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Ausgabe:

Februar/1997

Spalte:

105–122

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Martin Pöttner

Titel/Untertitel:

Metaphern der universalen Liebe (Mt 5,13a.14a)

Metaphern der universalen Liebe (Mt 5,13a.14a)

Wahrlich
Wem es ein Wort nie verschlagen hat, / und ich sage es euch, / wer
bloß sich zu helfen weiß / und mit den Worten -
dem ist nicht zu helfen. / Über den kurzen Weg nicht / und nicht über den langen.
Einen einzigen Satz haltbar zu machen, / auszuhalten in dem Bimbam von Worten.
Es schreibt diesen Satz keiner, / der nicht unterschreibt.

(Ingeborg Bachmann)

für Annette Klink


Die Sätze "Ihr seid das Salz der Erde" (Mt 5,13a) und "Ihr seid das Licht der Welt" (Mt 5,14a) sollen in der Folge als metaphorische Aussagen interpretiert werden. Dazu sind drei Schritte vorgesehen. Zunächst analysiere ich Mt 5,13-16 (). Sodann wird der hier verwendete Metaphernbegriff präzisiert und für die Realität von "kreativen Metaphern" plädiert (). Schließlich soll gezeigt werden, daß Mt 5,13a und 5,14a als "kreative Metaphern" verstanden werden können ().

1. Analyse von Mt 5,13-16

Mt 5,13a und 5,14a sind eng in die Textur von Mt 5,13-16 verwoben. Daher erfolgt zuerst eine Analyse dieses Textes. Zum einen skizziere ich das Text-Kontext-Verhältnis von Mt 5,13-16 zur "Bergpredigt" () und beschreibe zum anderen wesentliche Züge des Textes ().

1.1 Mt 5,13-16 im Kontext der "Bergpredigt"

Mt 5,1-7,28 weist sieben deutlich zu unterscheidende Abschnitte auf:

I. Narrativer Rahmen: 5,1 f und 7,28 f
II. Prolog der Rede: die Makarismen (5,3-12)
III. Ermächtigung der Adressaten und Adressatinnen der Rede (5,13-16)
IV. Abwehr eines Mißverständnisses: "Gesetz und Propheten nicht auflösen, sondern vollenden" (5,17-20)
V. He¡ dikaiosyne¡ perisseuousa pleion to¡n grammateo¡n kai Pharisaio¡n(5,21-7,12) (1):
a) "Unbegrenzte Wahrnehmung der Verletzlichkeit des Lebens": die "Antithesen" (5,21-48) (2)
b) Wahrnehmung der Schöpfung als Prozeß der schöpferischen Liebe und die Notwendigkeit kontinuierlicher Selbstkritik (6,1-7,11) (3)
c) Zusammenfassung: "Goldene Regel" als Inbegriff von "Gesetz und Propheten": Handeln in bezug auf die Verletzlichkeit des Lebens im Horizont von Wahrnehmung der Schöpfung als Prozeß der schöpferischen Liebe und kontinuierlicher Selbstkritik (7,12)
VI. Die Gefährdung der "überaus überfließenden Gerechtigkeit" durch die "Gesetzlosigkeit" (7,13-23)
VII. Epilog: "Weisheit" und "Torheit" (7,24-27)

Die "Bergpredigt" ist eine Rede, also nicht bloß ein lockeres Konglomerat verschiedener Überlieferungen aus der Logienquelle ("Q"), dem "Matthäus-Sondergut" und Mk. Sie ist ein streng komponierter Text. Zwar erscheint es kaum als möglich, sie einem bekannten Gattungsmuster zuzurechnen. Aber im Text sind zwei Hinweise enthalten, die für die Lesenden markieren, wie der Text verstanden werden soll. Mt weist zum einen darauf hin, daß es sich bei den Worten Jesu um eine lehrende Rede gehandelt habe (7,28 f). Zum anderen kennzeichnet der Epilog der Rede in 7,24-27 die Worte Jesu (implizit) als weise. Im Sinne des Mt ist daher m. E. von Weisheitslehre in bezug auf die "Bergpredigt" zu sprechen.

In welcher Weise ist Mt 5,13-16 in diesen Zusammenhang einbezogen? 5,3-10 ist zwar als singulär-plurale Anrede ("Ich"-"Ihr") aufzufassen (4). Aber die Makarismen reden erst in 5,11 f unter betonter Hervorhebung der Verfolgungssituation das im narrativen Rahmen indizierte - in sich differenzierte - Auditorium "Jünger" und "Menge" direkt an. Gerade durch 5,11 f ist der Ernst des in der "Bergpredigt" Gesagten scharf markiert. Alles, was in 5,3-10 gesagt ist, gilt denen, die konkret wegen der auf die Worte Jesu bezogenen "Gerechtigkeit" verfolgt werden (vgl. 5,10 mit 5,44 im Zusammenhang der Feindesliebe) (5). Das könnte heroisch klingen. Doch reagiert insbesondere 5,13-16 auf diese Problematik. Die Worte Jesu fordern nicht nur bestimmte Handlungsweisen ein. Sie ermächtigen auch die Angeredeten zu dem, was gefordert ist. Die Worte Jesu eröffnen einen Raum, der die schöpferische Liebe zum Zuge kommen läßt. Das ist schon in 5,3-12 der Fall. Deutlicher wird dies freilich erst in 5,13-16. Der Text ermächtigt die Rezipierenden zu einer bestimmten Lebensweise bzw. Lebensform, indem er sie zum "Salz der Erde" und zum "Licht der Welt" macht.

1.2 Gliederung, Stilisierung, Anredestruktur, argumentative Gestalt und semantische Struktur von Mt 5,13-16

Mt 5,13-16 kann in übersetzter und segmentierter Form folgendermaßen dargestellt werden:

13a Ihr seid das Salz der Erde.
b Wenn aber das Salz töricht wird,
c mit was soll gesalzen werden? (6)
d Es ist zu nichts mehr nütze,
als hinausgeworfen zu werden,
um von den Menschen zertreten zu werden.
14a Ihr seid das Licht der Welt.
b Niemand vermag eine Stadt zu verbergen,
die oben auf einem Berg gelegen ist.
15a Man pflegt auch nicht ein Licht anzuzünden
und es unter den Scheffel zu stellen,
sondern auf den Leuchter;
b dann leuchtet es allen im Haus.
16a So soll euer Licht leuchten vor den Menschen,
b damit sie eure schönen Werke sehen (7).
und euren Vater in den Himmeln preisen.

5,13a und 5,14a gliedern den Text in zwei Abschnitte. Auf die beiden Segmente folgt jeweils eine argumentative Sequenz (5,13b-d; 5,14b-16), die semantisch durch die jeweiligen metaphorischen Prädikate einai to halas te¡s ge¡s und einai to pho¡s tou kosmou motiviert ist.

5,13-16 weist eine beachtliche rhetorische Stilisierung auf. Die herausgehobene Stellung von 5,13a und 5,14a, die beide eine identische Silbenzahl aufweisen, wird durch die starke Anapher hymeis este to ... unterstrichen. Eine weitere Anapher findet sich in 5,14b und 5,15a (ou ... oude). Zudem kann auf die anaphorisch wirkende Wiederholung von kai in 5,15a.b.16b verwiesen werden. Die Dichte der Textsegmente wird durch Wortwiederholungen unterstützt (to halas [5,13a.b], to¡n anthro¡po¡n [5,13d.16a], hymo¡n [5,16]). Ein homosemes Wortspiel bilden te¡s ge¡s (5,13a), tou kosmou (5,14a) und to¡n anthro¡po¡n (5,13d.16a) (8). Der Text arbeitet mit Polyptoton (halas - halisthe¡setai [5,13a.b.c], lampei - lampsato¡ [5,15b.16a]) und Paronomasie (lychnon - lychnian). Als Metonymieim Sinne der "Kontiguitäts-Tropen" (9) kann ble¡then exo¡ in 5,13d aufgefaßt werden. Das Syntagma ersetzt ble¡then ek te¡s oikias(vgl. 5,15b) und lokalisiert 5,13b-d auf diese Weise im Haus (10). Ähnlich dürfte das Verhältnis von to pho¡s tou kosmou(5,14a) und to pho¡s hymo¡n(5,16a) zu erklären sein. Die letztere Formulierung steht für das phainein bzw. phainesthai (11) des pho¡s tou kosmou. Zuletzt sei auf die correctio oude ... all’ ... in 5,15a hingewiesen. Die Stilisierung des Textes zeigt, daß er auf kommunikative Wirkung hin entworfen ist. Dies verweist einerseits auf die textintern erzeugte Imagination, daß Mt 5,3-7,27 als eine Rede vorgetragen wird. Zugleich aber dürften die Lautfiguren anzeigen, daß die überwiegende Rezeptionssituation des Textes als Vorlesesituation zu begreifen ist.

Mt 5,13-16 ist durchgehend als singulär-plurale Anrede("Ich"-"Ihr") aufzufassen. Der Sprecher der "Bergpredigt" redet gleichermaßen die sich "auf dem Berg" befindenden "Jünger" und die "unten" gebliebene "Menge" (vgl. 7,28b; 8,1) an. Mit hymeis (5,13a.14a) und hymo¡n (5,16) sind also beide Gruppen indiziert. In der literarischen Etablierung eines in sich differenzierten Auditoriums liegt eine hermeneutische Pointe beschlossen, die das Verstehen der "Bergpredigt" steuern soll. Es handelt sich hier nicht um den Lebensentwurf einer kleinen Gruppe, die eine eher esoterische Lebensweisheit pflegt. Was in der "Bergpredigt" gesagt wird, gilt allen, denn alle sollen "Jünger" werden (vgl. Mt 28,18-20). Die berufenen "Jünger" stellen - schon durch ihre Position "oben", nahe bei Jesus - symbolisch (12) eher die positive Rezeptionsmöglichkeit der "Bergpredigt" dar (13), während die "unten" gebliebene "Menge", weiter entfernt von Jesus, stärker die Möglichkeit der Ablehnung des in der "Bergpredigt" Kommunizierten symbolisiert. Das in sich differenzierte Auditorium stellt also nicht den Versuch dar, zwei tatsächlich existierende Gruppen zu bezeichnen. Stattdessen wird literarisch die Ambivalenz derjenigen dargestellt, denen die "Bergpredigt" gilt, wie denn der Sprecher der "Bergpredigt" beide, "Jünger" und "Menge", gleichermaßen als "kleingläubig" (vgl. 6,30) und "böse" (7,11) bezeichnet.

Von diesen Überlegungen her sollen in der Folge die Sprechakte bzw. Anredemuster (14) in 5,13-16 bestimmt werden. Die herausgehobene Stellung von 5,13a und 5,14a zeigt sich auch aus dieser analytischen Perspektive. Beide Textsegmente exemplifizieren das kausative Muster der tautegorischen Anrede (15): Der autorisierte Sprecher der "Bergpredigt" macht die Angeredeten zu dem, was im propositionalen Gehalt von 5,13a und 5,14a ausgedrückt ist. Durch die Sprechhandlung Jesu werden die Angeredeten zum "Licht der Welt" und zum "Salz der Erde" (16). Die weisen Worte Jesu ermächtigen die Angeredeten zu der in der "Bergpredigt" in Kraft gesetzten weisen Lebensform (17). Der Sprecher der "Bergpredigt" macht also diejenigen, die "böse" und "kleingläubig" sind, deren Ambivalenz am ehesten durch ein in sich differenziertes Auditorium symbolisiert werden kann, zum "Salz der Erde" und "Licht der Welt". Genau auf diese Problematik reagieren die Anredemuster in 5,13b-d und 5,14b-16. Auf 5,13a folgt in 5,13b.c eine rhetorische Frage, die wir als interrogative Anrede (18) bezeichnen wollen. 5,13d setzt mit einer evaluativen Anrede fort (19). Erfragt wird die anscheinend nicht undenkbare "Torheit" des Salzes, die das Fehlen des Salzes zur Folge hätte. Wenn das Salz "töricht" ist, dann ist es nur noch dazu gut, aus dem Haus geworfen und von "den Menschen" auf der Straße zertreten zu werden. "Salz-der-Erde-sein" bezeichnet demzufolge keinen unverlierbaren habitus, sondern die reale Möglichkeit einer gefährdeten Lebensform. Diese Gefährdung nehmen auch die Anredemuster in 5,14b-16 für "Licht-der-Welt-sein" in den Blick. 5,14b und 5,15 stellen bekannte Sachverhalte dar (20). 5,16 fügt daran eine imperative Anrede (21), die den Angeredeten nahelegt, ihr "Licht" auch tatsächlich für alle leuchten zu lassen, wie man gewöhnlich ein Licht auf den Leuchter und nicht unter den Scheffel stellt. Und eine Stadt auf einem Berge kann man (eigentlich) nicht verbergen.

