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Ausgabe:

Juli/August/1996

Spalte:

778–789

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Haendler, Gert

Titel/Untertitel:

Arbeiten an patristischen Editionen im Herderverlag 1994/95

Seit Jahrzehnten bringt der Herderverlag in seinem vielseitigen Programm immer wieder auch Texte von Kirchenvätern zum Druck. Ein besonderes Interesse verdienen die vom Kloster Beuron koordinierten Arbeiten an einer Edition des ältesten lateinischen Bibeltextes, der sogenannten "Vetus Latina", die vor der Vulgata benutzt worden ist. Über den Stand dieser komplizierten Arbeiten hatte zuletzt ThLZ 118 (1993) 182-189 sowie 119 (1994) 953-959 informiert. An diese Berichte wird hier angeknüpft.

Aber auch die neue zweisprachige Reihe Fontes Christiani kommt im Herderverlag in einem erfreulich raschen Tempo heraus; die zuletzt erschienenen fünf Bände waren in ThLZ 120 (1995) besprochen worden: Origenes (452 f.), Clemens von Rom (455), Basilius von Caesarea (807), Bonaventura und Anselm von Canterbury (1088 f.). Im 2. Teil dieser Sammelrezension sollen die Bände 16-20, die ausschließlich altkirchliche Texte enthalten, im Zusammenhang vorgestellt werden.

I. Die Vetus Latina (Beuron)

I.1 Kirchenschriftsteller. Verzeichnis und Sigel

(Hermann Josef Frede).


An den Anfang gehört ein Standardwerk, das für patristische Arbeiten grundlegende Bedeutung hat: Die vierte Auflage des alphabetisch geordneten Übersichtsbandes "Kirchenschriftsteller. Verzeichnis und Sigel" von Hermann Josef Frede(1). Die 3. Auflage dieses verdienstvollen Werkes war 1981 erschienen, (ThLZ 107 [1982] 483 f. und 487). Aktualisierungshefte 1984 und 1987 zeigten an, wie rasch die Erkenntnisse auf diesem Spezialgebiet vorangehen. Im Vorwort stellt Frede dazu fest: "Überraschende Entdeckungen von patristischen Schriften, die uns in den letzten Jahren geschenkt wurden und die man großenteils als sensationell einstufen muß, sowie zahlreiche Neueditionen und Präzisierungen des bisherigen Wissensstandes machen die vorliegende 4. Auflage dringlich" (5).

Frede nennt einige Details: "Eine Neuerung ist die Berücksichtigung der Sigel des Thesaurus Linguae Latinae. Bekanntlich verweist bereits die neue Auflage des Index librorum scriptorum inscriptionum ex quibus exempla offeruntur auf unsere Beuroner Sigel". "Hinweise auf die Clavis Patristica Pseudoepigraphorum Medii Aevi I, Opera homiletica, Turnhout 1990, finden sich ebenso wie solche auf die mehrbändige Clavis Patrum Graecorum und die unlängst erschienene Clavis Apocryphorum Novi Testamenti, Turnhout 1992..." (5). Die Clavis Patrum Latinorum von Eligius Dekkers erfährt derzeit eine neue Auflage, von der Frede bereits teilweise profitieren konnte.

Einige Einzelbeispiele sollen den Fortschritt verdeutlichen: Für die Heiligen der Merovingerzeit sind noch immer die alten Textausgaben von Bruno Krusch in den Monumenta Germaniae Historica grundlegend, die z. T. noch vom Ende des 19. Jh.s stammen; die neue Auflage vermerkt jedoch auch die Nachdrucke, die diese Editionen in letzter Zeit mehrfach erfahren haben: Z. B. bei der Passio Sanctae Afrae, bei der Vita Sanctorum Abbatum Acaunensium, der Vita Sancti Amandi, der Vita Sancti Aniani, der Vita Sancti Arnulfi, - um nur Beispiele auf den ersten Seiten zu nennen (50-53).

Wichtiger sind die neuen Angaben über den Kirchenvater Ambrosius. Seine Briefe wurden in der 3. Auflage von 1981 auf nur einer halben Seite erwähnt (64). In der neuen Auflage werden sie auf fast vier Seiten (99-102) nach der alten und neuen Zählung geboten. Die neue Briefausgabe in der Wiener Kirchenväterausgabe (CSEL, Bd. 82,1-3), die Otto Fallerer begonnen und Michaela Zelzer vollendet hat, war auf die ursprüngliche Zählung der Briefe zurückgegangen, die Fredes Standardwerk informativ wiedergibt. Aber auch die Ambrosius-Schrift de officiis ministrorum, die 1981 nur auf zwei kurzen Zeilen die alte Edition bei Migne (PL 16) genannt hatte, kann jetzt auf neun Zeilen zwei neuere Ausgaben in Paris und Mailand/Rom mitteilen (106). Bei den Schriften des Ambrosius de mysteriis und de sacramentis wird der neue zweisprachige Band von Josef Schmitz in der Reihe "Fontes Christiani" nicht genannt, obwohl diese Reihe auch im Herderverlag erscheint. Bibelstellen sind dort in Anmerkungen zum Text wie auch in einem Register erfaßt. Die Fontes Christiani bringen zwar keine neuen Texteditionen, so daß der derzeitige Verzicht durchaus begründet ist; aber die Sources Chrétiennes oder das Corpus Christianorum bringen auch nicht immer neu kollationierte Texte - von Migne ganz zu schweigen!

Als Beispiel einer guten Lösung sei auf die Behandlung der Vita Severini des Eugippius verwiesen; Frede nennt die grundlegende Edition von Rudolf Noll und fügt hinzu: "P. Régerat, SC 374 (1991) Abdruck von Noll" (453). In dieser ganz knappen Weise könnten auch die Texte der Reihe Fontes Christiani genannt werden, die jetzt sicher für einen größeren Kreis von Interessenten greifbar geworden ist und weitere Kirchenvätertexte auch in den nächsten Jahren zugänglich machen will. Als ein weiteres Beispiel sei der Kirchenvater Rufin genannt: Der entsprechende Abschnitt ist von sechs auf fast zehn Seiten angewachsen (732-741). Es werden die grundlegend neuen Arbeiten genannt: Die Historia monachorum von Eva Schulz-Flügel in der Reihe Patristische Texte und Studien 34 (1990); Rufins Übersetzung der Basili regula von Klaus Zelzer im CSEL 86 (1986), die Arbeit von Caroline P. Hammond Bammel zur Übersetzung des Römerbriefkommentars des Origenes (1985) sowie der Anfang zu einer neuen Edition dieses Textes durch dieselbe Autorin 1990. Auch hier wäre darüber hinaus noch ein Hinweis möglich auf die vier Bände Römerbriefkommentar des Origenes in der Übersetzung Rufins, die Teresia Heither in der Reihe Fontes Christiani 2,1-4 vorgelegt hat.

