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Ausgabe:

Juni/2010

Spalte:

725-727

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Johnson, Kristin Deede

Titel/Untertitel:

Theology, Political Theory, and Pluralism. Beyond Tolerance and Difference.

Verlag:

Cambridge: Cam­-bridge University Press 2007. XII, 276 S. gr.8° = Cambridge Studies in Christian Doctrine, 15. Geb. £ 55,00. ISBN 978-0-521-87003-0.

Rezensent:

Michael Coors

Das lesenswerte und gut geschriebene Buch von Kristin Deede Johnson beschäftigt sich von der ersten bis zur letzten Seite mit einer Frage: »How do we live together in the midst of our differ­ences?« (1) Eine überaus kritische und gerade darin gelungene Auseinandersetzung mit Rawls Konzept des politischen Liberalismus bildet dabei nur den Auftakt. J. zeigt, dass die Schwäche von Rawls in seiner starken Betonung der herzustellenden Einheit, im Vorrang der Universalität vor der Partikularität liegt (66). Der von ihm angestrebte overlapping consensus lässt aufgrund seiner klaren inhaltlichen Bestimmtheit wenig Raum für einen echten politischen Diskurs (64). Darin besteht nach J. die Intoleranz dieses Liberalismus. Darum stellt sie Rawls (und Rorty) eine Reihe von sehr viel radikaleren Denkern des Pluralismus gegenüber: Chantal Mouffe und William E. Conolly stehen exemplarisch für eine Tradition des politischen Denkens, in der die Differenz den Vorrang vor der Einheit hat. Der gemeinsame inhaltliche Nenner dieser Strömung politischer Theorie besteht u. a. in einer Re-Ontologisierung der politischen Theorie, die sich kritisch gegen den Anspruch der Ontologielosigkeit der liberalen politischen Philosophie wendet (83 ff.).
Dabei wäre allerdings etwas mehr Vorsicht gegenüber dem in­haltsreichen Begriff der Ontologie angebracht, als ihn J. und ihre Referenztexte zeigen: Es scheint damit doch nicht mehr gemeint zu sein, als dass der Pluralismus nicht nur ein Pluralismus der Deutungen ist, sondern dass er tiefer reicht, von sog. ontologischer Tiefe ist. Damit ist dann aber mitnichten an die Tradition aristotelischer Ontologie angeknüpft, sondern der Monismus dieser Ontologietradition wird – bei Connolly z. B. in Anknüpfung an William James’ Rede vom pluralistischen Universum – radikal infrage gestellt. Es geht also um die provokante Rückbindung der politischen Theorie an die Wirklichkeit als einer irreduzibel pluralen Wirklichkeit. Dafür den inhaltsgesättigten Begriff der Ontologie zu bemühen, ist zumindest irritierend, wenn nicht gar irreführend. In der Radikalität ihrer Wahrnehmung des Pluralismus übertreffen diese Positionen freilich den Liberalismus an analytischer Schärfe. Das Problem einer vorschnellen Ausgrenzung bestimmter Überzeugungen tritt nicht ein, weil gerade vom Randständigen und vom Konflikt (Agonalität) her gedacht wird (86 ff.).
Schwierigkeiten treten bei diesen Positionen nach J. allerdings dort auf, wo positiv gesagt werden soll, wie Gesellschaft zu gestalten ist: Wie ist die hier geforderte kritische Responsivität (105 f.) dann überhaupt noch zu begründen? Dieses Problem wird exemplarisch an der für alle Pluralismustheorien zentralen Frage deutlich: »How does one adjucate between differences that are welcome and those that are detrimental or harmful?« (131) Dass die einseitige Entgegensetzung von Einheit und Differenz, von Solidarität und Diversität im Werk von Connolly (124) ganz gegen dessen Intention auf eine recht hoffnungslose Ontologie der Gewalt hinausläuft (138), zeigt J. in überzeugender Weise. Demgegenüber fragt sie zu Recht, ob der Bedarf an Ausgleich und Harmonisierung zwischen differenten Positionen einfach verschwindet, nur weil er angesichts solch radikaler Pluralität nicht mehr erschwinglich erscheint (126).
