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Ausgabe:

Juni/2010

Spalte:

755-768

Kategorie:

Literatur- und Forschungsberichte

Autor/Hrsg.:

Christoph Auffahrt

Titel/Untertitel:

Europäische Religionsgeschichte - ein kulturwissenschaftliches Projekt

1. Felder, Disziplinen und »die Kulturwissenschaft«


Die Entwicklung in den Geisteswissenschaften ist gegenwärtig gekennzeichnet durch die Bildung von Themenfeldern, die so komplex sind, dass sie aus verschiedenen Perspektiven und durch verschiedene Disziplinen untersucht werden müssen. So kann man die Sklaverei nur analysieren, wenn man historische, wirtschaftsgeschichtliche, geographische, philosophische, romanistische, anglistische und bildwissenschaftliche Perspektiven aufeinander bezieht, wie das für den »Black Atlantic« geschieht. Dabei – wie auch in der in Deutschland unter anderen Bedingungen so genannten »Kulturwissenschaft« – besteht die Gefahr, dass die hochspezifizierte Methodik der einzelnen Disziplinen durch Dilettantismus verloren geht. Doch dem stehen gute Beispiele entgegen, die den Mehrwert transdisziplinärer Zusammenarbeit zeigen.
Zu den derart von disziplinübergreifender Komplexität geprägten Themenfeldern gehört auch das Projekt einer »Europäischen Religionsgeschichte«: Nachdem lange Zeit Religion als Gegenstand der historischen Wissenschaften geradezu tabu war, entdecken jetzt Historiker, Kunstwissenschaftler, Soziologen, Politologen dieses Feld. Aber die genannten Fächer haben zwei Generationen lang nicht mehr an religiösen Fragen gearbeitet und ihre Methoden darum nicht weiterentwickelt. Dieser Beitrag will reflektieren, welche Herausforderungen zur Veränderung im Projekt einer europäischen Religionsgeschichte liegen, das nicht nur (1.) einen Gegenstand in einem kulturellen Raum beschreibt, sondern auch (2.) eine spezielle Methode und Perspektive darstellt.
Das programmatische Konzept stammt nicht aus der Kirchengeschichte oder der Geschichtswissenschaft, sondern aus der Religionswissenschaft. Diese ist jedoch zu klein, um eine Europäische Religionsgeschichte eigenständig erarbeiten zu können; die benötigten Kompetenzen können nicht hier allein ausgebildet werden. Aber die Religionswissenschaft hat Perspektiven und Modelle erarbeitet und erprobt, die die Ergebnisse der Fachdisziplinen integrieren können. Dazu gehört die Öffnung des Religionsbegriffes: Religion wird nicht als »Kirche« definiert und mit normativen theologischen Kriterien zugeschnitten – eine institutionalisierte Form des Monotheismus, den es als historische Pragmatik nicht gibt. Auch die Fokussierung auf »Frömmigkeit« als soziale Realisierung von Christentum »im Volk« greift zu kurz. Religion ist als Ferment in allen Lebensbereichen zu beschreiben; sie umfasst das alltägliche Leben, die Wissenschaften, das private wie öffentliche Erinnern, die Herrschaftsausübung wie die Herrschaftsakzeptanz, die Medizin wie das Sterben. 1
Als die Disziplin Religionswissenschaft (in der Ausdifferenzierung der Geisteswissenschaften um 1900) entstand, war »Europa« ausgeschlossen aus den Gegenständen dieser Wissenschaft2:
– Religionswissenschaft wurde entweder als Subdisziplin in Evangelisch-theologischen Fakultäten angesiedelt. Dort ist die Kirchengeschichte für Europa zuständig.3
– Oder Religionswissenschaft wurde verbunden mit einer Regionalwissenschaft, in der Regel der Indologie.
– Die Verbindung der allgemeinen Religionswissenschaft mit der hochentwickelten Religionswissenschaft der Antike ist nicht ge­lungen (wo sich ein Europa-Bezug ergeben hätte). Durch die Konkurrenz mit der Religionswissenschaft der Antike kam es dazu, dass die Philologie auch in der allgemeinen Religionswissenschaft die vorherrschende Methode blieb – erst in jüngster Zeit durch soziologische Methoden herausgefordert.
Die Chancen zu einer vergleichenden Kulturgeschichte mit dem zentralen Fokus auf Religion, wie sie Max Weber und Ernst Troeltsch historisch und soziologisch entwickelten, zerrann An­fang des 20. Jh.s. Der Streit um Karl Lamprecht desavouierte die Kulturgeschichte,4 weil sie die eigenen Werte relativiere. Adolf Harnack wandte sich bereits 19015 gegen das Ansinnen, theologische Fakultäten in religionswissenschaftliche Fakultäten umzuwandeln. Im Christentum gebe es alle Stufen und Formen von Religion für Vergleiche: »Wer diese Religion kennt, kennt alle.« (Als Widerspruch zu Friedrich Max Müller: »Wer nur eine kennt, kennt keine«.)