Mit diesen Erwägungen sind wir schon zur Rekonstruktion der argumentativen Gestalt von 5,13b-d und 5,14b-16 übergegangen. Beide Sequenzen argumentieren für die tatsächliche Wahrnehmung einer durch das tautegorische Wort konstituierten realen Möglichkeit im alltäglichen Erleben und Handeln, so daß eine regelmäßige Lebensform entstehen kann. Überlegt man sich, wie die Reaktion auf Anreden der Art von 5,13a und 5,14a aussehen könnte, dann erscheint es nicht als unwahrscheinlich, daß die Angeredeten sich überfordert fühlen oder gar erschrecken, zumal "Salz-der-Erde-sein" und "Licht-der-Welt-sein", wie 5,11 f sagt, durchaus ins Leiden führen kann. 7,28 f zeigt, daß die kausative exousia ("Vollmacht") der logoi Jesu als Reaktionsmuster Erschrecken hervorzurufen vermag. So wie die "Menge" reagiert, sieht freilich das ideale Reaktionsmuster auf die "Bergpredigt" nicht aus. Doch ist dieses Muster im Text als eine - durchaus nicht fernliegende - Weise der Rezeption genannt. "Licht-der-Welt-sein" und "Salz-der-Erde-sein" bezeichnen syntaktisch beide eine dyadische Relation: "Jemand" (die durch hymeis indizierten Angeredeten [1]) ist "Salz" für "die Erde" (2) bzw. ist "Licht" für "die Welt" (22). Vor dieser zugesprochenen und zugemuteten Pro-Existenz könnte man erschrecken. Wer kann dieses Sein-für-andere tatsächlich so wahrnehmen, daß eine derartige regelmäßige Lebensform entsteht? M. E. beschäftigen sich die Argumentationen 5,13b-d und 5,14b-16 mit der Beantwortung dieser Frage. In beiden Fällen handelt es sich um induktive Argumentationen (23). Dabei bleibt die erste Argumentation elliptisch , während die zweite vollständig ausgeführt wird. Um die Struktur der Argumentationen zu erfassen, beginne ich daher mit der Analyse von 5,14b-16.

Die Anapher ou ... oude verknüpft in 5,14b und 5,15 zwei Argumente mittels einer logischen Konjunktion. Houto¡s in 5,16a bezeichnet die induktive Relation von 5,14b.15 und 5,16. Die Wahrnehmungsphänomene "eine Stadt auf einem Berg sehen" und "Leuchten des Lichtes im Haus" werden in argumentativen Bezug zu der conclusio in 5,16 gebracht. Die argumentative Relation läßt sich folgendermaßen repräsentieren:

1. Die Wahrnehmungsphänomene "Stadt auf einem Berg" und "Leuchten des Lichtes im Haus" sowie "das Licht der Welt" folgen einer gemeinsamen Regel: Was dazu bestimmt ist, von anderen gesehen zu werden bzw. für andere zu leuchten, soll nicht - in widersinniger Weise - verborgen werden (24).
2. "Euer Licht" (5,16a) soll von den Menschen wahrgenommen werden, "damit sie eure schönen Werke sehen und euren Vater in den Himmeln verehren" (5,16b).
( "Euer Licht soll vor den Menschen leuchten!" (5,16a) (25).

Ebenso steht in 5,13b-d der Widersinn eines Phänomens im Vordergrund der Aufmerksamkeit:

1. "Das im Haus verwendete Salz" und "das Salz der Erde" folgen als Wahrnehmungsphänomene einer gemeinsamen Regel: Was zur "Würze" für andere bzw. anderes bestimmt ist, soll nicht "töricht" werden (26).
2. "Das Salz der Erde" soll nicht "töricht" werden, sondern seine "Würze" zugunsten "der Menschen" entfalten.
("Laßt die Menschen eure Würze schmecken!"

Diese Rekonstruktion erscheint auf dem Hintergrund von 5,14b-16 als sehr wahrscheinlich. Doch was besagt die argumentative Ellipse in 5,13b-d? M. E. zunächst nur, daß 5,13-16 in sich klimaktisch aufgebaut ist. Schon in 5,13b-d können die Rezipierenden die vollständige Argumentation für sich selbst rekonstruieren, die dann in 5,14b-16 geboten wird. 5,13b-d ist insofern stark rezipientenorientiert konzipiert - ein Aspekt, der uns in Abschnitt weiter beschäftigen wird. Mt setzt auf die Mitarbeit der Rezipierenden. Ihr Engagement soll sie zu einer Einsicht führen, an der ihm gelegen ist. Der Sprecher der "Bergpredigt" eröffnet durch sein tautegorisches Sprechen den Raum des "Licht-der-Welt-seins" und des "Salz-der-Erde-seins". Dieses Sein-für-andere läßt die schöpferische Liebe im alltäglichen Erleben und Handeln zum Zuge kommen. Es wäre ganz und gar widersinnig, wollte man sich der damit eröffneten realen Möglichkeit im alltäglichen Erleben und Handeln verweigern. Die Argumentationen in 5,13b-d und 5,14b-16 amplifizieren rhetorisch den Widersinn solcher Verweigerung und versuchen auf diese Weise, für die tatsächliche Wahrnehmung der eröffneten realen Möglichkeit des eigenen Erlebens und Handelns einzunehmen, so daß die Regelmäßigkeit der schöpferischen Liebe als Sein-für-andere im Alltag Gestalt findet.

Berücksichtigt man diese Erwägungen, dann läßt sich die elementare semantische Transformation im Text (im Sinne des "semiotischen Vierecks") näherungsweise so formulieren: Der Text geht aus vom "Widersinn" , der "Torheit" . "Widersinn" bzw. "Torheit" implizieren"die Menschen eure Würze nicht schmecken lassen" bzw. "die Menschen euer Licht nicht sehen lassen". Deren Kontradiktionen lauten: "Laßt euer Licht leuchten vor den Menschen!" und "Laßt die Menschen eure Würze schmecken!" mit der Implikation "Weisheit" als Kontradiktion zum "Widersinn" bzw. der "Torheit" (27). Nicht zur Debatte steht die reale Möglichkeit des "Salz-der-Erde-seins" und des "Licht-der-Welt-seins". Diese ist durch den Sprecher der "Bergpredigt" unwiderruflich konstituiert. Es geht darum, diese reale Möglichkeit als Sein-für-andere im Sinne der schöpferischen Liebe zum Zuge kommen zu lassen. Gerade die Wendung "eure schönen Werke" (5,16b) betont den ästhetischen Charakter dieses Geschehens. Auch der schöpferische "Vater" ist für alle anderen dar. Er erhält "Böse" und "Gute" und sorgt für "Gerechte" und "Ungerechte" (vgl. 5,45b). Seine schöpferische Liebe läßt sich an der Schönheit der Schöpfung wahrnehmen , wie denn die Lilien auf dem Felde schöner gekleidet sind als Salomo (6,28b.29). Lassen die Angeredeten ihr Licht leuchten und ihre Würze schmecken, dann sind ihre "schönen Werke" Zeichen der schöpferischen Liebe, an denen Gott wahrgenommen wird. Angemessene Wahrnehmung Gottes führt zu seiner Verehrung und damit zu wahrer Religion (vgl. auch Röm 1,19 ff). 5,13-16 zeigt also, daß es in der "Bergpredigt" nicht um die Konstituierung einer pointiert "antijüdischen" Sondergruppe geht (28). Es geht um die Wahrnehmung der Realität als solcher. Aus der Sicht des Mt ist diese dann richtig wahrgenommen, wenn sie als Prozeß der schöpferischen Liebe verstanden und in den "schönen Werken" für andere fortgesetzt wird.

2. "Kreative Metaphern"

Der theoriesprachliche Diskurs über "Metapher" spricht, wie etwa das deutsche Zeichen "Metapher" und das englische Zeichen "metaphor" belegen, in gewisser Weise griechisch: "Eine Metapher ist die Übertragung eines fremden Wortes, und zwar entweder von der Gattung auf die Art oder von der Art auf die Gattung, oder von einer Art auf eine andere, oder nach den Regeln der Analogie" (29). Damit ist ein Textbildungsprozeß gemeint, der bestimmte Lexeme aus ihrer erwartbaren und vertrauten Einsetzung in bestimmten zeichenhaften Kontexten in andere zeichenhafte Kontexte "überträgt", in denen sie gewöhnlich nicht verwendet werden. Metapherein bzw. epipherein, wie Aristoteles definierend sagt, läßt sich syntaktisch als (mindestens) hexadische Relation mit dynamisch-prozessualem Charakter beschreiben: "Jemand" (ein Textproduzent [1]) "überträgt" "etwas" (ein bestimmtes Zeichen [2]), das gewöhnlich in einem bestimmten "zeichenhaften Kontext" verwendet wird (und also mit einer [syntaktisch-]semantischen Regel verbunden ist [3]) auf "etwas" (ein bestimmtes Zeichen [4]), das ebenfalls mit einer (syntaktisch-)semantischen Regel (5) verbunden ist. Das Zeichen wird so ersetzt. Dieser Ersetzungsprozeß hat eine pragmatisch beschreibbare Pointe: Die Fremdheit des Lexems überrascht, sie konzentriert die Aufmerksamkeit auf das in ungewöhnlicher Weise Dargestellte. Um metapherein bzw. epipherein im Sinne des Aristoteles richtig zu verstehen, muß daher diese rezipientenorientierte Betrachtungsweise mitbedacht werden. Die "Rezeptionsinstanz" (6) bezeichnet insofern die wichtige sechste Stelle der Relation metapherein bzw. epipherein. Die aristotelische Beschreibung des "metaphorischen Prozesses" ist folglich am Phänomen der "Kommunikation" orientiert, sei es nun mehr im Bereich der poetischen Kommunikation, in der reale Möglichkeiten menschlichen Erlebens und Handelns "nachgeahmt" werden im Blick auf die katharsis ("Reinigung") der Rezipierenden, oder eher im Bereich rhetorischer Kommunikation, in der es um die Argumentation für mehr oder weniger plausible pisteis ("beliefs") geht (30).

Der Vorschlag des Aristoteles basiert auf komponentensemantischen Erwägungen (31). Er kennt vier Arten solcher Übertragungsprozesse (32), von denen nach seiner Einschätzung die Art kat’ analogian die beliebteste ist. Die anderen drei Arten werden heute eher unter dem (präzisierten) Begriff der "Metonymie" zusammengefaßt (33). Begriffsgeschichtlich durchgesetzt hat sich freilich die aristotelische Beschreibung des metaphorischen Prozesses als analogia relationis (34): Wird vom "Schild des Dionysos" gesprochen, so läßt sich der Textbildungsprozeß, der zu diesem Syntagma geführt hat, aufgrund dieses Prinzips rekonstruieren. Es ist üblich, vom "Schild des Ares" und der "Trinkschale des Dionysos" zu reden. Wer in der Lage ist, "das Ähnliche zu sehen" (35), wird verstehen, daß der "Schild" als wesentliches Symbol des Ares eine ähnliche Bezeichnungsfunktion übernimmt wie die "Trinkschale" für Dionysos. Dann ist es in kommunikativer Absicht durchaus förderlich, das Zeichen "Schild" aus dem Syntagma "Schild des Ares" in das Syntagma "Schild des Dionysos" zu "übertragen", wo es für "Trinkschale" steht. Genauso läßt sich das Syntagma "Trinkschale des Ares" bilden.

