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Ausgabe:

Juni/2010

Spalte:

676-678

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Levinson, Bernard M.

Titel/Untertitel:

»The Right Chorale«. Studies in Biblical Law and Interpretation.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2008. XXIII, 432 S. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament, 54. Lw. EUR 99,00. ISBN 978-3-16-149382-9.

Rezensent:

Eckart Otto

In dem anzuzeigenden Band sind zwölf zwischen 1990 und 2006 von B. M. Levinson veröffentlichte Aufsätze versammelt, die, so der Vf., sich mit der Beziehung zwischen synchroner und diachroner Methodologie, zwischen Gesetz und Erzählung, biblischem und altorientalischem Recht, Literar- und Textkritik sowie den Beziehungen zwischen Bibel und westlicher Geistesgeschichte beschäftigen. Was die Beiträge zusammenhalte, sei die hermeneutische Überzeugung, dass die Autoren biblischer Texte gleichzeitig auch Interpreten dieser Texte sind. Damit bewegt sich der Vf. weiterhin in der Spur seines Doktorvaters M. Fishbane. Der Band gliedert die zwölf Aufsätze in drei Abteilungen: Teil I: »Setting the Agenda. Why Biblical Law Matters«, Teil II: »The Paradigm of Legal Hermeneutics: Close Studies and Test Cases«, Teil III: »Debate and Dialogue: The Question of Method«. Jeder dieser Teile ist mit einer knappen Einleitung versehen, in der der Vf. die Hauptfragen benennt und seinen »approach« in die Forschungssituation einzuzeichnen sucht. Die Beiträge sind zum Teil revidiert, wobei der Vf. vor allem Kritik, die in den letzten Jahren an von ihm vertretenen Thesen geübt worden ist, zurückweisen will.
Im ersten Teil setzt sich der Vf. in dem Beitrag »The Right Chorale«, dessen Titel einem Gedicht von W. Stevens entnommen ist, das die Dialektiken von Immanenz und Transzendenz, Heilig und Profan etc. zu vermitteln sucht, kritisch mit M. Sternbergs synchronem Zugang zur Hebräischen Bibel auseinander, der allein narratologisch orientiert wesentliche Aspekte der Erzählungen übergehe, zu einem Kanon im Kanon unter Missachtung der Gesetze führe und damit das Zentrum der Hebräischen Bibel in literarischer wie theologischer Hinsicht verpasse. Das Gesprächsangebot hat zu keinem Erfolg geführt (5), so dass in den weiteren Aufsätzen die synchrone Fragestellung ausgeblendet bleibt. Dass ein Ge­sprächsangebot allerdings scheitert, verwundert nicht, wenn der Vf. M. Sternberg bezichtigt, er falle hinter die historisch-kritische Forschung zurück auf vorkritische rabbinische Harmonistik – ein Vorwurf, den der Vf. auch in anderen Beiträgen dort erhebt, wo Exegeten den Versuch machen, Widersprüche als vermeintliche in ihrer Intention in dem uns gegebenen Text zu begreifen. Da der Vf. Kritik an seinen Thesen generell nicht zulässt, sondern recht schlicht zurückweist, mutet dem Band insgesamt etwas Statisches an, wobei der Gesprächsabbruch wie im Falle von M. Sternberg nicht zuletzt durch den Vf. provoziert ist. Der »right chorale« ist also nur der diachrone. Eine Vermittlung von Diachronie und Synchronie, obwohl im Vorwort angekündigt, bleibt aus. Das ist umso bedenklicher, als die Argumente, die gegen eine einlinig synchrone Analyse vorgebracht werden, durchaus eines Bedenkens wert sind, wobei sich der Vf. in der Nachfolge Spinozas gegen eine rabbinische Exegese in Stellung gebracht sieht. Anstelle des Abdrucks einer fast 20 Jahre alten Auseinandersetzung mit M. Sternberg hätte man sich einen Beitrag gewünscht, der den Diskussionsstand der letzten zehn Jahre in der Vermittlung von Diachronie und Synchronie reflektiert und ein neues und besseres Gesprächsangebot an die jüngeren Vertreter einer synchronen Exegese macht.