2. Das Konzept einer Europäischen Religionsgeschichte


Burkhard Gladigow umschrieb in einem Vortrag 1993 das Programm einer Europäischen Religionsgeschichte6 (künftig ERG) und entwickelte es seither weiter.7 Gerade ist ein erstes Handbuch erschienen, das die Strukturen und Konzepte einer ERG beschreibt (noch keine inhaltliche »Geschichte«).8 Der zentrale Gesichtspunkt ist dabei, dass die ERG sich dadurch auszeichnet, dass sie mitlaufende Alternativen zum Christentum anbietet, die in Austausch stehen mit den Traditionen anderer Religionen und anderer öffentlicher Sinnstifter wie beispielsweise Nation, Humanismus, Theater, Bildung, Sozialismus, Philosophie, Sport, Wirtschaft. Diese Sinnstifter wachsen aus der christlichen (aber auch der jüdischen, islamischen und antiken) Tradition heraus, »differenzieren sich aus« zu eigenen Bereichen und beanspruchen Autonomie. Das ist der typische Vorgang in der Moderne seit etwa 1800. Auf dem Forum der »Öffentlichkeit« können sich alle Sinnstifter innerhalb der Regeln darstellen, die der Staat bestimmt. Es entwickeln sich eigene Medien und Darstellungsformen, wie Literatur, Museen, Bühnenweihspiele, Rockkonzerte, Olympische Spiele.
Um beschreiben zu können, was in der Moderne mit Religion geschieht, muss man ein »Feld« überschauen. Dieses Feld nennt die Religionswissenschaft »Religion« (im Singular): Es umfasst die Pluralität religiöser Traditionen, wie sie sich in einer historisch be­stimmten Gesellschaft und Zeit verändert haben, aber auch die anderen Akteure und Bereiche, die Normen setzen, Sinn stiften, Kontingenz erklären. Dabei werden pragmatisch Definitionen von »Religion« vorgetragen in einem Prozess innerhalb der Religionsgeschichte, der normativ die Grenzen bestimmen will (vor allem bestimmen will, wer nichts zu Religion sagen dürfe) und das Feld zerschneidet. Erinnert sei an die Diskussion um die Grenze zwischen Religion und Wirtschaftsbetrieb (Caritas, Scientology) oder an die Diskussion, wie lange ein Kopftuch ein religiöses Symbol ist und ab wann es zum Ausdruck einer demokratiefeindlichen Politik wird. Im Gegensatz zu solchen pragmatischen Orten der Definition von Religion kann in der Wissenschaft die Definition erst nach der Beschreibung erfolgen. Als hermeneutischer Begriff mit eurozentrischer Perspektive ist »Religion« sinnvoll, solange man sich der Perspektive bewusst ist und Alternativen kennt.
»Europäische Religionsgeschichte« in der Konzeption von Burk­hard Gladigow verlangt den Aufbruch zu einem multidisziplinären Projekt. Nach der Debatte über den Anspruch auf eine Histoire totale ist deutlich: Keine Methode kann beanspruchen, eine umfassende Geschichte einer Epoche darstellen zu können. Religion ist unter materiellen, sozialen, rechtlichen, institutionellen Aspekten zu betrachten, aber auch in ihrer Fähigkeit, Vorstellungen von der Welt, Erwartungen oder Begrenzungen zu verändern.
ERG unterscheidet sich von der Geschichte der Religionen in anderen kulturellen Räumen. Während es dort in geringem Maße Pluralität gibt und wenig dauerhafte Auseinandersetzungen, weil die religiös-ethnischen Kulturen getrennt leben, zeichnet sich Europa, zumal in den Städten, durch das Miteinander und Gegeneinander auf engem Raum in der gleichen Gesellschaft aus. Pluralität der Religionen bedeutet jedoch noch nicht Pluralismus im Sinne eines legitimierten Nebeneinanders von »mitlaufenden Alternativen«. In Europa entstanden erst mit der Zeit Institutionen, die Gleichbe-rechtigung und Glaubensfreiheit garantieren. Eine solche Institu-tion stellt u. a. das Bildungswesen dar, und im Besonderen der Freiraum der Wissenschaft in den Universitäten. Damit ist aber ein ständiger Reflexionsprozess über Religion verbunden, der jenseits und parallel zur praktizierten Religion die Herausforderung durch die Alternativen beantwortet, zurückweist oder adaptiert. 9
Aber das europäische an der ERG besteht nicht aus den Alternativen, also aus der Gegengeschichte zur offiziellen Meistererzählung. Die institutionell verfassten »großen« Religionen (Christentum, Judentum, Islam) müssen zentraler Gegenstand einer ERG sein.10 Die mitlaufenden Alternativen sind meist nicht kontinuierlich von »Trägern« tradiert; sie sind oft eine »invention of tradition«, also eine Auswahl aus verschiedenen Traditionen für eine durch und durch moderne Funktion. So stellt der (Neo-)Paganismus nicht ein Wiederaufleben der antiken Religionen dar, sondern eine Intellektualisierung und Ästhetisierung von Bereichen, die die christliche Religion nicht umfasst. Die »Erfinder« sind Wissenschaftler, die sich aber der Tragweite ihrer Rekonstruktion oft nicht bewusst sind. »Träger« sind diejenigen, die solche Konstruktionen als Religion rezipieren. Das klassische Modell der Dichotomie von Theologen und Laien gibt dem systematischen Denken, dem vorgeschriebenen »Glauben«, zu viel Gewicht. 11 In Gladigows Modell besteht die Gefahr, die Intellektuellen (Professoren) zu überschätzen. Beide Modelle fragen zu wenig danach, wie Religion rezipiert wird und als soziale Handlungspraxis eingespielt ist. Dazu bedarf es eines sozialgeschichtlichen Blicks.
Der linguistic turn hat betont, wie wichtig die sprachliche Ge­staltung für die Wahrnehmung ist. Eine Diskussion in der Öffentlichkeit wird demnach erst möglich durch eine intensive und dichte Kommunikation in der städtischen Kultur, institutionalisiert in einer »Freiheit« zur Äußerung von Alternativen und daraus resultierend dem Diskurs über Religion.12 Wichtige Voraussetzung ist die Freiheit und Eigenständigkeit der Wissenschaft (einschließlich der Theologie) gegenüber den Institutionen der Religion. ERG muss mehr sein als eine Geistesgeschichte der Diskurse über Religion; die Beschreibung von Diskursen ist dennoch ein wichtiger Zugang, besonders wenn sie mit Michel Foucault Machtgefälle und Interesse beobachten.
Wenn ERG nicht einfach die Geschichte der Religionen in dem geographisch definierten Raum Europa ist, sondern die spezifische Pluralität und garantierte Toleranz als ihre zentralen Kriterien versteht, dann gibt es einen Beginn und möglicherweise ein Ende der ERG. Als Beginn plädiert Gladigow für die Gründung der Platonischen Akademie in Florenz und die Übersetzung des Corpus Hermeticum 1463.13 Damit wäre ERG eine andere Bezeichnung für Entwicklungen in der Neuzeit, wo weitere Sinndeutungen neben der herrschenden religiösen Tradition aufgebaut werden. An die Stelle der Diskussion um die »Legitimität der Neuzeit«, in der es wesent-lich um ein Entweder-Oder ging,14 tritt eine »Polytheismus«-Diskussion als Streit um die Werte. Die Pluralität ist nicht beliebig, sondern strukturiert; ein neues Verständnis des antiken Polytheismus kann als Modell für die Analyse nützlich sein.15 Wenn ERG mit der Neuzeit beginnt, ergibt sich die Frage, wie die vorangehende Periode zu beschreiben ist. Hier ist ein Konzept der »Mediterranen Religionsgeschichte« zu entwickeln.16
Gladigow selbst hat seinen Vorschlag für den Beginn der ERG später modifiziert, indem er konstatiert: »Ein ›religiöses Feld‹, das Kirchen, ›Häresien‹ und Ideologien umfasst, ist seit dem 12. Jahrhundert vorgegeben und liefert für die folgenden Jahrhunderte die Strukturen und Ablaufmuster.«17 Die Frage, ob das Mittelalter zur ERG gehört, ist also zu diskutieren. Außerdem ist es wichtig, die Ausgrenzungsdiskurse darüber zu analysieren, was nicht europäisch ist:18 Heute wird das am Beispiel der Türkei und des Islam diskutiert, früher ging es um Russland und die Juden.
Die Geschichte der Anschauung, das Christentum (oder besser die Christenheit, um den Unterschied zwischen christianity als dem historischen Gegenstand und christendom als Idee hervorzuheben) als Kernidee Europas zu verstehen – in negativer Identitätsabgrenzung zu den Russen oder Juden –, ist der Gegenstand des Buches von Mary Anne Perkins. Sie zeigt zuerst in einer diachronen Darstellung (19–112), wie sich die Perspektiven in den zwei Jahrhunderten seit der Französischen Revolution herausgebildet haben: die ro­mantisch-katholische, liberal-republikanische, sozialistische, föderalistische Konstruktion des Europe-as-Chris­ten­dom. Der zweite Teil (115–184)beschreibt die Modelle, den Ort von Christenheit = Europa in einer Universalgeschichte zu bestimmen. Im dritten Teil (187–329) sind die negativen Identitäten be­schrieben: Pangermanismus zu Panslawismus, Juden, Barbaren, Muslime, Russen und die Erklärungsversuche nach dem Zweiten Weltkrieg, wie nationale Gewaltherrschaften und die Weltkriege der ersten Hälfte des 20. Jh.s trotz Christenheit zu verstehen sind. Das Buch ist ein großer Überblick mit vielen gut gewählten Zitaten. Zu bewundern ist Perkins Kenntnis sowohl der deutschen als auch der englischen und der französischen Selbst- und Fremdbilder (leider alle Zitate nur in englischen Übersetzungen). In dieser umfassenden und vergleichenden Form ist das großartig und neu, auch wenn m. E. das Vorhaben wohl zu groß gewählt ist, um die Debatten und Diskurse wirklich in ihren Kontexten abbilden zu können. Als starke Synthese eines vergleichenden Überblicks hat sie aber einen Rahmen geschaffen, in dem die Einzelforschung weitergehen kann.
Wie lässt sich das Modell des Nationalstaates für die Analyse der ERG von anderen Faktoren trennen? Nach wie vor sind die Denkstrukturen stark von einem Geschichtsverständnis als nationale Historie geprägt. Die West-Orientierung ist durch das neue Paradigma Europa (im Sinne von ›West-Europa‹) damit verbunden worden.19 Bei den gegenwärtig im Trend liegenden Entwürfen, die Einheit Europas aus seiner gemeinsamen Geschichte zu rekonstruieren, wird die Binnenpluralisierung vergessen und ein gemeinsames (jüdisch-)christliches Erbe beschworen. Nachdem es zu früheren Zeiten als Abendland gegen den Kommunismus (das ›Welt­judentum‹, den Atheismus) gestellt wurde, wird heute der ›Westen‹ gegen den Islam polarisiert – immer noch in Analogie zur Ge­schichtsschreibung des Nationalstaates.
Zum Nationalstaat und zu seiner religiösen Sinngebung sind in den letzten Jahren bedeutsame Untersuchungen durchgeführt worden. Ich nenne hier nur die Serien von Tagungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, geplant und herausgegeben von Hartmut Lehmann.20
Die Globalisierung zeigt einerseits, dass der Nationalstaat nicht mehr das Gehäuse ist, dessen Definitionsmacht alles Geschehen und Handeln be­stimmt. Andererseits ist dieses Gehäuse weiterhin eine massive Struktur, so löchrig sie auch durch multinationale Konzerne, durch transnationale Institutionen und Verträge geworden sein mag. Auf den Tagungen wurde die enorme Bedeutung des Nationalstaats für das 19. Jh. in ihren Wirkungen auf die Religion und umgekehrt untersucht – und auch, wie der Nationalstaat sich religiös definierte und als Objekt der Verehrung wahrgenommen wurde. Weitreichend sind dabei die Thesen von Friedrich Wilhelm Graf zur religiösen Dimension der Institution (und nicht nur der Idee) des Nationalstaats. Dabei handele es sich um eine Gewaltgeschichte, die Gegner definiert, hier etwa Juden, Katholiken, Slawen.
Der dritte Band verfolgt die »unbewältigte Ge­schichte« dieses Konzepts für die Geschichte des 20. Jh.s und ist besonders spannend für die post- und subnationalen Konflikte nach dem Zweiten Weltkrieg.21 Michael Geyer hat eine kluge Einleitung über die neuen Einsichten und über künftige Perspektiven verfasst. Der Band gewinnt durch seine Wechselperspektiven mit jeweils einem ganz aktuellen Beispiel. War von den Juden als aus der Nation ausgegrenzter Minderheit die Rede, so folgt darauf ein Beitrag über die Juden im »Nationalstaat« Israel und deren Minderheiten. Danach geht es um Katholiken als (schlesische) Minderheit im preußisch-protestantisch dominierten kleindeutschen Nationalstaat und als politisch führende Partei in der nichtsouveränen Bonner Republik, anschließend kommt der Konflikt um die Kreuze in der Gedenkstätte des Judenmordes in Auschwitz zur Sprache.