Es soll hier nicht darum gehen, eine ehrwürdige und bewährte Theorie zu kritisieren, zumal wahrscheinlich gilt, "daß von den Tausenden und Tausenden von Seiten, die über die Metapher geschrieben wurden, wenige den ersten zwei oder drei fundamentalen Konzepten, die von Aristoteles dargelegt wurden, irgendetwas Substantielles hinzufügen" (36). Auf der aristotelischen Basis kommt man durchaus zu einer Auffassung metaphorischer Rede als "Neubeschreibung der Wirklichkeit" (37). Denn jedenfalls für Aristoteles besagt die Ersetzung eines gewohnten Lexems durch ein "fremdes" Lexem im Übertragungsprozeß keineswegs in jedem Fall bloße informationelle Redundanz (38) So vermag die Bildung des Syntagmas "Schild des Dionysos" sowohl dem Textproduzenten als auch den Rezipierenden Neues über das Syntagma "Trinkschale des Dionysos" - und damit über die entsprechende Symbolwelt - mitzuteilen. Aristoteles schließt nur aus, daß es durch einen Übertragungsprozeß zu einer kreativen Neubildung (pepoie¡menon (39)) kommt. Doch diese Auffassung genügt nicht, um metaphorische Syntagmen wie he¡ epistole¡ hymo¡n hymeis este ("Mein Brief seid ihr!" [2Kor 3,2a]) zu erklären. Dies gilt nicht nur für die falsche Interpretation dieses Textes: "Ihr seid wie mein Brief!", also als verkürzter Vergleich (40), sondern auch für den Versuch, vorausgesetzte "Ähnlichkeiten" zwischen "korinthischer Gemeinde" und "Brief" als Ermöglichung der Prädikation der Gemeinde als paulinischer "Empfehlungsbrief" (vgl. 2Kor 3,1) zu begreifen (41). Darüber hinaus genügt es auch nicht, das Syntagma so zu verstehen, als ob es bislang noch nicht entdeckte "Ähnlichkeiten" zwischen "korinthischer Gemeinde" und "Empfehlungsbrief" mitteile. Schließlich wird auch der subtile Versuch, eine spezifische metaphorische Kopula zu postulieren ("Ihr seid-wie mein Brief!"), dieser metaphorischen Prädikation nicht wirklich gerecht (42). Gemeint ist, daß die korinthische Gemeinde in einer spezifischen Situation der Empfehlungsbrief des Paulus ist. Daher ist m. E. eher zu unterstellen, daß sich in dieser Metapher mittels kreativer Semiose im Textbildungsprozeß die Ausbildung einer neuen Regel des Sprechens ereignet. Solche Metaphern wie he epistole hymon hymeis este sollen in der Folge kreative Metaphern heißen. Sie ersetzen nicht in kommunikativer Absicht auf fremdartige Weise eine schon kodierte semantische Regel (bzw. erweitern diese), sondern versuchen, eine neue semantische Regel allererst zu etablieren. Ob diese Regel Bestand hat, also in den sprachlichen Kode eingeht, wird durch ihre zustimmende oder ablehnende Rezeption bestimmt (43).

M. E. sollte in dieser Richtung noch ein weiterer Schritt gegangen werden. Schon Aristoteles sah, in bonam partem interpretiert, daß metapherein einen Prädikationsvorgang bezeichnet (44). Freilich ist seine Theorie des logos, des "Satzes" im Sinne der "Rede", auf die Betrachtung des grammatischen "Subjektes" zentriert. Weil Aristoteles "schrieb, noch bevor der Begriff der Grammatik eingeführt war, bezog er seine Kategorien offensichtlich aus den Bestandteilen der Rede" (45). Demgegenüber erkennt eine an der Syntax von Propositionen orientierte Analyse, daß das Prädikat im Zusammenspiel mit Kasus und Präpositionen das relative Zentrum der grammatischen Oberflächenstruktur von Propositionen darstellt. Damit löst sich ein Problem, das Aristoteles zu seiner Unterscheidung von "erster" und "zweiter Substanz" veranlaßte. Denn es gibt eine große Anzahl von Sätzen, in denen ein Prädikat die Subjektstelle einnimmt. Dieses bezeichnet aber keine allgemeinen Substanzen (wie "das Pferd als solches" o.ä.) im Unterschied zu den durch Namen, Demonstrativ-, Personalpronomina, Raum- und Zeitadverbien usf. indizierten individuellen Substanzen ("dieses Pferd hier"), sondern stellt einen Möglichkeitsraum dar, der durch Einsetzungen von Indices auf mögliche Erfahrung bezogen wird (46). In der paulinischen metaphorischen Aussage he epistole hymon hymeis este heißt das Prädikat folglich "Brief-sein", das durch bestimmten Artikel (he) und Personalpronomina (hemeis, hymeis) im dargestellten Sinn an eine bestimmte Erfahrungssituation gebunden wird. Die logische Form lautet: Wenn es etwas gibt, das mein Brief ist, dann seid ihr es. Mit Peirce ist daher zu unterstellen, daß Prädikate im Zusammenspiel mit Präpositionen und Kasus die grammatische Oberflächenstruktur von Propositionen erzeugen, in die dann Indices eingesetzt werden können. Philosophisch führt das zur auch theologisch entscheidenden Aufwertung der Relation, denn Prädikate bezeichnen syntaktisch im dargestellten Sinn Relationen. Die Indices wie Namen, Pronomina usf. stellen demgegenüber die Relata dar, die in die offenen Stellen eines Prädikats eingesetzt werden können. Semiotisch primär ist also das Prädikat, das (inhalts)semantisch einen Möglichkeitsraum erzeugt, der durch die Indices auf mögliche Erfahrung bezogen wird. Der philosophische Eros der Metapherntheorie besteht aus dieser Perspektive darin, daß sie unterschiedliche Prädikate thematisiert und sich so der möglichkeitsorientierten Art unseres Sprechens in propositionalen Strukturen nähert (47). Im Falle der oben unterstellten kreativen Metaphern, die nicht hinreichend über "Analogie" bzw. "Ähnlichkeit" analysiert werden können, erscheinen dann neue Erfahrungsmöglichkeiten, die uns nicht bloß die "Wirklichkeit" neu und anders sehen lassen. Es muß philosophisch (und auch theologisch) stattdessen damit gerechnet werden, daß metaphorisches Sprechen, wenn es sich um kreative Metaphern handelt, das Problem des möglichen Entstehens von neuer Wirklichkeit anzeigt (48). Zur Debatte steht mit kreativen Metaphern daher m. E. das Problem der Kreativität in der Realität, die selbst als Prozeß aufgefaßt werden muß, in dem Neues entsteht, das nicht als Fall schon bestehender Regeln in Natur und Geschichte verstanden werden kann (49). Kreative Metaphern sind aus der hier vertretenen Sicht ein textsemantisches Phänomen, das die Kreativität in der prozessual verfaßten Realität erkennen läßt. Sie sind nicht das einzige sprachliche Phänomen, für das diese Bewertung gilt (50), und nicht nur sprachliche Zeichenprozesse lassen die Kreativität in der prozessual verfaßten Realität verstehen (51).

Diese Bemerkungen verweisen auf einen letzten Schritt, den ich gehen möchte. Prädikate stellen einen Möglichkeitsraum dar, der sich dann als real zeigt, wenn er plausibel mit Indices verbunden werden kann und so auf Erfahrung bezogen ist (52). Peirce’ Semiotik zufolge stellen Prädikate ikonisch die Struktur von Propositionen dar, sind insofern in dieser Weise als Selbstreferenz von Propositionen aufzufassen (53). Im Rahmen von Peirce’ Verständnis der Bezeichnungsrelation als genuin triadischer Relation der Relata "Zeichen", "Objekt" und "Interpretant" sind sie als Aspekt des Interpretanten einer Proposition zu begreifen (54). Mit Strubs Interpretation läßt sich sagen, daß Prädikate, die als kreative Metaphern aufgefaßt werden müssen, in spezifischer Weise "die Qualität des Zeichenprozesses in reiner Form" darstellen (55). Sie stellen auf ikonische Weise dar, wie sich kreative Semiose vollzieht. Denn "(v)iele ... Metaphern haben auf ihrer wörtlichen Ebene die Struktur von absurden Sätzen. Sie unterscheiden sich aber von rein absurden Sätzen dadurch, daß sie als sinnvolle Sätze verstanden werden sollen" (56). Die korinthischen Gemeindeglieder sollen sich als paulinischer Empfehlungsbrief verstehen, aber nicht als Brief aus Papyrus mit Tinte beschrieben. Sie stehen stattdessen im paulinischen Herzen geschrieben und können gleichwohl von allen Menschen gelesen werden. Doch gerade das "wörtliche" Verständnis der paulinischen Metapher muß mitgehört bzw. mitgelesen werden, weil Paulus eine Praxis in Korinth irritieren will, die sich Apostel, die Empfehlungsbriefe von anderen Gemeinden vorweisen können, gerne gefallen läßt und von deren "pneumatischen" Fähigkeiten beeindruckt ist (57). Gerade die "wörtliche" Absurdität vieler kreativer Metaphern kann uns auf semiotisch strukturierte eingefahrene Lebensgewohnheiten aufmerksam machen, diese irritieren und möglicherweise zur Ausbildung neuer Lebensgewohnheiten anregen. Darin zeigt sich ikonisch die Möglichkeit von Kreativität in der als Prozeß verstandenen Realität, in der nicht nur bislang nicht Verstandenes, das schon immer so war, eingesehen werden kann, sondern auch Neues entsteht. In ausgezeichneter Weise ist dies m. E. bei den "Wahrnehmungsmetaphern" "Ihr seid das Salz der Erde" und "Ihr seid das Licht der Welt" der Fall.

3. Mt 5,13a und 5,14a als "kreative Metaphern"

Die metaphorischen Prädikationen in 5,13a werden abschließend unter zwei Gesichtspunkten als kreative Metaphern gedeutet. Zunächst wird dafür argumentiert, daß in diesen Sätzen der Versuch unternommen wird, eine neue semantische Regel zu etablieren (). Sodann soll eine Hypothese skizziert werden, wie es zur Ausbildung der entsprechenden Regel kommen konnte ().

3.1 "Stabile Gruppenidentität" vs. "Universale Liebe"

Daß es sich in 5,13a und 5,14a überhaupt um kreative Metaphern handelt, könnte zunächst mit guten Gründen wenigstens für das metaphorische Prädikat "Licht-der-Welt-sein" bestritten werden. "Licht-für-andere-sein" ist, wie die Argumentation in Röm 2,17-20 voraussetzt, im Frühjudentum eine verbreitete Sichtweise (58): Wenn "Israel" oder einzelne "Gerechte" ihrer religiös-sittlichen Bestimmung entsprechen, dann sind sie "Licht-für-Israel" und/oder "Licht-für-die-Völkerwelt". "Licht-sein-für-andere" heißt dann, von einer gesicherten religiös-sittlichen Position aus anderen ebenfalls zu ihrer religiös-sittlichen Bestimmung verhelfen zu können (59). Man erfaßt die kreative Pointe von 5,14a deshalb noch nicht, wenn betont wird: "Ihr seid das Licht der Welt - und nicht ’Israel’!". Im Blick auf die Analysen in Abschnitt ist vielmehr zu sagen, daß die "Extravaganz" (60) der metaphorischen Prädikation, ihre "Absurdität" relativ zu geltenden semantischen Regeln darin besteht, daß sie - im Kontext der "Bergpredigt" - einigermaßen paradox bestreitet, "Licht der Welt" könne sein, wer seine "schönen Werke" öffentlich zur Schau stelle. 6,1a, als transitorisches Syntagma der beiden Hauptabschnitte innerhalb der Passage 5,21-7,12 konzipiert, sagt es deutlich: Die "überaus überfließende Gerechtigkeit" soll nicht "vor den Menschen getan werden, um von ihnen gesehen zu werden". "Licht-der-Welt-sein" bezeichnet demzufolge eine reale Möglichkeit, die ein für die "Bergpredigt" signifikantes Doppelgesicht trägt. Zum einen soll die "überaus überfließende Gerechtigkeit" getan werden, damit die Menschen an den "schönen Werken" den "himmlischen Vater" zu erkennen vermögen. Zum anderen aber ist eine derartige Lebensform nur dann gerechtfertigt, wenn dies in der Haltung kontinuierlicher Selbstkritik geschieht, so daß die spezifische "Verborgenheit" der "schönen Werke" erscheint (vgl. 6,1-6.16-18) (61). Die relative "Absurdität" oder "Extravaganz" der metaphorischen Prädikation besteht hier insofern darin, daß sie einer topisch verwendeten Metapher kreativ ein neues setting verleiht (62).