Im Anschluss an Connolly, aber insbesondere auch an die Bewegung der Radical Orthodoxy (insbesondere John Milbank) sowie die Arbeiten von Oliver O’Donovan wendet sich J. darum Augustins De Civitate Dei zu, um nach einem Weg jenseits von liberalem Toleranzdenken und radikaler Differenztheorie zu fragen. Gegenüber den Differenztheorien werden so Frieden, Harmonie und Ordnung als fundamentale Größen betont (144), die im Konzept der civitas Dei sowohl schöpfungstheologisch (145 f.) als auch eschatologisch (166 ff.) entfaltet und zur Darstellung gebracht werden. Daraus, dass wir jenseits der Schöpfung und diesseits des Eschaton in der civitas terrena leben, folgt schöpfungstheologisch bei Augustin die Begründung staatlicher Ordnung zum Zweck des bestmöglichen Erhalts der Schöpfungsordnung (148). Eschatologisch gilt, dass es diesseits des Eschaton nur unvollkommenen Frieden, nur den Kompromiss zwischen Menschen geben kann (167). Die himmlische Stadt wird nicht auf der Erde und nicht durch Menschen erbaut, noch wird einfach die irdische in die himmlische verwandelt (168). Die Einheit der Gesellschaft, so ließe sich bilanzieren, ist immer »nur« eine eschatologische. Die Wirklichkeit, in der wir le­ben – diesseits des Eschaton –, bleibt irreduzibel pluralistisch (18 0f.): Aber diese Wirklichkeit nimmt der christliche Glaube eben immer schon unter der Perspektive der von Gott verheißenen Einheit wahr. In dieser Perspektive kommt Differenz als doppeldeutiges Phänomen in den Blick: Es gibt negative Differenzen der Sünde und positive Differenzen als Zeichen der überfließenden Gnade Gottes (183).
Von dieser theologischen Wirklichkeitsdeutung Augustins ausgehend entwirft J. das Konzept einer Theologie des öffentlichen Gesprächs (»theology of public conversation«). Dabei grenzt sie sich kritisch von der liberalen Konstruktion der Unterscheidung zwischen den Bereichen des Privaten und des Öffentlichen (59) ab und fordert eine Rekonfiguration ebendieser Unterscheidung (239). Auch dazu findet sie die Grundlagen bei Augustin, der den Begriff der Öffentlichkeit theologisch redefiniere: Die wahre Öffentlichkeit sei die der civitas Dei (222 f.). Dabei grenzt J. sich allerdings von Milbanks These, dass allein das Christentum es erlaube, Universalität und Differenz zusammenzudenken, ab (185). Es geht ihr vielmehr um die Frage, wie die Theologie das Ihre sagen kann, ohne in eine theokratische Theorie der Gesellschaft abzugleiten. J.s Antwort darauf ist ein dialogisches Modell der Gesellschaft, das in der eschatologischen Hoffnung des Glaubens gründet: We »can hope for a society in which genuine conversation is possible« (198). Die Gegenwartsbedeutung dieser eschatologischen Hoffnung realisiert sich in der Kirche als Ort der Gegenwart des Geistes, in der sich die civitas Dei, wenn auch nur bruchstückhaft, schon realisiert. Gegenüber dieser problematischen ekklesiologischen Engführung, die aus der Radical Orthodoxy nur zu bekannt ist, sei hier kritisch angefragt, ob damit nicht das kritische Potential der eschatologischen Erwartung der civitas Dei unterschätzt wird: Hat diese Er­wartung nicht auch der Kirche gegenüber eine kritische Funktion, weil sie diese in eine eschatologische Spannung stellt? Mit der Gesellschaft steht die Kirche in der Erwartung der vollkommenen Gesellschaft der civitas Dei und steht ihr als Zeugin der kommenden civitas Dei doch zugleich kritisch gegenüber. Dann aber lässt sich das Gegenüber von civitas Dei und Gesellschaft nicht einfach im Gegenüber von Kirche und Gesellschaft abbilden.
Gesellschaftspolitisch zielt J. auf eine Pluralität überlappender Öffentlichkeiten, zwischen denen Gespräche stattfinden (225.238), die anders als im Liberalismus gerade davon leben, dass die Gesprächspartner sich ganz der Partikularität des Anderen aussetzen (232). Offen bleibt am Ende, welchen Status diese sehr interessanten Überlegungen haben: Wird hier ein gesellschaftspolitisches Ziel formuliert? Oder geht es um eine Rekonstruktion der Perspektive des Glaubens auf die Gesellschaft? Und was folgt daraus? Doch dass sich an J.s Buch eine Reihe von weiterführenden Fragen anschließt, spricht nur für die Qualität ihrer Arbeit.