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Ausgabe:

Juni/2010

Spalte:

748-751

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Ernesti, Jörg

Titel/Untertitel:

Ökumene im Dritten Reich. Einheit und Erneuerung.

Verlag:

Paderborn: Bonifatius 2007. 411 S. gr.8° = Konfessionskundliche und kontroverstheologische Studien, 77. Lw. EUR 49,90. ISBN 978-3-89710-367-2.

Rezensent:

Walter Fleischmann-Bisten

Der Autor dieser für die Geschichte der Ökumene wichtigen Arbeit ist Historiker und Theologe und lehrt seit 2007 Kirchengeschichte an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Brixen/Bressasone (Italien). Er wurde mit dieser von Wolfgang Thönissen betreuten Dissertation an der Universität Paderborn promoviert. E. will vorrangig »die für den deutschsprachigen Bereich als Frühzeit des evangelisch-katholischen Dialogs« noch wenig erkennbaren Spuren nachweisen (10.318). Dafür legt er 32 bislang unveröffentlichte Dokumente vor, die mit einem Umfang von etwa 120 Seiten fast ein Drittel des gesamten Buches ausmachen. Sie stammen aus den Nachlässen des von 1920 bis 1960 an der Universität Marburg lehrenden Professors Friedrich Heiler und des Paderborner Erzbischofs Lorenz Kardinal Jaeger, aus den Sammlungen des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik und dem Bundesarchiv. Die Zielsetzung dieser Arbeit liegt darin, dass durch die Erschließung neuer Quellen die für die Anfänge einer evangelisch-katholischen Annäherung stehenden »Protagonisten in zentralen Zeugnissen selbst zu Wort kommen« (11).
Wenn 2010 mit der Erinnerung an die erste Weltmissionskonferenz in Edinburgh der mühsame Weg der Ökumene in den letzten 100 Jahren neu in den Blick gerät, darf ein Faktum nicht übersehen werden, an das E. in Teil 2 (»Die katholische Kirche und die Ökumene vor 1933«, 15–25) erinnert: Ökumene »vollzog sich im frühen 20. Jahrhundert zunächst auf dem Boden des Protestantismus und quasi ohne Beteiligung der katholischen Kirche« (16). Denn bereits 1919 hatte das damalige »Heilige Offizium« als Vorinstanz der heutigen Glaubenskongregation »die Mitarbeit in Vereinigungen untersagt, welche der Wiederherstellung der Einheit dienten« (19). Mit seiner Enzyklika »Mortalium animos« hatte Papst Pius XI. 1928 den römisch-katholischen Ökumenismus bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil festgelegt: »Die getrennten Gemeinschaften können nicht anerkannt werden, da die katholische Kirche die einzig wahre ist – eine gleichberechtigte Teilnahme an ökumenischen Tagungen käme aber einer solchen Anerkennung gleich. Nur die Rückkehr der getrennten Christen und das Gebet um diese Rück­kehr kommt in Frage« (22 f.).
So unverständlich das Resümee bleibt, das E. hieraus zieht (»Ob diese päpstliche Enzyklika alle Kontakte zur Ökumenischen Bewegung, ja zum Protestantismus überhaupt im Keim ersticken wollte, sei dahingestellt«, 23), so interessant sind die Beispiele, mit denen er nachweisen kann, dass ungeachtet dieser amtlichen Vorgaben eine Reihe von Persönlichkeiten und Institutionen andere Wege beschritten haben. Er würdigt in Teil 3 (»Die Anfänge: Auf der Suche nach einer Form der Begegnung [1933/34]«, 26–139) zunächst die Spuren des von der »Hochkirchlichen Vereinigung« Friedrich Heilers inspirierten und zum Katholizismus konvertierten religiösen Sozialisten Karl Thieme (1902–1963). Ihm wie seinen Anhängern ging es »nicht um ein Unionsangebot, sondern um Konversionen«, einen Weg, den Heiler und andere »Hochkirchler« dezidiert ablehnten. Diese wollten vielmehr »das Tor zum ökumenischen Dialog mit den Katholiken aufstoßen« (27). Geschildert werden auch die vielfältigen Versuche des Katholiken Friedrich Heiler (1892–1967) selbst, der vom Standpunkt einer evangelischen Katholizität aus und in Zusammenarbeit mit der Berneuchener Bewegung und der Michaelsbruderschaft die durch die Reformation verloren gegangenen