen: Mohr 1975. XIV, 647 S. gr.8. Lw. DM 148,-. ISBN 3-16-136812-6.

(2) Ebeling, Gerhard: Wort und Glaube. IV: Theologie in den Gegensätzen des Lebens. Tübingen: Mohr 1995. XXII, 687 S. gr.8. Lw. DM 148,-. ISBN 3-16-146334-X.

(3) G. Ebeling, Dogmatik des christlichen Galubens, Tübingen Bd. 1: 31987; Bd. 2: 31989; Bd. 3: 31993.

(4) O’Collins, Gerald: Retrieving Fundamental Theology. The Three Styles of Contemporary Theology. New York-Mahwah: Paulist Press 1993. IV, 225 S. 8. ISBN 0-8091-3418-7.

(5) Fisichella, Rino (a cura di): La Teologia fondamentale. Convergenze per il terzo millennio. Casale Monferrato (AL): Edizione Piemme Spa. 225 S. gr.8. L. 80.000. ISBN 88-384-2726-7.

(6) Jetzt in: G. Ebeling, Wort Gottes und Tradition. Studien zu einer Hermeneutik der Konfessionen (KiKonf 7), Göttingen 1964, 9-27.

(7) Ders., Theologie und Verkündigung. Ein Gespräch mit Rudolf Bultmann (HUTh 1), Tübingen 21963.

(8) A. Lang, Fundamentaltheologie Band I: Die Sendung Christi, München 1954; Fundamentaltheologie Band II: Der Auftrag der Kirche, München 1954.

(9) Ib. I, 24.

(10) H. Hübner, Deus hermeneuticus, in: Th. Söding [Hrsg.], Der lebendige Gott. Studien zur Theologie des Neuen Testaments, FS Wilhelm Thüsing, hrsg. von Th. Söding, Münster 1996, 50-58.

(11) G. Ebeling, Die Wahrheit des Evangeliums, Tübingen 1981.

(12) Ich nenne von ihm nur G. O’Collins, S.J., Jesus Risen. A Historical, Fundamental and Systematic Examination of Christ’s Resurrection, New York/Mahwah 1987.

(13) P. Eicher, Offenbarung. Prinzip neuzeitlicher Theologie, München 1977. Eicher ist aber auch gegenüber Dei Verbum, also der Dei Patris entsprechenden Dogmatischen Konstitution des Zweiten Vaticanums, ziemlich kritisch; er spricht vom "offenbarungstheologischen Kompromiß".

(14) Ib. 134 ff.

(15)La Teologia fondamentale, 19-39; s. auch H. J. Pottmeyer, Der Glaube vor dem Anspruch der Wissenschaft, Freiburg 1968.

(16) S. z. B. Ebeling, Theologie und Verkündigung, 56, wo der Autor, unter Berufung auf Ernst Fuchs, hervorhebt, daß der Gesichtspunkt des Historisch-Faktischen in der Wahrnehmung von Sprachereignissen zur Geltung komme.

(17) H. Hübner, Biblische Theologie des Neuen Testaments I: Prolegoma, Göttingen 1990, 39 ff.

(18) Ich nehme dankbar zur Kenntnis, daß diese meine Ansicht von keinem evangelischen Rezensenten meiner Theologie (jedenfalls soweit mir die Rezensionen zu Augen gekommen sind) kritisiert wurde.