3. Bausteine zu einer Europäischen Religionsgeschichte


Nach dem Programm Gladigows, das offenbar einer schon vorhandenen Fragestellung einen Namen gab, folgten die ersten Bausteine und zwei Monographien-Reihen, die das Konzept mit Material diskutieren und vorantreiben. Als Bausteine nenne ich:

– Ein Beispiel für eine mitlaufende Alternative, fast gleichzeitig mit dem Hermetismus, ist der Zoroastrismus in Europa und der europäische Zarathushtra: Michael Stausberg hat die Entdeckung und die herausfordernde Konstruktion dieser Alternative in einem monumentalen Werk dargestellt.22
– Das Konzept »Seele« hält sich gegen die biblische Alternative und die vielfach dagegen predigende Theologie durch. Jan Bremmer hat glänzend »Aufstieg und Fall des Lebens nach dem Tod« analysiert; dabei ergibt sich eine Epoche vom 5. Jh. v. Chr. bis ins 19. Jh.23 Vielfach stößt man in der ERG sogar auf die Seelenwanderung.24 Helmut Zander bezweifelt freilich, dass das Konzept der Seelenwanderung einen eigenen durchgehenden Strang einer ERG bildet.
– Die Figur des Schamanen als Gegenfigur zum aufgeklärten Bürger hat Kocku von Stuckrad beschrieben. Die Elemente von Religion, die die Aufklärung ausscheidet (also vor allem die irrationalen), projiziert sie auf die komplementäre Figur des Schamanen.25 Daran schließt sich eine Diskussion über die Esoterik und die Astrologie als Alternative in der ERG an.
– ERG als die Geschichte der Religionen in Europa vor dem Auftreten des Christentums, die als »Survival« aber in der Volksreligion und als Paganismus kontinuierlich, wenn auch mehr oder weniger heimlich tradiert werden.26 Nach Gladigow ist das noch nicht ERG; und die angebliche Kontinuität erweist sich als Re-Konstruktion, als Erfindung einer Tradition. Zu dieser wäre die Rezeption der Kelten, Hexen, der Antike usf. zu zählen als Paganismus im 19./20. Jh.27
– Mittelalterliche Eschatologie: Wie hat sich in der Kreuzzugsepoche die Religion des (lateinischen Sprachraums) Europas verändert in der Auseinandersetzung mit feudalen Strukturen, der Rezeption des Römischen Rechts, der Professionalisierung des Pries­teramtes, eigenen religiösen Idealen der Ritter (als neue »Makkabäer«), der Erfindung der Ketzer und der Konfrontation mit den anderen Religionen, insbesondere dem Judentum und dem Islam? Das 12. und das 13. Jh. sind gekennzeichnet durch das Entstehen von Alternativen, nämlich in einer sowohl internen wie externen Pluralisierung. 28
– Mit der Reihe der Studien zur christlichen Religions- und Kulturgeschichte, herausgegeben von Mariano Delgado und Volker Leppin, ist einerseits Religionsgeschichte aufgenommen, ander­erseits aber gerade wieder auf die christliche Tradition begrenzt worden.
Nach dem ersten Band über die Daniel-Tradition liegen die drei Bände vor Die Kirchenkritik der Mystiker. Mittelalter, Frühe Neuzeit, Moderne.29 Eine starke Fragestellung korreliert Prophetie mit Gotteserfahrung. Dabei neigt »Erfahrung« wieder mehr zu einem phänomenologischen Ansatz, die Konzentration auf den je individuellen Mystiker vernachlässigt die Rezeption. Dass Mystik immer auch Kritik an der »Kirche« sei, wie im Vorwort Victor Conzemius betont, wird in der Ausführung relativiert durch die Feststellung, die besten Impulse der Kritiker seien in die sich ständig reformierende Kirche aufgenommen worden. Die durchweg vorzüglichen Beiträge zu den großen Mystikern werden so zu der eigentlichen, der inneren Geschichte der Kirche (»aus dem schauenden Herzen der Kirche«) stilisiert, ungeachtet dessen, dass wenige der Mystiker zu Herrschern der Kirche, die meisten aber zu Verfolgten wurden. Diese Geschichte ist zu sehr auf Individuen begrenzt, zu harmonisch, kaum Diskursgeschichte, allenfalls angedeutet die Sozialgeschichte der von ihnen ausgehenden »Bewegungen«. Wo beginnt das Argument der »Kirchenkritik« in der Moderne, wo steht etwas zu den Begriffen, vor allem Troeltschs drei Idealtypen, deren modernste, weil individuellste Form, »die Mystik«, gegen »Kirche« und »Sekte« steht? Zehn von 58 Beiträgen sind Frauen gewidmet. Vorzügliche Miniaturen der Individualgeschichte, aber weit entfernt von einer Europä­ischen Religionsgeschichte.