Denn diejenigen, die zum "Licht der Welt" gemacht werden, sind zugleich "kleingläubig" und "böse". Ihre Ambivalenz läßt sich literarisch nur als in "Jünger" und "Menge" differenziertes Auditorium darstellen. Das tautegorische Sprechen Jesu eröffnet auf diese Weise die reale Möglichkeit eines "Seins-für-andere", die nicht in der Etablierung einer religiös-sittlichen Sondergruppe resultiert, sondern die letztlich bestimmende Regel im Universum, die schöpferische Liebe des "Vaters in den Himmeln", zum Zuge kommen läßt. Es gehört zu den Paradoxien emergenter Religiosität, daß sie dies nur kommunizieren kann, wenn sie sich von anderem abgrenzt: omnis determinatio est negatio. In diesem mit unserem Bezeichnen gegebenen Zwang liegt die Gefahr, Bestimmung und Negation als Ausbildung von stabilen Gruppenidentitäten mißzuverstehen. Der äußerst anspruchsvolle Ansatz des ungewöhnlichen metaphorischen Prädikats "Licht-der-Welt-sein" liegt darin, ein risikoreiches semantisches Experiment anzubieten, das mittels Negation und Determination ein an Gruppenidentitäten orientiertes Handeln und Erleben zu irritieren versucht. Mt selbst geht "ekklesiologisch" so mit dem entstehenden Problem um, daß er das Werden einer universalen ekkle¡sia aus "Juden" und "Heiden" postuliert (vgl. 28,18-20). Wie schwer es freilich ist, mit diesem Problem souverän umzugehen, zeigt sich im Mtev vor allem daran, daß sich Mt als Liebhaber des Gerichtsszenarios mit doppeltem Ausgang erweist (vgl. etwa 7,21-23; 25,31-46). Doch dieses Szenario dementiert beständig die zentrale Einsicht des Mt: Das Kommen der basileia to¡n ourano¡n ist nur dann richtig aufgefaßt, wenn die Nähe Gottes als Gegenwart der schöpferischen Liebe Gottes verstanden wird (63). Die Realität als solche ist als Prozeß der schöpferischen Liebe Gottes aufzufassen. Die Stärke des Mt ist es, die konstitutive Rolle menschlicher Freiheit in diesem Prozeß zu betonen. Diese wird in der "Bergpredigt" nicht zuletzt dadurch bezeichnet, daß Gott sich an menschliche Selbstfestlegungen bindet (vgl. insbesondere 6,14 f). Liebe ohne Selbstbindung an die Freiheitsgrade des anderen gibt es nicht: "(D)er Atem des Geistes der Liebe ist... eine(r) vitale(r) Freiheit" (64). Doch die Schwäche des Mt liegt darin, die menschliche Selbstfestlegung so absolut zu setzen, daß die göttliche Liebe selbst im Eschaton nicht mehr schöpferisch sein kann. Die menschliche Freiheit erscheint daher nicht mehr als realitätsgemäße spontane Vitalität, die sich die schöpferische Liebe zumutet, sondern als gleichgewichtige Gegenmacht. Der Abgrund der metaphorischen Prädikation "Licht-der-Welt-sein" wird auf diese Weise grell erleuchtet. Auch Mt entkommt nicht dem Denken in Gruppenidentitäten. Zwar läßt sich in der erlebten Zeit eine Scheidung der Gruppen nicht gehaltvoll vollziehen (vgl. 13,24-30; 25,37.44), wohl aber im Gerichtsszenario (65). M. E. etabliert dennoch die metaphorische Aussage "Ihr seid das Licht der Welt" demgegenüber einen sprachlichen Vorsprung, eine (inhalts)semantisch erzeugte reale Möglichkeit. Wie im Mtev freilich deutlich sichtbar wird, setzen sich reale Möglichkeiten nicht zwingend in tatsächlichem Erleben und Handeln fort, so daß eine (neue) Regelmäßigkeit entsteht. Die literarisch erzeugte Ambivalenz des in "Menge" und "Jünger" differenzierten Auditoriums findet sich insofern in der ambivalenten Gestalt des Mtev selbst wieder.

Während die metaphorische Aussage "Ihr seid das Licht der Welt" eine schon geprägte Metaphorik mit einem befremdlichen setting versieht, dürfte "Ihr seid das Salz der Erde" als kreative Neubildung anzusehen sein (66): "Es leuchtet nicht unmittelbar ein, was gemeint ist; gerade deshalb ist man gespannt" (67). Auch hier liegt die eigentliche "Absurdität" und "Extravaganz" der metaphorischen Prädikation darin, daß die Angeredeten "das Salz der Erde" sein sollen. Jene, die möglicherweise wegen der an den Worten Jesu orientierten "überaus überfließenden Gerechtigkeit" verfolgt werden, die sich selbst als ambivalent erleben, werden zum "Salz der Erde" gemacht. Die Zerbrechlichen sind "das Salz der Erde". Die "Erde" als Lebensraum "der Menschen" bedarf im Lichte der kommenden basileia to¡n ourano¡n solcher "Würze". Sie bedarf keines sittlichen Heroismus, sondern der uneingeschränkten Wahrnehmung der Verletzlichkeit des Lebens. "Schöne Werke", die derartiger Wahrnehmung entspringen, lassen die schöpferische Liebe schmecken: "Ihr, die Mittellosen am Ort des Geistes, ihr die Trauernden, ihr die Hungrigen nach Gerechtigkeit, die Sanftmütigen, die Mitleidigen, die Friedensstifter und Verfolgten, ihr seid das Salz" (68). Die Zerbrechlichen, die keine stabile Gruppenidentität ausbilden können, wenn sie sich selbst kontinuierlich als "böse" und "kleingläubig" wahrnehmen, würzen die Erde. "Sein-für-andere" im Sinne dieser Metaphorik ist - als reale Möglichkeit - als Gegenteil von fester religiös-sittlicher Traditions- und Bekenntnisbildung aufzufassen, die anderen mitgeteilt wird, damit sie diese ebenfalls akzeptieren (69). Eher gehört die metaphorische Aussage vom "Salz der Erde" zu den Sätzen, die Menschen sprechen, denen es das Wort verschlägt, die sich mit Worten nicht recht zu helfen wissen.

Sollte es sich in 5,13a tatsächlich um eine kreative Neubildung handeln (70), dann könnte die beachtliche Irritation, die diese metaphorische Aussage auszulösen vermag, abduktiv auf einen denkbaren Textbildungsprozeß von 5,13-16 schließen lassen. Da 5,14a mit der Rede vom "Licht der Welt" auf eine geprägte Topik zurückgreift, sie aber in irritierender Weise umzuwidmen versucht, dürfte die erheblich ungewöhnlichere Metapher vom "Salz der Erde" als metakommunikativer Index für die Rezipierenden zu werten sein, daß sie es in der Folge nicht unbedingt mit vertrauten Kodierungen zu tun bekommen. Hierfür spricht ebenso die elliptische Argumentation in 5,13b-d, die erst in 5,14b-16 vollständig ausgeführt wird. Die Aufmerksamkeit der Rezipierenden wird zunächst auf 5,13 konzentriert, bevor in 5,14a die geprägte Topik in irritierender Weise aufgenommen wird. Die ungewöhnlichere Salzmetaphorik scheint daher von Mt gewählt zu werden, um die vertrautere Lichtmetaphorik vor dem Mißverständnis zu schützen, hier werde von dem Entstehen einer stabilen Gruppenidentität gehandelt. Tatsächlich aber geht es um das Entstehen einer neuen semantischen Regel, die das alltägliche Erleben und Handeln von der Orientierung an stabilen Gruppenidentitäten befreien will (71). Die schöpferische Liebe des "Vaters in den Himmeln" ist allen Geschöpfen, "Bösen" und "Guten", "Gerechten" und "Ungerechten" unbedingt zugewandt. Die metaphorischen Aussagen in 5,13a und 5,14a sind insofern als Sprache der universalen Liebe zu verstehen, die das unbedingte Sein-für-andere als die einzige realitätsgemäße Lebensform zu verstehen gibt (72).

3.2 "Weisheit" vs. "Torheit"

Schon in Abschnitt wurde darauf hingewiesen, daß die "Bergpredigt" als weise Rede verstanden werden will. Weise ist auch die Lebensform, der sie das Wort redet. Wie der Epilog des Textes in 7,24-27 mitteilt, sind auch diejenigen, die den logoi des Sprechers der "Bergpredigt" folgen, weise. Die elementare semantische Transformation in 5,13-16 läßt die kontradiktorische Leitdifferenz von "Torheit" und "Weisheit" als semantisches Organisationsprinzip des Textes vermuten. M. E. wird der spezifische "Universalismus" nicht zuletzt von 5,13a und 5,14a, nämlich das Insistieren auf der Universalität der schöpferischen Liebe als letztlich bestimmender Regel im Universum, am ehesten dann verstanden, wenn die Weisheitssemantik auch topologisch ernst genommen wird. Die magistrale "christologische" Konzeption am Ende des Mtev, in der dem Auferstandenen alle Macht im Himmel und auf Erden zugesprochen wird (28,18-20), aber auch die Vollendung von "Gesetz und Propheten" (5,17; 7,12) lassen sich schwerlich hinreichend als spezifische Transformation israelitisch-frühjüdischer Messiaskonzepte begreifen. Die für Mt typische Kombination von Wahrnehmung der schöpferischen Liebe in der Betrachtung der Schöpfung (6,26.28), Vollendung von "Tora und Propheten" als Ausdruck der schöpferischen Liebe (5,21 ff) und der "christologischen" Zentrierung der schöpferischen Liebe (28,18-20) verweisen demgegenüber eher auf den Weisheitsdiskurs (73). Schränkt man die Betrachtung auch des "palästinischen" Judentums nicht allzu sehr auf das sogenannte "rabbinische" Judentum ein (74), dann zeigt sich, daß Mt an die universalen Perspektiven der israelitisch-frühjüdischen Selbstverständigung anzuknüpfen vermag, die sich neben prophetischen Traditionen gerade im Weisheitsdiskurs manifestieren. Entscheidend ist dabei nicht so sehr, daß Mt etwa in 11,16 ff aus "Q" Logien aufnimmt, die unverkennbar Jesus als Repräsentanten der "Weisheit" verstehen. Verständlich wird auf dem topischen Hintergrund des Weisheitsdiskurses vor allem die für Mt grundlegende Übereinstimmung der Erschließungen schöpferischer Liebe in der Wahrnehmung der Schöpfung, im "Hören" und "Tun" der auf jenem "Berg" in Galiläa vollendeten "Tora und Propheten" und der unüberbietbaren Identifikation der schöpferischen Liebe mit der universalen Macht des Auferstandenen (75).