Das gilt auch für die zweite, vom Vf. genannte Dialektik von Erzählung und Gesetz im Pentateuch, für die der Abdruck eines ebenfalls 20 Jahre alten Rezensionsaufsatzes zu C. Carmichaels Interpretation der Gesetze des Deuteronomiums als von den Erzählungen der Vorderen Propheten abgeleitet steht. Auch hier hätte man sich einen Beitrag gewünscht, der die Diskussion der letzten Jahre zu dieser Dialektik von Erzählung und Gesetz aufnimmt, zumindest aber eine tiefgreifende Revision, da die atta­-ckierten Thesen von C. Carmichael ohne Wirkung in der alttestamentlichen Forschung geblieben sind und als Lösungsweg zur Klärung des Verhältnisses von Erzählung und Gesetz im Pentateuch durchweg abgelehnt werden, so dass dem abgedruckten Beitrag allenfalls noch eine gewisse forschungsgeschichtliche Bedeutung zukommt. Wohl aber ist das Thema von großer Aktualität, verzahnt mit der Dialektik von Diachronie und Synchronie, wie die Vielzahl von Monographien zur synchronen Lektüre des Deuteronomiums allein im deutschsprachigen Raum der letzten Jahre, so u. a. von Taschner, Finsterbusch, Markl u. a. zeigen, die in der revidierenden Aktualisierung der Beiträge des Vf.s keine Aufnahme gefunden haben. So ist im Folgenden der »right chorale« in der Dialektik von Erzählung und Gesetz nur das Gesetz, trotz kurzer Beiträge zu Gen 2–3 und zur Offenbarung in der Sinaiperikope von zusammen elf Seiten, die zur genannten Dialektik aber nicht beitragen. Nun könnte man sich damit abfinden, dass weder die Vermittlung der Dialektik von Synchronie und Diachronie noch die von Gesetz und Erzählung in diesem Band eine weiterführende Behandlung erfahren, obwohl der Vf. in der Einleitung feststellt, die Beiträge »explore the interplay between synchronic and diachronic method ... between narrative and law«. Es ist vielmehr die be­reits in seiner Dissertation entwickelte Hermeneutik von Rechtsrevisionen als »recycling« des revidierten Textes, der durch den revidierenden Text ersetzt werden soll, die zu einem kritischen Weiterdenken zwingt. Obwohl die Problematik dieser rechtshermeneutischen Konzeption mehrfach aufgezeigt worden ist, wiederholt der Vf. sie erneut: Statt mit dem Ersetzen des Bundesbuches durch das Deuteronomium zu rechnen, sei der revidierende Text hermeneutischer Schlüssel für die Interpretation des ausgelegten Textes, so dass beide Texte, revidierender und revidierter, aufeinander bezogen zu interpretieren seien. Sollte das tatsächlich so sein, muss man konstatieren, dass dieses Unterfangen nicht erfolgreich war, denn schließlich haben wir auslegende und ausgelegte Texte wie Bundesbuch, Deuteronomium und Heiligkeitsgesetz zusammen in einem Pentateuch. Umso wichtiger wäre es für den Vf. also gewesen, die Dialektiken von Gesetz und Erzählung sowie Diachronie und Synchronie daraufhin zu reflektieren, wie sich das Nebeneinander der zum Teil widersprüchlichen Rechtskorpora in einer Tora rechtshermeneutisch erklären soll, was schließlich nur in synchroner Perspektive zu beantworten ist.
