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Ausgabe:

Januar/1997

Spalte:

39–41

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schaper, Joachim

Titel/Untertitel:

Eschatology in the Greek Psalter.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1995. XII, 212 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe, 76. Kart. DM 78,-. ISBN 3-16-146434-6.

Rezensent:

Folker Sieger

In welchem Maße transportiert die Septuaginta-Übersetzung des Psalter eschatologische Vorstellungen, die dem Urtext, zumindest in historisch-kritischer Lektüre, nicht eigen wären? ­ Schaper hat in seiner Cambridger Ph.D.-Dissertation das Beispiel einer Doktorarbeit über dieses Thema geliefert, gründlich, solide und kurz. Er ist in einem Maße fündig geworden, das allein schon die Lektüre der Arbeit lohnt. Doch auch auf methodischem Gebiet ist seine Arbeit beispielgebend.

Grundsätzliches über die in der Septuaginta zu findende Exegese wird im Teil A, Septuagint Exegesis (1-45) vorausgeschickt. In dessen Introduction (§ 1, S. 3-6; eigentlich ist dies die Einleitung in das gesamte Buch) äußert der Autor die berechtigte Hypothese, daß der LXX-Psalter repräsentativ ist für jüdische Frömmigkeit in seiner Entstehungszeit ­ war er doch das Gebetbuch Israels zum Gebrauch in der Diaspora. Als sein Hauptvorbild für philologische Entdeckerarbeit gibt er an J. [Jean] Koenig: L’herméneutique analogique du judaïsme antique d’après les témoins textuels d’Isaïe (VetTest, Suppl. 33, 1982).

Der § 2 The Hebrew Text and its Greek Version definiert u. a. den Unterschied zwischen der "Urschrift" des Psalmen-Textes und der ­ natürlich jüngeren, jedoch mit dem masoretischen Text in manchen Details nicht identischen ­ "Vorlage" der LXX-Übersetzer. Nicht jede Abweichung vom heute bekannten hebräischen Text ist von den LXX-Übersetzern gewollt. Es versteht sich hierbei, daß Schaper den hebräischen Psalter unpunktiert und ohne Rücksicht auf die masoretische Satz- und Versgliederung zitiert. ­ Aus den übrigen Prolegomena grundsätzlicher Art sei genannt die allgemeine Bewertung der LXX-Übersetzung des Psalters als hoher philologischer Leistung mit einer geringen Quote unabsichtlicher Fehler (32 f.); gelegentliche Abweichungen von der offensichtlich angestrebten semantischen Genauigkeit lassen sich als Absicht deuten: Grundvoraussetzung von Sch.s Buch. Als "proto-rabbinische Exegese" bezeichnet er hierbei Verfahren, die später auch in rabbinischen Schriften begegnen und dort ausdrücklich gerechtfertigt werden, insbesondere das al tiqra’, also eine orthographische Freiheit gegenüber dem (in seinem Buchstabenbestand nicht angetasteten) heiligen Text. Ein frappierendes Beispiel, mit direkter Parallele im Midrasch Tehillim, wird auf S. 112 begegnen: Ps 77(78),69.

Als Entstehungszeit des LXX-Psalters nimmt Sch. aufgrund minutiöser Indizienauswertung die 2. Hälfte des 2. Jh. v. Chr. an, als Entstehungsgebiet Israel. Wenn in Ps 59(60),9 und 107(108),9 Jehuda mit Ioudas wiedergegeben wird, ist darin wohl eine Reminiszenz an Judas Makkabäus zu erkennen (42), so wie umgekehrt der Name des Hasmonäerkönigs Aristobulos das messianische pele jo’es aus Jes 9,5 aufgreifen dürfte (44). Wer den messianischen Psalm von 1Makk 14 im Ohr hat, dem erscheint dergleichen keineswegs spitzfindig. Natürlich können theologische Deutungen der Zeitgeschichte im Falle einer Übersetzung nur in winzigen Details enthalten sein. Für Texte, die in der Diaspora zirkulieren sollen, ist zudem Vorsicht geboten bei politischen Anspielungen aller Art. In diesem Sinne möchte der Rez. das ho anaginoskon noeito von Mk 13,14 zum Vergleich heranziehen, Erklärung eines ungrammatischen Masculinums als Hinweis auf eine Person.

