Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2009

Spalte:

251-256

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Ulrich H. J. Körtner

Titel/Untertitel:

Zum Abschluss der 4. Auflage von »Religion in Geschichte und Gegenwart«*

Mit dem Erscheinen des Registerbandes ist die vierte Auflage des Lexikons »Religion in Geschichte und Gegenwart« (RGG) abgeschlossen. In ThLZ 126 [2001], 852–860, wurden die ersten drei Bände besprochen, in ThLZ 130 [2005], 610–615, die Bände 4 bis 6. Was in den vorigen Rezensionen bereits über die Gesamtanlage, Stärken und Schwächen, insbesondere im Vergleich zur dritten Auflage der RGG gesagt wurde, gilt gleichfalls für die beiden letzten Bände.
Viele Artikel sind gegenüber der 3. Auflage erweitert worden, so z. B. die Artikel »Sittlichkeit« (Bd. 7, 1356–1358) oder »Stellvertretung« (Bd. 7, 1708–1713). Dass die RGG ein Lexikon nicht nur der Theo­logie, sondern auch der Religionswissenschaft ist, unterstreicht der Artikel »Zeitschriften« (Bd. 8, 1822–1830), der im Unterschied zu demjenigen in der 3. Auflage nicht nur evangelische und katholische wissenschaftlich-theologische Periodika vorstellt, sondern auch religiös-kulturelle und religionswissenschaftliche sowie Zeitschriften in der orthodoxen Kirche, im Judentum und im Islam. Der Artikel »Schöpfung« (Bd. 7, 967–989) geht eigens auf Schöpfung aus naturwissenschaftlicher (M. Mühling-Schlapkohl/ T. Peters, 983–987) und kunsthistorischer Sicht (H. G. Thümmel, 987–989) sowie auf das Thema der Schöpfung im Islam (U. Rudolph, 982–983) ein. Dass der gegenüber RGG 3 viel ausführlichere Artikel »Willensfreiheit« (Bd. 8, 1567–1581) die Fragestellungen der heutigen Neurowissenschaften und die verzweigte Debatte zur Philosophy of Mind unberücksichtigt lässt, ist allerdings verwunderlich. Materialreicher als in der 3. Auflage ist z. B. auch der Artikel »Weltbild« (Bd. 8, 1407–1431), der den Begriff philosophisch, religionswissenschaftlich, theologisch (exegetisch, kirchengeschichtlich und dogmatisch), aber auch kunstgeschichtlich, naturwissenschaftlich, psychologisch und pädagogisch abhandelt.
Der Artikel »Rechtfertigung« (Bd. 7, 98–117) berücksichtigt die neueste theologiegeschichtliche Entwicklung bis zur Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre von Lutherischem Weltbund und römisch-katholischer Kirche von 1999 (Ch. Tietz, 109 f.). Im Vergleich zur 3. Auflage fällt die Darstellung zu Calvin und zur reformierten Orthodoxie allerdings recht knapp aus, desgleichen die Darstellung der tridentinischen Rechtfertigungslehre. In RGG3 V, 842–844 wird das Rechtfertigungsdekret des Tridentinums weitaus besser und detaillierter kommentiert. Den dogmatischen Teilartikel in RGG4 hat E. Jüngel verfasst (Bd. 7, 111–117). Er bietet eine Zusammenfassung seiner Interpretation der Rechtfertigungslehre, die er in seiner Monographie von 1998 vorgelegt hat. Jüngel versteht die Rechtfertigungslehre als hermeneutische Kategorie aller Theologie (116). Der Zusammenhang von Rechtfertigung und Ethik wird unter der Überschrift »Leben aus der Gerechtigkeit Gottes« (116 f.) abgehandelt, wobei man freilich den zentralen Begriff der Heiligung vermisst.
