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Ausgabe:

Januar/2005

Spalte:

106–120

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Merk, Otto

Titel/Untertitel:

"Viele waren Neutestamentler"*. Zur Lage neutestamentlicher Wissenschaft 1933-1945 und ihrem zeitlichen Umfeld1.

Das Titel-Zitat betrifft eine nicht durch Namen ausgewiesene Feststellung von S. Heschel und die damit verbundene Skizzierung der universitären Situation von jungen Theologen, die in den 20er und 30er Jahren des 20. Jh.s studiert haben und denen sich von der ihnen gebotenen Universitätstheologie her der geistige Nährboden ihrer Anfälligkeit gegenüber dem Nationalsozialismus erschlossen habe.2 Dies ist das übergreifende Thema der beiden hier anzuzeigenden Untersuchungen. Gemeinsame Aspekte in der Sache werden von verschiedenen Fragestellungen und Positionen aus beleuchtet. Der Aufsatzband "Das mißbrauchte Evangelium" ist gebündelter auf das Thema "Studien zu Theologie und Praxis der Thüringer Deutschen Christen" ausgerichtet mit bewusst in Kauf genommenen (18) mehrfach (deutlichen) thematischen Überschneidungen und trifft sich in der Behandlung der Vorgänge weithin mit Beiträgen des Sammelbandes "Christlicher Antijudaismus" und Beobachtungen und Recherchen bei Lubinetzki.3 Das ist kein Schade und spiegelt die Aktualität neuerer protestantischer Theologiegeschichte letztlich in der Weise, dass unerledigte Tatbestände bedrückend virulent geblieben sind, denen sich auf je eigenem Feld jede theologische Disziplin in unserem Lande notwendigerweise stellen muss.4

I. Zu "Das mißbrauchte Evangelium": P. von der Osten-Sacken, "Christen und Juden an der Jahrhundertwende. Zur Einführung" (11-34) vermittelt einen Überblick über den Stand des wissenschaftlichen und kirchlichen Gesprächs zwischen Juden und Christen im Jahre 2000, deckt latenten wie offenen Antisemitismus schonungslos auf, um dann die besondere Ausrichtung des vorliegenden Bandes auf die Situation in Thüringen seit 1933 und den Versuch ihrer Bewältigung (seit 1988) zu erklären. Ch. P. Wagener, "Gott sprach: Es werde Volk, und es ward Volk. Zum theologischen und geistesgeschichtlichen Kontext der Deutschen Christen in ihren unterschiedlichen Strömungen" (35-69) fasst den inzwischen mehrfach aufgearbeiteten Bereich der Fragestellung (etwa durch die Arbeiten von K. Scholder, R. P. Ericksen, K. Meier, G. Besier, auch H. Assel) instruktiv zusammen, zeigt, wie viele Theologen unkritisch nationalsozialistische Ideologie übernahmen, bietet aber darüber hinaus Hinweise, die differenzierter geprüft werden müssten, damit nicht Persönlichkeiten in ein falsches Licht gesetzt werden.5 S. Heschel entfaltet in ihrem bereits früher erschienenen Aufsatz (vgl. 70, Anm. 1) "Deutsche Theologen für Hitler. Walter Grundmann und das Eisenacher Institut zur Erforschung ..." (vgl. o. Anm. 3) (70-90) sowohl "historiographische Aspekte" des Werdens als auch "Entstehung" und "Arbeit" dieses 1939 offiziell gegründeten Instituts: "Die Durchsetzung des Arischen im Gewand des Christentums innerhalb der protestantischen Kirche" ist "das Ziel der nationalsozialistischen Glaubens- und Kirchenbewegung Deutsche Christen" (71). Wurde auch die Bezeichnung des Instituts - wohl aus opportunistischen Gründen während des Krieges - unter Weglassung von "und Beseitigung" (sc. des jüdischen Einflusses) gemildert, so war doch erklärte Zielvorgabe des wissenschaftlichen Leiters Walter Grundmann, den "Antisemitismus" der Nationalsozialisten "mit dem Argument zur Deckung zu bringen, Jesus sei Arier gewesen und habe die Vernichtung des Judentums angestrebt" (71). Man wird jedoch die rund 50 Mitarbeiter des Instituts - unter ihnen auch der schwedische Neutestamentler Hugo Odeberg -, die zumeist verstreut an Universitäten und in kirchlichen Stellen ihre Mensa hatten, nicht in gleicher Weise und Intensität in ihren Forschungen dieser Zielsetzung zuordnen können, auch wenn Institutsarbeitsgruppen die "entjudete Version des Neuen Testaments, Die Botschaft Gottes" (1940) und ein "entjudetes Gesangbuch, Großer Gott, wir loben dich" (1940) herausbrachten und W. Grundmanns eigene und andere Veröffentlichungen der Zeit dem Programm des Instituts und nationalsozialistischer Grundüberzeugung entsprechen (78 ff.).6 Nach der amtlichen Schließung des Instituts 1945 fanden die Hauptakteure Weiterbeschäftigung in kirchlichen und anderen Stellen (83 ff.).7 Die Vfn. schließt mit ebenso berechtigt offenen wie kritischen Fragen: "Sind Phänomene wie Grundmanns Institut Produkte des Christentums oder seiner Perversion? Was die Erfahrung der Kirchen in NS-Deutschland deutlich macht ist, daß es innerhalb der christlichen Theologie keinen Mechanismus gab, der in der Lage war, die Nazi-Exzesse als unchristlich auszuschließen. Selbst diejenigen, die den Nationalsozialismus ablehnten, waren nicht besonders beunruhigt vom Antisemitismus des Instituts" (90; es bleibt aber auch die Frage: War das Eisenacher Institut mit seinen Bestrebungen wirklich bis in die bekennenden Gemeinden im Land bekannt? Hinweise und Belege dafür fehlen hier und im ganzen Aufsatzband).

Chr. Wiese, "Unheilsspuren. Zur Rezeption von Martin Luthers Judenschriften im Kontext antisemitischen Denkens in den Jahrzehnten vor der Schoah" (91-135), zeigt, dass der Bezug auf Luthers Äußerungen über die Juden Jahrhunderte hindurch zwiespältig geblieben ist und so im Geist nationalsozialistischen Denkens unheilvoll verwendet und rassistisch ausgewertet werden konnte und wurde. Entscheidet sich der Vf. auch energisch für eine politische Auswertung der Judenschriften Luthers, so wird damit wohl doch zu stark die Trennlinie zwischen anders begründetem Antijudaismus im Reformationszeitalter und politischer Auswertung gezogen. Es bleibt die Anfrage, ob nicht beide Aspekte geistesgeschichtlich stärker ineinander greifen. P. von der Osten-Sacken, "Der nationalsozialistische Lutherforscher Theodor Pauls. Vervollständigung eines fragmentarischen Bildes" (136-166), führt in ein sehr zeitgeistgebundenes Werk ein, betont die in der Forschungsgeschichte (z. B. W. Maurer, M. Brosseder, H. A. Oberman, E. L. Ehrlich) unterschätzte antisemitische Wirkung dieser drei Hefte (140, 104, 98 Seiten), bietet aber selbst nur eklektisch Inhalt und Aufnahme der Ausführungen in der Forschung. So fehlt bei dem Vf. z. B. die Charakterisierung des unverfänglichen demokratischen Gelehrten und Zeitgenossen Heinrich Hermelink (der 1935 als einziger seinen Lehrstuhl für Kirchengeschichte in der Theologischen Fakultät Marburg verlor). Hermelink hebt in seiner Besprechung aus dem Jahre 19438 hervor, dass die von Pauls angeführten Quellen die Absicht des Autors nicht zu tragen vermögen, "wie denn auch die von Pauls zugespitzten Überschriften der einzelnen Abschnitte sich oft mit den darunter stehenden Luthersätzen nicht decken", und er zeigt in voller Deutlichkeit an mehreren Beiträgen dieser Art (von W. Petersmann, Pauls, H. G. Schroth, vgl. 46 ff.), "wie wenig die heutige rassenpolitische Behandlung der Judenfrage trotz scheinbarer Übereinstimmung in den Methoden ... mit Luthers Stellung gegen die Juden begründet werden kann" (48). Abschließend zeigt der Vf., wie sich die Autoren rassistischer Inanspruchnahme Luthers auch nach 1945 halten konnten (W. Petersmann in der Landeskirche Hannovers und als NPD-Kandidat [163]; Th. Pauls mehr unbeachtet),9 während der bedeutende Erforscher der Fragestellung, Reinhold Lewin mit seinem Werk "Luthers Stellung zu den Juden" (1911), als Rabbiner in Breslau mit seiner Familie 1942/43 deportiert wurde und vermutlich in der Gaskammer sein Ende fand (166).

