Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/1999

Spalte:

221 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Wille, Bernd

Titel/Untertitel:

Ontologie und Ethik bei Hans Jonas.

Verlag:

Dettelbach: Röll 1996. 272 S. 8 = Philosophische Brocken, 3. ISBN 3-927522-54-6.

Rezensent:

Werner Brändle

1. Der 1979 von Hans Jonas vorgelegte Entwurf einer philosophisch begründeten Verantwortungsethik im Sinne einer ’Wert’-Verantwortung ist derzeit - trotz des vielbeklagten ’Wertevakuums’- etwas in den Hintergrund geraten. Die jetzt erschienene Abhandlung von B. Wille, die 1996 von der Würzburger Philosophischen Fakultät als Dissertation angenommen wurde, möchte nicht nur dieses Vergessen aufheben, sondern auch den ontologischen Begründungszusammenhang der Ethik Jonas’ systematisch rekonstruieren, - mehr noch: den Nachweis führen, "daß es erkenntnistheoretisch und wertphilosophisch legitim [sic!] und möglich ist, angesichts der Natur Werturteile zu fällen- ohne den naturalistischen Fehlschluß zu begehen" (21 f.).

2. Die von W. gewählte Vorgehensweise verspricht zunächst, dem gesteckten Ziel gerecht zu werden. W. setzt nicht mit einer Problemskizze von Jonas’ Hauptwerk ’Das Prinzip Verantwortung’ ein, sondern geht von einer "organischen Einheit in Jonas’ gesamtem Schrifttum" (11) aus, d. h. er zeichnet in seinem er sten Teil die ontologischen bzw. naturphilosophischen Voraussetzungen des philosophischen Denkens Jonas’ nach. Neben dem historisch-genealogischen Aspekt des Ontologieverständnisses von Jonas betont er dabei vor allem die Nähe zum teleologischen Denken Aristoteles’ und bemüht sich, die Verwendung der Begriffe Kausalität, Organismus und Freiheit bei Jonas zu erhellen. W. kommt für diesen Teil seiner Untersuchung zum Ergebnis, daß die Ethik Jonas’ als Teil seiner Philosophie der Natur zu verstehen sei bzw. "daß die Erkenntnistheorie letztlich in der Ontologie begründet sein muß, deren Fakten sie in ihren Prinzipien gerechtzuwerden hat" (96).

Der zweite und umfangreichste Teil der Arbeit versucht die ’ontologische Begründung der Ethik Jonas’ plausibel zu machen, d. h. das sogenannte Humesche Gesetz - es ist analytisch unzulässig, von Ist-Aussagen zu Soll-Aussagen überzugehen - zu widerlegen. Im Mittelpunkt steht dabei verständlicherweise die Auseinandersetzung mit Kants Transzendentalphilosophie. "Dem transzendentalen Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur bei Kant steht das ontologische Prinzip der Zweckhaftigkeit aller Naturwesen gegenüber" (14). Das Wahrheitskriterium für den objektiv sittlichen Wert dieser ’ontologischen Zweckhaftigkeit’ sieht W. mit Jonas in einer "intuitiven Gewißheit" (203). Was die Naturgeschichte dem ’zweckhaftesten Wesen Mensch’ übereignet hat, muß von diesem aufgrund seiner sittlichen Freiheit auch verantwortet werden.

Im letzten Teil - Theorie der Verantwortung - wird dieses Prinzip anhand der vorgegebenen Begriffe und Paradigmen bei Jonas expliziert und zusammengefaßt. W. legt dabei den Akzent auf die Begriffe Totalität, Kontinuität und Zukunft. Das Ergebnis heißt: "Da Verantwortung selbst eine Tatsächlichkeit ist, die sich auf die Möglichkeit der Wertsteigerung bezieht, ist ihr Sollen nicht ein analytischer Schluß aus faktischer Deskription, sondern ein synthetischer Schluß, vermittelt durch eine teleologische Projektion" (258).

3. W. hat mit seiner anspruchsvoll konzipierten Untersuchung das Verdienst, das philosophiegeschichtliche Umfeld der ontologischen Ethik Jonas’ offengelegt zu haben; dabei wird besonders auch dessen geschichtsphilosophische und spekulative Dimension deutlich herausgearbeitet. Als m. E. gravierende Mängel der Arbeit - nicht zuletzt aufgrund der hochgesteckten Ziele - müssen genannt werden: Plausibilität der Argumente kann nicht durch ständige Paraphrasierung, sondern nur durch Erörterung erreicht werden; gegen Kant zu argumentieren ist kein Sakrileg, nur sollte es - wenigstens an entscheidenden Stellen - im Kontext gegenwärtiger Kant-Kritik geschehen; eine eingehende Auseinandersetzung mit der Rezeptionsgeschichte Jonas’ wäre notwendig. Und: Wenn Verantwortung als anthropologisches Universale ganz im Sinne Jonas’ so stark gemacht wird, wäre die Stärke (und Grenze) dieses ’Prinzips’ durch einen kleinen Exkurs zu ihrem Gegenpol - dem Bösen - m. E. sicher eindrucksvoll demonstriert worden.