4. Gehört das Mittelalter zur Europäischen Religionsgeschichte?


Oben wurde bereits die Frage angesprochen, ob denn die Religion des Mittelalters mit diesem Konzept beschrieben werden kann.
Mit Entdeckerfreude hatte Arnold Angenendt (1990) das Frühmittelalter mit den Augen eines Ethnologen durchstreift und das »Archaische« darin gefunden. Dieser Ansatz, methodisch noch nicht geschult, hat sich dann aber nicht weiter in Richtung einer kulturwissenschaftlichen Religionswissenschaft entwickelt, sondern in eine merkwürdige Wiederentdeckung der Kategorie des zeitlos »Heiligen«. Während die Religionswissenschaft die Religions­phänomenologie als Fehlweg erkannte, 30 wird sie von katholischen Kirchengeschichtlern neu entdeckt. Peter Dinzelbacher hat mit dem religionsphänomenologischen Ansatz Friedrich Heilers (1961) ein Handbuch der Religionsgeschichte konzipiert. Die me­thodische Kritik soll nicht verdecken, dass beide genannten Kirchenhistoriker den Weg aus einer in engerem Sinne »Kir­chen«- geschichte suchen und mit ihren Arbeiten die Perspektive enorm erweitert haben.31 Dabei stießen sie aber auf den homo religiosus: die Kunstfigur einer Sonder-Anthropologie von Ausnahmemenschen, die religiöse Spitzenerfahrungen hatten – erfunden, um die Moderne wegen ihrer Religionslosigkeit zu kritisieren und die Aufklärung aufzuklären.32 Dabei lässt sich Angenendt, besonders in Heilige und Reliquien (1994) und in Geschichte der Religiosität im Mittelalter (1997), in seiner »historisch-religionsphänomenologischen Betrachtung« leiten und begrenzen »nur [auf] jene Aspekte der mittelalterlichen Religiosität, die orthodox-christlicher Frömmigkeit entsprechen«.33 Die Bücher zeigen ein enormes Wissen in guten Beobachtungen.34 Aber methodisch entfernen sie sich von Geschichte und Beschreibung. Peter Dinzelbacher versucht der Falle des wahrhaft und wahr gläubigen »Zeitalters des Glaubens« zu entgehen, indem er an seine Stelle »die Mentalität« setzt. Ein paar Bemerkungen zu seinem Projekt einer Religionsgeschichte:35 Die Schwierigkeit, (praktizierte) Religion des Mittelalters zu fassen, wischt Dinzelbacher beiseite. Hatte Dieter Harmening in seinem Superstitio-Buch (1979) gezeigt, dass die Autoren Kleriker sind und alles Religiöse in Form von spätantiken Topoi beschreiben,36 so insistiert Dinzelbacher darauf, dass hinter den Topoi doch analoge Realien stünden (17). Dinzelbacher müsste sich mit der Topos-Forschung seit Ernst Robert Curtius (1948) auseinandersetzen, wie das etwa der Rezensent am Beispiel des Paradieses im Mittelalter getan hat: Biblische Autorität wird als Topos benutzt für ganz andere synchrone Erfahrungen und Anschauungen, darunter solche aus der islamischen Welt.37 Mit dem Begriff der Devianz kann man erst dann arbeiten, wenn es ein »normales« Verhalten gibt, nicht nur die vorgeschriebene Norm. Die methodischen Schwächen der Re­-ligionsphänomenologie überdecken die vielen guten Beobachtungen, die bisher noch kaum Gegenstand der Kirchengeschichte waren. Diese erscheinen durch die Interpretation von anthropologischen Bedürfnissen her zu blass und könnten als Geschichte der Religion im feudalen Zeitalter geschärft werden.
Die Umrisse, die Weite, die Verbindung von Islam, Judentum und Christentum in der Breite der mediterranen Religionsgeschichte, wie sie noch in die Kreuzzugszeit hinein den Raum der Interaktion bildet, beschreibt das gewaltige Opus von Karl Bertau. Als Leitgeschichte nimmt der Germanist die Alphabet-Schrift, die er in ihrer gemeinsamen Herkunft und ihrer Differenzierung in die hebräische, griechisch-lateinische und arabische Mediengeschichte beschreibt. Als handelnden Personen begegnet man Menschen wie den Schreibern, ihren Auftraggebern, erfährt etwas über ihre Möglichkeiten des Reisens und Kommunizierens. Die höfische Welt und ihre Metaphern der erzählten »Erfahrung« der exotischen Ferne und Zeiten wird beleuchtet. Darin steckt eine ganze Religionsgeschichte des feudalen Zeitalters, das uns weitgehend über die Literatur überliefert ist. Bertau gelingt es, diese Welt anschaulich zu machen. Der gelehrte Apparat ist trotz des Umfangs des Gesamtwerks minimal, indem er für die Fülle der Namen und Grundstrukturen auf die Artikel des »Lexikons des Mittelalters« verweist. Hier wird ein Lebenswerk zusammengefasst, die Kenntnis der französischen Wissenschaft wie der deutschen dicht eingewoben, knapp formuliert, anschaulich dargestellt mit vielen Abbildungen: ein großes Buch. Das ist m. E. ein Modell, innerhalb dessen die ERG des Mittelalters sich darstellen lässt und das all die Bezüge aufzeigt, die für den dreigeteilten Mittelmeerraum wichtig sind. Hier lässt sich die Genese einer Mediterranen Religionsgeschichte erkennen mit ihrer Transformation zur Europäischen Religionsgeschichte.



5. Frühe Neuzeit: Ein Muster für die interdisziplinäre Forschung


In dem Programm der »Religionen der Menschheit« war lange geplant, die katholische Kirche getrennt von den protestantischen Kirchen zu behandeln – gerade wie in den Handbüchern zur Kirchengeschichte. Die Religionsgeschichte der Frühen Neuzeit nach Konfessionen getrennt zu bearbeiten, würde mittlerweile wohl niemand mehr für sinnvoll halten; die Epoche hat so viele Gemeinsamkeiten und alle drei Konfessionen sind erst im wechselseitigen Nachahmen und Verteufeln zu dem geworden, was sie sind. Dabei ist jedoch auch deutlich geworden, dass innerhalb ein und derselben Konfession unter den je lokalen Bedingungen große Unterschiede auftreten, also »die« Konfession des Luthertums beispielsweise keine homogene Einheit bildet. 38
Der Band des französischen Historikers Francis Rapp zur Frühen Neuzeit wird einer ERG nur bedingt gerecht.39 Reformatio in capite et in membris greift zwar das Programm seit den Konzilien in Konstanz, Basel, Florenz und Ferrara auf, und damit wird die Reformation aus ihrer Vereinzelung gelöst, die früher »der Durchbruch der reformatorischen Erkenntnis« hieß. Aber nachdem die Reformation von oben (heißt bei Rapp: »von Rom«) scheiterte, wird Reformation doch wieder als ein Ereignis beschrieben, das die Theo­logen in Form der Seelsorge durchsetzen: »Ein Zündfunke, der einen Flächenbrand auslöste.« 40 Das ist wesentlich Ereignisgeschichte von oben.41 Religion sei eine »ordnungsstiftende Form«,42 die wiederum, wie der Staat, von oben her Ordnung schafft. Wenig Verständnis hat Rapp auch für das Tridentinum; es schreibe die Grundzüge der katholischen Lehre fort. Wenn das neue Handbuch für diesen Forschungsbericht nur unter der spezifischen Perspektive auf eine ERG gelesen wird (und damit seine großen Verdienste weniger zur Sprache kommen43), so erscheint es doch als altmodisch und hat Wesentliches aus der Frühneuzeit­forschung seit 1975, dem Jubiläum der »Revolution von 1525«, nicht aufge­griffen.44
Es würde zu weit führen, eine Skizze der Forschung zu Religion in der Frühen Neuzeit geben zu wollen. Ich beschränke mich daher auf eine Monographie, an der deutlich werden kann, wie die Frühneuzeitforschung das Feld Religion geweitet hat: die Zürcher Prozesse über Gotteslästerung im Kontext einer Europäischen Religionsgeschichte der Frühen Neuzeit.45 Das Thema »Atheismus« wurde lange als die Gegengeschichte bearbeitet, die aus der Un­mündigkeit, verursacht durch Religion, zu Aufklärung und Wissenschaft geführt habe: »Sie sucht nicht Religion, sondern Theorien über Religion; nicht Alltagspraktiken, sondern intellektuelle Ausnahmeerscheinungen zu erfassen.«46 Cum grano salis könnte man das auch über lange Phasen der Reformationsgeschichtsschreibung sagen. Demgegenüber sei Gegenstand der Religionsgeschichte47 »die Gesamtheit dessen, was in einer Gesellschaft religiös be­setzt ist und das aufgrund seiner religiösen Relevanz Normen begründet. Diese Normen dienen der Bewältigung des Alltags, so dass sich Un/Glaube als eine Verhaltensweise begreifen lässt, in der die Un/Gläubigen in Bezug auf diese Normen handeln.«48 Für »Normen« hat Loetz herausgearbeitet, dass es sich dabei nicht um obrigkeitlich »gesetzte« Normen handelte, sondern weitgehend um Regeln, die von den Standesgenossen in den Stadt- und Dorfgemeinden verlangt und von der Obrigkeit umgesetzt wurden in Bußen, um überhaupt Resozialisierung zu ermöglichen. Täter der verbalen Handlung waren fast durchwegs anerkannte Mitglieder der Gemeinden, nicht Außenseiter oder Arme/Fremde. (Loetz entwickelt eine wichtige Alternative zur Kategorie »Volksreligion«, die sich analytisch als unbrauchbar erwiesen hat.) 49
Der Religionsgeschichte der Frühen Neuzeit nähert sich Ulrike Gleixner in ihrem Buch Pietismus und Bürgertum50 in den methodischen Kompetenzen der Geschichtswissenschaft, der Literaturgeschichte und der Kirchengeschichte. Ihre Quellen sind autobiographische Aufzeichnungen, Tagebücher von Frauen (vor allem das der Beate Paulus, Tochter des großen »Schwabenvaters« Philipp Matthäus Hahn), die sie dem pietistischen Bürgertum zuschreibt. Es gelingt ihr, das Medium des Tagebuchs zu erschließen und in die Gattung der pietistischen Tagebücher einzuordnen. Frauen als Subjekte der Geschichte in einer patriarchal geordneten Welt, auch was theologisches Denken angeht, das ist hier gut nachgewiesen. Aber die Autorin lässt sich zu sehr von den Quellen leiten; die großen Einordnungen sind kaum mit den Befunden verknüpft. Was unterscheidet den »Pietismus« von der Theologie der Landeskirche im Absolutismus? »Bürgertum« verbindet Gleixner mit der württembergischen »Ehrbarkeit« (19–24); wie aber konnte der Pietismus, eine von der Herrschaft mit Argwohn beobachtete Kleine-Leute-Religion, zur Religion der Ehrbarkeit aufsteigen? Was haben diese Pietisten mit denen von Laichingen zu tun, die Hans Medick untersuchte? Wie kommt es zu ihren spezifischen Theologumena wie dem Bewusstsein der Auserwähltheit, einer veränderten Bußpraxis und dem grundlegend anderen Endzeitdenken? Gleixner sind un­gewöhnliche Funde gelungen. Aber für eine ERG leistet der Band wenig.
Religion als soziale Praxis ist der Gegenstand der Religionswissenschaft bzw. Religionsgeschichte; erst in zweiter Linie geht es um Religion, wie sie gewollt, gedacht, vorgeschrieben und mitgeteilt wird: in dem Maße nämlich, wie diese die soziale Praxis verändert. In Europa hat die auf kognitive Gehalte konzentrierte Religion in ihrer institutionalisierten Form mit professionellen Priestern so­wie deren Ausbildung und Überwachung durch Visitation einen weit größeren Einfluss als in den meisten anderen Weltgegenden. 51 Aber: Praktizierte Religion wird in erheblichem Maße unabhängig von den Vorgaben des Berufspriestertums gelebt. Und: Die gelebte Religion wirkt ihrerseits zurück auf das theologische Denken in der professionalisierten Religion.