Den umfassendsten Beitrag, der sich gemäß dem Untertitel des Bandes mit den "Thüringer Deutschen Christen" befasst, hat W. Schenk vorgelegt: "Der Jenaer Jesus. Zu Werk und Wirken des völkischen Theologen Walter Grundmann und seiner Kollegen" (167-279 und "Literatur zum Thema Thüringer Deutsche Christen", 348-420; vgl. dazu auch 18). Weit ausholend wird die für Nationalsozialismus und Deutsche Christen verschiedenster Prägung sehr offene damalige Thüringer Landeskirche (die nach 1945 dieses Gedankengut verbrämt weitergeführt, zugleich aber auch dem der DDR in breitem Maß Raum gewährt habe, so der Vf. 224 ff., Anm. 278; s. 231 f. 244. 267.272.276 f. u. ö.) geradezu durchleuchtet, wobei die Vielzahl der entfalteten Fakten und Facetten - mehrfach verbunden mit persönlichen Beobachtungen und Erfahrungen - das eigentliche Anliegen des Aufsatzes zu überdecken droht: die Darstellung von Weg und Werk des konsequenten und zielstrebig machtbewussten NSDAP-Mitgliedes und Neutestamentlers Walter Grundmann (1906-1976), der die nationalsozialistische Ausrichtung seines Denkens auch als DC-Mann voll in sein wissenschaftliches Werk und sein akademisches Leben integrierte und nach 1945 bei leicht retuschierenden Abstrichen seine Grundüberzeugung weiter literarisch vertrat (bes. 170 ff.233 ff. 251 ff.). Nach kurzer Assistentenzeit bei G. Kittel (Tübingen) zur Vorbereitung des ThWNT (1930-1932) stieg er rasch in der seinen (kirchen-)politischen Ideen unkritisch begegnenden Kirchenhierarchie der sächsischen Landeskirche zum "Oberkirchenrat" auf (1933), um dann die (Partei-)Gunst der Stunde, die ihm die Thüringer Landeskirche und die Universität Jena boten (190 ff.), zu nutzen, so dass er - nicht habilitiert- seit dem 1.11.1936 kommissarisch in der Theologischen Fakultät Jena lehrte und seit dem 5.10.1938 dort Ordinarius für "Völkische Theologie und Neues Testament" war (so der Vf. 150. 242).10 Der schon in jungen Jahren auch literarisch ausgewiesene W. Grundmann (211, Anm. 221) hielt seine "programmatisch antijüdische Antrittsvorlesung ... am 11.2.1939" (193; vgl. W. Grundmann, "Die Frage der ältesten Gestalt und des ursprünglichen Sinnes der Bergrede Jesu" [Weimar 1939] u. 242, Anm. 358) fast zeitgleich mit der o. g. Gründung des Eisenacher "Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben", dessen wissenschaftlicher Leiter (im Übrigen Stellvertreter) er war (202 ff.).

Grundmanns Jenaer Tätigkeit und die im Eisenacher Institut fallen sachlich und in der Ausrichtung zusammen. Das Maßgebende kreist um seine drei Arbeiten "Die Gotteskindschaft in der Geschichte Jesu und ihre religionsgeschichtlichen Voraussetzungen" (Weimar 1938), "Jesus der Galiläer und das Judentum" (Leipzig 1940) und "Aufnahme und Deutung der Botschaft Jesu im Urchristentum" (Weimar 1941), verbunden mit einer gewaltsamen und höchst problematischen Darstellung "Das Problem des hellenistischen Christentums innerhalb der Jerusalemer Urgemeinde" (ZNW 38 [1939], 45-73) und deren Weiterführung in "Die Apostel zwischen Jerusalem und Antiochia" (ZNW 39 [1940], 110-137).

Weniger im eigenen interpretierenden Durchgang durch die Konstruktionen Grundmanns als in ausdrücklicher Bezugnahme auf W. G. Kümmels kritische Berichterstattung mit dem Nachweis unhaltbarer tendenziöser, zeitverhafteter Konzeption des Jenaer Neutestamentlers (249 ff.)11 entfaltet der Vf. - und hier liegt sein eigentliches Interesse - unter weiterer Bezugnahme auf Kümmels Rezensionen, besonders zu W. Grundmann, "Die Geschichte Jesu Christi", Berlin 1956 mit Ergänzungsheft 1959 [31961] (254, Anm. 408),12 dass Grundmann auch nach 1945, ja lebenslang in weiteren Veröffentlichungen mit leichten Einschränkungen seine Sicht des "Jenaer Jesus" literarisch vertreten habe. Er unterstreicht dies u. a. weiter mit Hinweisen auf Grundmanns bekannte Kommentare zu Mk, Lk, Mt, auf seine Arbeiten zur johanneischen Forschung, zum Sammelband "Umwelt des Urchristentums" (1965; vgl. der Vf., 258 ff.) und auf dessen zahlreiche Artikel im ThWNT. Hinzuzunehmen sind natürlich auch Grundmanns Beiträge in den von ihm herausgegebenen Sitzungsbänden des Eisenacher Instituts, "Christentum und Judentum" (1940); "Germanentum, Christentum und Judentum" (1943) und die unter Grundmann mitverantworteten Ausgaben des Instituts "Die Botschaft Gottes" (1940) und "Großer Gott, wir loben dich" (1941).

In seiner überblicksartigen, aber meist eher indirekt belegten durchgängigen Kritik an Grundmann begegnen allerdings auch nicht so eindeutige Argumente: Die Sicht von der Gottes- Sohnschaft Jesu, das "Vater-Sohn-Konzept" in der Konstruktion Grundmanns (254.258 ff. u. ö.), möchte der Vf. mit der ebenfalls problematischen These widerlegen, dass Lk15,11-32 (Gleichnis/Parabel vom Verlorenen Sohn) nicht jesuanisch sei, sondern insgesamt eine lukanische Konzeption hätte (252ff.). Dies ist - auch im Hinblick auf ältere wie neuere Gleichnisforschung - nicht gelungen und entfällt als Widerlegung Grundmanns.13

Weitaus schwieriger zu fassen ist des Vf.s "linguistische Analyse der Nazisprache" (244, Anm. 367; 258 u. ö.) im Werk Grundmanns nach 1945, zumal des Vf.s eigenes Modell hierzu vielschichtig und variantenreich ist. Aber er hat sicher darin Recht, bei Grundmann auch die sprachlichen Konnotationen sorgfältig im Blick zu behalten: "Man beachte, daß Grundmanns Begriff der hellenistischen Gemeinde nicht einfach im beschreibenden Sinne der religionsgeschichtlichen Schule gelesen werden darf, da Grundmann seine spezifisch rassische Kodierung dieses Begriffs nie widerrufen hat. Das gilt auch für die Bezeichnung Jesu als Galiläer, der bei Grundmann arisch kodiert bleibt, auch wenn er diesen verbrauchten Ausdruck (Signifikant) nach 1945 natürlich nicht wiederholt. Als heutiger Grundmann-Leser muß man zusehen, nicht in eine Signifikantenfalle zu tappen." (251)

Da der Vf. nur eklektisch Nachweise für Grundmanns nazistisch-ideologisches und DC-verhaftetes Denken bringt, wäre, um selbst dem Verdacht einer Pauschalisierung in seiner Beurteilung entgegenzutreten, ein noch tiefer greifendes Aufspüren der Sachverhalte im Hinblick darauf hilfreich gewesen, inwieweit der Gesamtansatz vor 1945 sich in Grundmanns Arbeiten nach 1945 spiegelt14 oder inwieweit dies einzelnen Strängen bzw. Themen in dessen Werk gilt. Nun konnte und wollte der Vf. keine Monographie zur Fragestellung bieten, aber man hätte doch gern gesehen, wenn die zeitgleiche Kritik vor 194515 und die Aufnahme des Grundmannschen Werkes in der Forschung (einschließlich Rezensionen) nach 1945 umfassender herangezogen und analysiert worden wären. Erst dann wäre die These des Vf.s allseitig abgesichert, zu der er festhält: "Man wird nicht resümieren können, daß Grundmann nach der Befreiung von seinem NS-Regime die ihm gegebenen Jahrzehnte genutzt hätte, um seinen Ruf durch wissenschaftliche Arbeit (wieder-?) herzustellen, da er im Grunde nur neue Rechtfertigungsbeiträge seiner anfänglichen Konzeption hervorgebracht hat. Man wird den Eindruck nicht los, daß es zumeist um eine - durch Auseinandersetzung mit neuerschienener Literatur aufbereitete - weitmöglichste Verbreitung seiner im Prinzip unveränderten DC-Konzeption ging, die 1938-1940 zeitbedingt keine weite Streuung erreicht hatte." (276) "Gerade ein Verzicht auf explizit nazistische und antijüdische Formulierungen nach 1945 erscheint dabei weniger als Ausdruck einer Umkehr denn als Bekräftigung, die suggerieren soll: Seht ihr, meine Basis stimmt, also können doch auch meine anfänglichen Konsequenzen nicht völlig falsch gewesen sein. In der mangelnden geistigen Entwicklung gleichen die Adepten ihrem Führer" (ebd.). Abschließend formuliert der Vf.: "Walter Grundmann ist insgesamt ein abschreckendes und warnendes Exempel. In politisch-ideologischer und - damit verschränkt - in exegetischer Hinsicht bietet er second-hand-Klischees eines interpretativen Konventionalismus. Will man etwas aus einem See uniformer Schwafelei von altgedienten Vielschreibern fischen, so bleibt aus dem umfänglichen Literaturverzeichnis der Entjudungsinstitutler dafür kaum etwas, was der Rede wert sein könnte. Überheblichkeit in der Beurteilung wird hier nur finden, wer die Aufgabe der Wissenschaft verkennt" (279 mit Anm. 529).

