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Ausgabe:

Juni/2010

Spalte:

718-720

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Piola, Alberto

Titel/Untertitel:

Donna e sacerdozio. Indagine storico-teologica degli aspetti antropologici dell’ordinazione delle donne.

Verlag:

Cantalupa: Effatà 2006. 719 S. gr.8° = Studia taurinensia, 18. Kart. EUR 38,00. ISBN 88-7402-259-X.

Rezensent:

Stefan Tobler

Kann man noch theologisch Neues zur Debatte bezüglich Frauen­ordination beitragen? Diese Dissertation von 2004 an der Gregoriana hat einen solchen Anspruch nicht, denn zu gut kennt Alberto Piola, was alles schon geschrieben wurde. Es ist ein wahrhaft enzyklopädisches Werk, das 2000 Jahre Kirchengeschichte um­spannt. Die Ausführlichkeit der bibliographischen Angaben entspricht TRE-Artikeln: Zu jedem Unterthema, jeder geschichtlichen Epoche und jeder Nuance der Debatte finden sich oft seitenlange Fußnoten mit Literaturhinweisen. Die Wiedergabe langer lateinischer Zitate verstärkt den Charakter eines Kompendiums. P. berücksichtigt fünf Sprachgebiete gleichermaßen: Englisch, Deutsch, Fran­-zösisch, Spanisch, Italienisch. Damit ist dieses Buch eine beeindruckende Fundgrube zu allen Verästelungen der Diskussion im katholischen Raum.
Der kurze erste Teil präsentiert die Aussagen des Lehramtes. Ausgehend von dem, was P. »die definitive Antwort« nennt (das Apostolische Schreiben Ordinatio sacerdotalis [OS] von Johannes Paul II von 1994), fragt er zurück nach altkirchlichen Lehraussagen, wonach – mit Ausnahme weniger indirekter Hinweise im Mittelalter – bis ins 20. Jh. katholischerseits ein »langes Schweigen« gefolgt sei (59 f.), das erst mit der Erklärung der Glaubenskongregation Inter insigniores von 1976 unter Paul VI. gebrochen wurde. Der Hauptteil der Arbeit widmet sich dem Thema, das im Untertitel präzisiert wird: »historisch-theologische Untersuchung zu den anthropologischen Aspekten der Frauenordination«. Die theologischen Meinungen in der Alten Kirche (111–192), im Mittelalter (193–312), in der Neuzeit (317–386) und nach dem Zweiten Vatikanum (387–568) werden bis in die entlegensten Fundorte hinein ausgeleuchtet. Die Literaturliste (90 Seiten) und ein Namenregister schließen den Band ab.
An der Entscheidung, so P., gebe es nichts mehr zu rütteln: Das liege bereits in der Formulierung definitive tenendam in OS, und das werde auch durch die danach heftig geführte Debatte nicht berührt, inwieweit der Erklärung der Charakter der Unfehlbarkeit zukommt (wie es eine interpretierende »Antwort auf einen Zweifel« der Glaubenskongregation von 1995 suggeriert; vgl. 35–41 und 511 f.). Dabei sei zwischen zwei Gruppen von Gründen zu unterscheiden: lehrmäßig ausschlaggebende Argumente einerseits (wozu nach OS drei gehören: dass Jesus nur Männer in den Kreis der zwölf Apostel berufen hat, dass es um eine ununterbrochene Tradition der Kirche geht und dass das Lehramt darin immer eindeutig war, 103), Ausführungen aufgrund der theologischen Anthropologie andererseits (die OS vermeidet, aber in Inter insigniores enthalten sind).
Diese letzteren sind Thema des Hauptteiles. Bei den Kirchenvätern war das Thema oft von der Auseinandersetzung mit Häresien geprägt. Von einer Frau im Priesteramt sei zwar nirgends die Rede, aber in Bezug auf andere Rollen (152–166) und in der theologischen Argumentation sei die Lage uneinheitlich. Jedenfalls könne man nicht sagen, dass die teils kulturell bedingte, teils mit biblischen Stellen begründete Unterordnung der Frau das bestimmende Argument gewesen sei, um Frauen vom Priesteramt auszuschließen (189–192). Das damit zusammenhängende Urteil P.s, dass es sich in der Alten Kirche um eine »fraglose allgemeine Praxis« gehandelt habe, »weil sich das Problem des Priesteramtes für die Frau gar nicht stellte« (190), dürfte aber die Sache allzu sehr vereinfachen.