Augenfällig angewachsen ist auch der Überblick über die Clavis Patrum Graecorum von M. Geerard: Während 1981 nur die damals bereits vorliegenden Bände II-IV auf den Seiten 641-784 berücksichtigt werden konnten, wird jetzt das vollständige Werk mit den Bänden I-V auf den Seiten 865-1043 genutzt. Es ist bezeichnend, daß ganz am Schluß schon wieder Ergänzungen nachgetragen werden: Neue Augustintexte, die der rührige Francois Dolbeau gefunden und im Januar 1995 an Frede mitgeteilt hat, konnten noch aufgenommen werden (1049). Dieser Nachtrag unterstreicht noch einmal den notwendigerweise stets unabgeschlossenen Charakter dieses Werkes, das trotzdem immer wieder einmal zu einem jeweils bestmöglichen Abschluß gebracht und den Fachleuten zugänglich gemacht werden muß, die für diese mühevolle Arbeit nur herzlich dankbar sein können.



I.2 Lieferungen der Vetus Latina

Der 39. Arbeitsbericht der Stiftung "Vetus Latina" 1995 zeigt, daß es mit den Lieferungen nur langsam vorangeht. Am wichtigsten ist sicher der hoffnungsvolle Anfang der Ausgabe des 1. Korintherbriefes(2). Der Hg. Uwe Fröhlich beginnt sein Vorwort mit folgenden Sätzen: "Der mit diesem Vorwort beginnende Band 22 der Vetus-Latina-Edition setzt die Herausgabe der lateinischen Paulusbriefe fort, die 1962, in meinem Geburtsjahr, durch den ersten Faszikel von Band 24/1 eingeläutet wurde und 1991 mit dem Abschluß von Band 25 an einen vorläufigen Haltepunkt gelangte. Prälat Professor Dr. Dr. h. c. Hermann Josef Frede, der für die genannten Bände 24 und 25 verantwortlich zeichnet und als wissenschaftlicher Leiter des Vetus Latina Instituts auch die Korintherbriefedition betreut, ließ mich an seinem Wissen als bester Kenner der lateinischen Paulusüberlieferung bereitwillig teilhaben; durch sein waches, nie nachlassendes Interesse und seine fördernde Kritik hat er viel dazu beigetragen, daß ich heuer eine erste eigene Lieferung vorlegen kann" (5). Man freut sich über diesen Einstieg eines jungen Mitarbeiters und seinen engen Zusammenhang mit den bewährten, z. T. schon 70 Jahre alten Spezialisten. Inhaltlich beginnt Fröhlich mit einer Übersicht über die Handschriften. Von 117 (zum Teil fragmentarischen) Codices, die er insgesamt berücksichtigen muß, konnten nur 48 in der ersten Lieferung Platz finden.

Neue Lieferungen des Hohenliedes liegen nicht vor, die Bearbeiterin Eva Schulz-Flügel bietet im Arbeitsbericht jedoch interessante Hinweise auf Rubrikenreihen zum Canticum: "Unter den parabiblischen Texten nehmen die Rubriken zum Canticum eine Sonderstellung ein, da sie nicht, wie die Capitula, Zusammenfassungen des Inhalts darstellen. Vielmehr sind sie durch den Versuch entstanden, die einzelnen Passagen verschiedenen Sprechern zuzuteilen, da man das Canticum als Wechselgespräch "in der Art eines Dramas" verstand. Als erster scheint Origenes sich in einer Jugendarbeit um eine solche Rollenverteilung bemüht zu haben. Die Rollenzuweisungen der griechischen wie der lateinischen Tradition, die dem Vorbild des Origenes folgte, geben Auskunft über das jeweilige theologische Verständnis; dieses äußert sich sowohl in der Wahl der auftretenden Personen als auch in der unterschiedlichen Zuweisung der Texte zu ihnen". Die Vfn. spricht von "theologisierenden Rubriken". "Rubrikenreihen finden sich in der Mehrzahl der Vulgatahandschriften, jedoch auch in der einzigen erhaltenen Vetus Latina-Handschrift zum Canticum 169 und ihrer Abschrift 170". Es wird die Vermutung geäußert, "daß Rubriken bereits das lateinische Canticum vor seiner Vulgataform begleiteten" (17 f.). Die Linien werden bis zu Hippolyt, Origenes und Cyprian zurückgeführt, andererseits werden sie über Gregor d. Gr. bis hin zu den Angelsachsen Beda und Alkuin aufgewiesen (25).

Über den Stand der Sirach-Edition berichtet Walter Thiele. Eine neue Lieferung liegt nicht vor, aber die Ausführungen im Arbeitsbericht gehen auf grundsätzliche Probleme ein. Er meint, daß sein altlateinischer Sirachtext auf eine griechische Vorlage zurückgehe, die sonst nicht mehr erhalten sei. Er stellt die Frage: "Ist bei diesen aus der lateinischen Textgeschichte gewonnenen Ergebnissen die Folgerung erlaubt, eine wesentliche Triebkraft der griechischen Textentwicklung und Textgestaltung in dem Bemühen zu sehen, diejenige Textform, die dem lateinischen Übersetzer vorlag, entschieden zurückzudrängen?" (27). Thiele zieht einen weitreichenden Vergleich: "Liegt nicht - um über Sirach hinauszugreifen - auch Augustins leidenschaftliches Eintreten für die Septuaginta gegenüber der von Hieronymus erhobenen Forderung nach der hebraica veritas auf der gleichen Linie, nämlich einen Text in seiner ihn prägenden Eigenart weitergeben zu wollen, durch den die Welt die biblische Botschaft bekommen hat?" (28).

Die größten Fortschritte meldet Roger Gryson bei der Edition des Deuterojesaja, die am Forschungszentrum über die Lateinische Bibel an der Katholischen Universität Löwen erarbeitet wird. Die Lieferungen 14 und 15 bringen den Text von Jes 44,5-50,3. Der Arbeitsbericht verweist auf Details: Lactanz zitiert Jes 45,8 nach einer lateinischen Version, die dem hebräischen Urtext sehr nahe steht; nur wenig später zitiert Julian von Eclanum dieselbe Stelle nach einer Version, die die Septuaginta nachahmt (30). In der Textausgabe stehen beide Stellen kurz hintereinander auf S. 1076. Auch Gryson geht auf den eben schon erwähnten Streit zwischen Augustin und Hieronymus ein; Augustin ist den textkritischen Ergebnissen des Hieronymus gerade bei Jesaja-Zitaten häufig gefolgt. Gryson verweist auf Beobachtungen von Madame S. Deléani in der Revue des Études Augustiniennes 1992, 29-49. Der Kommentar des Hieronymus zum Buch Jesaja (ThLZ 119, 1994, 054 f.) soll 1996 seine Fortsetzung finden (Arbeitsbericht, 35).



