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Ausgabe:

Januar/1997

Spalte:

59–64

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Heidegger, Martin

Titel/Untertitel:

Feldweg-Gespräche (1944/45).

Verlag:

Frankfurt/M.: Klostermann 1995. V, 249 S. 8° = Heidegger Gesamtausgabe. III. Abt.: Unveröffentlichte Abhandlungen, Vorträge, Gedachtes, 77. Lw. DM 68,-. ISBN 3-465-02803-1.

Rezensent:

Richard Schaeffler

Der vorliegende Band vereinigt drei "erdachte Gespräche", die Heidegger in den Jahren 1944/45 niedergeschrieben hat. Der erste Dialog, "Ein Gespräch selbdritt auf einem Feldweg zwischen einem Forscher, einem Gelehrten und einem Weisen" (1-159) trägt den Titel, den die Hgn. dem Sammelband gegeben hat und verweist durch diese Überschrift auf spätere "Feldweg"-Veröffentlichungen des Vf.s voraus ("Der Feldweg ­ Aus der Erfahrung des Denkens", 1947; "Der Zuspruch des Feldweges" 1949), während im Text des Gespräches selbst auf frühere Feldweg-Gespräche zurückverwiesen wird. Der zweite Dialog "Der Lehrer trifft den Türmer an der Tür zum Turm-Aufgang" (161-202) findet ebenfalls auf einem Feldweg statt, von dem aus die Gesprächspartner den Turm aus der Ferne und deshalb desto deutlicher in seiner Gestalt und seinem Bezug zu Himmel und Erde zu sehen bekommen. Der dritte Dialog "Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren" (203-245) ist nach Auskunft der Hgn. im Gedenken an Heideggers beide Söhne geschrieben, die in Rußland vermißt waren und die der Verfasser in einem Kriegsgefangenenlager vermutete.

Alle drei Dialoge umkreisen Themen, die aus früheren, aber auch späteren Veröffentlichungen Heideggers bekannt sind, und wiederholen bzw. antizipieren dabei auch Formulierungen, die sich in den veröffentlichten Schriften finden: die Frage nach der Technik und ihrem Verhältnis zur neuzeitlichen Naturwissenschaft, die Frage nach dem Wesen der Wahrheit und dem Auftrag des Denkens, die Bestimmung der "Gelassenheit" als der Bedingung für den Zuspruch des Wortes, dem Denken zu antworten hat. Aber die "erdachten Gespräche" sprechen von alledem aus der bedrängend gewordenen Erfahrung von der radikalen Gefährdung des Menschen und seines Wesens. Diese Ge-fährdung hat den Charakter einer "Verwüstung" angenommen, die tiefer reicht als alle äußerlich feststellbaren Kriegs-Verwüstungen. "Diese Verwüstung (ist) keineswegs eine Folge der Weltkriege, sondern die Weltkriege sind schon und nur die Folge der Verwüstung, die seit Jahrhunderten die Erde angeht" (3. Dialog, 211). Diese entspringt aus dem "Wesen des neuzeitlichen Menschentums selbst", das am deutlichsten in Technik und Wissenschaft hervortritt. Dieses "neuzeitliche Menschentum", ja das "abendländische Menschentum" im Ganzen seiner Geschichte hat die "Dinge" zu "Gegenständen" gemacht, die ihre besondere Weise des "Anwesens" durch die Beziehung auf den Menschen, sein Vor-Stellen und Her-Stellen gewinnen. Darin liegt ein "Angriff der Technik auf die Natur", der "in dieser eine geheimnisvolle Gegenwehr ausgelöst hat, die auf die Vernichtung des Menschenwesens abzielt" (1. Dialog, 33). So gesehen erweisen auch alle äußerlich feststellbaren Kriegsverwüstungen sich als die Folge jener "Gegenwehr" der Natur; denn "was der Verwüstung anheimfallen soll..., ist doch das bislang gültige Wesen des abendländischen Menschentums" (1. Dialog, 90).

Trotz dieser ihrer vernichtenden Macht, ja gerade ihretwegen, kann die "Gegenwehr" der Natur als die einzig mögliche Überwindung der Selbstgefährdung des Menschen verstanden werden. Denn nicht nur für die Natur, sondern auch und vor allem für den Menschen selbst ist die "Herrschaft" des vorstellend-herstellenden Denkens "bedrohlicher als Bomben und Raketen" (3. Dialog, 186). Das allein Rettende kann nur dann gefunden werden, wenn die Herkunft dieser radikalen Bedrohung aufgedeckt wird. Und hier drängt sich den Gesprächspartnern die Vermutung auf, "das Bösartige, als welches die Verwüstung sich ereignet, möchte wohl ein Grundzug des Seins selbst bleiben" (3. Dialog, 215), weil das Sein selbst den Menschen und die Natur in jene "Seinsverlassenheit" entlassen hat, in welcher er sich nicht anders zu verhalten vermag als in der Weise des Vorstellens und Herstellens einer Welt von Gegenständen. "Das Sein eines Zeitalters der Verwüstung bestünde dann gerade in der Seinsverlassenheit" (3. Dialog, 213).