Die metaphorischen Aussagen in 5,13a und 5,14a sind angesichts derartiger Erwägungen als Versuch zu verstehen, religiös-sittlich die Universalität Gottes im präzisen Sinn der schöpferischen Liebe ernst zu nehmen. Diesseits der schöpferischen Liebe gibt es keine "Weisheit". Die "Weisheit" zeigt sich als schöpferische Liebe. Wer wahrnehmen kann, nimmt sie (auch) an den "schönen Werken" der Zerbrechlichen, "Bösen" und "Kleingläubigen" wahr, die "das Licht der Welt" und "das Salz der Erde" sind. Die Zerbrechlichen sind nicht eine esoterische Sondergruppe. An ihnen zeigt sich, wie die Realität als solche beschaffen ist. Ihr Leben als Sein-für-andere ist weise, weil die letztlich bestimmende Regel im Universum die schöpferische Liebe ist (76).

Als Sprache der universalen Liebe geben die metaphorischen Aussagen in 5,13a und 5,14a zu verstehen, daß die gesamte Realität einschließlich unseres ambivalenten Erlebens und Handelns ein Geschehen der unbedingten Liebe ist, gegenüber der wir uns freilich alltäglich zu verschließen angewöhnt haben. Die beiden Sätze versuchen, auf "extravagante" bzw. "absurde" Weise diese eingefahrene Lebensgewohnheit zu irritieren. Dem Ernst der Texte wird nur gerecht, wer versucht, in den Konflikten der geschichtlichen Erfahrung ihre Tragfähigkeit zu erproben. Vielleicht zeigt sich dann, daß diese Sätze "haltbar" sind, kein weiteres Rauschen im "Bimbam von Worten". Jedenfalls gilt, daß diese Sätze "keiner" "schreibt", "der nicht unterschreibt" - mit dem eigenen Leben.

(1) Prof. Dr. W. Harnisch hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß die in der Exegese übliche komparativische Rede von der "besseren Gerechtigkeit" nicht den qualitativen Sprung der Gerechtigkeit der Angeredeten gegenüber der "Gerechtigkeit der Schriftgelehrten und Pharisäer" auszudrücken vermag. In 5,20 ist tatsächlich gemeint, daß die "Schriftgelehrten und Pharisäer" die für die Angeredeten geltende "Gerechtigkeit" gar nicht tun (vgl. auch Mt 23,3b). Es handelt sich bei der "Gerechtigkeit der Schriftgelehrten und Pharisäer" also bloß um eine scheinbare Gerechtigkeit. Mit einem Ausdruck von Ch. Perelman, Das Reich der Rhetorik. Rhetorik und Argumentation, 1980 (BSR 212), 130 ff, kann man das Lexem dikaiosyne hier folglich als dissoziiert betrachten. Ich werde in der Folge daher von "überaus überfließender Gerechtigkeit" reden. Zum "qualitativen Sprung" im Blick auf die Rede von dikaiosyne vgl. ähnlich auch H. Weder, Die "Rede der Reden". Eine Auslegung der Bergpredigt heute, Zürich 1985, 97 f.
(2) Vgl. Weder (s. Anm. ), 98 ff; zustimmend M. Hengel, Zur matthäischen Bergpredigt und ihrem jüdischen Hintergrund, ThR 52 (1987), 327-400, 378-381. Erinnert sei daran, daß schon die Äußerung von Schimpfwörtern wie Töten bewertet wird (5,21-26). Bereits der besitzergreifende Blick ist als Verletzung einer anderen Beziehung und so als Ehebruch aufzufassen (5,27-30). Unbedingte Wahrhaftigkeit des Sprechens läßt keinen Schwur zu (5,33-37). Das ius talionis soll dem me antistenai to ponero ("nicht dem Bösen[, das mir andere zufügen,] widerstehen!") weichen (5,38-42). Schließlich muß selbst der Feind als Mitgeschöpf und verletzliches Wesen wahrgenommen werden (5,43-48). Zur Gesamttendenz vgl. auch D. Lührmann, Ethik in der Bibel und im frühen Christentum. Altes Testament - Neues Testament, in: St. H. Pfürtner u. a., Ethik in der europäischen Geschichte I. Antike und Mittelalter, Stuttgart u. a. 1988, 97-115, 106: "Weder mit ’Aufhebung’ noch mit ’Radikalisierung’ läßt sich ... Jesu Gesetzesverständnis fassen; es geht vielmehr um den aktuellen Umgang mit dem Gesetz, sich seiner Forderung zu entziehen bzw. sie nur anderen gegenüber geltend zu machen ... Jesus weist darauf hin, daß das Gesetz nicht mich vor der Ungerechtigkeit der anderen schützt, sondern die anderen vor der Ungerechtigkeit, deren ich fähig bin".
(3) Zum durchgehenden Bezug auf den Gedanken der creatio continua vgl. H. D. Betz, Kosmogonie und Ethik in der Bergpredigt, in: Ders., Studien zur Bergpredigt, Tübingen 1985, 78-110; Ch. S. Peirce, Evolutionäre Liebe, in: Ders., Naturordnung und Zeichenprozeß, 1988 (ASSK 18), 235-263, präzisiert dies im Blick auf agape. - Aufschlußreich ist, daß 6,1 ff mit einem Abschnitt beginnt, der das Selbstkritikmoment in den Vordergrund der Aufmerksamkeit stellt (6,1-18). Ihm folgt eine Sequenz, die der Wahrnehmung der Schöpfung als Prozeß der schöpferischen Liebe gewidmet ist (6,19-34). 7,1-6 betont schließlich sehr augenfällig erneut die Notwendigkeit der Selbstkritik, während 7,7-11 mit der Hervorhebung der Sorge Gottes für die Angeredeten wieder die Wahrnehmung der Schöpfung als Prozeß der schöpferischen Liebe zum Thema hat. Der das pater hemon ... (6,9b-13) einschließende Abschnitt 6,7-15 vereinigt diese beiden Themen und das Thema "unbegrenzte Wahrnehmung der Verletzlichkeit des Lebens" in sich, so daß sich erklärt, wieso das Gebet präzise in der Mitte von 5,21-7,12 steht (vgl. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus. 1. Teilband. Mt 1-7, 1985 [EKK I/1], 186).
(4) Zur in der Folge gewählten Begrifflichkeit vgl. I. U. Dalferth, Religiöse Rede von Gott, 1981 (BEvTh 87), 398-428.
(5) Konkret ist m. E. eine Konfliktsituation als situativer Kontext der "Bergpredigt" zu imaginieren, in der die an Jesus orientierten Glaubenden vom pharisäisch dominierten Synagogenverband im palästinisch-syrischen Raum nach dem Ende des "Jüdischen Kriegs" bedrängt werden (vgl. etwa Mt 23,34 f). Der hierbei erhobene Vorwurf, "Schriftgelehrte und Pharisäer" kreuzigten die an Jesus orientierten Glaubenden, ist nicht wörtlich zu nehmen, sondern verweist auf den Sachverhalt, daß ihre Tötung durch den römischen Staat eine mögliche Konsequenz der durch ihren Synagogenausschluß verloren gegangenen rechtlichen Privilegien der jüdischen Religion darstellte. Zur Sache vgl. die zumindest anregenden Erwägungen von W. Schmithals, Theologiegeschichte des Urchristentums. Eine problemgeschichtliche Darstellung, Stuttgart u. a. 1994, 228 ff.
(6) In 5,13c ist schwerlich eine Ellipse von auto ("es" = "das Salz") zu unterstellen, wie dies durch Mk 9,50c nahegelegt sein könnte (vgl. dagegen Lk 14,34c).
(7) Kalon dürfte zwischen "gut" und "schön" bewußt schwanken, da ein Wahrnehmungsphänomen gemeint ist (vgl. idosin). Die Problematik sinnlicher Wahrnehmung ist für die "Bergpredigt" fundamental, wie exemplarisch 6,22 f.26.28 belegen. "Religion" und "sinnliche Wahrnehmung" lassen sich in diesem Text nicht voneinander trennen. Vor allem die Religionsphilosophie von Ch. S. Peirce hat in der Moderne diesen Gedanken nachdrücklich geltend gemacht. In kritischer Reformulierung "romantischer" Auffassungen von "Religion" schreibt Peirce: "Und was ist Religion? Sie ist eine Art Gefühlsregung in jedem einzelnen Menschen, oder auch: eine verborgene Wahrnehmung - eine tiefe Erkenntnis von etwas im uns umgebenden All; und wenn wir versuchen, diesem Gefühl Ausdruck zu geben, so wird es sich in mehr oder weniger extravagante Formen kleiden und als mehr oder weniger zufällig erscheinen, immer aber wird es sich zu einem Ersten und Letzten, dem A und O, bekennen und in derselben Weise auf jenes Absolute bezogen sein, dem das individuelle Selbst eines Menschen als relatives Sein gegenübersteht. Doch Religion ist in ihrer Totalität nicht auf das einzelne Individuum beschränkt" (Die Vermählung von Religion und Wissenschaft, in: Ders., Religionsphilosophische Schriften, 1995 [PhB 478], 208-212, 208 f). Diesem m. E. außerordentlich leistungsfähigen Vorschlag folge ich. Er setzt voraus, daß sinnliche Wahrnehmung "holistisch" strukturiert ist. Wahrgenommen wird nicht nur Einzelnes, das dann durch (sprachliche) Prädikatoren in einen allgemeinen Horizont eingeordnet wird ("Erfahrung"). Mit Peirce ist vielmehr zu unterstellen, daß auch Allgemeines sinnlich wahrgenommen werden kann. So lassen sich der "Bergpredigt" zufolge regelmäßige Sachverhalte wie die "Verletzlichkeit des Lebens" und die "schöpferische Liebe" wahrnehmen. Dies besagt, daß schon sinnliche Wahrnehmung als (unbewußter) Schlußfolgerungsprozeß verstanden werden kann (vgl. Ch. S. Peirce, Wahrnehmen als unbewußtes Schlußfolgern, in: Ders., [s. Anm. ], 328-338).
(8) Ge bekommt hierdurch den Sinn "the sphere of human existence now under the sovereign rule of God through Jesus’ ministry" (R. A. Guelich, The Sermon on the Mount: A Foundation for Understanding, Waco/Texas 21983, 126). Vgl. schon Mt 5,5b.
(9) Vgl. H. F. Plett, Textwissenschaft und Textanalyse. Semiotik, Linguistik, Rhetorik, 21979 (UTB 328), 267 ff.
(10) Damit wird an die Lebenswelt der Adressatinnen und Adressaten des Textes angeknüpft, denn die Grammatik der "Bergpredigt" ist an der (jüdisch zentrierten) antiken oikos-Semantik orientiert, wie exemplarisch 5,27-32 zeigt. Zur Sache vgl. Lührmann (s. Anm. ), 101-103.
(11) Zur Sache vgl. W. Schenk, Die Sprache des Matthäus. Die Textkonstituenten in ihren makro- und mikrostrukturellen Relationen, Göttingen 1987, 452-454.
(12) Ich verwende den Ausdruck "Symbol" wie P. Ric¦ur, Die Interpretation. Ein Versuch über Freud, 1974 (stw 76), 18 ff, im Sinne einer doppelten Kodierung, die hermeneutisch von einem naheliegenden Sinn eines Zeichens auf einen dadurch indirekt bezeichneten Sinn zu schließen nahelegt.
(13) Nota bene: nicht die tatsächliche positive Rezeption (vgl. etwa Mt 8,25 f; 28,17b)!
(14) Vgl. Dalferth (s. Anm. ).
(15) Vgl. dazu Dalferth (s. Anm. ), 204-207.425 f.