Erst das Mittelalter gehe einen Schritt weiter zu oft eindeutig frauenfeindlichen und abwertenden Aussagen, die dann als eigentliche Begründung für den Ausschluss der Frau dienten und bis in die Neuzeit hinein prägend blieben; P. bringt viele einschlägige Belege. Interessant können aber indirekte Rückschlüsse sein: Wenn in einem Dekret von 1210 spanischen Äbtissinnen verboten wird, Beichte zu hören, öffentlich zu predigen und zu segnen (211 f.), lässt das ja auf eine entsprechende Praxis schließen – und darauf, dass die Frauenordination (entgegen der Behauptung von P.: 193) schon damals ein pastorales Problem war.
Die Argumentationsweise hat sich nach 1960 stark verändert. Während in den Handbüchern vor dem Zweiten Vatikanum biblische Texte zur Subordination der Frau (besonders 1Kor 14 und 1Tim 2) eine zentrale Rolle spielten, verschwindet der Bezug darauf nachher fast völlig (565); dies gilt auch für OS und viele andere Texte von Johannes Paul II. Welche anderen Erklärungsstrategien bieten sich angesichts der einschneidenden kulturellen Veränderungen im 20. Jh. an? Mehrfach diskutiert das Buch entsprechende Ansätze (und deren Widerlegungen), die sich in vier Themenbereiche zusam­menfassen lassen: Der Priester, der sein Amt in persona Christi ausübt, repräsentiert Christus, der ein Mann war; das männliche Geschlecht Christi und des Priesters ist nicht einfach kulturgebunden, sondern ist Teil von Gottes Heilsgeschichte; in der Brautsymbolik ist der Priester Bräutigam, die Kirche Braut; die Geschlechterdifferenz ist keine Frage der Unterordnung, hat aber eine Bedeutung und soll sich in unterschiedlichen Rollen widerspiegeln (z. B. 451–463).
Das ganze Buch steht unter der (allerdings entscheidenden) Einschränkung, die auf den ersten Seiten ausgedrückt wird, nämlich dass die theologischen Argumentationen keine direkte Relevanz mehr haben, weil die Sache schon entschieden ist. Es ist die epische Nacherzählung eines Schauspiels, bei dem die Vorhänge bereits gefallen sind. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf das Ja oder Nein zur Frauenordination, sondern auch im Hinblick auf die Frage, welche Argumente für das Nein den Ausschlag geben und welche nur der theologischen Erläuterung dienen. Gerade die anthropologischen Aspekte, die das zentrale Thema der Arbeit darstellen, sind diejenigen, die (nach P. und den jüngsten Aussagen des katholischen Lehramtes) nicht entscheidend sein dürfen. Aus diesem Grund kann er umstrittene Positionen ausführlich präsentieren, ohne gezwungen zu sein, Stellung zu beziehen und daraus eventuelle Konsequenzen zu ziehen. Dafür kann sich P. ganz dem Detail widmen, wobei feinste Nuancen der Debatte unterschieden und geordnet werden. Er präsentiert oft entgegengesetzte Meinungen und versucht, deren Gewicht und Überzeugungskraft zu bewerten; er kritisiert die theologische Schwäche auch bei Positionen, die der seinen grundsätzlich entsprechen (vgl. zu Johannes Paul II.: 484 f., zu von Balthasar: 493, zu Manfred Hauke: 498 f.), und anerkennt Stärken bei den Kritikern. Einen gewissen quantitativen Vorrang räumt er allerdings den Stellungnahmen ein, die die offizielle Lehrmeinung verteidigen. Dabei verschweigt er nicht, dass dies die Minderheit der publizierten theologischen Äußerungen der letzten Jahrzehnte ist, aber er möchte sie auch darum hervorheben, weil sie argumentativ einen schweren Stand haben.
Abschließend anerkennt P., dass die anthropologischen Erklärungsversuche für das Nein der katholischen Kirche zur Frauenordination ambivalent bleiben, vor allem wo sie versuchen, dieses mit der Geschlechterdifferenz zu verbinden: »Man kann daher wohl nicht behaupten … dass die katholischen Theologen eine konsensfähige Ausdrucksweise für die christliche Perspektive auf die menschliche Zweigeschlechtlichkeit gefunden hätten« (582). Eine theologische Anthropologie, die den neuen Erkenntnissen in den Humanwissenschaften und den gesellschaftlichen Umbrüchen Rechnung trägt, ohne die Position des katholischen Lehramtes zur Frauenordination infrage zu stellen, bleibt nach P. ein uneingelöstes Desiderat.