I.3 Anonymi Glosa Psalmorum (Helmut Boese)(4)

In der Einleitung wiederholt Helmut Boese seine Meinung, "daß die Glosa in der 1. Hälfte oder im Anfang des 7.Jh.s entstand und aus dem Rhônemönchtum hervorgegangen ist" (9+). Sie wirkte in das Mittelalter hinein, eine Handschrift im Kloster Zwiefalten galt noch im 18. Jh. als besondere Rarität. In der Glosa wirken vor allem Augustins Ennarationes in Psalmos deutlich nach. Aber auch Papst Gregor I. ist durch zahlreiche Zitate vertreten.

Die Psalmenerklärung des Hilarius bestimmt die Gestaltung der Glosa zu Vers 129-176 des langen Psalms 118. Boese verweist auf Spuren einer noch unbekannten Quelle, deren Besonderheiten "sich nur durch die Heranziehung einer Lesart des griechischen Textes erklären lassen" (10+). Für den Schlußteil standen noch fünf Handschriften zur Verfügung, die Textüberlieferung von Psalm 101-150 beruht jedoch "im Grunde nur auf zwei Zeugen" (15+). Psalm 117 und 135-140 liegen in zwei Redaktionen vor, die nebeneinander zum Abdruck kamen (86-97 sowie 174-227).



I.4 Gregor von Elvira (Eva Schulz-Flügel)(5)

Im Rahmen der Vetus-Latina-Edition hat Eva Schulz-Flügel mit der Herausgabe des Hohenliedes begonnen (ThLZ 118, 1993, 183 f.). Der neben Ambrosius weitaus wichtigste Zeuge dafür ist der Bischof Gregor von Elvira, dem bereits zwei lateinische Übersetzungen des Hohenliedes vorgelegen haben müssen. Der Text seines Kommentars war schon viermal ediert worden, die Hgn. zeigt die vielfältigen Mängel der bisherigen Ausgaben und die Hintergründe auf. Sie formuliert als Ergebnis: "Der grundsätzliche methodische Fehler, der bisher eine angemessene Rekonstruktion des Textes verhinderte, liegt darin, daß nicht erkannt wurde, wie stark man im vorliegenden Fall zwischen den verschiedenen Schichten der Varianten, das heißt den Gründen für ihre Entstehung, unterscheiden muß" (19). Über Gregor von Elvira wissen wir wenig. Immerhin nannte ihn aber Hieronymus in seinem Buch "De viris illustribus", das er im Jahre 393 abschloß: Unter 135 berühmten Schriftstellern steht Gregor als Nummer 105. Hieronymus berichtet, Gregor habe "bis ins hohe Alter hinein Traktate im umgangssprachlichen Stil sowie ein Buch über den Glauben im eleganten Stil geschrieben" (21). Aus verschiedenen Notizen ergibt sich, daß "Gregor um das Jahr 330 geboren wurde und im Jahre 393, also über sechzigjährig, noch am Leben war" (22). Unter den Traktaten im umgangssprachlichen Stil müssen wohl auch die fünf Bücher zum Hohenlied eingeordnet werden.

Gregors Kommentar betrifft weniger als die Hälfte der 8 Kapitel des Hohenliedes. Die fünf Bücher kommentieren nur die folgenden Abschnitte: I: 1,1-5; II: 1,6-12 a; III: 1,12b-2,6; IV: 2,7-2,17; V: 3,1-4. Diese Begrenzung lag auch schon vor bei Hippolyts Kommentar zum Hohen Lied. Auch er hatte den Endpunkt an der Stelle gesetzt, wo "die Ecclesia den Geliebten gefunden hat und ihn in das Gemach der Mutter hineinführt" (29). Ausführlich wird eine "zweite Rezension" erörtert. Die Erstfassung bietet den "flüssigeren Gedankengang", der dann "in der Überarbeitung durch Einschübe an etlichen Stellen unterbrochen wird" (41). Beide Fassungen sind von Gregor geschrieben worden. Seine Zusätze fügen sich "nahtlos in die Ideenwelt und die Intentionen Gregors ein. Zu einem großen Teil dienen sie dazu, die christologischen Aussagen Gregors zu verstärken". Der spanische Bischof will die Häretiker entlarven, das sind für ihn "die arianisch beeinflußten Kreise" (49). Gregors Auslegung betrifft einen altlateinische Text, so "daß eine griechische Vorlage, deren Deutungen auf dem Septuagintatext beruhen müßten, grundsätzlich auszuschließen ist" (52). Gregor von Elvira hat "den größten Teil der Motive und Erklärungen zum Canticum des Origenes nicht übernommen" (80). Berührungen mit Werken des Origenes sind "nicht sehr zahlreich" und zudem "nicht auf direktem Wege zustande gekommen" (61). Ähnlichkeiten gibt es jedoch zu den abendländischen Vätern Hippolyt von Rom und Viktorin von Pettau. In der Wirkungsgeschichte fällt auf, "daß Justus von Urgel den Canticum-Kommentar seines Landsmannes nur wenig benutzt hat, obwohl er ihn gekannt haben muß" (68).

Der Text der altlateinischen Übersetzung steht auf den Seiten 74-80, den Lücken gegenüber dem griechischen Text wird nachgegangen (80-83). Auch für andere biblische Bücher bietet Gregor Hinweise, zumal für den Epheserbrief und den Römerbrief. Der Text ist in sechs Manuskripten überliefert, "die ausnahmslos von der iberischen Halbinsel stammen" (99). Nur eine Handschrift hat den originalen Titel Epithalamium (101). Die Handschriften und ihr Besonderheiten werden beschrieben (105-116). Über die beiden Fassungen zu den beiden ersten Büchern sagt die Hgn.: "Während die ursprüngliche Fassung ganz und gar auf die Kommentierung des Bibeltextes ausgerichtet war, sollte die Umarbeitung der Abwehr häretischer Texte dienen. Dadurch ergibt sich, daß Gregor selbst seine Erstfassung gewiß nicht als überholt ansah. Deswegen sind wir verpflichtet, uns um die Herstellung beider Textformen gleichermaßen zu bemühen. In der vorliegenden Edition sind beide Fassungen deshalb nebeneinander abgedruckt" (142). Diese Verfahrensweise kann nur begrüßt werden. Hätte man nur die eine Fassung gebracht und die andere als "Randlesart" in den Apparat verbannt, so hätte die Übersichtlichkeit gelitten; zudem wäre der ohnehin breite Anmerkungsteil noch zusätzlich vergrößert worden. Die zwei Textfassungen betreffen ohnehin nur die Bücher 1 und 2 auf den Seiten 164-225; für die Bücher 3-5 liegt sowieso nur ein Text vor (226-255).

