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Ausgabe:

Juni/2010

Spalte:

687-690

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kooten, George H. van

Titel/Untertitel:

Paul’s Anthropology in Context. The Image of God, Assimilation to God, and Tripartite Man in Ancient Judaism, Ancient Philosophy and Early Christianity.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2008. XXIV, 444 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 232. Lw. EUR 119,00. ISBN 978-3-16-149778-0.

Rezensent:

Karl-Wilhelm Niebuhr

Der Vf. der hier vorzustellenden Monographie zur paulinischen Anthropologie ist Professor für Neues Testament und Frühes Chris­tentum an der Fakultät für Theologie und Religionswissenschaft der Universität Groningen. Nach seiner Dissertation zur paulinischen Christologie (Cosmic Christology in Paul and the Pauline School: Colossians and Ephesians in the Context of Graeco-Roman Cosmology, Tübingen 2003; Rez. D. du Toit, ThLZ 130 [2005], 652–654) legt er hiermit bereits sein zweites Buch zu Paulus vor und etabliert sich damit als einer der produktivsten jüngeren Paulus-Forscher. Wie in seiner Dissertation, so zeichnet sich die Arbeitsweise des Vf.s auch in seinem zweiten Werk durch umfassende Heranziehung antiker religions- und philosophiegeschichtlicher Quellen aus, insbesondere solcher der griechisch-römischen Philosophie bis hin zu deren spätantiker christlicher Rezeption (Index of Passages from Ancient Authors: 413–436).
In einer knappen Einleitung (XV–XXI) skizziert der Vf. den Gedankengang der folgenden Kapitel, die zwar zum Teil als Einzelstudien erarbeitet wurden, gleichwohl in der vorliegenden Gestalt doch ein Ganzes bilden. Thematische Schwerpunkte seiner Untersuchungen bilden die Gottebenbildlichkeit des Menschen, die »trichotomische« Anthropologie (Geist – Seele – Leib) sowie die Transformation des Menschen in ein gottnahes bzw. göttliches Wesen. Dabei will der Vf. jeweils zeigen, dass und wie die paulinischen Aussagezusammenhänge allein auf dem Hintergrund von Konzeptionen der griechisch-römischen Philosophie, speziell des Mittelplatonismus und der Stoa, und in Auseinandersetzung mit ihnen, speziell mit der sophistischen Tradition, zu verstehen sind. Eher am Rande des Blickfeldes bleibt dagegen die Rezeption solcher philosophischen Topoi in der hellenistisch- jüdischen Literatur in ihrer ganzen Breite, ebenso wie andere neutestamentliche Textbereiche und Konzeptionen wie z. B. der Hebräerbrief oder die johanneische Literatur, in denen sich möglicherweise vergleichbare Re­zeptionsvorgänge aufweisen ließen. Von zentraler Bedeutung für die Argumentation des Vf.s ist allerdings Philon von Alexandrien, dessen Werke breit und vertieft herangezogen werden. Josephus bleibt demgegenüber wiederum eher am Rande – auch bei ihm wäre wohl für die Rezeption hellenistisch-römischer philosophischer Topoi in frühjüdischen anthropologischen Zusammenhängen noch mehr zu holen.
Für die ersten beiden Kapitel des Buches ist die These leitend, dass der Gedanke der Gottebenbildlichkeit des Menschen bei Philon wie bei Paulus primär von dem platonischen Ideal der Annäherung an Gott und nicht in erster Linie von der stoischen Maxime des »Lebens gemäß der Natur« her zu verstehen ist (7). Beide Autoren folgen damit einer Tendenz der griechischen Ethik seit dem 1. Jh. v. Chr. Auch biblische Überlieferungen wie Gen 1,26 f. interpretieren sie in diesem Sinne und bilden damit im Vergleich zur sons­tigen frühjüdischen Literatur eher die Ausnahme.