Wie schon die 3. Auflage enthält auch RGG4 einen Artikel zum Stichwort »Urchristentum« (A. Lindemann, Bd. 8, 820–825), das in den ersten beiden Auflagen noch fehlte. Während W. G. Kümmel zwar die Frage der sachlichen und chronologischen Abgrenzung eingehend erörtert, den Begriff selbst aber kommentarlos verwendet, stellt ihn Lindemann zunächst als solchen zur Diskussion. Selbst wenn man ihm beipflichten muss, dass der Alternativbegriff »frühes Christentum« kaum genau zu bestimmen ist, und das Urchristentum nicht als »ideale« Frühzeit verstehen will, hat der Begriff »Urchristentum« doch stets normative Konnotationen, de­ren sich z. B. Kümmel durchaus bewusst ist (RGG 3 VI, 1192). Lindemann möchte die zeitliche Grenze des Urchristentums dort ziehen, »wo erstmals bewusst auf eine Vergangenheit der Kirche zurückgeblickt wird, das Christentum also zu einer die eigene Gesch[ichte] reflektierenden Größe geworden ist« (821), was in 1Clem, Apg und den Past der Fall ist. Auch diese vermeintlich rein historiographisch-deskriptive Kategorienbildung hat freilich normative Im­plikationen.
Die vierte Auflage der RGG enthält zahlreiche neue Sach- und Namensartikel, z. B. zu Hugo Grotius (Bd. 7, 22–23) oder zu Fried­rich Wilhelm Raiffeisen (Bd. 7, 24–25), aber auch zu einem Komponisten wie Rachmaninov (Bd. 7, 13–14), bei dem freilich zu fragen ist, weshalb er in einem Religionslexikon aufscheint. Neu ist z. B. auch der Artikel »Rabbinische Literatur« (Bd. 7, 5–10). In diesem Fall wurden die Unterabschnitte nicht, wie es sonst häufig der Fall ist, an verschiedene Autoren vergeben, sondern der ganze kundige Artikel stammt von G. Stemberger aus einer Hand. Neu aufgenommen wurde das Stichwort »Rationalität« (Bd. 7, 55–57). Im Unterschied zu F. Huxel, die im ethischen Abschnitt im Anschluss an E. Herms weiter von einem singularischen Vernunftbegriff ausgeht, betont M. Petzoldt im fundamentaltheologischen Abschnitt, dem Ideal einer singularen Vernunft und damit dem Ideal einer Letztbegründung sei der Abschied zu geben (57). In der 4. Auflage gibt es nun erstmals einen Artikel »Raum« (Bd. 7, 62–65), der die philosophische, religionsphilosophische und dogmatische Bedeutung des Begriffes erläutert. Weshalb die religionswissenschaftliche Bedeutung ausgespart bleibt, ist allerdings ebenso unerfindlich wie der Umstand, dass es einen separaten Artikel »Raum, liturgisch und praktisch-theologisch« (Bd. 7, 65–66) gibt, der doch sinnvollerweise in den Gesamtartikel zum Lemma integriert worden wäre. Ein eigener ausführlicher Artikel ist in der 4. Auflage dem Stichwort »Reichtum« gewidmet (Bd. 7, 230–236), das in der 3. Auflage unter dem Lemma »Armut« mitbehandelt wurde. Diese Erweiterung ist sachlich sinnvoll, ebenso die separate Aufnahme des Stichworts »Schönheit« (Bd. 7, 959–964), das in RGG 3 unter dem Lemma »Ästhetik« subsumiert worden ist. Zusätzlich zum Lemma »Sünde/Schuld und Vergebung« (Bd. 7, 1867–1902) gibt es nun einen separaten Artikel zum Begriff »Schuld« (Bd. 7, 1019–1021), der damit vom Sündenbegriff unterschieden wird (vgl. E. Gräb-Schmidt, 1020). Allerdings wird der Begriff nur dogmatisch, ethisch – und zwar theologisch-ethisch – sowie rechtlich abgehandelt, nicht jedoch philosophisch und (religions-)psychologisch. Auch sucht man das Stichwort »Schuldgefühl« im Registerband vergeblich. Dabei hat doch die Unterscheidung von Schuld und Schuldgefühl auch theologisch und religionswissenschaftlich einiges Gewicht.