In seinem seit 1930 mehrfach gehaltenen, 1943 veröffentlichten Vortrag "Vom Wesen der Wahrheit" hatte Heidegger formuliert: "So stehen gelassen, ergänzt sich ein Menschentum seine ’Welt’ aus den je neuesten Bedürfnissen und Absichten und füllt sie aus mit seinen Vorhaben und Planungen" (Vom Wesen der Wahrheit, 21). Die "Welt" der Technik und darin eingeschlossen die Welt der neuzeitlichen Wissenschaft entspricht so einer "Seinsverlassenheit". Und zehn Jahre später, in seinem 1953 gehaltenen Vortrag "Die Frage nach der Technik", wird Heidegger die unvermeidliche Antwort des Menschen auf die erfahrene und sogleich vergessene "Seinsverlassenheit" in folgender Weise beschreiben: "Indessen spreizt sich gerade der so bedrohte Mensch in die Gestalt des Herrn der Erde auf. Dadurch macht sich der Anschein breit, alles, was begegne, bestehe nur, insofern es ein Gemächte des Menschen sei" (Vorträge und Aufsätze, 34 f.).

Von diesen Formulierungen aus Heideggers veröffentlichten Werken fällt auch neues Licht auf die hier vorgelegten, bisher unveröffentlichten Dialoge. Ist nämlich die "Verwüstung" eine Folge der "Seinsverlassenheit", die den Menschen bei seinen "Vorhaben und Planungen" stehen läßt, dann wäre es nicht nur vergeblich, ihr durch neue Vorhaben und Planungen entgegenwirken zu wollen, "weil hier menschliche ’Maßnahmen’ nichts vermögen" (3. Dialog, 215). Ein solcher Versuch wäre überdies zielwidrig, weil die Meinung, die Rettung ließe sich als eine vom Menschen gewollte planen und herbeiführen, ihrerseits nur Ausdruck eben jener Seinsverlassenheit wäre, die den Menschen bei seinen Planungen alleingelassen hat. Statt also die Überwindung der Gefahr zu wollen und also zu planen, kommt es darauf an, sich "auf das Nicht-Wollen einzulassen" (1. Dialog, 76), in einem "Warten", das seine Erfüllung nicht einmal durch die inhaltliche Bestimmtheit eines "Erwartens" präjudiziert. Das hier versuchte "Warten läßt sich auf das Vor-Stellen (eines Erwarteten) gar nicht ein. Das Warten hat eigentlich keinen Gegenstand" (1. Dialog, 115). Nur so überwindet das Warten "die Sucht des bloßen Erwartens und die Gier des Erraffens" (3. Dialog, 220). "Warten ist im Wesen anders als alles Erwarten, das im Grunde nicht warten kann" (a. a. O. 227).

Diese Hochschätzung eines Wartens, das von allem Erwarten verschieden ist, bestimmt auch die Weise der Dialogführung. Die geradezu ängstliche Sorge des "Weisen", das Gespräch könne von irgendwelchen Vorhaben und Planungen und also von einem "Willen" bestimmt werden, veranlaßt ihn, den Gang des Gesprächs immer dann zu unterbrechen, wenn dieser, wie der "Gelehrte" und vor allem der "Forscher" es wünschen, mit einer gewissen Konsequenz beim Thema bleiben will. Denn "vielleicht könnte einer bezweifeln, ob ein Gespräch überhaupt noch ein Gespräch ist, wenn es etwas will" (1. Dialog, 56). Auf die Frage des "Gelehrten": "Weshalb mißtrauen Sie so dem Thematischen?" antwortet der "Weise": "Weil es, wie der Name sagt, das von uns Gesetzte ist, während doch in Gesprächen wie dem unsrigen das Besprochene von sich aus sich uns zur Sprache und damit nahe bringen möchte" (1. Dialog, 75). Weil aber das von uns gesetzte Thema (von griechisch: Tithemi, ich setze) sich in Fragen entfaltet, ist das Mißtrauen gegen das Thematische zugleich der Zweifel an der Erhellungskraft von Fragen: "Wie aber, wenn der Weg zu den wesentlichen Antworten überhaupt nicht das Fragen wäre?" (a. a. O. 24). "Das ursprüngliche Antworten ist also nicht das Antworten auf eine Frage, sondern das Gegenwort zum Wort" (a. a. O. 25) ­ einem Wort, das wir nicht durch ein vorauseilendes Erwarten vernehmen, sondern im "Warten auf den Einfall des Wortes, das wie der Wind einfällt in den still ragenden Baum" (a. a. O. 99). Und in diesem Sinne ist nicht das planmäßig herbeigeführte Ergebnis einer Erkenntnisbe-mühung der Weg zur Wahrheit, sondern der als das Ein-Fallen des Wortes verstandene Einfall. "Alles Wesentliche, was wir denken, ist uns ein-gefallen, wobei nur zu wissen wäre, wohinein es uns zu-fällt" (a. a. O. 96). Und so wiederholt der "Weise" bekenntnishaft seine Weg-Weisung: "Wir sollen gar nichts tun, sondern warten" (a. a. O. 110).