Dem Text folgen zwei Appendices: Appendix 1 untersucht den Galaterkommentar des Origenes, von dem Einflüsse auf Rufin und Gregor von Elvira ausgegangen sein könnten (256-267). Appendix 2 gibt einen anonymen Canticum-Kommentar wieder, der sich in Wolfenbüttel befindet und auf das Epithalamium Gregors Bezug nimmt (268-273). Eine Bibliographie (274-280) sowie Indices (281-310) unterstreichen noch die Gründlichkeit, mit der dieser Band gearbeitet worden ist. Er stellt sowohl für die Person des Gregor von Elvira wie auch für die Probleme der altkirchlichen Auslegung des Hohenliedes eine neue solide Grundlage dar. Dies ist um so erfreulicher, als gerade in jüngster Zeit zwei griechische Kommentare zum Hohenlied neu vorgelegt worden sind: Der Kommentar des Nilus von Ancyra, der 1994 in der Reihe Sources Chrétiennes als Band 403 erschienen war, ist in ThLZ 120, 1995, 1015 f. besprochen worden; über den Kommentar des Gregor von Nyssa, der in der Reihe "Fontes Christiani" in drei Bänden herauskam, wird nachfolgend zu berichten sein.



II. Fontes Christiani, Bd. 16-20

II.1 Der Hoheliedkommentar des Gregor von Nyssa

(Franz Dünzl)(6)


Gregor von Nyssa ist stets von der griechischen Übersetzung des Hohenliedes ausgegangen. Die erste Fußnote sagt: "Mit Canticum wird im folgenden die (stark abweichende) griechische Übersetzung des hebräischen Originals bezeichnet" (7). Lateinische Übersetzungen kommen natürlich auch nicht in den Blick. Es handelt sich um ein Alterswerk des griechischen Kirchenvaters: "Der etwa 60jährige Autor" gewährt "noch einmal Einblick in die theologischen Themen und Tendenzen, die ihm im Laufe seines Lebens zum Anliegen geworden sind" (7). Gregor von Nyssa war zeitweise stark an den dogmatischen Auseinandersetzungen des späteren 4. Jh.s beteiligt, aber zuletzt ist sein Thema "nicht eine aktuelle dogmatische Streitfrage, sondern ein biblischer Text". Sein Anliegen ist "eine Wegweisung zum spirituellen Leben, nicht etwa ein Traktat polemischer oder apologetischer Färbung" (7). Dogmengeschichtliche Lehrbücher sprachen später von den "drei Kappadoziern": Basilius von Caesarea, Gregor von Nyssa und Gregor von Nazianz wird große Bedeutung zugemessen. "Die Differenzierung zwischen der einen Natur und den Hypostasen der Gottheit blitzt auch in Gregors Canticum-Homilien kurz auf, das eigentlich Erstaunliche aber bleibt, daß dem Theologumenon eine derart unbedeutende Rolle in diesem umfangreichen Spätwerk zukommt" (13). Gregor von Nyssa hatte für sein Bekenntnis gelitten: Er war 375/76 angeklagt und von seinem Bischofssitz Nyssa vertrieben worden. Erst durch Kaiser Theodosius und das Konzil in Konstantinopel 381 gewann Gregor von Nyssa größere Bedeutung. Seit 386 wird sein Name jedoch kaum mehr genannt. "Die Canticum-Homilien unterstreichen in den 90iger Jahren auf ihre Weise den Rückzug Gregors aus der Reichspolitik" (16).

Gregor von Nyssa hat sein Werk einer bedeutenden Frau gewidmet: Olympias. Sie stammte aus vornehmer Familie, gründete als Witwe (seit 386/87) ein Kloster und "wurde zur Diakonisse der großen Kirche in Konstantinopel ordiniert, an deren Südseite das besagte Kloster lag" (24). Auch Gregor von Nazianz, Johannes Chrysostomos, Amphilochius von Ikonium, Palladius sowie die Kirchenhistoriker Sokrates und Sozomenos bezeugen die Bedeutung der Olympias. Sie hat Gregor von Nyssa zu dem Kommentar angeregt. Gregor beginnt seinen Prolog mit den Worten: "Der ehrwürdigen Olympias wünscht Gregor, Bischof von Nyssa, Freude im Herrn. Als passend für Dein ehrwürdiges Leben und Deine reine Seele habe ich die Mühe um das Hohelied (=das Canticum) auf mich genommen, die Du uns sowohl persönlich als auch brieflich aufgetragen hast. Durch angemessene Betrachtung soll die in den Worten (des Hohenliedes) verborgene Philosophie offenbar gemacht werden, nachdem sie in den lauteren Gedanken von der vordergründigen Bedeutung, die dem Wortlaut entspricht, gereinigt worden ist". Dünzl spricht das Problem klar aus: "Das Hohelied (Canticum) präsentiert sich ja als Liebesdichtung voll erotischer Poesie - das ist auch den Exegeten der Alten Kirche bewußt. So aber darf das Canticum Gregors Auffassung nach gerade nicht gelesen und interpretiert werden!" (26).

Im Prolog spricht Gregor über ein Grundproblem der Schriftauslegung: "Nachdem es aber bestimmten Leuten aus kirchlichen Kreisen richtig scheint, sich durchweg dem Wortlaut der Heiligen Schrift anzuschließen, und sie nicht zugeben, daß von ihr manches in Rätseln und Sinnbildern zu unserem Nutzen gesagt sei, halte ich es für notwendig, uns zuerst denen gegenüber, die uns solches vorhalten, in dem Punkt zu verteidigen, daß von unserer Seite her nichts Abwegiges geschieht in dem Bemühen, auf vielerlei Weise das Nützliche aus der göttlich inspirierten Schrift zu erjagen" (99). Oft ist der Wortlaut an sich nützlich, - aber nicht immer. "Falls aber etwas dem vordergründigen Verständnis nach unergiebig für den Nutzen sein sollte, weil es unter Verhüllung in Sinn- und Rätselbildern gesagt ist, so verkehrt man solche Worte (in einen anderen Sinn), der Anleitung des Logos entsprechend, der uns durch das Buch der Sprichwörter dazu erzieht, das Gesagte entweder als Gleichnis oder als dunkles Wort, oder als Rede von Weisen, oder als eines von Rätseln (vgl. Spr I,6) zu verstehen. Sollte jemand die Betrachtung dieser Schriftworte mit Hilfe der Anagogie als ,Tropologie" oder ,Allegorie'' oder anders benennen wollen, so werden wir uns keineswegs bei dem Begriff aufhalten, sofern man sich nur an die nutzbringenden Gedanken halten wollte" (99). Gregor beruft sich auf Paulus, der das Alte Testament auslegte "im Blick auf das Nützliche" (101). Er beruft sich natürlich auch auf Jesus, der zu seinen Jüngern "fortwährend durch verhüllte und verborgene Worte in Parabeln und Gleichnissen" sprach (103).