6. Europäische Religionsgeschichte als Religionsgeschichte der Moderne auf dem Hintergrund der Ent-Europäisierung der Gegenwart


Abschließend gilt es zu überlegen, ob die ERG einem Ende zustrebt. Darin sind folgende Fragen enthalten: 1. Verschwindet in Europa die Religion? Darum geht es in der Diskussion um die Säkularisierungsthese. 2. Endet Europa als eigenständige Identität, indem es Teil des »Westens« wird? 3. Endet überhaupt jeder Sonderweg im weiteren Vollzug der Globalisierung?
Zu 1.: Wenn ERG der Moderne vielfach als Säkularisierung be­schrieben wird, dann lohnt der Blick auf Amerika (USA) als Gegenmodell.52 Das neue Schlagwort von der Wiederkehr der Religion kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine andere Religion (wieder)gekehrt ist, die Religion der Anderen. Säkularisierung un­terstellt, dass die schwindende Bedeutung der Kirchen mit dem Verlust an Religion gleichzusetzen sei. Lucian Hölscher hat als Historiker seine Studien zusammengefasst in einer Geschichte der protestantischen Frömmigkeit in Deutschland: Der Protestantismus blieb im Wesentlichen eine Religion des Bürgertums und hat es nicht vermocht, Menschen aus anderen soziale Schichten zu aktiven Mitgliedern zu machen.53 Materialismus und Atheismus bestritten jede Realität jenseits des menschlich Erfahrbaren.54 Besonders die Sozialistische Bewegung übernahm die antikirch­liche Gegenreligion und umgekehrt machten sich die Kirchen zur Speerspitze bürgerlicher Ausgrenzung der Arbeiterklasse. Marx schrieb die Heilsgeschichte in einen Historischen Materialismus um.55 Auch das gehört zur ERG. Man muss also unterscheiden zwischen folgenden Vorgängen, die jeweils einen Prozess darstellen, zu dem auch eine Gegenbewegung untersucht werden muss.56 Da­rum ist auch der Atheismus ein Teil der ERG:57
– Entkonfessionalisierung verbunden mit der Frage, wann und wie Konfessionen entstanden sind;



– Dechristianisierung (ein Begriff aus dem Französischen: déchristianisation) versus Rechristianisierung, Laizismus und Staatsreligion;
– Säkularisierung versus (Re-)Sakralisierung;



– »Vagierende Religiosität« (Nipperdey) versus kirchliche
Religion.



Zu 2.: Eine Amerikanisierung der Welt ist seit 1916 (Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg; A Crusade for democracy), verstärkt seit 1945 und schließlich seit 1989 zu beobachten. Der Politikwissenschaftler Samuel Huntington hat die Werte »des Westens« als Teil ihrer religiösen Kultur angesehen: Wenn auf der anderen Seite »der« Islam angreift, dann müssen die auf dieser Seite »Christen« sein. Aus Politik wird wieder Religion, aus Pluralität Einheit im »Krieg der Kulturen«.
Amerika ist das einzige Land, das den Modernisierungsschub mitgemacht hat, ohne dass die Zahl der Kirchenmitglieder und Mitglieder anderer religiösen Institutionen abgenommen hätte – sie hat vielmehr massiv zugenommen.58 Im Zuge der Industrialisierung und Verstädterung kam es zunächst auch in den USA zu einer Abnahme der traditionellen Milieus und ihrer kirchlichen Organisationen. Und auch heute noch sind die großen Kirchen die Verlierer der Wiederkehr der Religionen. In der Zwischenkriegszeit (1918–1939) bezog die öffentliche Meinung Position gegen den Kreationismus. Berüchtigt wurde der sog. »Affenprozess« 1926 in Tennessee. Nominell wurde der Biologie-Lehrer verurteilt, aber die großen Zeitungen des Landes führten die Verteidiger biblischer Tradition vor als Irrationalisten und Hinterwäldler. Protestanten, Puritaner aus dem bible belt gaben dagegen eine Reihe von Flugschriften heraus mit dem Titel »Fundamentals«, finanziert von einem reichen Sponsor.59 Sie richteten sich gegen den Atheismus und besonders gegen den Darwinismus. Aber nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte sich allmählich und dann rasant die Entwicklung um.60 Diejenigen, die Gott danken, regelmäßig einen Gottesdienst besuchen und sich als Wiedergeborene bezeichnen, machen Um­fragen zufolge die große Mehrheit in den USA aus. Damit waren die amerikanischen Religionssoziologen herausgefordert zu einer eigenen Theorie. Die Zuwendung zu einer Religion sei durchaus nicht eine irrationale Wahl, sondern ein rational choice:61 Investieren in das knappe Gut »Heil« kann durchaus sinnvoll sein.62 Dabei gewannen nicht die alten etablierten Kirchen, sondern die kleinen Denominationen, die sects. Pluralisierung von Religion führt nicht zu einem Verlust an Glaubwürdigkeit, sondern zu Wettbewerb und Interesse.