Solches Warten, das das Los-Lassen allen Wollens einschließt, "ist im Wesen Gelassenheit" (a. a. O. 125). Nur in solchem gelassenen Nicht-Wollen geschieht "die Entschlossenheit zur Wesung der Wahrheit" (a. a. O. 144).

Durch ein solches erwartungsloses Warten auf den Einfall des zu-fallenden Wortes werden, so ist nun die Hoffnung, "Ausblicke" eröffnet, "durch die sich solches zeigt, was den Wahrheitsanspruch der Technik und Wissenschaft erschüttert" (2. Dialog, 194). Sogar die gewollte und geplante Kritik an Technik und Wissenschaft und an der durch sie bestimmten Kultur "ist unfruchtbar" (ibid.) und selbst die "Erschütterung" durch die Verwüstung "erbringt nichts, es sei denn, sie schwinge bald in einer älteren, gediegenen Beruhigung" (a. a. O. 195). Alle Beunruhigung ist, wie der zeitweilig auf den Feldweg herabgestiegene Türmer bemerkt und der "Lehrer" bestätigt, eine Folge des "stets zu kurzsichtigen Bemühens, am Wirklichen zu bleiben durch die Beschäftigung mit dem Heutigen, wonach unser Sinn eigentlich nicht steht" (a. a. O. 194/95).

Solcher Abschied von der "Beschäftigung mit dem Heutigen" bestimmt auch das "Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland", in welchem der "Jüngere und der Ältere" sich in ein erwartungsloses Warten einüben, das nur dem gelingt, der "seinem Wesen nach warten kann dessen, was also wie der Tod auf unser ganzes Wesen wartet" (3. Dialog 225). Darin meinen die beiden zugleich die Berufung ihres "geschlagenen Volkes" zu erblicken (a. a. O. 234). Da diesem Volk alles Planen und Wollen aus der Hand geschlagen ist, eröffnet sich ihm die Möglichkeit, zu einer Freiheit zu finden, "die im Lassenkönnen, nicht im Anordnen und Befehlen beruht" (a. a. O. 250), und so auf ein Kommendes zu warten, dessen Kommen sich dem erwartenden Vorgriff entzieht. Solchem Kommen entgegen-wartend, finden die Wartenden ihre Gegen-wart, so daß "die in der edelsten Weise Wartenden" es sind, "durch deren Gegenwart zum Kommen das Wort in die Antwort des Menschenwesens gelangt und so in die Sprache gebracht wird" (a.a. O. 252/53).

Das antwortbereite Warten auf das einfallende und zufallende Wort wird so zum "Wesen" eines "ganz unbrauchbaren Volkes" (a. a. O. 254), dem die erfahrene "verblendete Irreführung zu kläglich ist, als daß wir darauf eine Klage verschwenden dürften" (a. a. O. 206). Denn dem rein Wartenden verstummt nicht nur die Anklage, sondern auch die Klage. Beide gehören noch jener "Subjektivität" an, deren "Aufstand" der Ursprung aller Verwüstung war und der zugleich durch diese Verwüstung niedergeworfen wurde. Demgegenüber sind die erwartungslos Wartenden jenseits von Klage und Anklage dessen gewiß, "daß wir als die Wartenden die längste Geschichtszeit noch vor uns haben" (a. a. O. 237).