Endete der letzte Band (Bd. VI) der 3. Auflage mit dem Stichwort »Zwölfprophetenbuch«, so schließt die Neuauflage in Bd. 8 mit den neu aufgenommenen Lemmata »Zygmalas, 1. Johannes« (1958), »Zygmalas, 2. Theodosius« (1958–1959) und »Zypern« (1959–1966). Erfreulich ist auch die Horizonterweiterung über die Grenzen der deutschsprachigen Theologie hinaus, die sich z. B. in dem Artikel über die Theologie in Skandinavien zeigt (Bd. 7, 1366–1377). Dafür sind manche Lemmata der 3. Auflage ersatzlos gestrichen. So gab es z. B. in Bd. V der RGG 3 (1581–1584) einen Artikel »Schund und Schmutz« (R. Joerden). Der Wegfall dieses Lemmas ist ein Beispiel für den gesellschaftlichen und kulturellen Wandel, der auch in der Neuauflage der RGG seinen Niederschlag findet. Jetzt gibt es z. B. einen Artikel »Rockmusik« (Bd. 7, 566–567), von der zur Zeit der 3. Auflage der RGG, deren letzter Band 1962 erschien (dem Jahr, in dem die Beatles ihre Karriere begannen), noch keine Rede war.
Wie sich Begriffsbildungen und ethische Bewertungsmaßstäbe im Laufe der Zeit verschieben, zeigt der Artikel »Rassismus« (F. Lohmann u. a., Bd. 7, 39–43), der an die Stelle des Artikels »Rasse« (RGG3 V, 781–788) getreten ist. F. Fürstenberg konnte in der 3. Auflage noch unbefangen von »drei Groß-R[asse]n« sprechen und lediglich vor der »Gefahr einer Ideologisierung … des R[asse]nbegriffs« warnen, ohne diesen selbst in Frage zu stellen. Dagegen stellt F. Lohmann im Rassismus-Artikel der 4. Auflage zutreffend fest: »Das ganze ›Rassen‹-Konzept ist … in Frage zu stellen« (Bd. 7, 40).
Manche der neu aufgenommenen Lemmata dokumentieren jüngere Entwicklungen auf dem Gebiet von Religion und Religiosität, z. B. die Artikel »Satanismus« (Bd. 7, 843–845), »Scientology Church« (Bd. 7, 1079–1080) oder »Spiritualität« (Bd. 7, 1589–1594), wobei U. Köpf zu Recht die heutige Inflation von »Bindestrich-Spiritualitäten« (1591) kritisiert (»Spiritualität des Pilgerns« usw.). Gegenüber einem diffusen Wortgebrauch, der auch in den Kirchen um sich greift, profiliert E. Gräb-Schmidt den Begriff Spiritualität und das zu Grunde liegende Geistverständnis trinitätstheologisch (1594). Ihre missverständliche Bestimmung der Spiritualität als »ethische Pneumatologie« (1595) grenzt sie freilich zu Recht von Konzeptionen einer ethischen Theologie ab, indem sie »eine inhaltliche Vorgegebenheit der Wirklichkeitssicht für den ethischen Wirklichkeitsbezug« anmahnt, »und zwar aus christologischen Gründen« (1596). Die sachliche Spannung zwischen der rechtfertigungstheologischen Einsicht in die Vergeblichkeit menschlichen Tuns hinsichtlich der Beziehung zu Gott und der Notwendigkeit konkreter Gestaltungsformen des Glaubens sowie die heute bestehenden Schwierigkeiten, die sich mit dem Rückgriff der Konfessionen auf die eigene spirituelle Tradition konfrontiert sehen, beschreibt Ch. Grethlein aus praktisch-theologischer Sicht (1596 f.).
Einige der neuen Lemmata reagieren auf wissenschaftstheoretische Veränderungen im Bereich von Theologie und Religionswissenschaft, so z. B. die Artikel zu den Stichwörtern »Rezeption« (Bd. 7, 482–487), »Wirkungsgeschichte/Rezeptionsgeschichte« (Bd. 8, 1596–1606), »Semiotik« (Bd. 7, 1192–1199) und »Zeichen« (Bd. 8, 1795–1800). Dass der Artikel »Rezeption« keinen religionswissenschaftlichen und keinen philosophischen Abschnitt hat, sondern ausschließlich theologisch ausgerichtet ist, verwundert ein wenig, beginnt doch auch der Artikel »Wirkungsgeschichte/Rezeptionsgeschichte« mit einem philosophischen Abschnitt (Bd. 8, 1596–1597), wenngleich auch er das Stichwort nicht religionswissenschaftlich behandelt. Die Begriffe »Wirkungsgeschichte« und »Rezeptionsgeschichte«, die zum Teil synonym verwendet (so M. Rösel, 1598), zum Teil stärker unterschieden werden (so U. Köpf, 1606), sind freilich noch um denjenigen der Auslegungsgeschichte zu ergänzen, der unter den Lemmata fehlt und leider auch nicht im Registerband aufscheint. Dankenswerterweise erörtert aber U. Luz Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Wirkungsgeschichte und Auslegungsgeschichte in seinem neutestamentlichen Teilartikel (Bd. 8, 1600–1601). Die fundamentaltheologischen Fragen, die der Rezeptionsbegriff aufwirft, werden von J. Zachhuber gut herausgearbeitet (Bd. 7, 482–484). Auf die Notwendigkeit kirchenamtlicher Rezeption von Ergebnissen ökumenischer Dialoge weist S. Pemsel-Maier hin (Bd. 7, 486 f.). Dass die »Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre« von 1999 Beispiel für einen gelungenen kirchenamtlichen Rezeptionsprozess ist (487), darf im Blick auf den Inhalt des Dokuments wie auf seine bisherige Nachgeschichte allerdings bezweifelt werden.