Im Einzelnen ergibt im 1. Kapitel (The »Image of God« in Ancient Judaism, 1–91) die Untersuchung des Gebrauchs von Ausdrücken der Wortfelder »Bild (Gottes)« sowie »Form«/»Gestalt« (»›morphic‹ language«, 69 u. ö.) im Zusammenhang der Gottebenbildlichkeit des Menschen, dass Paulus hier nicht fixierten Konzeptionen folgt, sei es jüdisch-apokalyptischen oder griechisch-philosophischen, sondern vom alltagssprachlichen antiken Gebrauch von Bildern, die mit Formen versehen sind, ausgeht und dieses Wortfeld auf der Grundlage des Christusgeschehens, der metamorphosis Christi (vgl. Phil 2,6 f.; Gal 4,19), eigenständig prägt und weiterentwickelt. Von daher lässt sich auch der paulinische Gedanke einer metamorphosis der Christen (Röm 12,2, vgl. Röm 8,29; 2Kor 3,18; 4,4; Phil 3,10.21) am besten als Ergebnis eigenständiger Reflexion des Paulus über die Verwandlung des Menschen durch das Christusgeschehen in das »Bild Gottes« verstehen (90 f.).
Mit diesem Nachweis ist ein entscheidender Schritt für den Fortgang der Untersuchung vollzogen. Denn im zweiten Kapitel (The »Image of God« and »Being Made Like God« in Graeco-Roman Pagan­ism, 92–219) möchte der Vf. zeigen, dass der paulinische Gedanke der Transformation des Christen in das Bild Gottes und des Einsseins des Christen mit Christus »is indeed best explained against the back­ground of pagan philosophical ideas about the image of God and form­ing oneself in the likeness of God« (93). Dazu zieht er eine große Zahl von Belegen für die Tradition der ὁμοίωσις θεῷ aus der griechischen Philosophie von Platon bis Plotin heran und untersucht anschließend entsprechende Belege bei Philon und Paulus. Denn: »The notion of assimilation to God, ὁμοίωσις θεῷ and ὁμοιοῦσθαι θεῷ, thus, is the natural extension of the semantic-conceptual field of the image of god. As I shall argue, this notion is highly relevant for our understanding of Philo’s and Paul’s anthropology … In particular, it will provide the necessary background to Paul’s view concern­ing the assimilation of the believers to Christ« (125).
Die theologische Sprengkraft einer solchen Ableitung wird deutlich, wenn man sich klarmacht, dass damit die paulinische Anthropologie an entscheidender Stelle mit der philosophischen Ethik in platonischer Tradition verbunden wird. Denn, wie der Vf. hier erneut herausstellt, »from the first century BC onwards Greek ethics tended to be founded less on the Stoic maxim of ›living in accordance with Nature‹, and increasingly on the Platonic ideal of becoming as like God as possible« (92, vgl. 218). Das aber bedeutet, dass der Gedanke einer »Vergöttlichung« des Menschen, einer Theo­sis, wenn der Vf. Recht hat, nicht erst in der altkirchlichen Rezeption paulinischer Anthropologie seinen Ursprung hat, sondern im Entscheidenden schon bei Paulus selbst (und in dessen durch Philon repräsentiertem hellenistisch-jüdischem Umfeld). Die ökumenischen Konsequenzen einer solchen Paulusinterpretation, et­wa im Gespräch mit der orthodoxen Theologie, aber ebenso mit einer gezielt auf die altkirchlich-griechischen Wurzeln des Christentums zurückweisenden römisch-katholischen Position, scheinen erheblich, wenngleich der Vf. an solchen weiterführenden theologischen Überlegungen offenbar wenig Interesse zeigt. Er verweist seinerseits lediglich zustimmend auf Nietzsches Diktum vom Christentum als »Platonismus fürs Volk« (312).
Für drei der folgenden Kapitel, auf die hier nur summarisch verwiesen werden kann, ist die These leitend, dass Philon und Paulus in ihren anthropologischen Positionen sich insbesondere mit Gegenpositionen der sog. Zweiten Sophistik auseinan­derzusetzen hatten, somit beide aus dem Kontext philosophischer Debatten ihrer Zeit heraus zu verstehen sind, in denen sie jeweils platonische Positionen vertraten bzw. zu verteidigen suchten (Phi­lo’s Anti-Sophistic Interpretation of the Narratives of Mose’s Pentateuch, 220–244; Paul versus the Sophists: Outward Performance and Rhetorical Competition within the Chris­tian Community at Corinth, 245–268; Paul’s Anti-Sophistic Interpretation of the Narrative of Moses’ Shining Face [Exod 34] in 2 Cor 3: Moses’ Strength, Well-being and [Transitory] Glory, according to Philo, Josephus, Paul, and the Corinthian Sophists, 313–339). Dazu kommt eine Studie, in der gezeigt werden soll, das auch die trichotomische Anthropologie, nach welcher der Mensch aus Geist, Seele und Leib besteht, bereits in der mittelplatonischen Philosophie des 1. Jh.s n. Chr. vertreten und von jüdischen Autoren wie Philon, Paulus und Josephus von dorther rezipiert werden konnte (The Two Types of Man in Philo and Paul: The Antropological Trichotomy of Spirit, Soul and Body, 269–312).