Diese ungewöhnlich scharfen Äußerungen relativieren bedauerlicherweise die unbestritten notwendige Kritik an Position und "ideologisierten" Veröffentlichungen Grundmanns (vgl. 279, Anm. 529). Hier mag bei dem Vf. auch sein eigenes Erleben in Thüringen zum Ausdruck kommen und sein Entsetzen darüber, dass Grundmann nahezu unbehelligt entnazifiziert wurde (233 u. ö.; vgl. weiter P. von der Osten-Sacken, 339 ff.) und in kirchlicher Stellung in der Thüringer Landeskirche die Muße zu ungewöhnlich vielen Veröffentlichungen hatte.16

Für die weitere Diskussion bleibt festzuhalten: Der hochsensibel, immer nüchtern kritisch urteilende W. G. Kümmel zeigte - wie angeführt - vor wie nach 1945 stets die Grenzen im Werk Grundmanns und verwies ausdrücklich auf dessen versteckte Argumentation aus den Arbeiten von 1938-1941 in neueren Untersuchungen,17 bezog aber den Neutestamentler - mit vielen anderen Fachkollegen - in die wissenschaftliche Auseinandersetzung ein18 und konnte zu Grundmanns Büchlein "Die Bedeutung der Gestalt Jesu von Nazareth" (Berlin 1972) mit Einschränkungen durchaus positiv votieren.19

Schenk hat akzentuiert die Gefahren aufgedeckt, die in den Werken Grundmanns (und seines Kreises) liegen. Und mit J.Frey gilt es, wachsam zu bleiben, denn: "An dieser dunklen Etappe der Jesusforschung" - gemeint sind vor allem Grundmanns Arbeiten - "wird deutlich, zu welchen Verirrungen historische Forschung in der Lage ist".20 Es gilt P. Winters Feststellung (1959): "Grundmanns frühere Veröffentlichungen ... gehören zu jener Literatur, die zwar einen wenig nachhaltigen Eindruck in der neutestamentlichen Wissenschaft hinterlassen, dafür jedoch einen unverwischbaren Eindruck auf das Geschehen der Dreißigerjahre und Vierzigerjahre unseres Jahrhunderts ausgeübt hat".21 - Das von W. Schenk seinem Beitrag zugefügte wichtige Verzeichnis "Literatur zum Thema Thüringer Deutsche Christen" (348-420) greift weit über seine Ausführungen hinaus, weist etliche Versehen und Ungenauigkeiten auf und verträgt sogar noch Ergänzungen einschlägiger Titel.

Schenks Ausführungen bieten bedauerlich viele Versehen, scharfe Verurteilungen anderer Persönlichkeiten auch über Grundmann und seinen Kreis hinaus und die Weitergabe offenbar ungeprüfter Sachverhalte, worauf in dieser Besprechung nur begrenzt hingewiesen werden kann:

S. 170: Die antisemitische Grundeinstellung von K. L. Schmidt wird verschwiegen (dazu A. Mühling, Karl Ludwig Schmidt, "Und Wissenschaft ist Leben", AZK 66, Berlin-New York 1997, 8 f. u. ö.; O. Merk, ZBKG 67 [1998], 264 ff.). - S. 180, Anm. 63: Die Dekane sämtlicher Theologischer Fakultäten in Deutschland seien im Jahre 1937 DC (Deutsche Christen)-Mitglieder gewesen, trifft nachweisbar nicht zu. - S. 189: Die Äußerungen über Martin Heidegger und seinen Einfluss auf "Eisenhuths theologische Systematik" sind disqualifizierend bei aller auch mit diesem Philosophen sich verbindenden Problematik, treffen sich aber sachlich mit W. Grundmanns eigener Sicht, in: Ders., Der Begriff der Kraft in der neutestamentlichen Gedankenwelt, BWANT, IV. F. 8, 1932, 39, Anm. 1. - S. 240: Dass H. von Soden seine Mitarbeit bewusst abgebrochen und W. G. Kümmel "mit voller Absicht ... an Kittels ThWNT nicht mitgearbeitet" hat, bleibt seitens des Vf.s unbelegt (meiner Erinnerung nach hatte dies bei Kümmel allein mit persönlichen wissenschaftlichen Plänen zu tun, die auch M. Dibelius, der ebenfalls nicht am ThWNT beteiligt war, offensichtlich billigte; im Übrigen vgl. Kümmels Besprechungen des ThWNT [Bd. I-III = NZZ, 2.8.1938, Nr. 1363, Bl. 1; Bd. IV = NZZ 14.10.1943, Nr. 1602, Bl. 1]). Bei von Soden dürften Arbeitsüberlastung (aber noch Mitarbeit an ThWNT Bd. III, 1938, vgl. die Mitarbeiterliste VII, Studienausgabe 1990: X) im Rahmen der Bekennenden Kirche und zunehmende Herzerkrankung im Vordergrund gestanden haben, zumal sein Freund R. Bultmann der Arbeit am ThWNT ohne jede Affinität zu Kittels theologischer und politischer Einstellung voll zugewandt war. - S. 249, Anm. 390 sind Kümmels Todestag und -ort falsch angegeben. Richtig: 9.7.1995 in Mainz.

P. von der Osten-Sacken, "Walter Grundmann - Nationalsozialist, Kirchenmann und Theologe. Mit einem Ausblick auf die Zeit nach 1945" (280-312), erörtert - aus einem Vortrag erwachsen- wesentlich geraffter und übersichtlicher die auch bei Schenk angeführten Sachverhalte. Unter drei Aspekten "1.Grundmanns theologische Position als nationalsozialistischer Kirchenmann" (280 ff.), "2. Grundmanns Ausbau seiner theologischen Position als nationalsozialistischer Universitätslehrer" (290 ff.) und "3. Ausblick auf die Zeit nach 1945: Zur Kontinuität von Grundmanns Sicht" (304 ff.) wird gezielt die Windigkeit der Konstruktionen des Jenaers zusammenfassend aufgedeckt: "Das Elend der gesamten Konzeption oder Konstruktion Grundmanns läßt sich daran ablesen, in welchem Maße sie das Evangelium verdirbt, das sie doch zur Geltung bringen will" (297). "Irgendwann stellt sich beim kritischen Lesen all dessen ... ein ausgesprochener Überdruß ein" (311). "Die Klischees, deren er sich in seinen Darlegungen bediente, und damit die Sammlung halber Wahrheiten über das Judentum, die seine Publikationen in beträchtlichem Maße darstellen, hatten eine lange Tradition" (312). Dass diese Arbeiten nicht weiter "hoffähig" bleiben (ebd.), ist Anliegen des Vf.s (und der Mitautoren der von ihm herausgegebenen Aufsätze).22

In einem letzten Beitrag des Bandes behandelt P. von der Osten-Sacken "Die große Lästerung. Beobachtungen zur Gründung des Eisenacher Instituts und zeitgenössische Dokumente zur kritischen Wertung seiner Arbeit sowie zur Beurteilung Walter Grundmanns" (313-347). Der Vf. dokumentiert und interpretiert die einschlägigen Akten, zeigt die Verstrickung Grundmanns in diesem Institut, bietet sehr aufschlussreiche "Notizen eines Unbekannten" (331), die "Walter Grundmann als Referent" (so der Vf., 333) geradezu als unkritisch-unfähig herausstellen (333-337). Der Vf. gibt aber auch Kenntnis, wie nicht nur durch Umstände der Zeit, sondern durch taktierende Täuschung Grundmann nach 1945 so rasch wieder in der Thüringischen Landeskirche Fuß fassen konnte, "der seine NS-Zeit wahrheitswidrig als Periode innerer Abkehr vom Nationalsozialismus ausgegeben hat" (so der Vf., 347) und dem von seinen engsten Mitarbeitern in der Fakultät und im Eisenacher Institut, Wolf Meyer-Erlach und Heinz Erich Eisenhuth, "mannhafte[r] Kampf ... gegen die nationalsozialistische Ideologie bescheinigt" wurde (so der Vf., 343, Anm. 78).23

Dass "Theologie und Praxis der Thüringer Deutschen Christen", kulminierend in dem Eisenacher Institut und den daraus hervorgegangenen Veröffentlichungen - eingeschlossen Grundmanns eigene und seiner besonders Gleichgesinnten Arbeiten während 1933-1945 - nur wie ein winziges Rädchen im übergroßen NS-Apparat erscheinen, wird man nach der detailreich informierenden und bedrückenden Lektüre dieses Aufsatzbandes ebenso bedenken müssen wie den Sachverhalt, dass Hitlers Pläne letztlich auf die Ausrottung jedweden Christentums ausgerichtet waren (vgl. Ch. P. Wagener, 55 f.).