Erfreulich ist die Aufnahme neuer Lemmata aus dem Gebiet der Religionswissenschaft, die man in einem Lexikon zur Religion in Geschichte und Gegenwart wohl erwarten darf: Religionsethnologie (Bd. 7, 305–307), Religionsethologie (Bd. 7, 307–308), Religionskritik (Bd. 7, 337–341), Religionstypologie, religionswissenschaftlich (Bd. 7, 386–388). Das Stichwort »Religionskunde« hat gegenüber der 3. Auflage eine andere Wortbedeutung. Ging es in RGG3 V, 996–999, um evangelische Religionskunde als Teilgebiet der Missionswissenschaft, deren Aufgabe die theologische Deutung des Phänomens der Religionen unter missionswissenschaftlichen Gesichtspunkten war, so steht der Terminus heute (Bd. 7, 341–342) für einen Unterricht über Religion unter Ausklammerung jeglicher kirchlich-konfessionellen Bewertung, dessen Basis die vergleichende Religionswissenschaft ist.
Über den Stand der Selbstverständigung der Religionswissenschaft über ihre Aufgaben, ihre Methoden, Modellbildungen und ihre Geschichte informiert der Artikel »Religionswissenschaft« von K. Rudolph, H. Seiwert und K. Hock (Bd. 7, 400–408). Ergänzend sind die Artikel über Religionspsychologie (Bd. 7, 371–375) und Religionssoziologie (Bd. 7, 377–384) sowie Religionsphilosophie (Bd. 7, 355–371) zu lesen. Hinzu kommt der überaus umfangreiche Artikel zum Stichwort »Religion« (Bd. 7, 263–304) als Gegenstand der Religionswissenschaft wie der Theologie und der Philosophie. Über den Begriff und seine keineswegs kontinuierlich verlaufende Ge­schichte schreibt E. Feil (Bd. 7, 263–274), dessen begriffsgeschichtliche Forschungen einschlägig sind.
Eine Folge neuerer Bemühung um eine Theologie der Religionen ist, wie P. Antes (275) feststellt, dass die früher postulierte Einheit der Religion, die allen Einzelreligionen zu Grunde liege, einer realistischen Einschätzung der Verschiedenheit der Religionen gewichen ist, die bis in die Theoriebildung hinein Konsequenzen hat – und, wie man hinzufügen möchte, auch in der vierten Auflage der RGG ihren Niederschlag findet. Wichtig ist ebenfalls der Hinweis von Antes, dass Religionswissenschaft in ihrer Arbeit zwar von ihrem Forschungsgegenstand unabhängig, aber nicht ohne Rückwirkung auf ihn bzw. Reaktionen von ihm auf ihre Ergebnisse ist (279). Der systematisch-theologische Teilartikel über »Religion und die Aufgabe der Theologie« stammt aus der Feder von Ch. Schwöbel (279–286). An seinem theologiegeschichtlichen Abriss verblüfft allerdings, dass die Dialektische Theologie – die bei Antes immerhin einmal beiläufig erwähnt wird (275) –, Barth und Bonhoeffer ebenso wie Bultmann und die Hermeneutische Theologie völlig ausgeblendet werden. Von Schleiermacher und Hegel geht es zu Troeltsch und von dort zur Periode nach dem 2. Weltkrieg und zur angeblich »[i]m Zuge der nach der Säkularisierung um die Mitte des 20. Jh. einsetzenden Re-Religionisierung« (281). Auch wenn man wie Schwöbel den Positionen C. H. Ratschows zuneigt, ist eine solche Barth- und Bonhoeffer-Vergessenheit sachlich nicht gerechtfertigt.
