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Ausgabe:

Januar/1997

Spalte:

48 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Klein, Richard [Auswahl und Kommentar]

Titel/Untertitel:

Das Frühe Christentum bis zum Ende der Verfolgungen. Eine Dokumentation. Übers. d. Texte von P. Guyot. Bd. I: Die Christen im heidnischen Staat. XII, 516 S. Bd. II: Die Christen in der heidnischen Gesellschaft. XII, 412 S.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1993/94. 8° = Texte zur Forschung, 60 u. 62. ISBN 3-534-04331-6 u. 3-534-11451-5.

Rezensent:

Gösta Hallonsten

Es sind in verschiedenen Sprachen viele Quellensammlungen zur Geschichte der Alten Kirche zugänglich. Meistens aber sind sie entweder darauf angelegt, einen Gesamtüberblick über die alte Kirchengeschichte zu geben, oder sie sind auf ein spezielles Thema begrenzt. Die hier zu besprechende neue zweisprachige Dokumentation zeichnet sich durch einen guten Mittelweg aus. Das Ziel scheint auf den ersten Blick wieder eine Quellenausgabe zum vieldiskutierten Thema Christenverfolgungen im römischen Reich zu sein, einschließlich der Frage nach deren Gesetzesgrundlage. Diesem Thema wird tatsächlich auch die erste Hälfte des ersten Bandes gewidmet. Dabei zeichnen sich die Auswahl und vor allem die Kommentare im ganzen Werk durch die hervorragenden Kenntnisse und das ausgewogene Urteil des Hg.s aus.

Schon die Untertitel der beiden Bände verraten aber eine weitere Zielsetzung: nicht nur die rechtlichen und rein politischen Maßnahmen gegen die Christen zu dokumentieren, sondern auch und vor allem die komplizierte Interaktion zwischen Staat und Kirche sowie zwischen den Christen und der heidnischen Gesellschaft. Diese breite Zielsetzung macht es möglich, durch die neue Quellensammlung ein Bild der wirklichen Stellung der frühen Kirche im römischen Reich zu bekommen.

Die Ausgabe gliedert sich in zwei Teile, die den beiden Bänden entsprechen. Im ersten Band "Die Christen im heidnischen Staat", werden die Christenverfolgungen und die direkten Auseinandersetzungen zwischen dem römischen Staat und der Kirche ausführlich dokumentiert. Unter den Dokumenten befinden sich sowohl heidnische als auch christliche Quellen, einschließlich einiger Märtyrerakten. Die Verfolgungen sind nach Regierungszeiten der entsprechenden Kaiser durch das Schema der zehn Verfolgungen gegliedert. In der zweiten Hälfte des ersten Teiles werden Texte angeführt, die "Ansätze zu einer Verständigung" beleuchten wollen. Die Auswahl, die mit Texten aus dem NT (Röm 13,1 Tim 2,1-4) einsetzt, ist von der Überzeugung geleitet, daß "die Anhänger der neuen Religion trotz schwerer Bedrängnisse durchaus nicht in grundsätzlicher Ablehnung der sie peinigenden Staatsmacht verharren konnten... Nirgendwo ist dort (in den Schriften des Neuen Testaments) von einer generell staatsfeindlichen oder auch nur staatsfernen Haltung die Rede" (Einführung Bd. 1, S. 4). Dies wird durch Texte dokumentiert, die nicht nur die grundsätzlich positive Haltung der Christen gegenüber der Staatsmacht als von Gott eingesetzt illustriert (B. 1-3), sondern auch die Mit- und Zusammenarbeit von Christen und Behörden (B. 4-5) sowie die "Übernahme profaner Rechts- und Verwaltungsformen" (B. 6).

Der zweite Band ist dem Zusammenleben von Christen und Heiden in der römischen Gesellschaft gewidmet. Hier geht es sowohl um "Die Haltung der Christen" (Abschn. A) als auch um "Die Vorwürfe der Heiden" (B).Im letztgenannten Abschnitt sind die zumeist durch christliche Apologeten dokumentierten Beschuldigungen des Atheismus angeführt (B.1), der politischen Verschwörung (B. 2), der Feindschaft gegen die Tradition (B. 3), der Ursache des Unglücks (B. 4), der niederen sozialen Stellung der Christen (B. 5), der thyesteischen Mahlzeiten und ödipodeischen Verbindungen (B. 6) und schließlich des Eselskultes (B. 7). Am Ende wird das Spottkruzifix vom Palatin wiedergegeben ­ die einzige Illustration des ganzen Werkes. Unter Abschnitt A des zweiten Bandes werden behandelt: die Stellung der Frau (A. 1), Ehe und Familie (A. 2), Wirtschafts- und Berufsleben (A. 3), Kriegsdienst (A. 4), Wissenschaft und Bildung (A. 5), Schauspiele und Theater (A. 6), Feste und Bäder (A. 7) sowie die Einstellung der Christen zur Sklaverei (A. 8).

