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Ausgabe:

Juni/2010

Spalte:

712-714

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Winter, Friedrich

Titel/Untertitel:

Bischof Karl von Scheven (1882–1954). Ein pommersches Pfarrerleben in vier Zeiten. M. e. Vorwort v. H.-J. Abromeit.

Verlag:

Berlin: Wichern-Verlag 2009. 272 S. m. Abb. 8°. Kart. EUR 19,80. ISBN 978-3-88981-281-0.

Rezensent:

Gert Haendler

Karl von Scheven wuchs als Pastorensohn in einem pommerschen Dorf auf, das heute zu Polen gehört. Er studierte Theologie in Halle, Berlin und Greifswald. Im Verein deutscher Studenten wurden Otto Dibelius und Niclot Beste seine Duz-Freunde, die 1946 als Bischöfe bei seiner Bischofseinführung mitwirkten (Fotos, 176). Nach dem 2. Examen 1907 wirkte er als Hilfsprediger an der Auslandsgemeinde in Cannes und der Stadtmission Berlin. Kapitel IV »Der Pfarrer auf dem Lande – und unterwegs (1911–28)« zeigt ihn als »Landpfarrer, der mit seinen Bauern die gleiche Scholle bearbeitete« (40). 1914 sah er bei Kriegsausbruch »keineswegs nur Begeisterung«. Er wurde als Lazarettpfarrer und Garnisonspfarrer herangezogen und setzte sich ein im Kirchlich-sozialen Kongress sowie bei der Arbeit für Elternhaus und Schule. 1922 berief ihn das pommersche Konsistorium zum »theologischen Hilfsarbeiter«. Er war bekannt als »ruhiger und konservativer, manchmal auch etwas biederer Theologe« (54).
Für Kapitel V »Pastor und Superintendent in Greifswald (ab 1928)« ist das Gemeindeblatt für den Kirchenkreis mit den Beilagen der drei Greifswalder Kirchen eine »Fundgrube erster Klasse« (58). Von der Theologischen Fakultät standen ihm Eduard von der Goltz, Rudolf Hermann und Kurt Deißner nahe. »Es dürfte kaum an einer anderen deutschen Fakultät so enge Verbindungen zu den Kirchengemeinden gegeben haben« (73). Kapitel VI »Der Bekenner im Kirchenkampf (1933–1935)« stellt fest, dass man sich 1930 gegen die linke Gottlosenbewegung wehrte. Aber im Frühjahr 1933 marschierten Nazigruppen in Uniform geschlossen zum Gottesdienst, was man von Kriegervereinen gewohnt war. Das Gemeindeblatt ging auf Distanz: im April Karl von Scheven, im Mai Rudolf Hermann. Beide standen der Jungreformatorischen Bewegung nahe, die sich »gegen den neuen Zeitgeist und die Deutschen Christen stemmte« (81).
Den Wahlsieg der DC in Pommern im Juli 1933 verhinderte von Scheven in Greifswald durch Aufstellung einer Einheitsliste mit den Deutschen Christen (DC) als Minderheit. Mehrere Superintendenten wurden aus dem Amt gedrängt, von Scheven blieb und trat dem Pfarrernotbund bei. Ein Protest von 350 Christen gegen die DC am 14. Januar 1934 war die Geburtsstunde der Bekennenden Kirche (BK) in Greifswald (91). Von Scheven schlug Rudolf Hermann als Delegierten für die BK-Synoden in Barmen und Dahlem vor. Hermann hat diesen BK-Beschlüssen zugestimmt, wollte aber keine Lösung von der Evangelischen Volkskirche, auch nicht vom Konsistorium (97). Für den Besuch des Finkenwalder Seminars mit Dietrich Bonhoeffer im Juni 1935 stellte von Scheven Räume zur Verfügung, beteiligte sich aber nicht.
Kapitel VII »Der Vorsitzende im Provinzialkirchenausschuss (1935–37)« geht von der Befriedungsaktion des Kirchenministers aus. Karl von Scheven übernahm den Vorsitz des Provinzialkirchenausschusses (PKA) als »Notregiment für eine Übergangszeit«. Er war »im Vergleich zu anderen Provinzialkirchen ausnehmend erfolgreich« (109). Mehrfach beschwerten sich die DC. Das theologische Prüfungsamt wurde neu besetzt, die Greifswalder Fakultät wirkte mit. Rundbriefe zeigen, »wie sehr sich von Scheven auf der Linie der BK bewegte«. Zum 1. Mai sollten Kirchenglocken nicht läuten, ein Buch des Reichsbischofs Müller nannte er »platte Morallehre«. Mit Rudolf Hermann sah er jedoch eine Gefahr der Bekennenden Kirche darin, »sich an die Stelle des Herrn setzen zu wollen« (114). Auf Konferenzen waren »etwas über 80 % der Pfarrer zur Zusammenarbeit mit den Kirchenausschüssen geneigt« (115). Eine BK-Synode in Stettin im Herbst 1936 lehnte jedoch mehrheitlich eine Zusammenarbeit ab. Im September 1937 endete der PKA, von Scheven war wieder nur Superintendent in Greifswald. Er hatte sich auch im PKA stets als Mitglied der BK verstanden (123).