Immerhin findet Barths Religionsverständnis bei E. Herms in seinem Teilartikel über Religion in der Gesellschaft (286–295) eine knappe Erwähnung (286). Im Übrigen aber wiederholt Herms seine bekannten Thesen zur Gleichsetzung von Religion und Weltanschauung (288) und zur Religion als anthropologischer bzw. sozialer Konstante (287). Die konstitutionstheoretische Bedeutung des Religionsthemas für die Praktische Theologie arbeitet Ch. Albrecht heraus (295–298). Auch er grenzt sich vom Erbe der Dialektischen Theologie klar ab (297). Seine Darstellung endet bei der Programmformel von der »gelebten Religion« und den dazu gehörigen Programmentwürfen, deren Theorieprobleme allerdings geflissentlich verschwiegen werden. Zwei Teilartikel über »Religion als Thema der Missionswissenschaft« (V. Küster, 299–302) und über »Religion als Thema der Medien« (R. Schmidt-Rost, 302–304) runden diesen wichtigen Hauptartikel ab.
Zu der in diesem Artikel deutlich vollzogenen Abkehr vom Erbe der Dialektischen Theologie bilden allenfalls die systematisch-theologischen und praktisch-theologischen Teile des Artikels »Wort Gottes« in Bd. 8 ein gewisses Gegengewicht (1697–1710), die W. Krötke (1700–1706) und M. Meyer-Blanck (1706–1708) verfasst haben. Im Gegensatz zu der heute weitgehend propagierten Umstellung auf (gelebte) Religion als Leitbegriff der Theologie insistiert Krötke im Anschluss an Barth darauf, dass das Wort Gottes der zentrale Ge­genstand evangelischer Theologie bleibe (1704), wobei »Wort Gottes« »als Metapher für den sich Menschen erschließenden Gott zu verstehen ist« (1700). M. Meyer-Blanck räumt ein, dass die Kategorie »Wort Gottes« für die gegenwärtige Praktische Theologie zwar keine programmatische Rolle mehr wie in Deutschland zwischen 1925 und 1965 spielt, macht aber darauf aufmerksam, dass das Verdienst der Wort-Gottes-Theologie als für die Praktische Theologie notwendige Unterscheidungslehre zunehmend gewürdigt wird (vgl. z. B. I. Karle) und dass die »mit der Kategorie des W[ortes] G[ottes] aufgeworfene Frage des Verhältnisses zw[ischen] Erfahrung als empirischer und als fundamentaltheol[ogischer] Kategorie« in den einzelnen kirchlichen Handlungsfeldern in je spezifischer Weise wiederkehrt (1707).
Zu den herausragenden Artikeln der 4. Auflage gehört der zu Schleiermacher von E. Jüngel (Bd. 7, 904–919). Ihm kommt innerhalb der RGG auch deshalb eine besondere Bedeutung zu, weil sich die heutige Fundamentalkritik am Erbe der Wort-Gottes-Theologie auf eine bestimmte Schleiermacher-Rezeption stützt. Einerseits argumentiert Jüngel unter Hinweis auf G. Ebeling, dass eine Theologie des Wortes Gottes ihr eigenes Problembewusstsein durch gründliche Schleiermacher-Interpretationen steigern kann, andererseits verweist er auf eine neue Phase der Schleiermacher-Rezeption, die alte Frontstellungen hinter sich lässt, so dass sich »Erbe« und »Kritik« nicht mehr alternativ zueinander verhalten müssten (918).
Zur Klärung protestantischen Selbstverständnisses gehört ne­ben der Rechtfertigungslehre der Begriff der Reformation. Der von U. Köpf verfasste Artikel (Bd. 7, 145–159) spiegelt wider, wie stark sich die Sicht auf das Ereignis, die Epoche und die historische Bedeutung der Reformation in der jüngeren Forschung verändert hat.