7. Was ist Europäische Religionsgeschichte und welche Ziele verfolgt sie?


Auf dem Gebiet der Religion gehört eine Neukonzeptionierung der Säkularisierungsthese zu den Desideraten: ein differenziertes Be­schreiben der verschiedenen Bereiche, das es möglich macht zu bilanzieren: Welchen Vorteil brachte eine Veränderung, auf wessen Kosten? Wer hat verloren, wer gewonnen? Genauer: Wer verliert was an wen? Wie verändert sich dabei das Feld »Religion«? Wer be­treibt die Sinnpflege und die Traditionspflege? Diese Fragen können nicht einseitig aus dem Blickwinkel der (angeblichen) Verlierer beantwortet werden. Eine Untersuchung der französischen Entwicklung etwa kann zeigen, welchen Verlust, welchen Gewinn eine Wissenschaftskultur davonträgt, wenn es keine theologischen Fakultäten an den Universitäten gibt. Eine ERG kann es nur durch Vergleich mit anderen Kulturräumen geben. Dabei geht es aber weniger darum, die Einzigartigkeit »von uns« herauszustellen, die durch wertendes Herabstufen »der anderen« gewonnen wird – oder umgekehrt. Vielmehr geht es um die Eigenheit: Wie ist die Rolle der Religion in unserer Kultur zu bestimmen – im Wissen um andere Bedeutungen in anderen Kulturen? Eine »Religionsgeschichte des Christentums« greift für dieses Anliegen zu kurz.63
Die amerikanische Religionsgeschichte und die Religionsgeschichte Afrikas sind sinnvolle Vergleichsgrößen, anhand derer idealtypisch die Besonderheit der ERG verstanden werden kann.
Religion ist ein Teil von Kultur, keine in sich geschlossene Sinnprovinz. Das muss man freilich differenzieren: Mit der »normativen Zentrierung« (wie Berndt Hamm das Entscheidende der Reformation bezeichnet) kommt es in Europa zu einer deutlichen Scheidung von Religion in Normativ und Sozialkapital. Gegenstand der ERG ist Religion als soziale Handlungspraxis. Dazu gehört die Unterscheidung von sozialen Schichten, Milieus, Funktionseliten usf., die sich zwar auf die »gleiche« Religion beziehen, sich dabei aber auf durchaus verschiedene Traditionen bzw. Normen berufen und unterschiedliche Handlungspraxen religiös begründen.
Europäische Religionsgeschichte ist eine Epoche, die im Hochmittelalter beginnt und die mit der klassischen Moderne zu Ende geht. Dieser Epoche vorausgehend hat Karl Bertau einen Transformationsprozess umfassend beschrieben, der die Mediterrane Religionsgeschichte sichtbar macht, zugleich aber auch die Entstehung Lateineuropas als Prozess der Verarmung. Was kommt nach der Europäischen Religionsgeschichte? Auch hier gibt es kein einfaches Ende; eher wieder eine Transformation.

Fussnoten:

