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Ausgabe:

Juni/2010

Spalte:

740-742

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Krückeberg, Siegfried

Titel/Untertitel:

Die Hörfunkarbeit evangelischer Kirchen in Europa zu Beginn des 21. Jahrhunderts.

Verlag:

Erlangen: Christliche Publizistik 2008. 368 S. m. Tab. kl.8° = Studien zur christlichen Publizistik, 16. Kart. EUR 24,00. ISBN 978-3-933992-17-8.

Rezensent:

Matthias Bernstorf

Wer vermutet, die Habilitationsschrift von Siegfried Krückeberg widme sich einem in seiner Abseitigkeit schon wieder bemerkenswerten Nischen-Thema, wird sich nach der Lektüre dieses umfassenden Forschungsberichts auf beunruhigende Weise bestätigt sehen. Denn K. überrascht seine Leser durch folgendes Paradox: In der Tat spielt die radiophone Kommunikation des Evangeliums in der homiletischen Diskussion eine verschwindend geringe Rolle; sie gilt als Fall für Spezialisten, etwa wie ein seltener Kieferbruch, den man besser in der Uni-Klinik therapieren lässt. Tatsächlich stellen die kirchlichen Radiosendungen jedoch das aktuellste und reichweitenstärkste Medium dar, das die Evangelische Kirche in Deutschland besitzt. Ihre Radio- und Fernsehsendungen erreichen Tag für Tag Millionen von Menschen. Innerkirchlich und praktisch-theologisch weiß die Kirche ihre eigene Präsenz in den Massenmedien jedoch kaum zu schätzen, bilanziert K. Um ein biblisches Bild zu bemühen: Die evangelische Kirche gleicht einem Menschen, der täglich in einem trüben Tümpel fischt, angesichts der geringen Ausbeute ratlos nach Hause trottet und nicht weiß, dass er Besitzer einer europäischen Hochseeflotte ist, die täglich aufs Meer hinaus fährt, um in vielversprechenden Fischgründen Beute zu machen.
Man muss kein Medienspezialist sein, um an K.s Darstellung der kirchlichen Medienlandschaft Europas Gefallen zu finden. Wer sich jemals gefragt hat, warum das evangelische Zentralmedium, die Predigt, in deutschen Gottesdiensten so langweilig klingt, wird lesenswerte Antworten finden. Was die ökumenische Perspektive anbelangt, bietet K.s Habilitationsschrift mehr, als ihr rein evangelischer Titel verspricht. Die Rundfunkarbeit der katholischen und orthodoxen Kirche ist genuines Element jedes Kapitels und mit Blick auf ihren Anteil an den politischen Befreiungsbewegungen in Europa auch Quelle der Inspiration, so K. Es handelt sich daher um eine theologische Analyse, die sich dem Prädikat »christliche Publizistik« ähnlich umfassend verpflichtet weiß wie die Erlanger Reihe, in der sie veröffentlicht wird.
Die Methodik vertraut der Gewissenhaftigkeit, mit der über 100 befragte evangelische Kirchen in Europa K.s stichhaltig konzipierten Fragebogen beantwortet haben. Die gesichtete Literatur ist nicht brandneu, was dadurch zu verschmerzen ist, dass die Ausgangshypothesen nach wie vor tragfähig sind. Warum K. den Verkündigungsbegriff einerseits kritisch reflektiert, andererseits im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeit beibehält, überlässt er dem Scharfsinn seiner Leser.
Formal gliedert sich die Synopse der praktisch-theologischen Hörfunkarbeit evangelischer Kirchen in Europa in fünf Teile: historischer Abriss, Überblick über gegenwärtige Aktivitäten, Schwerpunkte und länderspezifische Fragehorizonte in der medialen Kommunikation des Evangeliums. An exponierter Stelle: eine theologische Reflexion zur Bedeutung der Region für das Lebensgefühl und das Hörverhalten der rund 725 Millionen Europäer. Ein interessantes Resultat dieses Forschungsansatzes liegt in der Erkenntnis, dass es in anderen europäischen Ländern um die Qualität der evangelischen Predigt nicht viel besser bestellt ist, gleichzeitig aber kirchliche Radiosendungen auch in solchen Ländern fester Bestandteil des Programms sind, in denen die Sender – anders als in Deutschland – zur Ausstrahlung solcher Sendungen gar nicht verpflichtet sind. Auf europäischer Ebene diagnostiziert K. daher folgende Dichotomie: Einerseits besteht seitens der Hörerinnen und Hörer ein signifikantes Interesse an Sendungen mit religiösen Inhalten, auf das nahezu alle europäischen Radio- und Fernsehsender mit entsprechenden Sendezeiten eingehen. Andererseits lässt sich europaweit das Problem konstatieren, dass Geistliche ohne mediales Training diese im Grunde begrüßenswerte Erwartungshaltung der Radiohörer gegenüber »… Unterhaltung, Bildung und Kultur« (257) in der evangelischen Predigt so weit unterschreiten, dass die evangelischen Kirchen eigene Fachleute delegieren, um im Vorfeld für sendefähige Qualität zu sorgen. Gottes Wort lebensnah, allgemein verständlich und ermutigend für eine großen Zahl von kirchenfernen Menschen auf den Punkt zu bringen, das beherrschen praktizierende Theologen nicht mehr per se, konstatiert die Studie.
Die Abbildung dieser gesamteuropäischen Problemlage ist K. so gut gelungen, dass sie ein heimliches Ziel seiner Forschungsarbeit wieder zunichte macht: die Konkurrenz zwischen Kirche und Medien zu entschärfen. Nicht ihre Botschaft an sich, sondern ihre kulturell abständige und einfallslose Sprache erweist sich im Radio als eigentliches Problem der evangelischen Predigt, nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern, wie K. differenziert. Und solange Moderatoren eine ureigene Stärke der evangelischen Kirche besser beherrschen als sie selbst, nämlich schwierige Sachverhalte mit einfachen Worten auf originelle und nützliche Weise breitenwirksam zu erklären, so lange muss die evangelische Kirche die Massenmedien zu Recht als Konkurrenz fürchten, so meine von K. abweichende Einschätzung.
K. skizziert jedoch nicht nur paneuropäische Probleme in der medialen Kommunikation des Evangeliums, sondern zeigt auch, worin praktische Lösungsversuche z. B. in den Niederlanden, Portugal und in Großbritannien übereinstimmen. Was so verstanden eine lebendige und erfolgreiche Kommunikation des Evangeliums ausmacht, sei an dieser Stelle ebenso der persönlichen Lektüre empfohlen wie sein ermutigendes Fazit. Große europäische Sendeanstalten wie die BBC entdecken in religiösen Sendungen einen wichtigen Faktor der interkulturellen Integration. Auf dieser Ebene wünschen sie sich eine intensivere Zusammenarbeit mit den christlichen Kirchen Europas, gemäß der Maxime: »Frage nicht, was das Programm für dich tun kann, sondern frage, was du zu einem guten Programm beitragen kannst!«