Dem Prolog folgen 15 Homilien, ihr Leitgedanke ist der Aufstieg der Seele zu Gott. "Der Exeget findet im Canticum-Text die Unterscheidung von Mädchen, Konkubinen, Königinnen und der einen vollkommenen Taube vor (vgl. Cant 6,8-9c) und überträgt sie auf die verschiedenen Stadien, die die Menschen auf dem Weg zu Gott erreichen." (63) Es geht um die Wiederherstellung der Schöpfung, für den einzelnen Menschen um einen ständigen Aufstieg. Dünzl formuliert: "Die theologischen Leitgedanken der Canticum-Homilien, in denen der Aufstieg der Seele, die Chancen des Menschen angesichts der Unfaßbarkeit Gottes, die erotische Liebesbeziehung zwischen Gott und Mensch und das pädagogische Schrift- und Kirchenverständnis Gregors zur Darstellung kommen, wirken auf den heutigen Leser erfrischend unkonventionell und unverbraucht, da sie geläufige Themen christlicher Theologie aus ungewohnter Perspektive beleuchten" (78). Er formuliert aber auch: "Für Irritationen sorgen vor allem die allegorische Auslegung des Bibeltextes (die unserem Verständnis der erotischen Poesie des Hohenliedes zuwiderläuft), der fremde Stil und die Eigenart der Gedankenführung, die sich nicht an unserer nüchternen Logik messen läßt" (81).

Die ältesten Ausgaben der Werke Gregors waren 1615 und 1638 in Paris erschienen; ihnen war Migne in PG 44 (1858) gefolgt. Im Rahmen der neuen Ausgabe "Gregorii Nysseni Opera" erschien 1960 in Leiden als Band 6 die Ausgabe unseres Textes von H. Langerbeck; dessen Text folgen die Fontes Christiani. Übersetzungen gab es 1939 in die deutsche, 1987 in die englische und 1988 in die italienische Sprache. Eine neue deutsche Übersetzung mit dem griechischen Text steht auf den Seiten 95-829. Es folgen Quellen (836-844), Literatur sowie mehrere Register (851-875).



II.2 Theodor von Mopsuestia: Katechetische Homilien (Peter Bruns)(7)

Die beiden Bände bringen nur eine deutsche Übersetzung; Theodors Katechetische Homilien werden zwar von vielen altkirchlichen Autoren bezeugt, doch der griechische Text ist verschollen. Im Jahre 1933 brachte A. Mingana in Cambridge den Text einer syrischen Übersetzung heraus, die er ins englische übersetzt hatte: Commentary of Theodore of Mopsuestia in the Lords Prayer and on the Sacraments of Baptism and the Eucharist (Woodbrooke studies 6). Dieses Werk wurde 1949 von R. Tonneau und R. Devresse in Rom unter dem Titel "Les homélies catéchétiques" ediert als Band 145 der Reihe Studi e Testi. Der jetzt vorgelegte Band macht diesen Text erstmals einem breiteren deutschen Leserpublikum bekannt. Mit gutem Grunde stellt er vor die Einleitung eine instruktive Bibliographie mit Quellen und Literatur (XIV-XXXIII). Kapitel I schildert Theodors Leben nach dem Zeugnis der zeitgenössischen Kirchenhistoriker Theodoret von Cyrus, Sokrates und Sozomenos; aber auch Briefe tragen zur Erhellung seiner Biographie bei. Theodor wurde um 350 geboren, erhielt eine gründliche heidnische Ausbildung u.a. bei Libanius, war aber auch in jungen Jahren schon zeitweise Asket. 392/93 wurde er Bischof von Mopsuestia. Kaiser Theodosius hat ihn bewundert (5). Als Theodors Freund Johannes Chrysostomos ins Exil gehen muß, hält er ihm die Treue. Dem flüchtigen Julian von Eclanum hat er zeitweise Gastrecht gewährt (6). Theodor starb 428 im Alter von fast 80 Jahren. Er hinterließ ein reiches literarisches Erbe, das jedoch nur teilweise erhalten ist.

Die Nestorianer hielten sein Andenken hoch; die byzantinische Reichskirche hat ihn - mehr als hundert Jahre nach seinem Tode - unter Kaiser Justinian im Dreikapitelstreit bzw. auf dem (5. ökumenischen) Konzil von Konstantinopel 553 verurteilt. "Daß die byzantinische Reichskirche ihr Ketzergericht an Theodor nicht zur Gänze vollstrecken konnte, hängt mit dem glücklichen Umstand zusammen, daß schon sehr früh, kurz nach dem Tode des Bischofs von Mopsuestia, ein beträchtlicher Teil des Gesamtwerkes ins Syrische übersetzt worden war" (7). Die Vorgänge schildern Kapitel II "Das literarische Werk Theodors von Mopsuestia" (7-12) und Kapitel III "Die unterschiedliche Rezeption: Der Dreikapitel-Streit und seine Folgen" (12-21). Als Abfassungszeit der Katechetischen Homilien kommen die Jahre zwischen 379 und 392 in Betracht (23).

Band I bringt in den Homilien 1-10 eine Auslegung des Glaubensbekenntnisses. Vorangestellt wird ein Rekonstruktionsversuch seines Textes aus "einzelnen syrischen Zitaten der Homilien"; er bietet "eine Rückübersetzung ins Griechische mit Hilfe der griechischen Vorlagen des Nicaenums (N) und des Constantonopolitanums (C)" (25). Es bleiben jedoch "einige wesentliche Fragen zur Herkunft des Theodorschen Symbols weiterhin offen" (35). Kapitel VI enthält die theologischen Grundzüge (35-69); der Text der ersten zehn Homilien folgt auf den Seiten 73-238. Band II bietet eine Einleitung zu den Homilien 11-16 (239-296). Die Texte folgen: Homilie 11 über das Vaterunser auf Seite 299-318, die Homilien 12-14 über die Taufe auf S. 319-386, Homilie 15 und 16 über die Eucharistie auf S. 387-456.