katholischen Traditionen »zu einer katholischen Fülle« (31) zurückführen wollte. E. versucht zu beweisen: Der von Nathan Söderblom geprägte Heiler, der formal nie konvertierte, aber 1930 von einem »syro-chaldäischen Bischof die entsprechende Weihe« erhielt, »um so in die apostolische Nachfolge einzutreten« (32), konnte auf dem Umweg über »evangelische Franziskaner-Tertiaren« eine wirkliche »ökumenische Schubkraft« (37) bis hin zur Gründung von Taizé entwickeln. Die Berlin-Hermsdorfer Konferenz, die Ende Mai 1934 (genau zeitgleich mit der Ersten Reichsbekenntnissynode in Barmen, was E. unterschlägt!) 24 katholische und evangelische Theologen zusammenführte, wird als »Knotenpunkt zwischen liturgischer Erneuerung und ökumenischer Bewegung« gewürdigt (369).
In Teil 4 (140–181) stellt E. einige »Theologische Grenzgänger« vor. Zu diesen »katholischen Pionieren« der Ökumene zählt er einmal den Bonner Theologieprofessor Arnold Rademacher (1873–1939), dessen Eintreten für die Wiederherstellung der Einheit der Kirchen unter folgender Prämisse stand: Diese wird und kann kein menschliches Werk sein, auch wenn alle Kirchen für die je eigene Erneuerung eine Bringschuld haben, denn »sie ist ganz Gottes Werk, gleichsam ein neues Pfingsten« (143). An zweiter Stelle nennt er den Jesuiten Erich Przywara (1889–1972), dessen seit 1929 geführte Gespräche mit Karl Barth mehrfach schon Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen waren. Beide wollten aber gerade nicht durch eine die Kontroversen verwischende Dialogkultur am Fortgang der Ökumene arbeiten, sondern durch die »Zuspitzung der dogmatischen Differenzen und Herausarbeitung des konfessionell Unterscheidenden« (152). Schließlich hebt E. die nachhaltige Bedeutung hervor, welche die neuen Wege der katholischen Reformationsgeschichtsschreibung und Lutherforschung in den 1930er Jahren für die ökumenische Öffnung der deutschsprachigen katholischen Theologie nach 1945 hatten. Es ist nicht unwichtig, dass die hierfür stehenden Namen von Joseph Lortz (1887–1975) und Adolf Herte (1887–1970) sowohl kritisch in ihrem Verhältnis zum Nationalsozialismus gewürdigt werden (zu Lortz: 155 ff.) als auch die durchweg ablehnende Haltung des deutschen Episkopats zum neuen Lutherbild zur Sprache kommt. So erklärte etwa der Freiburger Erzbischof Conrad Gröber, dass Hertes Werk bei ihm »einen tiefen katholischen Schmerz« hervorgerufen habe und er nicht geneigt sei, den »Urheber der Kirchenspaltung« freizusprechen (162 f.). Ebenso spannend lesen sich die Ausführungen E.s zu der 1932 von Robert Grosche (1888–1967) gegründeten ökumenischen Zeitschrift »Catholica«. Darin fanden lange vernachlässigte kontroverstheologische Fragestellungen »eine auf Verständigung und ehrliche theologische Klärung ausgerichtete Behandlung« (171).
Teil 5 (»Ökumene von unten«, 182–219) hebt die Bedeutung der von dem Priester und Märtyrer Max Josef Metzger {1887–1944]} aus der Meitinger »Christkönigsgesellschaft vom Weißen Kreuz« heraus zu Pfingsten 1939 gegründeten Bruderschaft »Una Sancta« »als eine Bündelung bisheriger ökumenischer Aktivitäten« (186) hervor. Obwohl Metzger stets auf den streng »privaten« Charakter seiner interkonfessionellen Kontakte verwies (193), standen ihm viele Bischöfe kritisch gegenüber und die Bruderschaft geriet nicht nur wegen Metzgers zwar schwer nachweisbarer Kontakte zu Widerstandskreisen rasch ins Visier der NS-Organe.