Anders als der Artikel von W. Maurer in RGG3 V, 858–873, konzentriert Köpf den Begriff der Reformation und seine Verwendung von vornherein auf die durch Luther und Zwingli be­gründete Reformbewegung (147) und diskutiert kritisch die Rede von einer ersten, zweiten und dritten Reformation in der jüngeren Forschung, die der epochalen Bedeutung der durch Luther und Zwingli ausgelösten epochalen Vorgänge nicht gerecht werde. Maurer, der Zwinglis eigenständige Bedeutung neben Luther nicht angemessen würdigt, bietet dagegen reiches Material zur mittelalterlichen Begriffsgeschichte (RGG 3 V, 858–861) sowie zur Verwendung des Reformationsbegriffs als Geschichtskategorie (861–863) in der Reformationszeit selbst, das sich in der 4. Auflage der RGG nicht findet. In Übereinstimmung mit der neueren Forschung betont Köpf die Uneinheitlichkeit der Reformation und ihrer Entwick­lung.
Ihre vielfältigen Erscheinungen fügen sich nicht zu einer Einheit zusammen, weisen aber gemeinsame Grundzüge auf (156). Die Grundfrage des Reformationsverständnisses betrifft nach Köpf den epochalen Charakter der Reformation, der seit dem 16. Jh. strittig geblieben ist. In der zentralen Frage nach der Stellung der Reformation zwischen Mittelalter und Neuzeit kritisiert Köpf sowohl die Sichtweise von Aufklärung und deutschem Idealismus als auch die Thesen E. Troeltschs als einseitig, hält aber die von ihm aufgeworfene Frage nach dem mittelalterlichen Hintergrund der Reformation für unab­weis­bar, die freilich nicht auf die Bezüge zum Spätmittelalter begrenzt werden dürfe, sondern den gesamten mittelalterlichen Hintergrund berücksichtigen müsse.
Die ökumenische Ausrichtung der RGG4 zeigt sich in vielen Einzeldarstellungen und in der Artikelvergabe. So hat z. B. der römisch-katholische Neutestamentler M. Theobald den Artikel zum Rö­merbrief verfasst (Bd. 7, 611–618). Theobald ist durch seinen zweibändigen Kommentar und weitere Studien zum Römereinschlägig ausgewiesen. Der Artikel über Thomas von Aquin (Bd. 8, 369–376) wurde freilich einem evangelischen Theologen (N. Slenczka) übertragen. Abgesehen von einer differenzierenden Würdigung des Neuthomismus weist Slenczka darauf hin, dass die protestantische Thomasforschung in neuerer Zeit vielfach durch den ökumenischen Dialog und die Durchbrechung kontroverstheologischer Fixierungen des Thomasbildes motiviert ist, was ihn aber nicht daran hindert, die thomanische Gotteslehre und ihre Probleme, die aus der Vermittlung von aristotelischer und neuplatonischer Metaphysik resultieren, einer fundierten Sachkritik zu un­terzie­hen (371 f.). Ein Beispiel für die Berücksichtigung ökumenischer Fragestellungen ist auch der Artikel »Sakramente« (Bd. 7, 752–770), der im Unterschied zum Sakramentsartikel in RGG 3 nach Konfessionen gegliedert und um einen praktisch-theologischen Ab­schnitt erweitert worden ist. Dafür fehlt eine entsprechende Differenzierung im Artikel »Theologie« von Ch. Schwöbel (Bd. 8, 255–306), während der Artikel von G. Ebeling u. a. in RGG3 VI, 754–782, gesonderte Teilartikel zur evangelischen (H.-H. Schrey), katho­lischen (J. Ratzinger!) und orthodoxen Theologie (G. Florovsky) zu bieten hat. Dass Schwöbels umfangreicher und programmatischer Artikel, der zweifellos zu den herausragenden Artikel der 4. Auflage gehört, sich ganz auf das evangelische Theologieverständnis be­schränkt, ist doch ein Manko, das auch durch den Unterabschnitt über »Theologie und Kontextualität« (Bd. 8, 296–300), der auf die unterschiedlichen kontextuellen Theologien eingeht, nicht wettgemacht wird.