II. Zu V. Lubinetzki: Nach dem mehr auf begrenzten Raum ausgerichteten Aufsatzband ist jetzt eine übergreifend weit gespannte forschungsgeschichtliche Untersuchung zu bedenken, deren Obertitel in Anlehnung an M. Noths Beitrag zur FS J. Schniewind (1943) "Von der Knechtsgestalt des Alten Testaments" formuliert ist (1). In ihr geht es darum, zunächst in Teil I "Umbrüche, Krisen und Bewältigungsversuche - Entwicklungen neutestamentlicher Wissenschaft vor 1933" exemplarisch darzustellen (33-162), um dann in Teil II "Die Auslegung des Neuen Testaments nach 1933" als "Auswirkungen der Krise" eingehend zu entfalten (163-398). Ein Anhang dient der Dokumentation (401-422), ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis schließt sich an (423-470), ein Personenregister ist beigefügt (471-474). Eingeführt wird die Untersuchung durch eine "Einleitung", die methodische Vorgaben und das Vorgehen des Vf.s skizziert (1-29). Eine vorzügliche Gliederung der Arbeit ist ein wichtiger Wegweiser durch die Fülle der behandelten Aspekte (vgl. das Inhaltsverzeichnis, III-VI).

Ein Durchgang durch die bisher geleistete Forschung (und deren Defizite) lässt sich gemäß der "Einleitung" als "Krise der Moderne" (R. P. Ericksen, beim Vf.: 19) für die Weimarer Zeit in der Weise ausmachen und zur "These" vorliegender Untersuchung bündeln, "daß die hermeneutische Verunsicherung einen wesentlichen Aspekt in der Unklarheit und potentiellen Verführbarkeit neutestamentlicher Exegese darstellt. Was sich für die Zeit nach 1933 als solche Verführbarkeit beobachten läßt, hat seine Wurzeln nicht nur in vielfältigen sozialen, biographischen und politischen Gegebenheiten und deren Rezeption, sondern auch im Gang der Entwicklung der neutestamentlichen Wissenschaft selbst" (26).

Das notwendig exemplarische Vorgehen des Vf.s (vgl. auch 68)- methodisch bedacht (aber auch Probleme aufweisend) - verlangt, der Vielschichtigkeit der Ansätze (und mehrfach zu kurz gefasst: der Weiterführung der Forschung der beiden ersten Jahrzehnte des 20. Jh.s) gerecht zu werden. Im "Abschnitt A: Wege der Wissenschaft" werden die Religionsgeschichtliche Schule, die Formgeschichtler, die "Wahrnehmung des Judentums" und "jüdische Beiträge zur Auslegung des Neuen Testaments" mit jeweils wichtigen Vertretern, aber auch offene Fragen ihrer Forschungen skizziert (33-68) mit dem Ergebnis: "Die Zeit der Weimarer Republik hatte ihre eigene Größe und ihre Stärken; sie war mehr als nur das Vorspiel zum Nationalsozialismus" gerade auch in der exegetischen Neubesinnung bis hin zu einer wissenschaftlichen Öffnung zu den "exegetischen Gesprächspartner[n]" im Judentum (67). "Die positiven Aspekte aber wurden durch die als ihre Kehrseite entstehende Verunsicherung und Infragestellung der eigenen Position konterkariert" (68).

Dies wird in "Abschnitt B: Hermeneutische Krise und Lösungsversuche der Weimarer Zeit" problematisiert (69-162). Einsetzend mit einer durchaus hinterfragbaren These über Hermeneutik als Leitspruch wird zunächst die Krise der Hermeneutik im Überblick von der liberalen Theologie zu den Neuansätzen nach dem 1. Weltkrieg herausgearbeitet, besonders verdeutlicht an E. von Dobschütz (aber auch H. Lietzmann): "die kritische hermeneutische Linie" als "Ebene liberaler Theologie" werde auch über die Jahre 1933-1945 hinweg durchgehalten (69-76; Zitat 75), woran je von ihren Voraussetzungen her letztlich alle neueren Richtungen zu ihrem Teil partizipierten und auch M. Kähler (und seine Schüler) nur indirekt einen "Ausweg" fanden (76 ff.). Das Ringen um dieses Erbe musste sich zuspitzen in der "Theologischen Exegese" und selbstredend in ihrer hermeneutischen Relevanz, wie der Vf. anhand der weithin bekannten Positionen von K. Barth und R. Bultmann referiert (81-105; das Verhältnis Bultmann - M. Heidegger ist freilich in der Frühphase der beiden Gelehrten differenzierter als dargestellt [zu 92]).

Zutreffend wird ebenfalls E. Lohmeyer in diese Fragestellung als eigenständiger exegetisch-theologischer Denker einbezogen (105-115) und schließlich jener "andere Aufbruch" (H. Assel), die Schule Karl Holls, die im hermeneutischen Rückgriff auf Luther (115-122) zugleich "Urchristentum und Religionsgeschichte" (so Holl, vgl. beim Vf.: 121) hermeneutisch neu dimensionieren wollte und etwa der Formgeschichtlichen Schule sehr kritisch begegnete (121, Anm. 407). Nicht von ungefähr geht der Vf. anschließend auf E. Hirsch ein (122-134), denn dieser "führte ... die Subjektivitätstheologie Holls unter kritischer Aufnahme des deutschen Idealismus (in der Gestalt Fichtes) weiter" (122; vgl. auch 130 u. ö.), wovon - wie der Vf. zeigt - seine neutestamentlichen Arbeiten nicht unwesentlich betroffen sind, so dass im "Disput zwischen Hirsch und Bultmann ... noch einmal die tiefe Krise exegetischer Hermeneutik unter der Ägide historischer Kritik" deutlich wird (134). - Auch P. Althaus (d. J.) (134-145) wird im weiteren Sinne zur Holl-Schule gerechnet (134 f.), der zwar "nur eingeschränkt" "als eigenständiger exegetischer Forscher" "zu bezeichnen" sei, aber gleichwohl "die Personifikation der Spannung zwischen wissenschaftlicher Lauterkeit und kirchlicher Gebundenheit" darstelle (135; vgl. 144). Jedenfalls möchte er "der destruktiven Wirkung historischer Kritik an der neutestamentlichen Überlieferung ... eine deutliche Grenze gezogen" wissen (144). - Eine weitere Position bietet hermeneutisch die "pneumatische oder übergeschichtliche Auslegung" (146 ff.). Auch hier geht es um "Einblicke in die hermeneutischen Folgen der erneuten Rezeption Luthers", aber "zu einer überzeugenden Lösung dringt die Diskussion nicht vor" (152). Ob man mit dem Vf. unter die anstehende Position wirklich A. Oepke (153 f.) und M. Dibelius (154-157) trotz des ursprünglichen Titels seines Werkes "Geschichtliche und übergeschichtliche Religion im Christentum" (1925; zweite unveränderte Aufl. "Evangelium und Welt", 1929), auch H. Windisch (157 f.) einordnen kann, verlangt nach hier nicht möglicher Spezialdiskussion (vgl. Dibelius, a. a. O., 171 ff.). Bei durchaus nicht glücklicher Terminologie ist dort die Krisensituation im ersten Drittel des 20. Jh.s tiefgreifender erfasst (vgl. a.a. O., 2 ff. u. ö.) und für das Anliegen des Vf.s weitreichender, als dieser herausarbeitet.24 Zutreffend ist die abschließende Feststellung: "So disparat wie die Anstöße zur pneumatischen/übergeschichtlichen Auslegung ist die Debatte" (158).