Fussnoten:

(16) Zur Kritik an der Auffassung, in 5,13a und 5,14a lägen verdeckte Imperative vor, vgl. Weder (s. Anm. ), 86 f; dazu J. Gnilka, Das Matthäusevangelium. 1. Teil (Mt 1,1-13,58), 1986 (HThKNT), 133.135. Die kritisierte Ansicht wird z. B. vertreten von Guelich (s. Anm. ), 126-128; G. Strecker, Die Bergpredigt: ein exegetischer Kommentar, Göttingen 1984, 51-53; Luz (s. Anm. ), 221.223; allgemeiner Hengel (s. Anm. ), 361 f u. ö. Was für 5,13a und 5,14a gilt, ist m. E. auch für die Makarismen zu behaupten: Sie sind als tautegorische Anreden aufzufassen.
(17) Die sogenannten "Forderungen" in der "Bergpredigt" sind durchgehend als legislative Anreden aufzufassen: Der Sprecher der "Bergpredigt" setzt Handlungsregeln in Kraft, wie exemplarisch an den "Antithesen" eingesehen werden kann. Zur Sache vgl. Dalferth (s. Anm. ), 427.
(18) Vgl. Dalferth (s. Anm. ), 423.
(19) Vgl. Dalferth (s. Anm. ), 416.
(20) Es handelt sich um assertive Anreden im Sinne der Information (vgl. Dalferth [s. Anm. ], 407-413).
(21) Vgl. Dalferth (s. Anm. ), 422.
(22) Zum hier verwendeten Modell vgl. die Erläuterung in Abschnitt .
(23) Vgl. Aristoteles, Ars Rhetorica, Oxford 1959, II, 20 f. Induktive Argumentationen plädieren dafür, einen strittigen Sachverhalt als Fall einer ansonsten zugestandenen Regel aufzufassen, die sich für den strittigen Fall allererst bewähren muß. Fernzuhalten sind hier eher sachfremde Assoziationen wie "Sachhälfte" vs. "Bildhälfte", "Vergleich", "Analogie", "tertium comparationis" usf. Auf das von Aristoteles im Zusammenhang seiner Darstellung Gesagte können sich derartige Assoziationen m. E. nicht berufen.
(24) 5,14b betont den Aspekt des Widersinns rhetorisch so stark, daß eine Unmöglichkeit behauptet wird, während 5,15a demgegenüber die reale Möglichkeit widersinnigen Tuns einräumt. Im Blick auf das Argumentationsziel wird man 5,14b folglich als hyperbolische Formulierung verstehen können, die das ganz und gar Unverständliche an dem Versuch bezeichnet, etwas schlechthin Sichtbares verbergen zu wollen.
(25) Die geradezu kanonisch gewordene Bezeichnung "Bildworte" für 5,13b-d.14b.15 arbeitet nicht scharf genug den induktiven Charakter der Argumentation heraus (vgl. R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen 81970, 102 u. ö.; M. Dibelius, Die Formgeschichte des Evangeliums, Tübingen 61971, 250 u. ö.). Gleiches gilt für den Ausdruck "Gleichnis" (vgl. K. Berger, Theologiegeschichte des Urchristentums. Theologie des Neuen Testaments, Tübingen/Basel 1994, 630). Weiterführend ist I. H. Henderson, Jesus, Rhetoric and Law, 1996 (BIS 20), 251 f u. ö., der den gnomischen Charakter der Textsegmente betont, freilich wieder mit Emphase ihrer angeblich analogisch strukturierten Inhaltssemantik.
(26) Im Fokus der Betrachtung steht erneut ein Wahrnehmungsphänomen: das Schmecken der Würze. Ganz sicher ist nicht an die Funktion des Salzes im Backofen gedacht (vgl. die Hinweise bei Luz [s. Anm. ], 222 Anm. 28; Hengel [s. Anm. ], 372 mit Anm. 87), wie 5,13c belegt. Morainein bezeichnet den Funktionsverlust des Salzes. Es geht seiner regelmäßigen Bestimmung verlustig. Insofern ist es "töricht". Schon in "Q" ist das Logion (vgl. Lk 14,34b) auf diese Weise vom Weisheitsdiskurs metaphorisch infiziert. - Auf die in diesem Zusammenhang vieldiskutierte Frage, ob Salz seine chemische Struktur verlieren könne, ist aus chemischer Perspektive mit "Ja!" zu antworten. Die Möglichkeit besteht, es bleibt freilich die Frage, ob dies in Palästina damals ein Sachverhalt der alltäglichen Erfahrung war. Ohnehin dürften die bislang nur vagen Antworten auf diese Frage allenfalls für die Analyse von Mk 9,50b.c von erheblichem Belang sein. Für Mt 5,13b gilt jedenfalls, daß eine metaphorische Pointe in bezug auf den Weisheitsdiskurs vorliegt. Aus 5,14b.15 erhellt, daß Mt mit der Ambiguität von realer Möglichkeit und Unmöglichkeit rhetorisch spielt, um hyperbolisch den Widersinn, die Torheit eines bestimmten, real möglichen Tuns auszudrücken (vgl. o. Anm. ). Eben dies dürfte auch in 5,13b.c der Fall sein. Rhetorische Pointen sollten nicht vorschnell ontologisiert werden.
(27) Als konträre Relationen ergeben sich: 1. "Widersinn" bzw. "Torheit" vs. "Laßt euer Licht leuchten vor den Menschen!" bzw. "Laßt die Menschen eure Würze schmecken!"; 2. "die Menschen eure Würze nicht schmecken lassen" bzw. "die Menschen euer Licht nicht sehen lassen" vs. "Weisheit". Vgl. zum verwendeten Verfahren z. B. W. Egger, Methodenlehre zum Neuen Testament. Einführung in linguistische und historisch-kritische Methoden, Freiburg i. B. u. a. 21990, 95 ff.
(28) Wie u. a. Mt 23 belegt, ist Mt jedenfalls gegenüber "den Pharisäern" nicht immer dieser Gefahr entgangen. Auch wenn diese, wie ich glaube, sich tatsächlich als "Feinde" gegenüber der religiösen Orientierung gezeigt haben, die Mt vertrat, liegt Mt nicht zuletzt in Kap. 23 mit sich selbst im Streit. Denn 5,43-48 ist mit diesem Kapitel unvereinbar.
(29) Aristoteles, Peri Poietikes/Poetik (griechisch/deutsch), Stuttgart 1982, 1457b 6-9. - Wichtige Texte zur Diskussion um "metaphorische Rede" finden sich in: Theorie der Metapher, hg. v. A. Haverkamp, 1983 (WdF 389). Übersichtliche Darstellungen unterschiedlicher Aspekte der Debatte bieten Dalferth (s. Anm. ), 218-236; P Ric¦ur, Die lebendige Metapher, 1986 (Übergänge 12); Ch. Strub, Kalkulierte Absurditäten. Versuch einer historisch reflektierten sprachanalytischen Metaphorologie, Freiburg i. B./München 1991; R. Bisschops, Die Metapher als Wertsetzung. Novalis, Ezechiel, Beckett, 1994 (Duisburger Arbeiten zur Sprach- und Kulturwissenschaft 23); L. Danneberg/A. Graeser/K. Petrus, Einleitung - Metapher und Innovation, in: Metapher und Innovation. Die Rolle der Metapher im Wandel von Sprache und Wissenschaft, hg. v. L. Danneberg/A. Graeser/K. Petrus, 1995 (Berner Reihe philosophische Studien 16), 9-21; L. Danneberg, Der sensus metaphoricus in der Geschichte der Hermeneutik und die neuere sprachanalytische Metaphern-Diskussion, in: Metapher und Innovation, aaO., 66-104; H. Raguse, Figürlich leben - einige Reflexionen zu neueren Ansätzen in der Gleichnistheorie, ThZ 51 (1995), 18-40. Ich gehe in der Folge problemorientiert vor. Instruktiv dazu: U. Eco, Semiotik und Philosophie der Sprache, 1985 (Supplemente 4), 133-192. Der problemorientierte Ausgang von Aristoteles empfiehlt sich m. E. auch deshalb, weil dieser nicht den "Metapher"- und "Mythos"-Diskurs miteinander konfundiert hat. Die immer wieder zu beobachtende gegenteilige Verfahrensweise legt sich zwar deshalb nahe, weil beide Diskurse mehr oder weniger explizit thematisieren, was die Beteiligten jeweils unter "Realität" und "Rationalität" verstehen. Während der Diskurs über "Metapher" aber nachvollziehbare und gehaltvolle argumentative Strukturen aufweist, mutet die Gestalt des "Mythos"-Diskurses seit seinem Entstehen im antiken Griechenland eher bizarr an. Vgl. dazu M. Detienne, Mythologie ohne Illusion, in: C. Lévi-Strauss u. a., Mythos ohne Illusion, 1984 (es 1220), 12-46.
(30) Vgl. Aristoteles (s. Anm. ), III, 4.10 f.
(31) Mit onoma meint Aristoteles faktisch ein- oder mehrstellige Prädikate, die auf der sprachlichen Oberfläche durch Verben und Substantive im Zusammenspiel mit Kasus und Präpositionen dargestellt werden. Zur Sache vgl. unten S. .
(32) Vgl. auch Aristoteles (s. Anm. ), 1411a 1 f.
(33) Vgl. Plett (s. Anm. ). Anders aber die "Gruppe m": "Von der Gattung auf die Art übertragen" heißt hier "generalisierende Synekdoche", während "von der Art auf die Gattung übertragen" als "partikularisierende Synekdoche" aufgefaßt wird. Vgl. J. Dubois u. a., Allgemeine Rhetorik, 1974 (UTB 128), 78 u. ö. "Von der Art auf die Art übertragen" läßt sich m. E. auf diese "metonymischen" bzw. "synekdochischen" Reformulierungen zurückführen. Dagegen freilich Eco (s. Anm. ), 140-142, der die dritte Art für genuine Metaphern halten will.
(34) Vgl. etwa Perelman (s. Anm. ), 125 ff.
(35) Vgl. Aristoteles (s. Anm. ), 1459a 8: to ... eu metapherein to to homoion theorein estin. Vgl. dazu auch Aristoteles (s. Anm. ), 1412a 10-15. Schon diese Fähigkeit läßt sich schwerlich hinreichend über induktive oder deduktive Schlußverfahren erklären, sondern setzt abduktive Schlüsse voraus. Vgl. dazu die überzeugende Argumentation bei Eco (s. Anm. ), 152 f u. ö. Zu den Schlußformen vgl. Ch. S. Peirce, Phänomen und Logik der Zeichen, 21993 (stw 425), 89 ff. Zu den Sachproblemen vgl. M. Pöttner, Die Einheit von Sachkritik und Selbstkritik. Semiotische Rekonstruktion der grundlegenden hermeneutischen These Rudolf Bultmanns, ZThK 91 (1994), 396-423, insbesondere 398-402.413-423. Versteht man mit Eco im Anschluß an Peirce alle Zeichenprozesse als Schlußfolgerungsprozesse und umgekehrt, dann sind auch Verstehensprozesse Zeichenprozesse. Auch Sprachverstehen ist selten allein ein sprachlicher Prozeß, sondern bezieht andere Zeichenarten ein. Ist eine Hermeneutik derart zeichenorientiert, erscheint der aus einer ausschließlich linguistischen Perspektive immer noch geäußerte "Psychologismusvorwurf" (vgl. z. B. Bisschops [s. Anm. ], 50 ff u. ö.) als redundant. Er dualisiert, was lediglich unterschieden werden müßte. Auch psychische Vorgänge sind, wie nicht zuletzt der strenge Psychologismuskritiker Peirce immer wieder betont hat, Zeichenprozesse und also Schlußfolgerungsprozesse.
(36) Eco (s. Anm. ), 134.
(37) Ric¦ur (s. Anm. ), 209 ff.
(38) Das wird in der Kritik an der "Substitutionstheorie" der Metapher (vgl. M. Black, Die Metapher, in: Theorie der Metapher [s. Anm. ], 55-79, 61 f) nicht selten übersehen.
(39) Vgl. Aristoteles (s. Anm. ), 1457b 33-35.
(40) Vgl. Quintilian, Institutio Oratoriae (Teil I), Deutsch-Lateinische Ausgabe, Darmstadt 21988, VIII, 6,8.