Zu diesem niedergeworfenen Aufstand der Subjektivität gehört auch das Pochen auf das Nationale. Denn "die Nationalität ist nichts anderes als die reine Subjektivität eines Volkes" und hat, wie jede Subjektivität, "darin ihr Wesen, daß der Mensch, der Einzelne, die Gruppen und die Menschentümer aufstehen, um sich auf sich selbst zu stellen und sich als den Grund und das Maß des Wirklichen zu behaupten" (a. a. O. 253). Die Verwüstung, die in der neuzeitlichen Subjektivität ihre Herkunft hat und sich in der Verwüstung ebendieser Subjektivität vollendet, hat, so wird man aus solchen Aussagen folgern dürfen, in der Verwüstung und schließlichen Selbstverwüstung des Nationalen seine deutlichste Ausprägung gefunden ­ aber auch nur dies. "Denn die Verwüstung, die wir meinen, besteht ja nicht erst seit gestern" (a. a. O. 207), sondern ist so alt wie die neuzeitliche Subjektivität, ja wie das "abendländische Menschentum" selber, so daß sie "schon seit Jahrhunderten die Erde an-zehrt" (a. a. O. 211). Darum ist freilich auch mit der bloßen Niederwerfung einer bestimmten Nation und ihres ungezügelten Herrschaftsanspruchs, ja selbst mit der Überwindung des Nationalen zugunsten des Internationalen nichts Wesentliches gewonnen, solange der "Aufstand der Subjektivität" auch das Denken und Handeln der (vermeintlich) Siegenden bestimmt. Und so versteht sich der sonst befremdliche Zusatz, mit dem Heidegger dieses "erdachte Gespräch" abschließend kommentiert: "Am 8. Mai 1945. Am Tage, da die Welt ihren Sieg feierte und noch nicht erkannte, daß sie seit Jahrhunderten schon die Besiegte ihres eigenen Aufstandes ist" (a. a. O. 240).

So sehr nun dieser abschließende Zusatz von dem besonderen Inhalt der drei vorangehenden "selbsterdachten Gespräche" her gelesen werden muß und in ihrem Lichte verständlich wird, so unvermeidlich ist es doch, auch von ihm her auf die Dialoge zurückzublicken und dann nicht nur das Befremdliche, sondern auch das Bedrohliche des dort versuchten Denkens zu bemerken. Dann aber lassen sich kritische Anmerkungen der folgenden Art nicht vermeiden: Der Versuch, die "Verwüstung" seinsgeschichtlich zu deuten und als Grundzug des "abendländischen Menschenwesens" zu verstehen, läßt alle Differenzen innerhalb dieser abendländischen Geschichte als vergleichsweise wesenlos erscheinen. Ist der "Aufstand der Subjektivität" das Wesensmerkmal dieses "Menschentums", und ist folglich die "Vernichtung des Menschenwesens" (33) oder wenigstens des "bislang gültigen Wesens des abendländischen Menschentums" (90) der seinsgeschichtliche Sinn aller gegenwärtig erfahrbaren, aber seit Jahrhunderten sich anbahnenden Verwüstung, dann wird es gleichgültig, wer einen Krieg gewonnen oder verloren hat. Und selbst die "verblendete Irreführung des eigenen Volkes ist zu kläglich, als daß wir daran eine Klage verschwenden dürften" (206). Überhaupt verblassen vor der einen Gefahr, die von der "Seinsverlassenheit" ausgeht, alle unterscheidenden Bewertungen derjenigen Gefährdungen und Verwüstungen, die bestimmte Menschen und Gruppen sich selbst und anderen antun können. Die Verwüstung wird dann "ein Ereignis, das außerhalb menschlicher Schuld und Sühne waltet" (216). Und wenn "das Bösartige, als welches die Verwüstung sich ereignet" ein "Grundzug des Sein selbst" ist (215), dann ist alle Bemühung um das "Aufrichten einer moralischen Weltordnung" von vorne herein vergeblich (214).

Ja noch mehr: Wenn "überhaupt der Wille selbst das Böse" ist (208), dann wird jeder Versuch, das Böse willentlich, durch moralisches Handeln, zu überwinden, zu einer neuen Form der Herrschaft des Willens, also der planenden Subjektivität und folglich des Bösen. "Es könnte nämlich sein, daß die Moral ihrerseits und mit ihr all die sonderbaren Versuche, durch sie den Völkern eine Weltordnung in die Aussicht (...) zu stellen, nur eine Ausgeburt des Bösen wären" (209), nämlich der deutlichste Ausdruck einer Subjektivität, die zu planen und zu schaffen versucht, weil sie das Warten nicht gelernt hat, und die darum die Verwüstung unablässig erneuert. Die Diffamierung des Willens als eines solchen, auch des sittlichen Willens, und der Wille zum Nicht-Wollen machen so den Widerstand gegen das durchaus menschliche und nicht "seinsgeschichtliche" Böse unmöglich. Das sittliche Urteil aber erscheint nun als Ausdruck dafür, daß "der Mensch zum Knecht einer Selbstgerechtigkeit" geworden ist (215). Sittliches Wollen wie sittliches Urteilen sind immer noch Ausdrucksformen jenes "Aufstands der Subjektivität", den es zu überwinden gilt. Mit diesem Verzicht auf das sittliche Wollen und das sittliche Urteilen aber verläßt der Denker seinen Ort in Welt und Zeit, und bekennt, wie der "Türmer" des Dialogs und sein Gesprächspartner, der "Lehrer", daß "die Beschäftigung mit dem Heutigen" dasjenige ist, "wonach unser Sinn eigentlich nicht steht" (194 f.).