Es ist ein großer Gewinn, dass der Vf. seinen raschen Durchgang durch die hermeneutischen Positionen bewusst im Horizont neutestamentlicher Wissenschaft vollzieht, wozu auch der Exkurs über 2Kor 5,16 beiträgt (67 f.). Sein Fazit: "Die Lage der neutestamentlichen Wissenschaft zum Beginn der dreißiger Jahre ist uneinheitlich, obwohl manche Positionen das Feld anführen. Die hermeneutische Bewältigung hält mit der Entwicklung der Wissenschaft nicht Schritt" (160), ist nicht falsch, aber ergänzungsbedürftig (das sicher im Sinne des Vf.s korrigierte Leitwort von H. Lietzmann: "Die Lage unserer neutestamentlichen Wissenschaft ist zur Zeit wirklich niederdrückend", brieflich vom 5.2.1926 [159], ist allerdings zu sehr aus dem Zusammenhang gerissen). Es ist hier forschungsgeschichtlich weiter auszuholen: Denn cum grano salis trifft diese Sachlagebeschreibung ebenso schon auf die neutestamentliche Wissenschaft im 19. Jh. zu. In ihr spiegeln sich Wagnis und Unabgeschlossenheit exegetisch-theologischer Arbeit überhaupt. Dass es dabei seit der Aufklärung verstärkt um hermeneutische Problembewältigung geht und diese nicht erst für die 20er Jahre des 20. Jh.s akut geworden ist, wäre deutlicher geworden, wenn der Vf. die jeweils sehr verschiedene positionelle Auffassung von Krise und deren Begriffsbestimmung in der neutestamentlichen Forschung und im allgemein geistesgeschichtlichen und politischen Umfeld für den in seiner Untersuchung anstehenden Zeitabschnitt analysiert hätte.25

"Teil II: Auslegung des Neuen Testaments nach 1933 - Auswirkungen der Krise" (163-398) behandelt zunächst in "Abschnitt C: Das Neue Testament in der Argumentation auf konkreten Problemfeldern" (165-229, wobei es im Inhaltsverzeichnis treffender heißt: "Argumentationsbasis" [IV]). Es geht um das Aufkommen und die neutestamentlich-theologische Argumentationsbasis der "Deutschen Christen" in ihren diversen Formen und Schattierungen, ihren Erklärungen, Bekenntnissen und Verlautbarungen, die der Vf. akribisch nachzeichnet und exegetisch prüft. - Mit hoher Intensität und vorzüglicher kritischer Bearbeitung ihrer neutestamentlichen Voten wird dann die Barmer Theologische Erklärung (1934) auch in den Konsequenzen ihrer biblischen Bezüge erfasst (197 ff.), einmündend in den wichtigen Exkurs zu 1Kor 9,19 ff. "den Deutschen ein Deutscher?", in dem der Vf. die (kirchlich verbrämte) nationalsozialistische Ideologie exegetisch aufdeckt (215-220). Wie schon in der vorhergehenden kann sich der Vf. auch in der anschließenden Erörterung über den Arierparagraphen und die bekannten Marburger und Erlanger Gutachten dazu weithin auf aufgearbeitete Quellen und vorliegende Untersuchungen stützen (221-261) und die biblischen bzw. neutestamentlichen Kernstellen als Neutestamentler problembewusst prüfen. Weitere konkrete Problemfelder sind das Ausloten bzw. die Aufwertung des Führerprinzips im kirchlichen Bereich nach 1933 und das Verstehen des Bischofsamtes (262-273) sowie "die Debatte um den Treueid der Geistlichen 1934 und 1938" (273- 291).

Es geht dem Vf. darum, deutlich zu machen, in einem wie starken Maße Kirchenkampf und "Auseinandersetzung um die Geltung der Schrift" zusammenhängen, "wesentlich von den D.C. und deren Schriftgebrauch evoziert" (290). Das sich dabei vielfach zeigende "ambivalent[e] Bild" möchte der Vf. nicht nur dem (politischen) Kontext der Zeit zuschreiben, sondern auch der "Schwächung" der Schriftauslegung vor 1933 (291). - Hier sollte beachtet werden, dass die verschiedenen methodischen Ansätze auch durchaus positiv aufgenommen wurden und z. B. für K. Staritz eine wichtige Hilfe zum Verstehen der biblischen Grundlage in ihrem Widerstand gegenüber dem so genannten Dritten Reich waren.26 Weiter ist stärker in die Überlegungen des Vf.s einzubeziehen, dass der Vollzug der Schriftauslegung (und deren Ergebnisse) bei Vertretern der Bekennenden Kirche keineswegs in der wissenschaftlich theologischen Forschung jener Jahre unbestritten war, wenn dies hier auch nur am Rande erwähnt werden kann.27

"Abschnitt D: Dem Volk aufs Maul schauen oder nach dem Munde reden?" (292-308) behandelt ideologische Neufassungen/Neueindeutschungen von vor allem Luthers Bibelübersetzung nach 1933 mit entsprechenden Beispielen vollzogener Bibelverfälschungen. Nicht zutreffend ist die schon mehr als nur als Vermutung geäußerte Ansicht des Vf.s, die Formgeschichtliche Methode habe - auch wenn W. Grundmann, dem der Vf. hier folgt, dies meint (307) - Berührungen mit H. St. Chamberlains Auswahl der "Worte Christi" (1901) und sei mitverantwortlich für die "Völkisch-deutschchristlichen Bibelübersetzungen" und deren ideologisch ausgestaltete Auswahl von Bibel- stellen (293 f.298 f.). Auch die zwar nur leichte Parallelisierung von M. Dibelius und H. St. Chamberlain geht fehl (293). Zutreffend dagegen arbeitet der Vf. die starke Kritik von H. von Soden am "Gesellenstück deutschchristlicher Bibelverdeutschung", "Die Botschaft Gottes", und an anderen Bibelverfälschungen heraus (306 u. ö.).28 Leider erwähnt der Vf. nicht die grundsätzliche Kritik von M. Dibelius, Wozu Theologie? Von Arbeit und Aufgabe theologischer Wissenschaft, 1941, 7: "Mir scheint gerade, daß die Theologen sich viel zuviel mit solchen Künsten der Umfärbung beschäftigen - auf etwas anderes kommt es doch nicht hinaus bei diesen merkwürdigen Praktiken, die man Vergegenwärtigung, Eindeutschung oder wie immer nennen mag. Das Christentum ist nun einmal nicht auf unserem Boden entstanden; man kann es trotzdem annehmen oder deswegen ablehnen - wie man will; aber man soll nicht deutsch machen wollen, was semitisch ist oder dem großen Völkerbrei des Hellenismus angehört".29

Ergänzend ist hinzuweisen auf die Kriterien moderner Bibelübersetzungen in den verschiedenen Vorworten in "Das Neue Testament übersetzt von Carl Weizsäcker", 101915, und die Durchführung der Übersetzung selbst, die bis in die Jahre nach 1933 weit verbreitet war. Festzuhalten ist weiter, dass 1936 die "Privilegierte Württembergische Bibelanstalt" "Das Neue Testament unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi nach der deutschen Übersetzung D. Martin Luthers. Neu durchgesehen nach dem vom Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß genehmigten Text [sc. 1912]. Mit den Vorreden Luthers" herausbrachte. Gern hätte man vom Vf. eine eingehende Beurteilung der Bearbeitung der Bibelausgabe "Das ewige Wort, die Bibel in neuer Auswahl und Ordnung für Jedermann" (Leipzig 1941) erhalten (doch vgl. zu allgemeineren Ausgaben und Verdeutschungen 295 ff.).

Mit der Bibelausgabe "Die Botschaft Gottes" legte das "Eisenacher Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben" sein nationalsozialistisch genehmes Ausweisdokument vor. Diesem Institut gilt "Abschnitt E: Neues Testament und antijüdisch ideologisierte Wissenschaft" (309-393). Der ideologische Anspruch ist ein apologetischer im Sinne "nationalsozialistischer Wissenschaftsauffassung" (309), wobei hier die Vorgeschichte der NSDAP und deren Wissenschaftsverständnis schon zur Zeit der Weimarer Republik einzubeziehen ist (310 ff.). Auch ist der (bewusste) Missbrauch von an sich - und isoliert gesehen - unverfänglichen theologischen Äußerungen zu beachten, z. B. der von M.Winkler: "Theologie muß als kirchliche Theologie betrieben werden, oder sie verliert ihren theologischen Charakter" (Vf., 313, Anm. 26). Aus der "Überwindung des Liberalismus" wurden falsche Schulterschlüsse, etwa mit K. Barth, konstruiert oder Forschungen von M. Kähler "deutschchristlich" missbraucht (317 f. u. ö.).

Die Hintergründigkeit seiner Ausführungen unterschätzt der Vf., wenn er meint, dass M. Dibelius in "Wozu Theologie?" (s.o.) "Konzessionen an das sog. Dritte Reich" mache (315).30 Die Hauptvertreter des Eisenacher Instituts werden in ihren Forschungen zum genuinen Judentum (bes. bei G. Kittel vor und nach 1933) und in ihrer Bearbeitung von "Hellenismus und Judentum" (324 ff.) erfasst, wobei (im Kontrast) das Umfeld seriöser Untersuchungen von beispielsweise W. Bauer und A. Alt zu Galiläa ebenso gewürdigt wird wie die entgleitenden, radikalisierenden und das "Judentum als finstere Folie" wertenden Arbeiten (329 ff.). Das vom Vf. beigebrachte und geprüfte Material in den Beiträgen z. B. von G. Kittel, W. Grundmann, K. G. Kuhn, C. Schneider, H. Preisker, J. Leipoldt u. a. - auch G. Delling wird genannt - ist erdrückend und bedrückend zugleich, besonders dann, wenn sich in deren Forschungsergebnissen "Antiker Antisemitismus als Legitimation des gegenwärtigen" erweist (342 ff.) und dies zum Grundsatz wissenschaftlicher Arbeit erhoben wird: Dass man von antikem Antisemitismus nicht eigentlich reden kann, war sachlich und begrifflich längst in der Weimarer Zeit bekannt.31 Der Vf. vertritt auch hier die Ansicht, dass die Vertreter der "deutschchristlichen Ansätze auf ihre Weise auf die Situation der exegetischen Lage vor 1933 und ihre hermeneutische Labilität" reagieren (318) und im Ergebnis eine unheilvolle Wirkungsgeschichte hervorriefen, deren Auslöser u. a. auch Arbeiten von R. Otto und A.Schlatter, die zum Teil Jahrzehnte zurückliegen, seien (319, Anm. 58-60).