Der Hauptteil, B: Theological Features of the Greek Psalter (46-126) behandelt in numerischer Reihenfolge die in Frage kommenden Psalmen. Unter die Rubrik "Eschatologie" (allgemein) fallen: Ps 1, 15(16), 21(22), 45(46), 47(48), 55(56), 58(59), 72(73). Der Autor hält hierbei die Augen offen für den Unterschied "zwischen der älteren, mehr oder weniger nation-zentrierten Hoffnung auf Auferstehung im messianischen Reich und einer neuen, universell sich erweiternden und person-zentrierten Hoffnung auf individuelle Auferstehung" (56). ­ Unter die Rubrik "Messianismus" (wo eine königliche oder priesterliche Schlüsselfigur impliziert ist) fallen Ps 2, 8, 44(45), 59(60), 67(68), 71(72), 79(80), 86(87), 109(110). Im Auswertungsabschnitt A Network of Messianic Texts wird noch einmal darauf hingewiesen, wie sehr eine einzelne, kaum merkliche Anspielung in einem LXX-Psalm ihre Entschlüsselung in einem anderen Teil der Griechischen Bibel erhalten kann. Das "Einhorn" in Ps 77(78),69 und 91(92),11 meint die militärische Schlagkraft des messianischen Herrschers wegen Num 24,8 und Dtn 33,17 (vgl. auch die Karikatur Alexanders d. Gr. in Dan 8,5-8); und "Sohn des Menschen" ist in Ps 8,5 messianische Anspielung (im Sinne von Dan 7,13), wegen Num 24,7 LXX und Num 24,17. Auch das ist "proto-rabbinisch", nämlich Gebrauch der Schrift als geschlossener Einheit.

Den Rez. erstaunt dies nur insofern, als eine griechische "Schrift" im 2. Jh. v. Chr. noch gar nicht vollständig war. Klugerweise vermeidet Schaper es z. B., direkte textliche Einflüsse eines griechischen Daniel-Buches anzunehmen.

Teil C, The Greek Psalms in Jewish Religious History (127-164) bietet eine Reihe von thematischen Exkursen. Halten wir als generelles Ergebnis fest, daß neben einem traditionell-nationalen Messianismus eine gewisse Seelen-Eschatologie (z. B. in Ps. 21[22]) erkannt wird, in keinem Falle aber so etwas wie eine universale Eschatologie.

Aus Teil D, The Jewish Psalms and the Christian Bible (165-173) ist zu ersehen, wie wenig die ntl. Psalmenzitate zur jüdischen Auffassung der Psalmen, deren Dokument eben die zitierte Septuaginta ist, hinzubringen: Es ist so gut wie nichts als der Bezug auf Jesus von Nazareth. Weit davon entfernt, Gegenstand nachträglicher Spekulationen zu sein, erfüllt Jesus in den Augen der Christen eine Erwartung, die das jüdischen Volk an die zitierten Texte lange schon geknüpft hatte. Dies ist von großem Nutzen zur Linderung falscher Nöte um den "Schriftbeweis". Wer z. B. Lukas für Apg 2,15-36 schelten will ­ Folgerung des Rez. ­, tue es nur gleich gegenüber der Septuaginta; er tadle eine Schule jüdischer Schriftgelehrter des 2. Jh. v. Chr. dafür, in ihrer Wiedergabe der Psalmen 16 und 110 messianische Hoffnungen ausgedrückt zu haben. So wie der Petrus von Apg 2 diese Psalmen versteht, so hat sie das gesamte nicht-sadduzäische Judentum seiner Zeit verstanden.

Teil E, Eschatology, Messianism and the Septuagint Psalter (174-176) ist identisch mit § 14 Conclusion (Rückfrage an die Angemessenheit der Einteilung!) und gibt einen kurzen Rückblick auf die bisherigen 4 Teile bzw. 13 Paragraphen. Der Autor betont die Bedeutung von "proto-rabbinischer Exegese", wofür seine Texte typisch sind, und ihrer Auffassung der Bibel als Einheit, für das Verständnis von Judentum und Christentum in der Spätzeit des Zweiten Tempels.

Abgesehen von der wenig hilfreichen Einteilung, deren äußerst ungleiche Teile die Orientierung nicht erleichtern, bleibt dem Rez. nicht viel zu bemängeln. Der Autor bedient sich des englischen Ausdrucksmediums ohne erkennbare Schwierigkeiten. Werke wie das ThW zitiert er deutsch, in wohlverstandener Internationalität.

Im Literaturverzeichnis wäre von W. Bauers Wörterbuch die Neubearbeitung durch K. Aland (1988) zu erwähnen gewesen. Die Fragmente des Ktesias finden sich bei Jacoby, FrGrHist Nr. 688, und Josephus wird auch nicht gerade nach Naber zitiert. Der Thesaurus des Stephanus ist 1833-1865 erschienen, und nicht in einem Jahr. ­ Leider ist die Verwirrung um die Psalmennummern nicht ganz vermieden worden. Im Stellenregister (194-198) folgt z. B. auf Ps 72 LXX (was also Ps 73 wäre) zunächst zweimal Ps 72 (MT), dann wieder Ps 73 (MT), wobei die Nachprüfung ergibt, daß der erste der beiden Verweise auf Ps 72 den LXX-Psalm meint, also in Ps 73 anzusiedeln ist... Das einzige Mittel, solchem Durcheinander zu wehren, wäre nach Meinung des Rez. das konstante Nennen beider Psalmennummern.

Ein Autoren- und ein Stichwortregister schließen den insgesamt gelungenen Band ab. Einen Vorblick auf seine Ergebnisse hatte der Autor gegeben in: M. Hengel/A. M. Schwemer: Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum, Tübingen 1994 (Wiss. Unters. zum NT, 1. Reihe, 72), 38-61.