1) Lucian Hölscher: Geschichte der protestantischen Frömmigkeit in Deutschland, München 2005, 12: »Was immer Menschen tun, was immer sie erleben, es kann dies in frommem Sinn geschehen: Ob sie arbeiten oder schlafen, ob sie Politik machen oder die Natur betrachten, immer kann dies als religiöse Handlung aufgefasst werden – ebenso gut aber auch nicht. Deshalb gibt es keinen ihr eigenen Raum der Religion, keinen ihr eigenen Gegenstand.«
2) Burkhard Gladigow: Gegenstände und wissenschaftlicher Kontext von Religionswissenschaft, in: HrwG 1 (1988), 26–40; ders.: Religionsgeschichte des Gegenstandes – Gegenstände der Religionsgeschichte, in: Hartmut Zinser (Hrsg.): Religionswissenschaft. Eine Einführung, Berlin 1988, 6–37; ders.: Mögliche Gegenstände und notwendige Quellen einer Religionsgeschichte, in: Heinrich Beck/Detlev Ellmers/Kurt Schier (Hrsg.): Germanische Religionsgeschichte. Quellen und Quellenprobleme (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 5), Berlin-New York 1992, 3–26.
3) Kurt Rudolph: Die Religionsgeschichte an der Leipziger Universität und die Entwicklung der Religionswissenschaft. Ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte und zum Problem der Religionswissenschaft (Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig-PH 107, 1), Berlin 1962.
4) Louise Schorn-Schütte: Karl Lamprecht. Kulturgeschichtsschreibung zwischen Wissenschaft und Politik, Göttingen 1984.
5) Adolf Harnack: Die Aufgabe der theologischen Facultäten und die allgemeine Religionsgeschichte. Rede zur Gedächtnisfeier des Stifters der Berliner Universität, König Friedrich Wilhelm III., in der Aula derselben am 3. August 1901 gehalten von A. H. [= Rektoratsrede], Berlin 1901, wieder in: Ders.: Reden und Vorträge. Bd. 2, Gießen 21906, 159–178 [mit Zusätzen 179–187]. Das Zitat auf S. 168: »Wer diese Religion nicht kennt, kennt keine, und wer sie samt ihrer Geschichte kennt, kennt alle.«
6) Burkhard Gladigow: Europäische Religionsgeschichte, in: Hans G. Kippenberg/Brigitte Luchesi (Hrsg.): Lokale Religionsgeschichte. Marburg 1995, 21–42; ders.: Europäische Nativismen und Bilder der Antike, in: Gnosis und Gnostizismus. FS Kurt Rudolph, Marburg 1994. Der erste Aufsatz ist wieder abgedruckt in: Burkhard Gladigow: Religionswissenschaft als Kulturwissenschaft. Hrsg. v. Christoph Auffarth u. Jörg Rüpke, Stuttgart u. a. 2005, 289–301.
7) Burkhard Gladigow: Europäische Religionsgeschichte seit der Renaissance. Zeitenblicke 5 (2006), Nr. 1. URL: http://www.zeitenblicke.de/2006/1/ Gladigow [zuletzt geöffnet 29.03.2009].
8) Hans G. Kippenberg/Jörg Rüpke/Kocku von Stuckrad (Hrsg.): Euro­-päische Religionsgeschichte. Ein mehrfacher Pluralismus (UTB 3206). 2 Bde, Göttingen 2009.
9) Für die klassische Moderne Friedrich H. Tenbruck: Die Religion im Maelstrom der Reflexion, in: Jörg Bergmann u. a. (Hrsg.): Religion und Kultur. KZSS-Sh 33 (1993), 31–67. Ähnlich für den Protestantismus: Joachim Matthes.
10) Christoph Auffarth: Europäische Religionsgeschichte, in: Ders./Jutta Bernard/Hubert Mohr (Hrsg.): Metzler Lexikon Religion. Bd. 1, Stuttgart 1999, 330–336.
11) Christoph Auffarth: Theologie als Religionskritik in der Europäischen Religionsgeschichte, in: Zeitschrift für Religionswissenschaft 15 (2007), 5–27. Die Unterscheidung hat Friedrich Wilhelm Graf nicht beachtet bei seiner Kritik an »der Religionswissenschaft«, in: Ders.: Die Wiederkehr der Götter, München 2005.
12) Zum Religionsbegriff vgl. die Arbeiten von Ernst Feil, Religion, 4 Bände, Göttingen 1986-2007; weitere Bände in Arbeit bzw. in Planung.
13) Religio Docta bei Marsilio Ficino. Religion, Erfahrung, Wissenschaft, in: Walter Haug/Dietmar Mieth (Hrsg.): Religiöse Erfahrung. Historische Modelle in christlicher Erfahrung, München 1992, 275–285. Auffarth: [Artikel] Hermetik, in: Enzyklopädie der Neuzeit 6 (2007), 391–395.
14) Gemeint ist die Auseinandersetzung zwischen vor allem Karl Löwith (Weltgeschichte und Heilsgeschehen, 1953; engl. 1949) und Hans Blumenberg (Legimitiät der Neuzeit, 1966).
15) Burkhard Gladigow: Polytheismus, in: Metzler Lexikon Religion. Bd. 2 (1999); ders.: Polytheismus, in: Hans G. Kippenberg/Martin Riesebrodt (Hrsg.): Max Webers »Religionssystematik«, Tübingen 2001, 131–150.
16) Burkhard Gladigow: Mediterrane Religionsgeschichte, Römische Religionsgeschichte, Europäische Religionsgeschichte: Zur Genese eines Fachkonzepts, in: Kykeon. Studies in Honour of H. S. Versnel. Hrsg. v. H. F. J. Horstmanshoff, H. W. Singor, F. T. van Straten u. J. H. M. Strubbe (Religions in the Graeco-Roman World 142), Leiden-Boston-Köln 2001, 49–67; ders.: Elemente einer longue durée in der mediterranen Religionsgeschichte, in: Ute Pietruschka (Hrsg.): Gemeinsame kulturelle Codes in koexistierenden Religionsgemeinschaften. Leucorea-Colloquium Mai 2003 (Hallesche Beiträge zur Orientwissenschaft), Halle 2005, 151–171.
17) Gladigow 1995 (s. Anm. 6), 27 f.
18) Perkins, Mary Ann: Christendom and European Identity. The Legacy of a Grand Narrative since 1789. Berlin-New York: de Gruyter 2004. XIV, 385 S. gr.8° = Religion and Society, 40. Lw. EUR 94,95. ISBN 978-3-11-018244-6; 187-330: The »Spirit of Europe« and its »Others«.
Michael Borgolte: »Europa ein christliches Land«. Religion als Wertstifterin im Mittelalter? In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 48(2000), 1061-1077. Rezensionsartikel Thomas Ertl; Stefan Esders, in: Historische Zeitschrift 279(2004), 127-146.
20) Nach dem einflussreichen Buch von Benedict Anderson: Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London 21991; deutsch: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Frankfurt 1988, 21996, und für den Nationalismus außerhalb Europas durch Peter van der Veer: Religious Nationalism. Hindus and Muslims in India, Berkeley CA 1994, die Tagungsbände Hartmut Lehmann/Peter van der Veer (Hrsg.): Nation and Religion. Perspectives on Europe and Asia, Princeton NJ 1999; Hartmut Lehmann/Gerd Krumeich (Hrsg.): »Gott mit uns«. Nation, Religion und Gewalt im 19. und frühen 20. Jahrhundert (VMPIG 162), Göttingen 2000.
21) Geyer, Michael, u. Hartmut Lehmann [Hrsg.]: Religion und Na­tion – Nation und Religion. Beiträge zu einer unbewältigten Geschichte. Göttingen: Wallstein 2004. 474 S. 8° = Bausteine zu einer europäischen Religionsgeschichte im Zeitalter der Säkularisierung, 3. Kart. EUR 30,00. ISBN 978-3-89244-668-2.
22) Michael Stausberg: Faszination Zarathushtra. Zoroaster und die Europäische Religionsgeschichte der Frühen Neuzeit (RGVV 42), Berlin-New York 1998. 2 Bde, 1084 S.; zeitlich von etwa 1450 bis 1800.
23) Jan Bremmer: The Rise and the Fall of the Afterlife, London 2002.
24) Helmut Zander: Geschichte der Seelenwanderung in Europa; Darmstadt 1998; Burkhard Gladigow: Seele, in: Christoph Auffarth/Jutta Bernard/ Hubert Mohr: Metzler Lexikon Religion. Bd. 3, Stuttgart 2000 (ND 2005), 275–277.
25) Kocku von Stuckrad: Schamanismus und Esoterik. Kultur- und wissenschaftsgeschichtliche Betrachtungen (Gnostica 4), Leuven 2003.
26) Ulrike Schlott: Vorchristliche und christliche Beziehungen bei Kelten, Germanen und Slawen, Hamburg 1997; Bernhard Maier: Die Religion der Kelten, München 2001; ders.: Die Religion der Germanen, München 2003.
27) Hubert Mohr: Paganismus, in: Der Neue Pauly 15/2 (2002), 13–30; ders.: Rezeptionsformen, in: DNP 15/2 (2002), 759–770; ders.: RGG4 6 (2003), 793–797.
28) Christoph Auffarth: Mittelalterliche Eschatologie. Religionsgeschichtliche Untersuchungen (Diss. theol. Groningen), Tübingen 1996; erweitert und überarbeitet als: Ders.: Irdische Wege und himmlischer Lohn. Kreuzzug, Jerusalem und Fegefeuer in religionswissenschaftlicher Perspektive (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 144), Göttingen 2002; ders.: Ketzer. Katharer, Waldenser und religiöse Bewegungen des Mittelalters, München 2005; ders. (Hrsg.): Religiöser Pluralismus im Mittelalter?, Münster 2007.