Es belastet, dass fast alle Neutestamentler der Weimarer Zeit (und einige schon zeitlich davor) in die Mitschuld und Mitverantwortung sich verirrender, Zeitgeist und Politik ideologisch verpflichteter und somit zeitgebundener neutestamentlicher Arbeit gezogen werden, wie dies besonders deutlich im Abschnitt E der vorliegenden Untersuchung geschieht. Einem solchen Pauschalurteil entspricht die Sachlage nicht, und es verliert auch dadurch an Überzeugungskraft, dass andere Exegeten nicht in des Vf.s Untersuchung einbezogen werden (3), die denselben Lehrern aus den 20er Jahren und zeitlich davor exegetisch-theologisch verpflichtet sind und nicht dem Zeitgeist erlegen wissenschaftliche Arbeit nach 1933 betrieben.

Die vom Vf. Genannten (3: H. Schlier, G. Bornkamm, E. Käsemann, O.Cullmann, W. G. Kümmel, E. Schweizer) sind um etliche Namen zu erweitern, etwa O. A. Piper, O. Schmitz, O. Bauernfeind, H. Braun, F.Büchsel, H. von Campenhausen, E. Dinkler, G. Fitzer, G. Friedrich, E.Fuchs, G. Jasper, C. Maurer, P. Vielhauer, H.-D. Wendland. Auch ist hinsichtlich der in die vorliegende Untersuchung näher Einbezogenen wesentlich eindeutiger, als es durch den Vf. geschieht, herauszustellen, dass ausgewiesenermaßen in diese Reihe R. Bultmann, M. Dibelius, J. Jeremias, H. Lietzmann, E. Lohmeyer, J. Schniewind, G. Schrenk, H. von Soden u. a. gehören. Und dass die vom Vf. Angeführten (3) "aufgrund ihrer Situation nach 1933 ... kaum in die aktuellen Diskussionen eingreifen konnten oder wollten" (ebd.), ist viel zu allgemein und hält einer Nachprüfung im Einzelnen so nicht stand. (Dass der Vf. hier selbst ein "Desiderat" seiner Arbeit sieht, sei ausdrücklich festgehalten, 3.)

Lässt sich auch die Grundthese des Vf.s wissenschaftsgeschichtlich nicht halten, so ist jedoch überhaupt nicht zu bestreiten, dass die Kulmination nationalsozialistisch-ideologisch verpflichteter Exegese im Eisenacher Institut und auch sonst nicht ohne Vorläufer sehr verschiedener Geistesrichtungen und Ressentiments ist - und auch die Theologie in ihren verschiedenen Disziplinen ist hier punktuell einzubeziehen - z. B. hat H. von Soden schon Anfang der 20er Jahre geradezu prophetisch auf eine unheilvolle Nachwirkung Spenglers in diese Richtung hin verwiesen.32 Es bleibt zu undifferenziert, hier einfach auf unerledigte exegetische wie methodische Aufgaben und Entscheidungen und naturgemäß auch auf deren hermeneutische Probleme die Last abzuschieben (wobei Benutzt- und missbräuch- liches Zitiertwerden im ideologischen Sinne nicht in der Hand des jeweiligen Autors liegen; vgl. auch der Vf., 319 f. u. ö.).

Der Vf. informiert umfassend auf gründlicher exegetischer Basis und deckt bis in Einzelheiten auf, wie Exegese missbraucht werden kann, wobei erstaunliche Wandlungen bei einigen Forschern von der Weimarer Zeit und dann bis in die Jahre nach 1933 zu Tage treten (etwa bei E. Hirsch, G.Kittel, G. Bertram). Paradigmatisch und exemplarisch wird dies in reichem Maße aufgezeigt, auch wenn man gerne gelegentlich noch Näheres zum Profil einzelner Persönlichkeiten erfahren hätte, z. B. bei G. Kittel.33

Auch G. Delling wird unter den Mitarbeitern des Eisenacher Instituts geführt (334; vgl. 14, Anm. 89), aber er kann nicht geistiger Mitverantwortung an fachdisziplinärer Ideologie des so genannten Dritten Reiches zugeordnet werden (auch der Vf. ist zurückhaltend, 334), wenn er "auch in seinen frühen Arbeiten die jüdische Umwelt ... allerdings im Rahmen eines aus heutiger Sicht problematischen Deutungsschemas" "im Blick" hatte (so K.-W. Niebuhr).34 Gemeint ist sein Werk "Das Zeitverständnis des Neuen Testaments" (1940), das u. a. O. Cullmann, Christus und die Zeit. Die urchristliche Zeit- und Geschichtsauffassung (1946), 31962, 49.59-61.88.93, und W. G. Kümmel, Verheißung (s. Anm. 18), 12.19. 119 f.134 f. rein wissenschaftlich-kritisch ohne Hinweis auf dessen Entstehungszeit würdigen. Leider hat der Vf. den bei Niebuhr (a. a. O., 76, Anm. 13) teilweise zitierten Brief Dellings vom 20.1.1963 an O. Cullmann nicht herangezogen, in dem er, wie auch in anderen Briefen, seine frühere Position deutlich korrigiert. - Gerade bei G. Delling, aber auch bei anderen behandelten Neutestamentlern - z. B. bei K. G. Kuhn, E. Haenchen u. a. - erwähnt der Vf. kaum je ihre - soweit vorliegend - wissenschaftliche Leistung nach 1945, was recht aufschlussreich gewesen wäre. - W. Grundmann ist nach dem Vf. besonders der "völkischen Umgestaltung christlichen Glaubens" erlegen (398), nachgewiesen durch zahlreiche exegetische Beispiele und durch die treffende Charakteristik, die H. Lietzmann brieflich gegenüber H. v. Soden am 16.6.1941 (nicht 31.5.1941, so der Vf.) gibt (378, Anm. 488).35 G. Bertram aber wird über zahlreiche Einzelhinweise hinaus durch die Zufügung von drei Schriftstücken, die sich heute im Predigerseminar der Evangelisch-Lutherischen Kirche Thüringens befinden, als ebenso rühriger wie unerbittlicher Verfechter des Eisenacher Instituts gekennzeichnet, der noch am 6. Mai 1945 (zwei Tage vor der Kapitulation) das Anliegen des Instituts apologetisch zu rechtfertigen sucht (401-422). - Eine kurze Schlussbetrachtung (394-398) - mehr Zusammenfassung - stellt die zentrale Frage: Wie kann sich exegetische Wissenschaft vor ideologischer Vereinnahmung bewahren? (398)

Im Ergebnis: Der Vf. konnte in erheblichem Maße auf bereits bearbeitetes Quellenmaterial zurückgreifen, das teilweise gründlich in Monographien aufgearbeitet wurde. Sein besonderes Verdienst ist es, die schon unübersichtlich werdende Fülle des Stoffs und ihrer Quellenauswertungen gebündelt in einer Gesamtdarstellung unter vorwiegender Berücksichtigung exegetischer Forschung und deren zeitangepassten Missbrauchs vorgelegt zu haben. Ist auch seine Hauptthese, die neutestamentliche Forschung während der Weimarer Republik trage in ihrer (divergierenden) Vielgestaltigkeit - als hermeneutische Krise hervortretend - erhebliche Mitschuld an der ideologischen Verblendung und Verirrung im Rahmen nationalsozialistisch-rassistischer Wissenschaftsauffassung, nicht stichhaltig belegbar und zu undifferenziert, zumal der Vf. das in dieser Hinsicht eindeutige Versagen verschiedener Neutestamentler einer ganzen Disziplin und deren Vertretern aufbürdet, so ist doch insgesamt die Untersuchung sehr lehrreich und (mit über 2700 Anmerkungen fast überbordend) informativ.36 Besonders der zweite Teil bietet eine ungemein wichtige Warnung an letztlich jede Fachwissenschaft vor Anbiederung und Sich-Vereinnahmen-Lassen. Dieses Anliegen verbindet eindrücklich und bewegend beide hier vorgestellten Untersuchungen.37 Und das ist wahrlich nicht ihr geringster Beitrag für die Gegenwart, die in der Aufarbeitung schuldbeladener Vergangenheit auch zu neuer Ideologie und Zeitgeistanpassung führen kann.38

Fussnoten:

*) Professor Dr. theol. Jürgen Roloff, 29.9.1930-21.2.2004, in dankendem Gedenken.