Der Registerband enthält im Mitarbeiterinnen- und Mitarbeiterverzeichnis zwar biographische Daten, im Unterschied zum Register der 3. Auflage jedoch keine Veröffentlichungseinträge. Solche wären ja auch nur eine Momentaufnahme des literarischen Schaffens der beteiligten Autorinnen und Autoren, über das man sich heute üblicherweise aktuell im Internet informieren kann. Daher ist der Verzicht auf bibliographische Einträge sinnvoll. Das Stichwortregister ist wie das der 3. Auflage gestaltet. Es umfasst in alphabetischer Reihenfolge Begriffe, Sachen, Personennamen und Orte. Artikelstichwörter sind durch halbfetten Druck hervorgehoben. Bei Personen wurden, wie in der 3. Auflage, soweit recherchierbar, die Lebensdaten oder Regierungsdaten hinzugefügt. Zusätzlich werden die in der 4. Auflage vorhandenen Karten und Abbildungen ausgewertet. Die entsprechend gekennzeichneten Fund­stellen sind eine hilfreiche Ergänzung.
Am Ende des Registerbandes finden sich 12 Seiten Corrigenda. Zum Vergleich: Die 3. Auflage hatte fünf Seiten Berichtigungen. Was sollen wir daraus schließen? Wurde früher vor der Drucklegung noch sorgfältiger Korrektur gelesen? Oder hat man nach Drucklegung einfach weniger Fehler entdeckt? Mindestens ein Fehler hat sich allerdings noch in den Registerband der 4. Auflage selbst eingeschlichen, nämlich im Inhaltsverzeichnis: Das Vorwort steht auf S. V und nicht, wie im Inhaltsverzeichnis vermerkt (VI).
Bd. 7 enthält übrigens einen kurzen Artikel, in dem die RGG sich selbst zum Thema macht (304–305). Geschrieben hat den Artikel »Religion in Geschichte und Gegenwart« kein Geringerer als der Verleger Georg Siebeck. Der dritten Auflage attestiert er: »In hist. und bibliograph. Details setzte sie dank ihrer redaktionellen Präzision Standards« (305). An diesen ist auch die 4. Auflage zu messen. Die 3. Auflage wollte, wie Siebeck richtig feststellt, den enzyklopädischen Stoff von einem konfessionell klar definierten, der Tradition der Bekennenden Kirche verpflichteten theologischen Standpunkt aus darstellen und zu allen Erscheinungsformen des Religiösen kritisch Stellung beziehen. Ein solcher ist in der 4. Auflage nicht mehr erkennbar. Namentlich der Artikel zum Stichwort »Re­ligion« markiert die radikale Abkehr des deutschsprachigen Protes­tantismus vom Erbe der Dialektischen Theologie und der Wort-Gottes-Theologie, die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s vollzogen hat. Die 4. Auflage der RGG knüpft wieder an die 2. Auflage an, welche die theologischen Strömungen der Gegenwart möglichst vollständig erfassen wollte und die Autoren nicht nach ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schul- oder Glaubensrichtung auswählte, sondern danach, wie gut sie das darzustellende Fach wissenschaftlich überblickten. Faktisch lässt die Artikelvergabe in RGG 4 allerdings sehr wohl in manchen Bereichen – z. B. auf dem Gebiet der theologischen Ethik – Schulbildungen erkennen. Insgesamt aber folgt die RGG in ihrer 4. Auflage keinem klar umrissenen theologischen Programm. Das Ende der großen Schulbildungen gehört zur Signatur der Gegenwart. Ob dies zu ihrem Vorteil oder ihrem Schaden gereicht, wird die Zukunft erweisen.

Fussnoten:

*) Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theo­logie und Religionswissenschaft. 4., völlig neu bearb. Aufl. Hrsg. v. H. D. Betz, D. S. Browning, B. Janowski, E. Jüngel. Bd. 7: R–S. Tübingen: Mohr Siebeck 2004. LXXXVI S. + 2030 Sp. 4°. Lw. EUR 214,00. ISBN 3-16-146947-X; Bd. 8: T–Z. Tübingen: Mohr Siebeck 2005. LXL S. + 1966 Sp. 4°. Lw. EUR 214,00. ISBN 3-16-146948-8; Registerbd. Tübingen: Mohr Siebeck 2007. VI S. + 1620 Sp. 4°. Lw. EUR 214,00. ISBN 978-3-16-146949-7; Gesamtwerk: EUR 2250,00. ISBN 978-3-16-149514-4.