29) Delgado, Mariano, u. Gotthard Fuchs [Hrsg.]: Die Kirchenkritik der Mystiker. Prophetie aus Gotteserfahrung. Bd. 1: Mittelalter. Unter Mitarbeit v. D. Neuhold. M. Beiträgen v. M. Bangert, M. Delgado, B. Fraling, G. Fuchs, L. Gnädinger, A. M. Haas, H. Helbling, R. Imbach, H. Keul, A. de Lange, N. Largier, L. Lehmann, F.-X. Putallaz, V. Ranff, M. Schlosser, D. Terstriep u. J.-P. Torrell. Fribourg: Academic Press Fribourg; Stuttgart: Kohlhammer 2004. 326 S. gr.8° = Studien zur christlichen Religions- und Kulturgeschichte, 2. Geb. EUR 37,20. ISBN 978-3-7278-1484-6. Bd. 2: Frühe Neuzeit. Unter Mitarbeit v. D. Neuhold. M. Beiträgen v. O. Bayer, M. Delgado, U. Gause, B. Hallensleben, C.-A. Keller, P. Knauer, V. Leppin, S. Peng-Keller, A. Raffelt, K. Reinhardt, V. Reinhardt, H. Schwaetzer, M. Sievernich, R. Th. M. van Dijk, F. van Ingen, J. Wallmann, F. Wehrl, H. Wustmans, P. Zimmerling. Fribourg: Academic Press Fribourg; Stuttgart: Kohlhammer 2005. 403 S. m. Abb. gr.8° = Studien zur christlichen Religions- und Kulturgeschichte, 3. Geb. EUR 40,00. ISBN 978-3-7278-1503-4. Bd. 3: Von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Unter Mitarbeit v. D. Neuhold. M. Beiträgen v. M. A. R. Batlogg, K. Boehme, M. Bongardt, Th. Broch, M. de Certeau, M. Delgado, U. Eigenmann, U. Engel, E. M. Faber, G. Fuchs, R. García-Mateo, C. Hell, R. Körner, Th. Krenski, M. Maier, K.-H. Menke, W. W. Müller, D. Neuhold, P. Neuner, E. Salmann, S. Sandherr, B. Schellenberger, F. Schlingensiepen, R. A. Siebenrock, M. Tamcke, B. Teuber, R. Voderholzer, K.-H. Wiesemann. Fribourg: Academic Press Fribourg; Stuttgart: Kohlhammer 2005. 608 S. gr.8° = Studien zur christlichen Religions- und Kulturgeschichte, 4. Geb. EUR 58,00. ISBN 978-3-7278-1514-0.
30) Axel Michaels/Fritz Stolz (Hrsg.): Noch eine Chance für die Religionsphänomenologie? (Jahrbuch Studia Helvetica Religiosa 5, 2000/2001), Bern 2001, 235–257. Für die Religionsphänomenologie stehen die (protestantischen) Forscher Rudolf Otto (1917), Gerardus van der Leeuw (1925, 1933, 21954, ND 31976) und Friedrich Heiler (1961). Die religionshistorischen Artikel der dritten Auflage der RGG3 sind von diesem Ansatz geprägt. Bis in die Gegenwart wirkt die religionsphänomenologische Methode besonders durch Mircea Eliade. Der methodische Grundsatz der epoché (sich eines Urteils zu enthalten), den die frühen Religionsphänomenologen aufgestellt hatten, war nie gegeben.
31) Dinzelbacher wird gewürdigt bei Ludolf Kuchenbuch: Zwischen Lupe und Fernblick. Berichtspunkte und Anfragen zur Mediävistik als historischer Anthropologie, in: Hans Werner Goetz/Jörg Jarnut (Hrsg.): Mediävistik im 21. Jahrhundert. Stand und Perspektiven der internationalen und interdisziplinären Mittelalterforschung (MittelalterStudien 1), München 2003, 269–293.
32) Hans G. Kippenberg/Brigitte Luchesi (Hrsg): Religionswissenschaft und Kulturkritik. Beiträge zur Konferenz »The History of Religions and Critique of Culture in the Days of Gerardus van der Leeuw (1890–1950)«, Marburg 1991, 177–192.
33) So Dinzelbachers Kritik an Angenendt: Peter Dinzelbacher (Hrsg.): Hand­buch der Religionsgeschichte im deutschsprachigen Raum, Band 2: Hoch und Spätmittelalter. Paderborn [u. a.]: Schöningh 2000. 555 S., 15.
34) Etwa das Münsteraner Forschungsprojekt Gezählte Frömmigkeit (mit wichtigen Arbeiten Angenendts); die Arbeiten seiner Schüler, wie Hubertus Lutterbach und Thomas Lentes, sind kulturwissenschaftlich geöffnete Arbeiten und haben die Kirchengeschichte in weitere Perspektiven gestellt.
35) Dinzelbacher, 2000. Nach langer Pause ist nun Band 5 erschienen (vgl. Rez. von Auffarth, in: ThLZ 132 [2007], 1295–1297) und weitere kommen.
36) Zur Tradierung spätantiker Religionsgesetze Nicole Zeddies: Religio et sacrilegium. Studien zur Inkriminierung von Magie, Häresie und Heidentum, 4. –7. Jh. (EHS 3), Frankfurt a. M. u. a. 2003, 964.
37) Auffarth, Irdische Wege, 2002 (s. Anm. 27), 36–72. Weiter Auffarth, Ketzer, 2005, zu den Stereotypen der Ketzer-Religion.
38) Thomas Kaufmann: Einleitung, in: Kaspar von Greyerz u. a. (Hrsg.): Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese (SVRG 201), Gütersloh 2003, 9–15; Renate Dürr: Prophetie und Wunderglauben – zu den kulturellen Folgen der Reformation, in: Historische Zeitschrift 281 (2005), 3–32.
39) Rapp, Francis: Christentum IV. Zwischen Mittelalter und Neuzeit (1378–1552). Stuttgart: Kohlhammer 2006. VII, 473 S. gr.8° = Religionen der Menschheit, 31. Geb. EUR 120,00. ISBN 978-3-17-015278-6.
40) Ebd., 316–327. Dabei hat Rapp durchaus ein Gespür für die Bedeutung des Mediums Buchdruck, aber dann werden die Flugschriften in einem Atemzug mit den sicher wenig verbreiteten Loci communes von Melanchthon ge­nannt.
41) Zustimmend zitiert Rapp, a. a. O., 2, das Dictum Rankes über den Bauernkrieg, er sei »das größte Naturereignis des deutschen Staates [!]«.
42) Rapp, a. a. O., 5: »Die ordnungsstiftenden Formen mussten erneuert werden. Damit [!] ist der Kontakt zum religiösen Gebiet hergestellt.«
43) In Stichworten: kein Sammelband der verschiedensten Perspektiven, sondern eine durchgehende Argumentationslinie. Die Wahl der Periodisierung, die vom Schisma einsetzt. Der Schwerpunkt auf der Seelsorge statt auf der Theologie. Die volle Aufnahme der französischen Forschung.
44) Als handbuchartiges Buch, dem das gelingt, steht etwa Kaspar von Greyerz: Religion und Kultur 1500–1800, Göttingen 2000, zur Verfügung.
45) Francisca Loetz: Mit Gott handeln. Von den Zürcher Gotteslästerern der Frühen Neuzeit zu einer Kulturgeschichte des Religiösen (VMPIG 177), Göttingen 2002.
46) Loetz, a. a. O., 26 f.
47) Loetz, a. a. O., 343–348, verwendet 1. Kulturgeschichte 2. des Religiösen. »Das Religöse« hat den Vorteil, nicht mit Religion als System oder mit Religion als religiöser Tradition verwechselt zu werden.
48) Loetz, a. a. O., 343.
49) Vgl. Glaubensstreit und Gelächter. Hrsg. v. Christoph Auffarth u. Sonja Kerth, Berlin 2008, 79–106.
50) Gleixner, Ulrike: Pietismus und Bürgertum. Eine historische An­-th­ropologie der Frömmigkeit. Württemberg 17.–19. Jahrhundert. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005. 464 S. m. 32 Abb. gr.8° = Bürgertum Neue Folge, 2. Geb. EUR 58,00. ISBN 978-3-525-36841-1.
51) Gut beschrieben bei Richard C. Trexler: Das sprechende Bildnis, in: Klaus Schreiner (Hrsg.): Laienfrömmigkeit im Spätmittelalter (Schriften des historischen Kollegs: Kolloquien 20), München 1992, 283–308.
52) Lehmann, Hartmut: Säkularisierung. Der europäische Sonderweg in Sachen Religion. Göttingen: Wallstein 2004. 171 S. 8° = Bausteine zu einer Europäischen Religionsgeschichte im Zeitalter der Säkularisierung, 5. Kart. EUR 21,00. ISBN 978-3-89244-820-4.
53) S. Anm. 1. Zum »Datenatlas zur religiösen Geographie im protestantischen Deutschland. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg.« Hrsg. von Lucian Hölscher. 4 Bde. Berlin-New York 2001, Rez. v. Auffarth, in: Numen 50 (2003), 481–483.
54) Annette Wittkau-Horgby: Materialismus, Göttingen 1998. Sehr schön zeigt Ulrich Raulff: Ein Historiker des 20. Jahrhunderts: Marc Bloch, Frankfurt 1995, 303–329, wie ausgerechnet einer der Helden des Materialismus, der französische Mediziner Louis Pasteur, geradezu als Heiliger in seiner Grabkapelle verehrt wird.
55) Das Kapitel über Marx in Karl Löwith: Weltgeschichte und Heilsgeschehen, Stuttgart 1953 [amerikanisch: 1949], jetzt im 2. Band der Gesammelten Schriften von K. L. zu benutzen: Stuttgart 1983.
56) Hartmut Lehmann: Säkularisierung, Dechristianisierung, Rechristianisierung im neuzeitlichen Europa. Bilanz und Perspektiven der Forschung, Göttingen 1997.
57) Richard Faber/Susanne Lanwerd (Hrsg.): Atheismus. Ideologie, Philosophie oder Mentalität?, Würzburg 2006.
58) Die gegenwärtige Debatte zu rational choice und der Bedeutung der Religion im »Sozialen Kapital« ist dargestellt und an der Einbeziehung der religiösen Gemeinden in die Sozialpolitik in den USA exemplifiziert bei Alexander-Kenneth Nagel: Charitable Choice (Religionen in der pluralen Welt, 4), Münster 2006.
59) Martin Riesebrodt: Fundamentalismus als patriarchalische Protestbewegung. Amerikanische Protestanten (1910-28) und iranische Schiiten (1961-79) im Vergleich, Tübingen 1990; Martin E. Marty/R. Scott Appleby: Herausforderung Fundamentalismus. Radikale Christen, Moslems und Juden im Kampf gegen die Moderne, Frankfurt a. M. 1996, 48-103; Gilles Kepel: Die Rache Gottes. Radikale Christen, Moslems und Juden auf dem Vormarsch, München 1991, 147-199. Vgl. auch Riesebrodt: Die Rückkehr der Religionen. Fundamentalismus und der »Kampf der Kulturen«, München 2000.
60) Ralf Unger: Vereinigte Staaten von Amerika, in: Metzler Lexikon Religion. Bd. 3 (2000), 565–573.
61) Roger Finke/Rodney Stark: The Curching of America. Winners and Losers of Our Religious Economy, New Brunswick 1992; Robert C. Fuller: Spiritual, But Not Religious. Understanding Unchurched America, Oxford-New York 2001; Forschungsbericht bei Nagel, 2006 (s. Anm. 57).
62) Kritik am soziologischen Religionsbegriff, der im scheinbar christlichen Sinn das Heil auf die Existenz nach dem Ende konzentriert (Kontingenzbewältigung; ultimate concern), s. Christoph Auffarth/Hubert Mohr: Religion, in: Metzler Lexikon Religion. Bd. 3 (2000), 160–172.
63) Mit Berufung auf Wolfhart Pannenberg programmatisch im ersten Band der Reihe »Studien zur christlichen Religions- und Kulturgeschichte«: Mariano Delgado/Klaus Koch/Edgar Marsch (Hrsg.): Europa, Tausendjähriges Reich und die Neue Welt. Zwei Jahrtausende Geschichte und Utopie in der Rezeption des Danielbuches, 2003, 9.