1) Osten-Sacken, Peter von der [Hrsg.]: Das mißbrauchte Evangelium. Studien zu Theologie und Praxis der Thüringer Deutschen Christen, Berlin: Institut für Kirche und Judentum 2002. 432 S. 8 = Studien zu Kirche und Israel, 20. Geb. Euro 15,00. ISBN 3-923095-74-0.

Lubinetzki, Volker: Von der Knechtsgestalt des Neuen Testaments. Beobachtungen zu seiner Verwendung und Auslegung in Deutschland vor dem sowie im Kontext des Dritten Reiches. Münster-Hamburg-London: LIT 2000. VI, 474 S. m. 1 Abb. u. 3 Tab. gr.8 = Theologie, 26. Kart. Euro 40,90. ISBN 3-8258-4679-2.

2) S. Heschel, in: Das mißbrauchte Evangelium, 77.

3) L. Siegele-Wenschkewitz [Hrsg.]: Christlicher Antijudaismus und Antisemitismus. Theologische und kirchliche Programme Deutscher Christen, Arnoldshainer Texte, 85, Frankfurt 1994, 5 f.; vgl. bes. die Beiträge: L. Siegele-Wenschkewitz, Adolf Schlatters Sicht des Judentums im politischen Kontext. Die Schrift Wird der Jude über uns siegen? von 1935 (95-110); S. Heschel, Walter Grundmann und das Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben (125-170); K.-P. Adam, Der theologische Werdegang Walter Grundmanns bis zum Erscheinen der 28 Thesen der sächsischen Volkskirche zum inneren Aufbau der Deutschen Evangelischen Kirche Ende 1933 (171-199); B. Jerke, Wie wurde das Neue Testament zu einem sogenannten Volkstestament "entjudet"? Aus der Arbeit des Eisenacher "Institutes zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben" (201-234). - Lubinetzki (Anm. 1), 309 ff. u. ö.

4) Dass Vor- und Nachgeschichte sich auf die in Anm. 1 genannten Publikationen beschränken müssen, sei festgehalten. Vf. steht im Folgenden für den Verfasser des jeweiligen Aufsatzes und in der Monographie für den Autor.

5) Z. B. 37, Anm. 7: Der Jurist Prof. Dr. Rudolf Smend wird zum persönlichen Protegé von E. Hirsch erklärt; 69, Anm. 87 wird den Herausgebern und Bearbeitern der TRE bewusste Tilgung nationalsozialistischer Vergangenheit bei verschiedenen Theologen vorgehalten; 67: "Schulterschluß zwischen deutschem Luthertum und NS-Ideologie oder evangelischer Theologie" sollte nach dem schweren Verlust von Bibliotheken im 2.Weltkrieg nicht daraus geschlossen werden, dass die Bücher des "Eisenacher Institutes" in das Thüringer Predigerseminar überführt wurden; vgl. zutreffend S. Heschel, 85 f.

6) Dass Kräfte intakter Kirchenleitungen und der theologischen Wissenschaft "keine Einwände gegen Grundmanns negative Darstellung des Judaismus" erheben wollten und hier insbesondere H. v. Soden kritisiert wird (89), trifft nicht (vgl. z. B. die Recherchen bei A. Lippmann, Marburger Theologie im Nationalsozialismus, Academia Marburgensis Bd. 9, 2003, 332 ff.).

7) Unzutreffend ist auf S. 86, Anm. 49 die Verallgemeinerung: "Die Universität Gießen wurde 1945 wegen ihrer Sympathien für den Nationalsozialismus von den amerikanischen Streitkräften geschlossen."; vgl. P. Moraw, Organisation und Lehrkörper der Ludwigs-Universität Gießen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, hrsg. v. H. G. Gundel, P. Moraw u. V. Press, Erster Teil, VHKH 35 [1982], 23*-75*, bes. 58* ff.

8) H. Hermelink, Zur Theologie Luthers, ThR, N. F. 15 [1943], 13-55.

9) Nach S. 166, Anm. 142 starb Pauls 1962; 275, Anm. 509 ist der Todestag mit 31.3.1962 in Nürnberg angegeben.

10) Nach Kürschners Deutschem Gelehrten-Kalender, 6. Ausgabe 1940/41, Bd. I, 586, lautet Grundmanns Ordinariat auf "Neutestamentliche Wissenschaft und zeitgenössische Religionsgeschichte, Altjudentum und Hellenismus".

11) Vgl. W. G. Kümmel, ThR, N. F. 14 [1942], 155.170-172; ders., ThR, N. F. 17 [1948], 3.23-25.

12) Vgl. W. G. Kümmel: Vierzig Jahre Jesusforschung (1950-1990), Weinheim 21994, 33.44 f.; auch K.s "Nachwort", ebd., 691 ff.; bes. 697; ders.: Heilsgeschehen und Geschichte. Ges. Aufs. 1933-1964, MThSt 3, Marburg 1965, 397 u. Anm. 13.14 ebd.

13) Zur Auslegung von Lk 15,11-32 vgl. aus der Fülle der Forschung mit Nachweisen z. B. K.-W. Niebuhr, Kommunikationsebenen im Gleichnis vom verlorenen Sohn, in: ThLZ 116 [1991], 481-494, bes. 487.492 mit Anm. 32; H. Weder: Die Gleichnisse Jesu als Metaphern. Traditions- und redaktionsgeschichtliche Analysen und Interpretationen, FRLANT 120, Göttingen 31984, 252-262.

14) Z. B. bleibt die Paulus-Forschung des Jenaers beim Vf. nahezu unberücksichtigt (doch vgl. 240, Anm. 349; 260 f.); dazu etwa F. Vouga, Paulus und die Juden. Interpretation aus der Zeitstimmung, in: WuD, N. F. 20 [1989], 105-120, bes. 106 ff. und W. Grundmann selbst, Kollegnachschrift "N. T. Theologie" (s. Anm. 15), 133-187; ders.: Der Römerbrief des Apostels Paulus und seine Auslegung durch Martin Luther, Weimar 1964. Eine durchgängige Beurteilung von Grundmanns Paulus-Arbeiten gibt E. Käsemann: An die Römer, HNT 8a, (Tübingen 1973) 41980.

15) Leider unterlässt es der Vf., die grundlegenden Einzelrezensionen von W. G. Kümmel zu den Arbeiten Grundmanns von 1938-1941 in der NZZ (Neue Zürcher Zeitung) zu berücksichtigen: so zu W. Grundmann, Die Gotteskindschaft in der Geschichte Jesu und ihre religionsgeschichtlichen Voraussetzungen, 1938 = NZZ, 22.10.1939 (Nr. 1828), Bl. 3; zu W. Grundmann, Jesus der Galiläer und das Judentum, 1940 = NZZ, 30.11.1941 (Nr. 1922), Bl. 3 u. 30.11.1941 (Nr. 1923), Bl. 4; zu W. Grundmann, Aufnahme und Deutung der Botschaft Jesu im Urchristentum, 1941 = NZZ, 4.10.1942 (Nr. 1572), Bl. 4 (vgl. auch W. G. Kümmel, ThR, N. F. 17 [1948], 104.105-108). - Zu W. Grundmann, Jesus der Galiläer, vgl. weiter A. Oepke, AELKZ 73 [1940], 326-328.334-335; J. Behm, DLZ 62 [1941], 338-342; F. Büchsel, ThLZ 67 [1942], 91-94, u. (sehr pro domo) G. Bertram, Deutsche Frömmigkeit 8 [1940], 238-245; dazu die völlig unkritischen Besprechungen, die in "Christentum und Judentum. Studien zur Erfassung ihres gegenseitigen Verhältnisses" (hrsg. v. W. Grundmann), 1940, 238 (ohne Seitenzählung) angeführt sind. - Zu F. Schenke [Schüler Grundmanns], Deutsches Christentum im ersten Jahrhundert völkisch gesehen, Weimar 1940: W. Eltester, Notizen, ZNW 39 [1940], 242 ff., hier 246; W. G. Kümmel, ThR, N. F. 14 [1942], 82.89-92. - Im gesamten Aufsatzband nicht berücksichtigt wurde die einschneidende Kritik an der Arbeit des Eisenacher Instituts: M. Bertheau, Großer Gott wir loben dich. Das neue nationalsozialistische Gesangbuch, ThBl 21 [1942], 90-103; s. auch H. Strathmanns äußerst kritische Einschätzung, ebd., 90 Anm. *. - Der Freundlichkeit von Herrn Professor Dr. K.-W. Niebuhr verdanke ich die Einsichtnahme in eine offensichtlich sehr sorgfältige Kollegnachschrift einer Jenaer Vorlesung von W. Grundmann, die Leonhard Thiel gefertigt hat ("Dr. W. Grundmann, N. T.-Theologie. Kollegnachschrift Jena, Winter 1937/38, Leonhard Thiel", masch.schriftl. 216 S. und nicht nummeriertes Inhaltsverzeichnis). Man kann aus dieser unschwer erkennen, dass hier die Grundfassung der o. g. Beiträge Grundmanns gegeben ist und dass der Jenaer ein ihm völlig feststehendes Programm in seine nachfolgenden Werke überträgt (wodurch sich möglicherweise auch die rasche Abfolge seiner Veröffentlichungen 1938-1941/42 erklärt). Ein Einzeldurchgang durch die acht Kapitel in 44 Paragraphen kann sich darum hier erübrigen.