Wenn aber nicht nur der moralische Wille, sondern auch der Wille zu planmäßiger Erkenntnis-Gewinnung und Erkenntnis-Sicherung Ausdruck jener Subjektivität ist, die die Wesensherkunft aller Verwüstung darstellt, wenn folglich schon das Fragen und das Bleiben bei einem einmal gestellten Thema als Ausdruck jenes "abendländischen Menschenwesens" gilt, dessen Vernichtung seinsgeschichtlich angesagt wird, dann bleibt, wie in dem "Gespräch zwischen dem Forscher, dem Gelehrten und dem Weisen" ausdrücklich gesagt wird, der zufällige Einfall der einzig angemessene Weg zur Wahrheit (96). Freilich ist dann auch kein Kriterium dafür mehr zu finden, ob hier wirklich "das Wort" ins Denken "einfällt" und uns "zufällt", oder ob wir, im vermeintlichen Verzicht auf die Herrschaft der Subjektivität, dem subjektivsten Spiel unserer Assoziationen verfallen bleiben. Wer das Suchen nach Gründen und die Forderung nach Begründung von vorne herein als Ausdruck eines Willens zur Selbstsicherung des Subjekts versteht, opfert damit zugleich die Möglichkeit, seine Einfälle selbstkritisch zu überprüfen und für notwendige Korrekturen offenzuhalten. Dabei wird vergessen, daß die neuzeitliche Subjektivität in ihrer cartesischen Gestalt aus der Erfahrung des Irrtums entstanden ist und aus der selbstkritischen Einsicht, daß solcher Irrtum durch nichts und niemanden verschuldet ist als durch den Irrenden selbst, und daher durch nichts und niemanden überwunden werden kann als durch seine Selbstkritik ­ und zwar nicht durch eine pauschale Selbstkritik, die den Grund der Unwahrheit in das Wesen der Wahrheit verlegt, sondern durch eine differenzierende Selbstkritik, die den vermeidbaren Irrtum aufdeckt und den Irrenden dazu anleitet, sich diesen vermeidbaren Irrtum als eigenes "Peccatum" zuzurechnen (Descartes), ebenso wie das vermeidbare, keineswegs seingeschichtlich notwendige Böse.

So notwendig es also ist, die Herrschaft eines Denkens zu überwinden, das die Wirklichkeit nur als den Inbegriff dessen zuläßt, was es sich selber im eigenen Vorstellen und Herstellen gegenüberstellt, so wenig ist mit einem Denken geholfen, das den mühsamen Weg des Fragens, das ebenso mühsame Geschäft der Kritik und damit des unterscheidenden Urteils durch das "reine Warten" auf den "Ein-Fall des Wortes" ersetzen will. Und so notwendig es ist, die "Herkunft der Verwüstung" tiefer zu suchen als in den Ereignissen weniger Jahre und Jahrzehnte, so wenig heilsam ist es, eine Türmer-Perspektive einzunehmen, die "die Welt", die "zu siegen meint", von außen betrachtet und ihre Selbsttäuschung zu durchschauen meint. Und so hat es etwas tief Erschreckendes, "am 8. Mai 1945" von "der Welt" in einer Weise reden zu hören, die an die Selbstaussage dessen erinnert, der beanspruchte, "nicht von dieser Welt" zu sein und deshalb den Seinen sagen konnte "Ihr werdet weinen, die Welt wird sich freuen, aber eure Trauer wird sich in Freude verwandeln" (Joh 16,20).

Freilich wird man sich, um ein ungerechtes Urteil zu vermeiden, daran erinnern müssen, daß Heidegger die hier veröffentlichten "erdachten Gespräche" nicht zur Veröffentlichung bestimmt hatte, und daß er in späteren Veröffentlichungen differenzierter über die Mühe des Fragens und der kritischen Sicherung des Denk-Weges geurteilt hat. Die aller "Beschäftigung mit dem Heutigen" enthobene "Türmer-Perspektive" freilich hat er nie mehr aufgegeben.