Insgesamt urteilt der Hg.: "Bei Theodor hat die Liturgie der syrischen Kirche ihren ersten glanzvollen Höhepunkt erreicht. Auch wenn nach der Verurteilung der Drei Kapitel 553 eine weitere Beeinflussung der liturgischen Entwicklung im griechischen Raum durch Theodor ausgeschlossen werden kann, so ist doch durch ihn der Grundstein für die prachtvolle Entfaltung der byzantinischen Liturgie schon im vierten Jahrhundert gelegt worden. Dies macht den Reiz einer eingehenderen Beschäftigung mit der Liturgie des Bischofs von Mopsuestia aus" (292 f.).

II.3 Apokryphe Kindheitevangelien (Gerhard Schneider)(8)

Die Bände 18 und 19 bieten Einblicke in die Welt der altkirchlichen apokryphen Literatur, die in den 2 Bänden von Hennecke/Schneemelcher in vielen Auflagen zugänglich ist. Die Kindheitsevangelien waren dort von Oscar Cullmann bearbeitet worden (1990 in 6. Auflage, Band I, S. 330-372). Jetzt wird daraus ein ganzer Band aus folgenden Gründen: Mehrere Texte aus Schriften späterer Jahrhunderte werden zusätzlich mit aufgenommen, die Texte werden zweisprachig geboten, die einleitende Kommentierung ist weitaus umfangreicher und schildert auch die neueren Entwicklungen. Interessant sind gerade auch Hinweise auf die Wirkungsgeschichte, die bei diesen Texten recht erheblich war; sie könnten mit ein Grund für die Hgg. der Reihe gewesen sein, aus der umfangreichen apokryphen Literatur gerade diese Geschichten von der Kindheit Jesu auszuwählen.

Im Neuen Testament erzählen nur Matthäus und Lukas am Anfang etwas über die Kindheit Jesu. Markus setzt erst mit der Taufe Jesu ein. Die vier Evangelien wollen primär Leiden und Auferstehen Jesu schildern. Die späteren Kindheitserzählungen sind aber "kaum an der Einbeziehung des Passions- und Osterkerygmas interessiert" (12). Damit "verlieren sie an theologischem Gehalt und nähern sich der Gattung der Biographie" (13). Die Kindheitsgeschichten "haben vergleichbare Parallelen in der religiösen Umwelt von Judentum und Christenheit" (15). Altkirchliche Gnostiker interessierten sich für Kindheitserzählungen, deren Wirkungsgeschichte zunahm. Es gibt "schon früh eine Neubearbeitung der Kindheitserzählungen durch namentlich bekannte Autoren wie Prudentius, Roswitha von Gandersheim und Jacobus a Voragine. Außerdem sind die Marienfeste des Mittelalters eng mit den Legenden der Apokryphen verknüpft. Die Marienpredigten vom kirchlichen Altertum bis hin zu Bernhard von Clairvaux wurden in der Regel an den Marienfesten gehalten; sie verwendeten meist auch apokryphe Überlieferung" (17 f.).

Auch Dichter und Schriftsteller unseres Jahrhunderts haben "die Legende als Gattung gewählt, um über das Jesuskind oder seine Mutter zu schreiben. Den Anfang machte 1904 Selma Lagerlöf mit ihren Christuslegenden. Rainer Maria Rilke schrieb 1912 sein Marienleben, das verschiedentlich apokryphe Traditionen verwendet. Paul Claudel verfaßte im gleichen Jahr sein Mysterienspiel "L'annonce faite à Marie". Felix Timmermanns mit seinem ,Jesuskind in Flandern' (1918) und Karl Heinrich Waggerl mit seinen ,Inwendigen Geschichten um das Kind von Bethlehem' (1953) stehen in der Tradition der Kindheitslegenden" (20).

Der Band bringt 12 Texte, die vorgestellt werden (21-93); auf den Seiten 95-331 folgen die Texte. Verzeichnisse und Register machen es dem Benutzer leicht, an Einzelheiten noch weiter nachzugraben. Auch für Studenten ist der Band daher zu empfehlen. Text 1 ist das Protevangelium des Jakobus, der älteste und berühmteste Text, der als Einleitung zum Markusevangelium verstanden wurde (22). Der Stoff geht weit über die Evangelien hinaus. "Der evangelischen ,Vorgeschichte Jesu' ist gewissermaßen eine ,Vorgeschichte Marias' vorgeschaltet" (23). Die Schrift ist in der 2.Hälfte des 2. Jh.s wohl in Ägypten entstanden. Ebenfalls in das späte 2. Jh. gehören die Kindheitserzählungen des Thomasevangeliums (Text 2). Man staunt über die Entfaltung der Phantasie bei diesen Geschichten. Text 3 ist ein arabisches Kindheitsevangelium, für dessen Kompilation "kaum ein Datum vor dem 6. Jh. vorliegt" (53). Ein Lateinisches Kindheitsevangelium (Text 4) wurde vermutlich in der Karolingerzeit geschrieben (58). In dieselbe Zeit gehört das Pseudo-Matthäus-Evangelium (Text 5), doch wurde diesem Werk "ein fingierter Briefwechsel der Bischöfe Chromatius und Helidorus mit dem Kirchenvater Hieronymus vorangestellt, der das Buch mit dem hebräischen Matthäusevangelium identifizierte und die lateinische Version als Arbeit des Hieronymus erscheinen läßt" (61). Der gebotene Text 5 enthält jenen Brief jedoch nicht (Anfang mit Kapitel 4: 214 f.). Kap. 14 bringt die erste Erwähnung von Ochs und Esel (226-229). Text 6 "Die Geburt Marias" (257-269) "handelt von den Eltern Marias, ihrer wunderbaren Geburt und Kindheit sowie von ihrem Leben bis zur Geburt Jesu" (67). Das Buch wird Paschasius Radbertus (9. Jh.) zugeschrieben, Jakobus de Voragine übernahm es in die Legenda aurea. Die Texte 7 und 8 bringen Auszüge aus der Geschichte von Josef dem Zimmermann (69-72, Text 271-283) und aus dem Leben Johannes des Täufers (73-76, Text 285-305). Beide Texte haben "Passagen aufgenommen, die von Geburt und Kindheit Jesu erzählen" (69). Noch kürzer sind die Auszüge aus der Himmelfahrt des Jesaja (Text 9, 307-313) und aus den Sibyllinischen Weissagungen (Text 10, 315-319). Den Abschluß bilden gnostische Abschnitte: Text 11 bringt Erzählungen des Gnostikers Justin (82 f., Text 321-323),Text 12 Legenden aus der Pistis Sophia (83 f., Text 325-331).