Die übrigen Beiträge vertiefen Aspekte der Dissertation des Vf.s (Deuteronomy and the Hermeneutics of Legal Innovation, New York 1997). Da der Vf. der zutreffenden Meinung ist, dass der Loyalitätseid Asarhaddons (VTE) einen tiefgreifenden Einfluss auf Dtn 13 in vorexilischer Zeit ausgeübt hat, widmet er drei Beiträge (112–194) Dtn 13.7a.9.10, wobei für den Vf. feststeht, dass die biblischen Autoren in vorexilischer Zeit »were well tutored in the topical and formal conventions of cuneiform law. They drew upon the Mesopotamian concept of a royal propounder of law but also radically transformed it in light of their own cultural and religious priorities«. Dieser Perspektive des »right chorale« der Dialektik von biblischem und altorientalischem Recht wird man gegen Tendenzen zur Spätdatierung gerade auch von Dtn 13 und 28 nachdrück­lich zustimmen. In der textkritischen Studie zu Dtn 13,10 stützt der Vf. den masoretischen Text und schlägt für wl’ ksh ‘l (Pi.) in Dtn 13,9 die Übersetzung »nicht verzeihen« vor, um so die Forderung der Lynchjustiz aus den VTE zu unterstreichen. Es ist eine der exegetischen Paradoxien, dass inzwischen dieser Übersetzungsvorschlag gegen die Intention des Vf.s als Argument benutzt wird, die Abhängigkeit von Dtn 13 von den VTE infrage zu stellen. Man sollte aber mit H. Donner (Gesenius18, 2005, 560) bei der Übersetzung »nicht verheimlichen«, die den VTE entspricht und von den Kommentatoren geteilt wird, bleiben. Man wird dem Vf. aber darin zustimmen, wenn er bereits dem spätvorexilischen Deuteronomium die Transformation der altorientalisch und biblisch dem König zugeschriebenen Rechtsfunktionen mit der Mehrzahl der Exegeten in ein den König nicht erwähnendes Programm von Recht zuspricht. Wenn dann der Vf. aber das Königsgesetz in Dtn 17,14–20 in die Zeit Manasses datieren muss, da es von dtr Vorstellungen der s. E. vorexilischen Königsideologie der Josia-Zeit in den Vorderen Propheten geschieden sei, so wird ein Grundproblem des Bandes deutlich. Der Vf. betrachtet das Deuteronomium nur unter vorexilisch-dtn Perspektive und blendet die dtr-exilischen und postdtr-nachexilischen Perspektiven aus und wird damit der komplexen Literaturgeschichte des Deuteronomiums als Teil des Pentateuchs nicht in jeder Beziehung gerecht. Dieser Mangel beeinträchtigt nun auch einen letzten Schwerpunkt des Bandes. J. Van Seters (A Law Book for the Diaspora, 2003) vertritt die These, das Bundesbuch sei Revision des Deuteronomiums, und stellt damit einen Konsens der Forschung von mehr als 100 Jahren und auch die Dissertation des Vf.s auf den Kopf, der sich also in den großen Chor derjenigen einreiht, die diese Umkehrung ablehnen. Bei Van Seters ist diese These Ergebnis seiner Sicht der Literaturgeschichte des Pentateuchs insgesamt, nach der der »Jahwist« das Deuteronomium voraussetze. Nur mit einer Alternative zu dieser Sicht der Literaturgeschichte des Pentateuchs ist Van Seters’ Umkehrungsthese zu begegnen, nicht aber mit kleinräumigen Analysen wie zum »effected object« in Ex 21,2. Dass ein gattungsgeschichtlicher Zugang zu Rechtstexten und die »literary history of cuneiform law« inkompatibel sein sollen, wie der Vf. apodiktisch feststellt, bleibt unverständlich. Eine der Pentateuchhypothese Van Seters’ vergleichbare Gesamtperspektive für Pentateuch und Vordere Propheten fehlt in dem Band.
Positiv herauszuheben ist das Bemühen des Vf.s, der deutschsprachigen Forschung Genüge zu tun, was im englischsprachigen Forschungskontext eine Selbstverständlichkeit sein sollte, aber kei­-neswegs ist. Wer sich im Werk des Vf.s gut auskennt, wird wenig Neues entdecken. Für diejenigen aber, die nicht mit seinem komplexen Forschungsprogramm vertraut sind, ist die sorgfältige Lektüre des Bandes, der mit umfangreichen Registern und einem Literaturverzeichnis abgeschlossen wird, ein Muss.