Teil 6 (»Gemeinsame Abwehrfront gegen das Regime?«, 220–326) vermittelt einen weit gespannten Eindruck von ökumenisch aktiven Personen im Spannungsfeld von NS-Politik und christlichem Widerstand. Dieser reicht von der Vorstellung eines »Unionsplans«, den der als »Nazi-Bischof« bekannte Österreicher Alois Hudal (1885–1963) 1941 Papst Pius XII. vorgelegt und darin seine panslawischen Gedanken auf die »Idee einer völkischen Einigung der germanischen Christen« (226) übertragen hatte, bis zu Untersuchungen zum Weg der Zeitschrift »Der neue Wille«. Diese »Wochenschrift für katholische Deutsche« erschien von 1939 bis 1941 und geriet vor allem wegen der Beiträge des nationalsozialistisch orientierten Hildesheimer Diözesanpriesters Richard Kleine nach 1945 ins Zwielicht. Er wollte sich »nicht nur der braunen Vergangenheit seiner ökumenischen Bemühungen nicht mehr erinnern, sondern ließ sie geradezu in einem neuen Licht erscheinen, indem er sie als Widerstand gegen das System einstufte« (238). Ferner werden die ökumenischen Kontakte des Kreisauer Kreises, Dietrich Bonhoeffers und der sog. Lübecker Märtyrer gewürdigt. Letztere hätten »eine Art praktischer interkonfessioneller Zusammenarbeit vorgelebt«, die nur »unter den Bedingungen eines neuen Gesamtklimas zwischen den Konfessionen« möglich war (324).
Wenn E. allerdings behauptet, dass »Veröffentlichungen zu möglichen Interdependenzen zwischen einer Beteiligung am Widerstand und der ökumenischen Arbeit jener Jahre« »vergebens« gesucht würden (309), scheint er die neuere Bonhoeffer- und Widerstandsforschung nicht zur Kenntnis genommen zu haben. Auch im Blick auf die ökumenische Würdigung und die evangelische Kritik an Plänen zur Seligsprechung des lutherischen Pastors Stellbrink hat er kritische Stimmen wie die des Augenzeugen Stephan Pfürtner u. a. (vgl. MdKI 57 [2006], H. 4) übersehen.
In Teil 7 (»Institutionalisierung des Erreichten«, 327–368) werden die Lebensbilder des Tübinger Theologieprofessors und späteren Paderborner Dompropstes Paul Simon (1882–1946) und des seit 1941 amtierenden Paderborner Erzbischofs Lorenz Jaeger (1892–1975) präsentiert. Simon, »ein irenischer, abwägender, nachdenklicher Mensch« konnte aufgrund seiner Herkunft aus einem gemischtkonfessionellen Elternhaus und seiner umfassenden Bildung leichter als andere Zeitgenossen den Dialog mit evangelischen Theo­logen führen. Seine Wahl zum Rektor der »evangelisch ge­prägten Universität Tübingen« hält E. für einen Beweis seiner vielen Belege. Die neuen Wege der Ökumene, die als Konsequenz der bitteren Erfahrungen durch die Französische Revolution mit der »geistigen Auseinandersetzung mit der Zeit« einhergehen müssten, wertet Simon als die »Überlebensfrage der Kirche« (334). Damit fand er schon während des Krieges Zustimmung und Unterstützung durch Jaeger. Ihm gelang es daher in einem mühsamen Prozess als dem ersten »Ökumene-Bischof« der Fuldaer Bischofskonferenz, die Entwicklung in Deutschland entscheidend mitzube­stim­men und dazu beizutragen, »das Begonnene für die Weltkirche fruchtbar zu machen« (337 f.).
Es ist E. zuzustimmen, wenn er als »Ertrag« (Teil 8, 369–377) seiner Quellenstudien festhält, dass die »nationalsozialistische Kirchenverfolgung« letztlich »zum entscheidend begünstigenden Faktor« der evangelisch-katholischen Annäherung wurde. Ob dies allerdings in einem Gegensatz zum Söderblomschen Humanis­mus, »der die Ökumenische Bewegung bis dahin geprägt hatte« (369) zu sehen ist, muss allein aus konfessionskundlicher Sicht in­frage gestellt werden.
Der wissenschaftliche Wert dieser Untersuchung wird leider dadurch ge­schmälert, dass die evangelische Zeitgeschichte und Konfessionskunde eine Reihe vermeidbarer Fehler aufweist, die als Corrigenda genannt werden müssen: Bei der Liste der »denominationellen Weltvereinigungen« (18) fehlen nicht nur der Reformierte Weltbund (1877), sondern auch die Vereinigungen der Methodisten (1881), Baptisten (1905) u. a. In den 1920er Jahren standen sich in Deutschland eben nicht »nur zwei Konfessionen« gegenüber (24), sondern neben römischen Katholiken und Lutheranern die Reformierten und Unierten. Letztere sind auch bei »Barmen« unterschlagen und die darunter verstandene »Theologische Erklärung« war nicht die »Geburtstunde der Bekennenden Kirche« (24) und gilt bis heute (leider) nicht als lutherisches Bekenntnis (25).