Kapitel VIII »Der Pastor vor und in dem Zweiten Weltkrieg« berichtet von seinen Protesten gegen Schikanen der Nazis. Den verhafteten Wieker Pfarrer Gottfried Holtz, den späteren Professor in Rostock, bekam er schnell wieder frei. Ohne Aufklärung blieben eingeschlagene Fensterscheiben von Kirchen. Einschränkungen der Diakonie konnte er zum Teil begrenzen. Lesungen hielten Rudolf Alexander Schröder, Hermann Claudius und Hanna Stephan. Auslandsbischof Theodor Heckel sprach 1942 über »Hölderlin und das Christentum« sowie »Volk und Kirche in Finnland«. Im Kirchlichen Amtsblatt vom 18.10.1941 nennt eine Anzeige sieben gefallene Pastoren, davon fünf Offiziere (138). An der Fakultät studierten noch vier Theologen, der Superintendent hörte Lohmeyers Vorlesung über die Gleichnisse Jesu. Flüchtlinge brachten Probleme, zumal die Zahl der Beerdigungen stieg an. Gottfried Holtz informierte seinen Superintendenten über Pläne einer Gruppe für eine kampflose Übergabe Greifswalds, die dieser guthieß, ohne sich der Gruppe jedoch anzuschließen.
Kapitel IX »Elementarer Neubeginn (1945/46)« zitiert aus einer Predigt vom 10. Mai 1945: »Wer das Ziel will, muss den Weg gehen, treuer, tapferer als bisher … dass wir nicht klagen, sondern uns an die eigene Brust schlagen, anfassen, was vor uns liegt, arbeiten und nicht verzweifeln, glauben und hoffen« (154). Pastoren aus den Ostgebieten waren einzustellen. Für das aus Stettin vertriebene Konsistorium erwirkte von Scheven als Arbeitsplatz das einstige Wehrbezirkskommando. Die Reste der altpreußischen Kirche in der sowjetischen Zone blieben zusammen. In der »Geburtsstunde einer selbständigen pommerschen Landeskirche« am 2. Oktober 1945 wurde Karl von Scheven Vorsitzender eines geistlichen Beirats, in den sich auch die BK einfügte. Die Fakultät verlieh am 24. Februar 1946 die Würde eines Ehrendoktors Gottfried Holtz und Karl von Scheven, dem »Förderer geistlichen Lebens und theologischen Interesses in Gemeinde und Kirche, dem auf Schrift und Bekenntnis gegründeten Prediger und erfahrenen Mann der Verwaltung, dem gründlichen Kenner seiner Heimat nach Geschichte und Charakter, dem wiederholt in schweren Zeiten als Leiter dieser Kirche tätigen Geistlichen« (163).
Kapitel X »Der Bischof im Neuaufbau einer kleinen Pommerschen Landeskirche« beginnt mit der pommerschen Synode im Herbst 1946, die für die Ernennung Karl von Schevens zum Generalsuperintendenten mit der Bezeichnung »Bischof« plädierte. Am 5. Januar 1947 war die Bischofseinführung. Man sieht Fotos zum personalen Aufbau (170–173). Vereine wurden Kirchliche Werke, die Christenlehre aufgebaut, die Diakonie umgestaltet, ökumenische Kontakte wurden geknüpft, darunter solche zum Eintritt Pommerns in den Lutherischen Weltbund. Ein sowjetischer Oberst in Schwerin drängte den Greifswalder Bischof 1947, er möge dafür sorgen, dass die Bauern ihre Felder bestellten; man befürchtete Sabotage (194). Im Mai 1953 stellte sich der Bischof vor die angegriffene Studentengemeinde. Während der Bachwoche erklärte er von der Kanzel sinngemäß: »Wer die Studentengemeinde angreift, greift die Kirche an«. Dazu sagt W., der damalige Studentenpfarrer: »Einen solchen Schritt hatte von Scheven nur sehr selten getan. Die stärkende Kraft dieser Abkündigung schlug kräftig ein und erfüllte Stadt und Land« (204). Alle Versuche staatlicher Stellen, politische Akklamationen zu erwirken, lehnte er ab. Dazu sagt W., dass in Berlin-Brandenburg solche Kämpfe härter geführt wurden wegen der Westpresse, die an Ereignissen in Pommern kaum Anteil nahm (212). Dabei war das Eintreten des Bischofs für die Bauern durchaus eine Besonderheit.
Auch Kapitel XI »Der jähe Tod und die Beerdigung« bringt zahlreiche Details. Zwölf Dokumente und ein Register beschließen den Band. Bischof von Scheven hat 1953 Friedrich Winter ordiniert, der später auch hohe Verantwortung in der Kirche getragen hat, zuletzt als Präsident der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union (Ost). Dabei hat auch W. Festigkeit und Augenmaß bewiesen, die er an Karl von Scheven aufzeigt. Das Buch ist für Historiker und Theologen wertvoll wegen des umfangreichen Quellenmaterials, dass der 82-jährige W. aufgearbeitet und mit innerer Anteilnahme dargestellt hat.