Wie im ersten Band werden auch hier heidnische Quellen wiedergegeben, darunter Inschriften und Papyri. Obwohl selbstverständlich nur eine Auswahl aller Quellen abgedruckt werden konnte, gibt der zweite Band eine wichtige Ergänzung zum ersten mehr politisch ausgerichteten Band. Dem in der Einführung zum zweiten Band ausgesprochenen Wunsch des Hg.s, daß diese Zeugnisse mögen "beitragen zu der Erkenntnis, daß der endgültige Erfolg der neuen Religion im 4. Jh. nicht allein den sozialen und finanziellen Anreizen der christlichen Kaiser, einer geschickten Ausnützung bzw. Übernahme religiöser Bedürfnisse und letzlich brutalen staatlichen Zwangsmaßnahmen zuzuschreiben ist, sondern in erster Linie einer inneren Umformung der Gesellschaft durch die neue Lehre", ist zuzustimmen. Somit bekommt man durch diese neue Quellensammlung einen lebhaften Einblick in das komplizierte Zusammenleben von Christen und Heiden in der römischen Gesellschaft. Die ausführlichen Kommentare zu den Texten ­ wobei sowohl philologische als auch theologische und historische Probleme behandelt und relevante Literaturhinweise gegeben werden ­ hilft dem Leser zu verstehen, weshalb die Frage nach der Stellung der Christen in der römischen Gesellschaft immer wieder zu neuen Forschungen und Diskussionen anreizt.

Alle Texte außer denen des Neuen Testaments sind neu übersetzt von Peter Guyot. Deutungsprobleme sind im Kommentar beleuchtet. Die Übersetzungen sind zugänglich und gut verständlich. Die Texte sind nach neueren Editionen angeführt. In einigen Fällen könnte man andere Editionen wählen, etwa die Edition Carl Beckers zu Tertullians Apologeticum. Auch zu Detailfragen der Kommentare könnten kritische Randbemerkungen gemacht werden: So bleibt es eine umstrittene Frage, ob Tertullian in irgendeinem Sinne als Jurist berufstätig war, was Klein als selbstverständlich voraussetzt (Bd. 1, 357 und 478). Die angeblich widersprüchliche Einstellung Tertullians zu Wirtschaft und Handel (Bd. 2, 257) oder zum Soldatendienst (Bd. 2, 274) könnte erklärt werden durch seine Entwicklung zum Montanisten. Auch die Behandlung des Themas "Frauen als Amtsträgerinnen bei den Montanisten" (Bd. 2, 13, 242-43) scheint oberflächlich in Hinblick auf die komplizierte Frage, wie die Quellen zur Geschichte des Montanismus auszuwerten sind. Durchgehend aber hält die Quellensammlung ein hohes wissenschaftliches Niveau. Beiden Teilen des Werkes sind "Kurzbiographien der antiken Autoren", ausführliche Literaturangaben zu den verschiedenen Themenbereichen sowie Register der in den Texten zitierten oder angespielten Bibelstellen und antiken Personen beigegeben.

Insgesamt ist dies eine sehr geglückte neue Dokumentation, die sich durch eine Vielfalt von Texten, Kommentaren, Interpretationen und Literaturangaben auszeichnet. Das Werk ist nicht nur als Arbeitsinstrument für Patristiker und Historiker geeignet, sondern kann jedem an der Geschichte des frühen Christentums interessierten Leser empfohlen werden. Nur, es braucht Zeit und Geduld, um sich von den alten Texten ein Gesamtbild zu machen, das nicht vereinfacht und schwarz-weiß gezeichnet wird. Der Hg. hat in der Einführung seine eigene Sicht ­ der ich persönlich gerne zustimme ­ knapp angedeutet. Durch die Übersetzungen und Kommentare haben uns die beiden Autoren aber vor allem reiches Material zum Selbststudium vorgelegt. Dies spricht nicht zuletzt dafür, daß diese breit angelegte Dokumentation als unentbehrlich angesehen werden darf.