(41) Mit Dalferth (s. Anm. ), 235, ist jedenfalls für solche Metaphern wie "Ihr seid mein Brief" die Rede von "Ähnlichkeit" eher zu sistieren: "Welche Rolle ... spielt Ähnlichkeit in metaphorischer Rede? Im Unterschied zur analogischen Rede nicht die einer sprachlich einzuholenden nichtsprachlichen Vorgegebenheit, sondern wenn überhaupt, dann eine rein semantische: die in metaphorischer Rede geschaffene Sinneinheit läßt sich auf die lexikalische Bedeutung der in ihr vertexteten Moneme zurückverfolgen, ohne aus ihr abgeleitet werden zu können. Die dabei bestehenden Beziehungen lassen sich ohne Rekurs auf einen speziellen Ähnlichkeitsbegriff mittels der Begriffe der semantischen Kompatibilität und Inkompatibilität erklären, die den Text-Sinn als Integration zuvor disparater Sinnbezirke zu begreifen erlaubt" (vgl. auch die ähnlich gelagerte Unterscheidung von "konventionellen" und "kreativen Metaphern" bei G. Lakoff/M. Johnson, Metaphors we live by, Chicago/London 1980). Begrifflich dürfte es angesichts der Geschichte des Metaphernbegriffs schwierig sein, so scharf zwischen analogischer und metaphorischer Rede zu unterscheiden, wie es Dalferth tun will. Zudem wird man fragen müssen, ob nicht schon die aristotelische Wendung to to homoion theorein das von Dalferth mit Recht betonte Verhältnis von semantischer Kompatibilität und Inkompatibilität im Auge hatte (vgl. die Erwägungen von Eco [s. Anm. ], 138 ff). Aber es muß dringend festgehalten werden, daß es metaphorische Prozesse gibt, die nicht über "Analogie", "Ähnlichkeit" usf. hinreichend aufgeklärt werden können. Anders z. B. J. M. Soskice, Metaphor and Religious Language, Oxford 1985, die eher "thomistisch" argumentiert, während E. Jüngel, Metaphorische Wahrheit. Erwägungen zur theologischen Relevanz der Metapher als Beitrag zur Hermeneutik einer narrativen Theologie, in: Ders., Entsprechungen: Gott-Wahrheit-Mensch. Theologische Erörterungen, 1980 (BEvTh 88), 103-157; Ders., Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung einer Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen (4)1982, 357-408, metaphorische Rede im Sinne der analogia fidei eher im Horizont K. Barths und M. Heideggers zu entfalten sucht. Vgl. auch H. Weder, Metapher und Gleichnis. Bemerkungen zur Reichweite des Bildes in religiöser Sprache, ZThK 90 (1993), 382-408, insbesondere 386-391, und schon E. Fuchs, Hermeneutik, Tübingen (4)1970, 211 ff. Zu den Problemen, die sich derartigen Ansätzen stellen, vgl. instruktiv Strub (s. Anm. ), 471-504. Auch Dalferth (s. Anm. ), 228, verweist darauf, daß als Hintergrundüberzeugung der Auffassung, Metaphern seien (ausschließlich) analoge Sprachphänomene, "das fragwürdige Postulat einer analogisch strukturierten Ontologie" auszumachen ist. Im Blick auf die Gleichnisauslegung dürfte Jüngels These, die basileia komme im Gleichnis als Gleichnis zur Sprache (vgl. E. Jüngel, Paulus und Jesus. Eine Untersuchung zur Präzisierung der Frage nach dem Ursprung der Christologie, Tübingen (4)1972 [HUTh 2], 135) ihre kreative Pointe erst dann voll entfalten, wenn jene Hintergrundüberzeugung fallen gelassen wird.
(42) Vgl. Ric¦ur (s. Anm. ), 209 ff, insbesondere 238-251, mit einer weitreichenden Rechtfertigung und Neuformulierung der Lehre vom "spekulativen Satz" (vgl. aaO., 252 ff): "Sein-wie" besagt ihm zufolge "Sein" und "Nicht-Sein". Auf diese Weise vermeidet er zwar die für M. Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen 141977, 2-4 (§ 1), offenbar noch diskutable These, die Einheit der verschiedenen Verwendungen von einai bzw. "sein" lasse sich über "Analogie" begreifen. Doch mit dem Postulat einer spezifischen "metaphorischen Kopula" verfängt sich auch Ric¦ur wie die von ihm kritisierten Philosophien M. Heideggers und J. Derridas in einer falschen Auffassung der Grammatik von Propositionen. In einer Klammerbemerkung hat Peirce (s. Anm. ), 71, auf diesen Sachverhalt aufmerksam gemacht: "Viele Logiker sprechen von einer Kopula, doch ist diese Sicht der Sache falsch, da eine Syntax in jedem Fall erforderlich ist, und eine Kopula sie keinesfalls ersetzt, noch sonst irgendetwas leistet, was die Syntax nicht auch ohne die Kopula könnte". Peirce, aaO., 70, verweist exemplarisch auf "die lateinischen Propositionen ’fulget’ und ’lucet’". - Die Kritik an Ric¦ur trifft auch Bisschops (s. Anm. ), 82-108, der Ric¦urs Vorschlag kritisch zu präzisieren und weiterzuentwickeln versucht.
(43) Dies kann besonders gut an politischen Metaphern beobachtet werden: "Deutschland ist ein Freizeitpark" (Bundeskanzler H. Kohl) war nicht sehr erfolgreich, dagegen aber die offenbar von einer Werbeagentur erfundene und massenmedial sehr wirksam präsentierte Metapher: "Saddam Hussein ist Hitler". An beiden Metaphern kann eingesehen werden, daß es keineswegs bloß um eine "Neubeschreibung der Wirklichkeit" geht, sondern um ein semantisches Experiment, das sich allererst bewähren muß. Auch die paulinische Aussage "Ihr seid mein Brief" ist darauf angewiesen, daß sich die durch hymeis indizierten korinthischen Gemeindeglieder als paulinischen Brief verstehen. - Zur Sache vgl. vor allem Dalferth (s. Anm. ), 226 u. ö.
(44) Vgl. zur Sache vor allem Strub (s. Anm. ), 199-211.
(45) Ch. S. Peirce, Bedeutungslehre und Logik (1909), in: Ders. (s. Anm. ), 380-409, 399. Peirce’ vergleichsweise lapidare Äußerung bricht mit dem Grundzug abendländischer metaphysischer Reflexion, insofern sie nicht mehr das "Subjekt" als Zentrum der (oberflächen)grammatischen Organisation von Propositionen betrachtet, sondern - mit Recht - das Prädikat als relatives Zentrum entdeckt.
(46) So läßt sich die Proposition "Pferde sind Tiere" bekanntlich auf die Form zurückführen: "Wenn etwas ein Pferd ist, dann ist es ein Tier". Prädikate sind daher als ungesättigte Propositionen aufzufassen, die durch Einsetzung von Indices vollständig werden. Der relationenlogische Nachweis für diese Analyse findet sich bei Ch. S. Peirce, Die Logik der Relative (1897), in: Ders., Semiotische Schriften I, Frankfurt/M. 1986, 269-335.
(47) Vgl. hierzu die wichtigen Ansätze bei Jüngel, Metaphorische Wahrheit (s. Anm. ).
(48) Vgl. zur Debatte um "Emergenz" M. Heidelberger, Die Wirklichkeit emergenter Eigenschaften, in: Kreativität und Logik. Charles S. Peirce und das philosophische Problem des Neuen, hg. v. H. Pape, 1994 (stw 1110), 340-358. - Die Realitätsproblematik kann hier nicht näher erörtert werden. Ich weise nur darauf hin, daß ich im Anschluß an die Spätphilosophie von Peirce "Realität" als (im spätmittelalterlichen Sinn) transzendentales Prädikat verwende. Die durchgehend geltend gemachten Unterscheidungen von "realer Möglichkeit", "Tatsächlichkeit" und "Regelmäßigkeit" sind von Peirce konsequent modaltheoretisch reflektiert worden. Folgt man diesen Unterscheidungen, dann gibt es "Realität" in drei Modi: 1. der "realen Möglichkeit"; 2. der "Tatsächlichkeit"; 3. der "Notwendigkeit" (= "Regelmäßigkeit"). Betrachtet man "die Teile und die logischen Arten der notwendigen Syntax von Propositionen ...", dann läßt sich sagen, "daß es drei Arten der Modalität, S ist P, S könnte P sein, S muß P sein, gibt. Dies unterscheidet sich nur wenig davon zu sagen, daß 1. P von S jetzt wahr ist, 2. P von S unter manchen denkbaren Umständen wahr ist, die ich nicht kenne oder nicht beschreibe, die nicht zu denen der gegenwärtigen Situation gehören[,] und 3. P von S unter solchen denkbaren Umständen wahr ist, wie Sie sich entscheiden, sie zu spezifizieren" (Ch. S. Peirce, Signifik und Logik (2. Version), in: Ders., Semiotische Schriften III, Frankfurt/M. 1993, 417 f). Die Unterstellung einer "Notwendigkeit" (das "Muß-sein" einer Regelmäßigkeit) hängt also von gegenwärtigen Wahrnehmungs- und Erfahrungssituationen ab. Eine detaillierte Erläuterung von Peirce’ modalitätentheoretischer Realitätsauffassung findet sich bei H. Pape, Einleitung, in: Peirce, Semiotische Schriften III, aaO, 7-72, 61-66.
(49) Dies zu übersehen, ist m. E. die prinzipielle Schwäche des Ansatzes von Ric¦ur (s. Anm. ), 252ff u. ö. Obgleich die Auslegung der Parabeln Jesu durch W. Harnisch, Die Gleichniserzählungen Jesu. Eine hermeneutische Einführung, 21990 (UTB 1343), weitgehend der Metapherntheorie Ric¦urs folgt, vermeidet sie doch zumindest in der Tendenz glücklich diesen Fehler.
(50) Gleiches gilt etwa für die kreative Veränderung von narrativen Mustern, wie dies bei den "Wundererzählungen" im Markusevangelium der Fall ist.
(51) Vgl. dazu K. Oehler, Das Zeichen als dynamisches Ereignis, in: Ders., Sachen und Zeichen. Zur Philosophie des Pragmatismus, Frankfurt/M. 1995, 94-101, 99-101, im Blick auf die Möglichkeiten von Computergraphiken zur Darstellung dynamischer Systeme u. a. M. E. dürfte es freilich überzogen sein, wenn er formuliert: "Sprache, so hat es den Anschein, stellt sich immer erst nachträglich ein, wenn überhaupt" (101).
(52) Die Proposition "Bei Einhörnern handelt es sich um wilde Tiere, die im Wald leben" wird in the long run unplausibel, wenn alle Wälder auf diesem Planeten durchsucht sind und sich kein derartiges Tier gefunden hat. Prädikate verweisen also auf mögliche Erfahrung, die sinnliche Wahrnehmung einschließt.