Am Ende steht ein Kapitel zur »universalistischen Anthropologie« des Römerbriefes (The Renewal of the »Discredited Mind« Through Metamorphosis: Paul’s Universalist Anthropology in Ro­mans, 340–392). Dieses abschließende Kapitel zum Römerbrief hat mich am wenigsten überzeugt. Hier will der Vf. zeigen, dass Paulus angesichts von ethnischen Spannungen innerhalb der christlichen Gemeinden Roms auf pagan-popularphilosophischer monotheistischer Grundlage eine universalistische Anthropologie mit stark ethischen Untertönen entwickelt habe. Röm 9–11 bleibt dabei freilich ganz auf der Strecke (bezeichnend ist die Formulierung: »the intermezzo of Romans 9–11«, 342!), und auch die umfangreiche jüngere exegetische Diskussion zu Röm 7 und Röm 8 wird weitgehend ignoriert. Zwar räumt der Vf. auch hier ein, dass »Paul’s Jewish back­-ground … is not altogether irrelevant« (391). Allerdings vertrete Paulus gegenüber den Briefadressaten auf neo-pythagoreischer Grundlage ein »utopian, universalist and rational, ethical understanding of religion« (390). »The Christian community in Rome, ridden by ethnic tensions, is offered a universalist anthropology which overcomes the relevance of ethnicity in the community.« Wahre Religion erscheint als »a rational form of worshipping God, which takes place through the renewal of one’s mind and becomes tangible in a reflective rational-ethical examination of what is good and acceptable and perfect« (392). In solchen Formulierungen scheint eher der aktuelle »Context« des Vf.s durch als derjenige des Paulus im 1. Jh. n. Chr.
Ansonsten aber stellt diese Monographie einen erheblichen Ge­winn und eine starke Herausforderung für die gegenwärtige Paulusforschung dar. Zwar wird man gegenüber der sehr engen Zuordnung des Paulus (und auch Philons) zu den philosophischen Traditionen des Platonismus auch zurückhaltender urteilen und demgegenüber die Rezeption von biblischen Überlieferungen in der hellenistisch-frühjüdischen Literatur stärker gewichten können als der Vf. Zudem erweisen sich seine Ausführungen in Kapitel 1 zum Menschen als »Bild Gottes« im Frühjudentum nicht immer auf der Höhe der aktuellen Spezialforschung (etwa im Blick auf das griechische Leben Adams und Evas, 28–32, Buch III der Sibyllinischen Orakel, 27 f., das slavische Henochbuch, 32–35, die Weisheit Salomos, 36, Pseudo-Phokylides, 36 f., oder die Testamente der Zwölf Patriarchen, 39–41, wo jeweils wichtige neuere Untersuchungen unberücksichtigt bleiben) und folgen zu einseitig der im Einzelnen durchaus diskutablen, aber keineswegs ausdiskutierten Charakterisierung eines großen Teils der genannten Literatur als christlich (so der Vf. meist mit Verweis auf James Davila und Marinus de Jonge).
Aber insgesamt konnte der Vf. doch überzeugend nachweisen, dass die Interpretation paulinischer Aussagen auf dem Hintergrund philosophischer Texte der platonischen Tradition nicht bloß möglich ist, sondern für das Verständnis der paulinischen Anthropologie auch reichen Gewinn im Einzelnen wie im Ganzen erbringt. Einmal mehr zeigt sich, dass der Jude Paulus die Christusbotschaft den Adressaten seiner Mission und seiner Briefe nur nahebringen und verständlich machen konnte, weil er seine eigene Christuserfahrung auf der Grundlage der biblischen Überlieferungen mit den geistigen Mitteln seiner Zeit zu reflektieren und neu zur Sprache zu bringen in der Lage war. Einen wesentlichen Zweig dieses intellektuellen Kontextes des Paulus, die platonische Tradition in der frühen Kaiserzeit, hat der Vf. in seiner Monographie eindrucksvoll erschlossen und für ein vertieftes Verständnis der paulinischen Anthropologie zugänglich gemacht.