II.4 Oden Salomos (Michael Lattke)(9)

Die Oden Salomos sind ein besonders umstrittenes Dokument, für das der Herausgeber Michael Lattke wesentliche Voraussetzungen mit erarbeitet hat: In der Reihe "Orbis biblicus et orientalis" (Fribourg/Göttingen) hatte er in Band 25/1 (1979) eine neue Textausgabe mit Übersetzung vorgelegt; in Band 25 1a (1980) folgte eine syrische Textausgabe sowie ein Faksimile des griechischen Papyrus Bodmer XI. Dazu kommen seine Beiträge über die Oden Salomos in den Bänden 25/2 und 25/3 (1986) jener Reihe. Im Band 19 der "Fontes Christiani" schildert er die Entdeckung und Veröffentlichung der Oden Salomos (7-13), bringt eine chronologische Tabelle der Handschriften, Zitate, Kanonverzeichnisse und Editionen (14 f.). Er geht dem Problem nach, ob die griechische oder die syrische Version ursprünglich sei (16 f.), er informiert über die offenen Fragen nach dem Pseudonym "Salomo" (18 f.).

Zum Problem der Datierung sagt L. zunächst vorsichtig: "Sprache und Bildwelt der Oden Salomos rufen nicht nur Assoziationen mit einigen neutestamentlichen und anderen frühchristlichen Traditionen hervor, sondern auch mit etlichen Themen und Vorstellungen der Texte aus Qumran, weiteren jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit, frühen gnostischen Originalschriften und den Nag Hammadi Codices, ganz zu schweigen von den Anspielungen auf die hebräische und/oder griechische Bibel der Juden und frühen Christen. Gleichzeitig muß aber betont werden, daß es sehr schwer, ja fast unmöglich ist, in den Oden Salomos direkte Zitate von frühen Schriften oder eindeutige Anspielungen auf solche zu finden, für die übrigens die genaue Datierung oft auch ziemlich schwierig ist" (20). Aber dann rückt L. die Datierung doch mutig bis in das erste Viertel des 2. Jh.s hinauf; er findet Zusammenhänge mit den Oden Salomos bei Clemens von Alexandrien, bei Montanus, im 2. Clemensbrief, im Barnabasbrief und in den Briefen des Ignatius, so daß er schließlich formuliert: Das "spätere Ursprungsstadium neutestamentlicher Schriften muß auch die Ursprungszeit der Oden Salomos gewesen sein" (33 f.).

Es folgt eine detaillierte Übersicht "Wer redet - zu wem - über was - in welcher Weise" (36-81). Der Text ist in Stanzen gegliedert; L. beruft sich dabei auf die poetische Strukturanalyse von M. Franzmann (Novum testamentum et orbis antiquus 20, Fribourg 1991). Freilich ist das Verhältnis von Poesie und Übersetzung ein Problem: Aus Ode 11 seien L.s Übersetzungen der Verse 17-19 wiedergegeben: Er übersetzt die syrische Version: "Und ich verehre den Herrn wegen seiner Herrlichkeit. Und ich sagte: Glückseligkeit, Herr, denen, die gepflanzt sind auf deiner Erde, und jenen, die einen Platz haben in deinem Paradies und wachsen im Wachstum deiner Bäume und wechselten von der Finsternis zum Licht" (131). Die griechische Version wird übersetzt: "Fußfällig verehre ich den Herrn wegen seiner Herrlichkeit. Und ich sagte: Herr, glückselig die auf der Erde Gepflanzten, die einen Platz haben in deinem Paradies und wachsen im Wachstum deiner Bäume, sich hinwendend von Finsternis zu(m) Licht" (133). Man vergleiche damit die freiere Übersetzung von Walter Bauer (Kleine Texte 64, 1933, die auch bei Hennecke/Schneemelcher steht) : "Und ich warf mich nieder vor dem Herrn, um ihn zu preisen. Und ich sprach: Heil denen, o Herr, die da gepflanzt sind in deinem Lande, und denen, die einen Platz haben in deinem Paradiese und wachsen im Wachstum deiner Bäume und gewandert sind aus der Finsternis ins Licht". Bauers Übersetzung hat mehr Poesie und kommt insofern dem Geist der Oden näher. Freilich lehnt sich L.s Übersetzung ganz eng an den Text an, wofür ein Phi lologe, der den ursprünglichen griechischen oder syrischen Text möglichst exakt studieren möchte, dankbar sein dürfte. Auch dieser Band bringt Verzeichnisse: Abkürzungen, Bibliographie, Konkordanz, Register (217-293) machen ihn zu einem guten Arbeitsmittel.



II.5 Der Reisebericht der Egeria (Georg Röwekamp)(10)

Eine der liebenswürdigsten Quellen der alten Kirche ist der Bericht einer Dame, die vermutlich Egeria hieß und "Mitglied eines Kreises von religiösen Frauen der Oberschicht" war (15). Sie hatte die Mittel, sich längere Zeit im heiligen Land aufzuhalten, sie findet auf ihrer Pilgerreise Hilfe und Unterstützung bei den örtlichen Bischöfen und Mönchen. Empfängerinnen des Berichts sind "dominae sorores venerabiles" (206: Kap. 20,5). Von sich selbst sagt sie: "Ich bin nämlich ziemlich neugierig" (16 bzw. 187). Philologen interessieren sich für diese Schrift wegen des spätantiken Lateins; sie ist ein "unschätzbares Dokument einer Sprache... ,der die Zukunft gehören sollte" (17). Egeria kannte die Bibel und wollte die dort genannten Stätten sehen, sie betrieb "religiöse Geographie" (19: Zitat von Donner). Auf theologische Probleme geht sie nicht ein, "der volkstümlich nizänische Glaube des Westens drückt sich nur in der Formel Deus noster Jesus aus, die Egeria mehrfach verwendet (10,2; 17,1; 19,19)" (20). Das wahrscheinlichste Datum der Reise sind die Jahre 381-384. "Unstrittig ist in jedem Fall, daß der Bericht ein Bild vom Zustand der heiligen Stätten und der dort gefeierten Liturgie gegen Ende des 4. Jh.s gibt" (29).