(53) Vgl. die brilliante Darstellung dieses wesentlichen Aspekts von Peirce’ Analyse von Propositionen bei Ch. Strub, Peirce über Metaphern. Zur Interpretation von CP 2.277, in: Kreativität und Logik (s. Anm. ), 209-232; dazu M. Pöttner, Realität als Kommunikation. Ansätze zur Beschreibung der Grammatik des paulinischen Sprechens in 1Kor 1,4-4,21 im Blick auf literarische Problematik und Situationsbezug des 1. Korintherbriefs, 1995 (Theologie 2), 190 f. Diese Pointe von Peirce’ Rede von "Ikonizität" usf. wird von P. Henle, Die Metapher, in: Theorie der Metapher (s. Anm. ), 80-105, 85 ff, und Ric¦ur (s. Anm. ), 192 ff, verkannt. Dies hat für Ric¦urs Auffassung von "indirekter" bzw. "verdoppelter Referenz" zumindest in der Tendenz eine subtile "referential fallacy" zur Folge, insofern er nicht mehr klar zwischen der referentiellen Funktion von Indices und der prädikativen Funktion von "icons" unterscheiden kann. Nur Indices sind im strengen Sinn referentiell. Übersieht man dies, dann können recht weitreichende Schlußfolgerungen gezogen werden, die sich schwerlich noch gedanklich kontrollieren lassen. Vgl. Bisschops (s. Anm. ), 97, der behauptet: "Die metaphorische Prädikation ist nicht kategorial, sondern energetisch. Das heißt: Sie leistet nicht die Einordnung eines (logischen) Subjekts in eine Klasse von Gegenständen. Anders gesagt: Sie bezieht sich nicht auf die Dinge als Träger von Eigenschaften, sondern auf die mutmaßliche Kraft, die in den Dingen am Werke wäre. Sie unterscheidet sich also von der kategorialen Prädikation durch die Natur ihres Referenten". Tatsächlich dürfte es sich hier nur um eine Art von metaphysischem Zwang handeln, der eng mit der Idee zusammenhängt, auch "Prädikationen" seien in irgendeiner Weise referentiell, auch wenn sie nun nicht Einzelnes bezeichnen, sondern so etwas wie die aristotelische energeia indizieren sollen. Doch selbst dann, wenn man sich der aristotelischen energeia-Konzeption anschließen wollte, müßte betont werden, daß diese auf keinen Fall durch "Prädikationen" indiziert, sondern ikonisch durch den Übertragungsprozeß in seiner Komplexität als hexadische Relation mit dynamisch-prozessualem Charakter dargestellt wird. Zudem gibt die Formulierung "mutmaßliche Kraft, die in den Dingen am Werk wäre" kaum die aristotelische Auffassung von energeia angemessen wieder.
(54) Zu den Einzelheiten vgl. K. Oehler, Idee und Grundriß der Peirceschen Semiotik, in: Ders. (s. Anm. ), 77-93; Pöttner (s. Anm. ), 179 ff. Zur Sache vgl. Ch. S. Peirce, Schriften zum Pragmatismus und Pragmatizismus, 1991 (stw 945), 511: "Der Interpretant eines Satzes ist sein Prädikat; sein Objekt sind die Dinge, die durch sein Subjekt oder seine Subjekte (eingeschlossen seine grammatikalischen Objekte, direkte und indirekte) bezeichnet werden". Das ist deshalb der Fall, weil das Prädikat oberflächengrammatisch im Zusammenspiel mit Kasus und Präpositionen "offene Stellen" erzeugt und auf diese Weise die Struktur von Propositionen ikonisch darstellt.
(55) Strub (s. Anm. ), 217.
(56) Strub (s. Anm. ), 223. Die schon von Aristoteles durch "Übertragung eines fremden Wortes" bezeichnete Spannung, die im metaphorischen Prozeß erzeugt wird, besteht daher nicht zwischen "Subjekt" und "Prädikat" (oder welche Bezeichnungen immer gewählt werden) einer Proposition, sondern zwischen mindestens zwei Propositionen.
(57) Zur Interpretation vgl. H.-M. Wünsch, Der paulinische Brief 2Kor 1-9 als kommunikative Handlung. Eine rhetorisch-literaturwissenschaftliche Untersuchung, 1996 (Theologie 4), 234-243.
(58) Vgl. entsprechende Belege bei Luz (s. Anm. ), 223 f mit Anm. 36-40. Ein Teil der Texte ist leicht zugänglich in: Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch I, hg. v. H.L. Strack/P. Billerbeck, 1922, 236-238: Als "Licht-für-die-Welt" kommen in Frage: "Gott", "Adam", "Jochanan b. Zakkai", "Israel", "Jerusalem", "die Tora". Für einige Rabbinen werden die Bezeichnungen "Leuchte Israels" bzw. "Licht Israels" gewählt.
(59) Exemplarisch läßt sich dies an der Spannung beobachten, die in Dtjes zwischen der Rede vom "leidenden Gottesknecht" der Ebed-Jahwe-Lieder und ihrem Kontext besteht. Der leidende Gottesknecht, der selbst "Licht-für-die-Völker-und-für-Israel" ist, führt "Israel" zu seiner wahren Bestimmung als Gottesknecht (vgl. Jes 44,21 f mit 49,5 f). Zur Sache vgl. B. Janowski, Er trug unsere Sünden. Jesaja 53 und die Dramatik der Stellvertretung, ZThK 90 (1993), 1-24, insbesondere 5-11.
(60) Zur "Extravaganz" religiöser Sprache nicht zuletzt in bezug auf metaphorisches Sprechen vgl. P. Ric¦ur, Biblische Hermeneutik, in: Die neutestamentliche Gleichnisforschung im Horizont von Hermeneutik und Literaturwissenschaft, hg. v. W. Harnisch, 1982 (WdF 575), 248-339, 309 u. ö.; Harnisch (s. Anm. ), 132 ff. Zur Sache vgl. Peirce (s. Anm.). Mit dem Ausdruck "extravagant" werden öffentliche Kommunikationen gekennzeichnet, die ausgebildete Regeln öffentlicher Kommunikation in regelmäßiger (also nicht bloß zufälliger) Weise irritieren. Es handelt sich um einen Prozeß der Formvariation (vgl. H. Blumenberg, Wirklichkeiten in denen wir leben. Aufsätze und eine Rede, Stuttgart 1986, 119 f; für wichtige Hinweise auf den Zusammenhang des hier gewählten Extravaganzkonzeptes mit Blumenbergs Rede von "Formvariation" danke ich Ph. Stoellger. Er hat entsprechende Erwägungen in einem bisher unveröffentlichten Manuskript zu "H. Blumenberg. Hermeneutik des Lebens und Rhetorik des Überlebens" dargelegt).
(61) Äußerst sensibel für die in der Folge geltend gemachten Paradoxien ist die eindrückliche Auslegung von Weder (s. Anm. ), 85-90.
(62) Zur hier verwendeten topologischen Sicht von "historischen" Fragestellungen vgl. G. v. Graevenitz, Mythos. Zur Geschichte einer Denkgewohnheit, Stuttgart 1987, XIIIff.
(63) Topologisch geurteilt, liegen die eher "apokalyptischen" und eher "weisheitlichen" Traditionen bei Mt im Streit miteinander.
(64) Peirce (s. Anm. ), 251.
(65) Vgl. auf breitere neutestamentliche Traditionen bezogen auch Peirce (s. Anm. ), 256: "Man kann verstehen, daß die frühen Christen Menschen glichen, die mit all ihrer Kraft versuchten, einen steilen Abhang aus glitschigem, feuchtem Lehm hinaufzuklettern. Das tiefste und echteste Element ihres Lebens, das sowohl Herz als auch Kopf beflügelte, war die universelle Liebe. Aber sie schlitterten kontinuierlich und gegen ihren Willen in einen Gruppengeist hinein, wobei jeder Ausrutscher auf eine Weise, die jedem nur zu vertraut ist, als Präzedenzfall diente".
(66) Vgl. die freilich vergleichende Kombination von "Salz" und "Tora" in Soph 15,8 (Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch I [s. Anm. ], 235): "Die Tora gleicht dem Salz, die Mischna dem Pfeffer, die Gemara den Gewürzen. Die Welt kann nicht ohne Salz, auch nicht ohne Pfeffer, auch nicht ohne Gewürze bestehn, u. der reiche Mann erfreut sich aller drei in seinem Unterhalt. So kann die Welt auch nicht ohne die Schrift u. die Mischna u. die Gemara bestehn". Es wird hier also nicht gesagt, die Tora sei das Salz der Welt. Beide, Salz und Tora, verhalten sich stattdessen gleich zur Welt: Ohne Tora und Salz kann die Welt nicht bestehen.
(67) Luz (s. Anm. ), 221.
(68) Weder (s. Anm. ), 86.
(69) Der "Missionsgedanke" im Mtev scheint also erheblich selbstkritischer interpretiert werden zu müssen, als dies häufig geschieht. Vgl. exemplarisch Berger (s. Anm. ), 685: "Die Überbietung der Pharisäer durch bessere Gerechtigkeit hat nicht nur einen Sinn für das Himmelreich, sondern vor allem eine missionarische Funktion in der Werbung der Gottesfürchtigen. Um dieses Potential wird der eigentliche Kampf geführt. Im Unterschied zum MkEv ist das MtEv wirklich missionarisch ausgerichtet ... Daher gilt jetzt auch die Verheißung der unsichtbaren Gegenwart des Herrn (Mt 28,20b). Und daher sind die Jünger im Unterschied zum MkEv auch nicht die Unverständigen, sondern die Verstehenden, denn sie sind das Paradigma der rechten Christen". Halten Lexeme wie "Potential", "Kampf um ..." und "Werbung" dem Ernst des in Mt 5,13-16 Gesagten wirklich stand? Ist die Rede vom "Paradigma der rechten Christen" angesichts des in sich differenzierten Auditoriums der "Bergpredigt" nicht unterkomplex?
(70) Vgl. auch Weder (s. Anm. ), 88, der im Blick auf den Vergleich von Tora und Salz (vgl. Anm. ) geradezu von der "Menschwerdung des Gesetzes" reden will. Weder scheint dabei freilich zu unterstellen, daß in Soph 15,8 die Tora als Salz bezeichnet werde, was nicht der Fall ist.
(71) Das hermeneutische Problem hat F. D. E. Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik, 1977 (stw 211), 115, treffend beschrieben, wenn er sagt, daß in der Geschichte möglicherweise "Gedanken und reale Verhältnisse (entstehen), welche eben als neue durch die Sprache, wie sie war, nicht bezeichnet werden können. Sie würden freilich gar nicht ausgedrückt werden können, wenn in der bisherigen Sprache keine Anknüpfungspunkte lägen".
(72) Die Auffassung, daß diese Lebensform besser als andere der Realität, zu der wir selbst gehören, gerecht wird, kann man als den evaluativen Aspekt der Metaphern in 5,13a und 5,14a bezeichnen. Vor allem die Untersuchung von Bisschops (s. Anm. ) betont diesen Aspekt von Metaphern.
(73) Vgl. R. Bultmann, Der religionsgeschichtliche Hintergrund des Prologs zum Johannes-Evangelium, in: Ders., Exegetica, hg. v. E. Dinkler, Tübingen 1967, 10-35, insbesondere 13-21.
(74) Vgl. z. B. G. G. Stroumsa, Alter Wein und neue Schläuche: Über patristische Soteriologie und rabbinisches Judentum, in: Kulturen der Achsenzeit. Ihre Ursprünge und ihre Vielfalt (Teil 2). Spätantike, Indien, China, Islam, hg. v. S. N. Eisenstadt, 1987 (stw 653), 38-51, insbesondere 40-42.
(75) Stärker auf die philonische Logos-Konzeption als Hintergrund des Entstehens frühchristlicher "Christologien" hebt G. Sellin, Gotteserkenntnis und Gotteserfahrung bei Philo von Alexandrien, in: Monotheismus und Christologie. Zur Gottesfrage im hellenistischen Judentum und im Urchristentum, hg. v. H.-J. Klauck, 1992 (QD 138), 17-40, 34-36, ab. Wie dem auch sei, für meine Argumentation ist wichtig, daß schöpferische Liebe und "Weisheit" bzw. "Logos" für Mt äquivalent sind. Auf dieser Basis erklärt sich vermutlich auch die jedes naive Denken in Gruppenidentitäten sprengende Aussage Mt 23,3a: "Alles ..., was sie (sc. die Schriftgelehrten und Pharisäer) zu euch sagen, tut und haltet". Vgl. zur Sache F. Avemarie, Tora und Leben. Untersuchungen zur Heilsbedeutung der Tora in der frühen rabbinischen Literatur, 1996 (Texte und Studien zum antiken Judentum 55), 591.
(76) Mit einer glücklichen Formulierung von G. v. Rad, Weisheit in Israel, Neukirchen-Vluyn 21982, 193 f, läßt sich auch für Mt sagen: "Diese ’Weisheit’, ’Vernunft’ [sc. wie von ihr in Hi 28, aber auch in Prov 8,22 ff und Sir 24 die Rede ist] muß ... etwas wie den von Gott der Schöpfung eingesenkten ’Sinn’, ihr göttliches Schöpfungsgeheimnis bedeuten ...".