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Ausgabe:

Januar/1997

Spalte:

56 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Wolf, Gunther G.

Titel/Untertitel:

Die Wiener Reichskrone.

Verlag:

Wien: Skira editore 1995. 205 S. 4° = Schriften des Kunsthistorischen Museums, 1. ISBN 88-8118-022-7.

Rezensent:

Gert Haendler

Gunther G. Wolf hat sich wiederholt zum Thema Reichskrone geäußert. In einer Vorbemerkung sagt er: "Viel verdanke ich den Arbeiten von Percy Ernst Schramm und Hans-Martin Decker-Hauff, Werner Ohnsorge und Reinhart Staats, dessen wichtiges Buch zum Thema bis heute in wesentlichen Punkten, vor allem der Datierung, gültig ist" (9). Über das Buch von Staats "Theologie der Reichskrone" (1976) hatte die ThLZ 103/1978 zustimmend berichtet (120-122). Seine Ansicht war aber nicht überall akzeptiert worden. Zwei neuere Arbeiten versuchten eine spätere Datierung: Hans Constantin Faussner datierte 1986 die Herstellung der Wiener Reichskrone erst in das Jahr 1138, Mechthild Schulze-Dörrlamm sprach sich 1990 für die Jahre 1025/27 aus. Es ist zu begrüßen, daß W. den ganzen Komplex nun noch einmal gründlich untersucht hat, um damit hoffentlich endgültig Klarheit zu schaffen. Die vielen und vorzüglichen Abbildungen in Farbe machen es dem Leser leicht, sich in die Einzelheiten zu vertiefen.

Die "Beschreibung der Krone" (13-85) bietet eine gute Grundlage für die folgende Überschrift "Die geistige Umwelt der ’Wiener Reichskrone’" (86-130). W. geht von den Herrscher-ideologien aus und wendet sich den alttestamentlichen Königen auf den Bildplatten der Krone zu: Die Bilder von David und Salomon könnten zu zwei Situationen passen: Otto I. und Otto II. 965/67 oder die Jahre 1028-1039 "zwischen der Königskrönung des Saliers Heinrich (III.) und dem Tode seines Vaters, Konrad II." (93). Aber das Saliergeschlecht beruft sich sonst weniger auf das Alte Testament, viel ausgeprägter ist der An-schluß an die römische Kaiseridee. Erst recht macht die Untersuchung des Problems Hiskia/Ezechias "die Konzeption der Reichskrone um 965... sehr wahrscheinlich" (97). Auch die Melchisedekdarstellung führt zu demselben Ergebnis: "Kann man für David und Salomon allenfalls noch vereinzelte Belege in nachottonischer Zeit finden, so sehe ich keine solchen für Ezechias/Hiskia und für Melchisedek in nachottonischer Zeit. Somit ist dieses Moment für die Datierung der Bildplatten nicht unerheblich." (99).

W. schildert die geistige Welt des Erzbischofs Brun von Köln, auf dessen Konzeption die Reichskrone zurückgehe. Er zeichnet zwei wichtige Ereignisse nach: Den Kölner Hoftag 965 (112-115) und die Mitkaiserkrönung Weihnachten 967 (116-118). Dabei besteht "kein Zweifel, daß Ottos II. Mitkaiserkrönung und das byzantinische Heiratsprojekt engstens zusammenhängen" (116). Ottos II. Krönung war "eine Geste in Richtung Byzanz, ebenso wie die ­ wohl zu diesem Anlaß gefertigte ­ Krone, die alles Römische peinlichst vermied, aber im Rückgriff auf die ’beata Davidica stirps’, der der Messias und Pantokrator entstammte, und auf den Priesterkönig Melchisedek, den Prototypus Christi, an Alter und Dignität weit über die römische Tradition hinausgriff, ohne freilich byzantinische Empfindlichkeiten zu tangieren ­, zweifellos eine konzeptionelle Meisterleistung" (117).

Unter der Überschrift "Westreich und Byzanz" werden diese Beziehungen knapp skizziert bis zur Heirat der byzantinischen Prinzessin Theophanu mit Otto II. in Rom 972 (134). Kurz kommt das alte Problem "Romfreies Kaisertum" in den Blick. W. stellt seinen detaillierten Ablaufplan über die Herstellung der "Reichskrone" vor: "Dem im Juni 965 erfolgten Auftrag folgte bis zum Frühjahr 967 die Fertigstellung, also in etwa 20-22 Monaten, was nach Meinung von Fachleuten als durchaus realistisch erscheint" (163). Die Begründung des ottonischen Kaisertums allein auf das Alte und Neue Testament war also ganz gezielt: Sie machte es den Byzantinern leichter, ein solches Kaisertum anzuerkennen, da es nicht auf Rom bezug nahm, dessen Erbe Konstantinopel als "das neue Rom" seit jeher beanspruchte. Solche Anerkennung eines abendländischen Kaisertums war aber eine wichtige Voraussetzung für die folgende Ehe zwischen Kaiser Otto II. und der byzantinischen Prinzessin Theophanu. W. formuliert nochmals den entscheidenden Punkt: "Unsere Reichskrone vermeidet ’Römisches’ ­ also in Byzanz Anstößiges ­ und gründet ’nur’ auf das Alte und Neue Testament, auf die ’stirps regia Davidis’ und die Melchisedek-Idee, was in seiner vorgeblichen Bescheidenheit aber weit über alle Rom-Tradition hinaus- und hinaufgriff" (163).

Unter solchen Voraussetzungen bietet die Wiener Reichskrone einen lehrreichen Einblick in die ottonische Auffassung vom Kaisertum: "Christus ist ewiger König und ewiger Priester in einem; der ottonische Herrscher, wie ihn die Zeit nach 955/60 verstand, ist dessen Abbild auf Erden..." (164). Das Buch drängt freilich die Frage auf: Welchen Stellenwert hat die diplomatische Rücksicht auf die Byzantiner bei der Konzeption der Krone gehabt? Ein enger Zusammenhang mit zeitgenössischen Stimmen und Kunstdenkmälern ist jedoch eindeutig. Ein Rest von Unsicherheit wird wohl bei jenem 10. Jh. immer bleiben, das man wegen seiner dürftigen Quellen als "saeculum obscurum" bezeichnet hat. Auch die Plazierung des heute nicht mehr vorhandenen "Waisen", den einst Walther von der Vogelweide erwähnte, wird wohl umstritten bleiben: Staats plädierte für die Nackenplatte, W. für die Stirnseite der Krone (28-40). Aber an der Entstehung der Wiener Reichskrone in den Jahren 965-967 sollte nach den Ausführungen von W. nicht mehr gezweifelt werden. Mehrere Exkurse runden den überzeugenden Gedankengang dieses Buches ab, das einen vorläufigen Endpunkt zu einer lange umstrittenen Problematik bilden sollte.