In Jerusalem bestand eine Art von christlichem Tourismus, den der zeitgenössische Kirchenvater Hieronymus kritisiert hat: "Die Stätten der Kreuzigung und Auferstehung liegen in einer hektisch belebten Stadt, in der es Behörden, Garnisonen, Dirnen, Schauspieler und Witzbolde gibt" (50 = Ep.58,4). Die Einleitung bietet Kapitel über die Topographie Jerusalems im 4. Jh. (50-72) sowie über die Liturgie in Jerusalem in jener Zeit (72-107). Egerias Reisebericht ist ein wichtiges "Zeugnis der beginnenden Pilgerfrömmigkeit" (107). Der heutige Leser staunt über die unbefangene Art, in der Egeria die gefundenen Orte erlebt. Dafür ein Beispiel: "Hier steht nun der Dornbusch, den ich oben schon erwähnte, aus dem der Herr im Feuer zu Mose sprach (vgl. Ex 3). Er befindet sich an dem Ort am Anfang dieses Tales, wo es sehr viele Einsiedeleien gibt und eine Kirche. Vor eben dieser Kirche ist ein sehr anmutiger Garten mit bestem Wasser im Überfluß; in diesem Garten steht der Dornbusch. Unweit davon wird dort auch die Stelle gezeigt, wo der heilige Mose stand, als Gott zu ihm sprach: "Löse die Riemen deiner Schuhe" (Ex 3,5) und das folgende. Und als wir dann schließlich an dem Ort angekommen waren, war es bereits die zehnte Stunde, und weil es schon so spät war, konnten wir kein Opfer mehr feiern. Es wurde aber ein Gebet in der Kirche gesprochen und auch im Garten beim Dornbusch. Ebenfalls wurde nach unserer Gewohnheit die entsprechende Stelle aus dem Buch Mose vorgelesen". (137: Kap. 4,7/8). Beeindruckend ist die Schilderung des liturgischen Jahres in Jerusalem von Epiphanias bis Pfingsten (238-295), insbesondere die Intensität und Vielfalt in der Passionszeit (250-279).

Der Text stammt aus dem Kloster Monte Cassino. Dort hatte Petrus Diaconus, Archivar und Bibliothekar des Klosters 1130-1153, eine Schrift "de locis sanctis" geschrieben, die auch den Reisebericht der Egeria ausgewertet hat. Diese Schrift wird als Anhang geboten (309-359). Es folgen Karten und Pläne (360-366) sowie Abkürzungen, Bibliographie und Register. Der Text der Ausgabe folgt der Edition von A. Franceschini/R. Weber im Corpus Christianorum, Series Latina 175: Itineraria et alia Geographica, Turnholt 1965, 35-90 und 93-103. Die Übersetzung ist gut lesbar; der Band ist "nicht zuletzt für den ,Pilger' heutiger Tage gedacht, der vielfach noch ganz ähnliche Orte besucht wie Egeria" (115).

Fussnoten:

1 Frede, Hermann Josef: Kirchenschriftsteller. Verzeichnis und Sigel. Repertorium scriptorum ecclesiasticorum latinorum saeculo nono antiquiorum, siglis adpositis in editione Bibliorum iuxta veterem latinam versionem adhibentur. 4. aktualisierte Auflage. Freiburg: Herder 1995. 1049 S. gr.8o = Vetus Latina. Die Reste der altlateinischen Bibel. 1/1. ISBN 3-451-00120-9.

2 Vetus Latina. Die Reste der altlateinischen Bibel. Nach Petrus Sabatier neu gesammelt und in Verb. mit der Heidelberger Akademie der Wissenschaften hrsg. von der Erzabtei Beuron. Bd. 22: Epistula ad Corinthios I, hrsg. von Uwe Fröhlich. 1. Lfg.: Einleitung. Freiburg: Herder 1995, 80 S. 4o. ISBN 3 451 00 161 6

3 Vetus Latina. Die Reste der altlateinischen Bibel. Nach Petrus Sabatier neu gesammelt und in Verb. mit der Heidelberger Akademie der Wissenschaften hrsg. von der Erzabtei Beuron. 12 (Pars II): Esaias, ed. R. Gryson. Fasc. 4: Is 44,5-46,13. Freiburg: Herder 1995. S. 1041-1120. 4o. ISBN 3-451-00124-1.

Fasc. 5: Is 46,13-50,3. S. 1121-1200. ISBN 3-451-00125-X.

4 Boese, Helmut (Hg.): Anonymi. Glosa Psalmorum ex Traditione Se-niorum. Teil II: Psalmen 101-150. Freiburg: Herder 1994. 24*S., 286 S. gr.

8o = Vetus Latina. Die Reste der altlateinischen Bibel. Aus der Geschichte der lateinischen Bibel, 25. Kart. DM 225,-. ISBN 3-451-21951-4.

5 Schulz-Flügel, Eva: Gregorius Eliberritanus. Epithalamium sive Explanatio in Canticis Canticorum. Freiburg: Herder 1994. 310 S. gr. 8o = Vetus Latina. Die Reste der altlateinischen Bibel. Aus der Geschichte der lateinischen Bibel, 26. Kart. DM 370,-. ISBN 3-451-21940-9.

6 Gregor von Nyssa: In Canticum Canticorum Homiliae. Homilien zum Hohenlied. 1.-3. Teilband. Griechisch-Deutsch. Übers. von Franz Dünzl. Freiburg-Basel-Wien-Barcelona-Rom-New York: Herder 1994. 875 S. 8o = Fontes Christiani, 16,1-3. Kart. DM 46,-; DM 44,-; DM 46,-. ISBN 3-451-22123-3 bzw. 3-451-22124-1 bzw. 3-451-22116-O.

7 Theodor von Mopsuestia: Katechetische Homilien. 1. u. 2. Teilbd. Übers. und eingel. von Peter Bruns. Freiburg-Basel-Wien-Barcelona-Rom-New York: Herder 1994. XXXIII, VII, 478 S. 8 = Fontes Christiani, 17,1-2. Kart. je DM 44,-. Bd. 17,1: ISBN 3-451-22141-1. Bd. 17,2: ISBN 3-451-22142-X.

8 Evangelia infantiae apocrypha. Apokryphe Kindheitsevangelien.

Übers. und eingel. von Gerhard Schneider. Freiburg: Herder 1995, 380 S. gr.8o = Fontes Christiani, 18. Kart. DM 54,-. ISBN 3-451-22133-0.

9 Oden Salomos. Übers. und eingel. von Michael Lattke.

Freiburg: Herder 1995. 294 S. 8o = Fontes Christiani, 19. Kart. DM 48,-.

ISBN 3-451-22121-7.

10 Egeria: Itinerarium. Reisebericht. Mit Auszügen aus Petrus Diaconus, De Locis Sanctis. Die Heiligen Stätten. Übers. und eingel. von Georg Röwekamp unter Mitarb. von Dietmar Thönnes. Freiburg: Herder 1995. 406 S. 8o = Fontes Christiani, 20. Kart. DM 52,-. ISBN 3-451-22143-8.