16) Andere engere Mitarbeiter des Eisenacher Instituts und DC-Anhänger fanden weithin erneut kirchliche Stellen in der Landeskirche von Thüringen. Im Übrigen zeigten die Kirche von Hessen-Nassau und besonders Kirchenpräsident M. Niemöller erhebliche Bereitschaft für den Neuanfang betreffender Personen, während die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern sich große Zurückhaltung auferlegte (vgl. 230 ff. u. ö.).

17) Vgl. W. G. Kümmel (s. Anm. 12); P. Winter, Anläßlich eines neuen Jesus-Buches, ZRGG 11 [1959], 165 ff., bes. 166 ff.

18) Vgl. z. B. W. G. Kümmel: Verheißung und Erfüllung. Untersuchungen zur eschatologischen Verkündigung Jesu, AThANT 6 (Zürich 1945) 31956, 34 ff.77 f.85.109 f.; ders., Heilsgeschehen und Geschichte (s. Anm. 12), 461 ff. u. ö.

19) W. G. Kümmel, Vierzig Jahre Jesusforschung (s. Anm. 12), 229 f.; dagegen zurückhaltend der Vf., 255, Anm. 469.

20) So J. Frey, Der historische Jesus und der Christus der Evangelien, in: J. Schröter u. R. Brucker [Hrsg.]: Der historische Jesus. Tendenzen und Perspektiven der gegenwärtigen Forschung, BZNW 114, Berlin-New York 2002, 273-336, hier 295 mit Anm. 112 (Zitat); 297, Anm. 127 mit ausdrücklichen Verweisen auf Grundmanns entsprechende Arbeiten.

21) P. Winter (s. Anm. 17), 165.

22) Die S. 280, Anm. 1 genannte Hauptseminararbeit von Arnd Henze, "Kontinuität theologischer Judenfeindschaft", unter Betreuung von Berndt Schaller in Göttingen im Wintersemester 1986/87 gefertigt, stand mir leider nicht zur Verfügung; Herrn Kollegen Schaller danke ich für den freundlichen Versuch, diese für mich beim Vf. zu besorgen und die Erlaubnis zum Zitieren zu erwirken.

23) Der Nachlass von Walter Grundmann ist bis zum Jahre 2006 gesperrt.

24) Vgl. W. G. Kümmel, Martin Dibelius als Theologe, ThLZ 74 [1949], 137 f.

25) Vgl. z. B. H. von Soden, Die Krisis der Kirche (1931); in: Ders., Urchristentum und Geschichte I, Tübingen 1951, 25 ff., bes. 27.39 ff.; verschiedene Beiträge von M. Dibelius, z. B. Nachweise bei F. W. Graf [Hrsg.], Martin Dibelius über die Zerstörung der Bürgerlichkeit. Ein Vortrag im Heidelberger Marianne-Weber-Kreis 1932, ZNThG/JHMTh 4 [1997], 114-153; zeitlich nach der Veröffentlichung des Vf.s erschien S.Geiser: Verantwortung und Schuld. Studien zu Martin Dibelius, Münster 2001, mit dessen Vortrag "Die Krise der europäischen Kultur" (1929/30), 75-96; weiter für den Vf. interessant: H. Hübner, Der Begriff Weltanschauung bei Rudolf Bultmann, in: H. Gerke, M. Hebler, H.-W. Stork [Hrsg.]: Wandel und Bestand. Denkanstöße zum 21. Jahrhundert. FS B. Jaspert zum 50. Geburtstag, Paderborn-Frankfurt 1995, 395 ff.

26) Vgl. H. Erhart, J. Meseberg-Haubold, D. Meyer: Katharina Staritz 1903-1953. Dokumentation Bd. I: 1903-1942. Mit einem Exkurs Elisabeth Schmitz, Neukirchen-Vluyn 1999, 81 f. u.ö., und die Briefe von K. Staritz an H. von Soden vom 17.3.1926 und 25.1.1929, ebd., 106 ff.108 ff.

27) Vgl. z. B. R. Hermann: Deutung und Umdeutung der Schrift. Ein Beitrag zur Frage der Auslegung, Leipzig 1937; weitere Nachweise bei H. Assel: Der du die Zeit in Händen hast. Briefwechsel zwischen Rudolf Hermann und Jochen Klepper 1925-1942, BEvTh 113, München 1992, 48.172 ff.; A. Mühling, Karl Ludwig Schmidt, "Und Wissenschaft ist Leben", AKG 66, Berlin-New York 1997 (passim).

28) Vgl. H. von Soden, Die synoptische Frage und der geschichtliche Jesus, in: Ders.: Urchristentum u. Geschichte I, Tübingen 1951, 159-213; ders., Ein erdichtetes Markusevangelium, ebd., 214-238.

29) Vgl. auch M. Dibelius: Die Botschaft von Jesus Christus, Tübingen 1935, V ff.119-169: Hier wird der Laie in die Problematik von Übersetzung und Auswahl eingeführt und zum kritischen Aufmerken angeleitet.

30) Sachgemäß W. G. Kümmel, ThLZ 74 [1949], 140; vgl. auch die teilweise erstaunliche Strukturverwandtschaft von "Wozu Theologie?", 52 ff. [s. o.] mit H. von Soden, Der Dienst des Staates und der Kirche an der Volksgemeinschaft (1937), in: Ders.: Urchristentum und Geschichte II, 1956, 219-247.

31) Statt Einzelnachweisungen vgl. den gerafften Überblick bei W. Schmitthenner, Kennt die hellenistisch-römische Antike eine Judenfrage?, in: B. Martin u. E. Schulin (Hrsg.): Die Juden als Minderheit in der Geschichte, dtv 1745, München 1981, 9-29.335-337.

32) H. v. Soden, Die Geschichte der christlichen Kirche bei Oswald Spengler (1924), in: Ders.: Urchristentum und Geschichte II, Tübingen 1956, 21-55.

33) Vgl. u. a. den Zeitzeugen Gerh. Friedrich: G. Friedrich/J. Friedrich, Art. Kittel, Gerhard (1888-1948), in: TRE 1 [1990], 221-225; siehe auch G. Kittel: "Meine Verteidigung. Neue erweiterte Niederschrift", 1946, im
Universitätsarchiv Tübingen, sowie zuletzt umfassend R. Deines: Die Pharisäer. Ihr Verständnis im Spiegel der christlichen und jüdischen Forschung seit Wellhausen und Graetz, WUNT 101, Tübingen 1997, 413-448.

34) K.-W. Niebuhr, Der Neutestamentler Gerhard Delling (1905- 1986) als Erforscher des Frühjudentums, in: Reformation und Neuzeit. 300 Jahre Theologie in Halle, hrsg. v. U. Schnelle, Berlin-New York 1994, 73-86, hier 74; vgl. T. Holtz, Zum wissenschaftlichen Lebenswerk von Gerhard Delling (1905-1986), in: Frühjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie. Mit einem Anhang zum Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti, hrsg. v. W. Kraus u. K.-W. Niebuhr unter Mitarbeit v. L. Doering, WUNT 162, Tübingen 2003, 345-360, hier 349.

35) Leider unvollständig angeführt. Ergänzend vgl. den Brief von H. G. Opitz vom 15.1.1940 an H. Lietzmann über W. Grundmann (und auch über G. Kittel), in: Glanz und Niedergang der Deutschen Universität. 50Jahre deutscher Wissenschaftsgeschichte in Briefen an und von Hans Lietzmann (1892-1942), hrsg. v. K. Aland, Berlin-New York 1979, Nr. 1131 (985 f.).

36) Das Werk enthält eine Reihe leicht erkennbarer Druckversehen und Fehler. Zu nennen sind jedoch: K. G. Kuhn wechselte nicht "nach 1945 auf den Tübinger Lehrstuhl für Neues Testament" (338, Anm. 190);
statt Gerd Lüdemann ist als Verfasser des Mk-Kommentars im HNT Dieter Lührmann anzuführen (55, Anm. 215); durchgängig ist E. G. Gulin statt Guhlin zu lesen.

37) P. v. d. Osten-Sacken fragt (mit Ch. Gestrich) in der Einführung des Aufsatzbandes "nach den konkreten Bedingungen der Sündenvergebung" (a. a. O., 20 ff., bes. 24) für jene Jahre. Mag hier nicht Röm 11,32 mehr aussagen und als Evangelium zusprechen, als es Menschen im Miteinander und vor Gott vermögen?

38) Vgl. dazu auch den Philosophen N. Hinske, in: Forschung & Lehre, 4 (1997), 336, und T. Holtz (Anm. 34), 347.