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Ausgabe:

Juni/2010

Spalte:

673-675

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Koch, Christoph

Titel/Untertitel:

Vertrag, Treueid und Bund. Studien zur Rezeption des altorientalischen Vertragsrechts im Deuteronomium und zur Ausbildung der Bundestheologie im Alten Testament.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2008. XI, 374 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 383. Lw. EUR 98,00. ISBN 978-3-11-020245-8.

Rezensent:

Eckart Otto

Die Studie von Christoph Koch geht auf eine Heidelberger Dissertation zurück, die von J. C. Gertz betreut wurde. Der Vf. bekräftigt gegen manche theologisch motivierten Widerstände, dass Vorstellungen und Sprachformen des altorientalischen Vertragsrechts in die biblische Vorstellung vom Bund mit JHWH eingegangen seien. Doch sei die Verhältnisbestimmung von Bundestheologie und Altem Orient nach wie vor eine ungelöste Aufgabe. So werde in der Alttestamentlichen Wissenschaft lebhaft diskutiert, woher das in der Bundestheologie rezipierte Vertragsrecht stamme, wie die Rezeptionsprozesse verlaufen und wann die Bundestheologie ausgebildet worden sei. Den Versuch einer Antwort auf diese Fragen hat sich der Vf. zum Ziel gesetzt.
Der Komparatistik von altorientalischen Vertragstexten und biblischen Bundestexten kommt eine für die Theologie des Alten Testaments zentrale Bedeutung zu. Da, wie es vor einem halben Jahrhundert G. Mendenhall, der Pionier dieser Komparatistik, formulierte, »schwierig ist, die Geschichte der israelitischen Religion aus den Geschichtsüberlieferungen der Bibel zu rekonstruieren, braucht der Historiker ein außerhalb dieses Buches liegendes Kriterium für die Prüfung seiner Theorien«. Der Vf. folgt im Prinzip diesem Grundsatz, der die babylonische Gefangenschaft der alt­-tes­tamentlichen Bundestheologie in endogen-inneralttestamentlichen Erklärungsmustern beendet. Er konstatiert zu Recht, dass der Quellort der Bundestheologie im Buch Deuteronomium (Dtn) zu suchen ist und nicht ein altorientalisches Vertragsschema komplett auf das Buch übertragen wurde, sondern »mit der Rezeption einzelner Vorstellungen und Sprachformen in – anfangs – einzelnen Kapiteln (Dtn 13* und 28*) zu rechnen« ist. Die Analyse dieser beiden Kapitel und der sie beeinflussenden biblischen Motive steht im Mittelpunkt der Studie. Stand bisher der auch vom judäischen König beschworene Loyalitätseid des assyrischen Königs Asarhaddon (VTE) international im Vordergrund der Diskussion eines alt­orientalischen Einflusses auf Dtn 13 und 28, so zeigt der Vf. die traditionsgeschichtliche Tiefendimension dieses Textes in der Vertragstradition des 2. und 1. Jt.s auf, vor allem aber auch einen west­semitischen Einfluss aramäischer Vertragstradition. Daraus schließt der Vf., dass diese Texte nicht exklusiv die VTE rezipiert haben, sondern in einem breiten Traditionsstrom stehen, der in Juda »eingesickert« sei. So in einen zwei Jahrtausende den gesamten östlichen Mittelmeerraum überziehenden Traditionsstrom des Vertragsrechts eingeordnet, lässt sich aber die eingangs gestellte Frage, wie sich die Einflüsse dieses Vertragsrechts auf die Entstehung der Bundestheologie im Dtn erklären, kaum beantworten. Der Vf. führt deshalb die These eines zweistufigen Rezeptionsprozesses ein:
Die altorientalische Vertragstradition einschließlich der VTE habe auf judäische politische Loyalitätseide eingewirkt, die nicht mehr vorhanden sind, die ihrerseits aber auf Dtn 13; 28 als unpolitische Bundestexte der Exilszeit eingewirkt haben sollen. So seien in Dtn 13 der Ausdruck dbr srh (Falsches Reden), aber auch wohl das Motiv der Propheten und das Lynchgebot in Dtn 13 sowie die Themenabfolge der Flüche in Dtn 28,25–34 (= VTE §§ 39–42) als in VTE belegt assyrischen Ursprungs. Da spätvorexilische judäische Loyalitätseide fehlen, schließt der Vf. von Dtn 13; 28 als anders gelagerten Texten auf die Gestalt dieser Treueide. Diese Eide, die von den »eingesickerten« vertragsrechtlichen Motiven beeinflusst worden sind, spielen nun ihrerseits bei der Ausbildung der dtr Bundestheologie in der Exilszeit eine wichtige Rolle, so dass der Vf. von einer »verspäteten« Rezeption der neuassyrischen Motive lange nach Untergang des assyrischen Reiches in babylonischer Zeit sprechen kann. Dazu bedarf es neben der traditionsgeschichtlichen Aufarbeitung der altorientalischen Vertragsmotivik als eines ersten Pfeilers der Studie der literaturhistorischen Exegese von Dtn 13; 28. Es ist unstrittig, dass Dtn 13 ein Fremdkörper in Dtn 12–14 ist, der entweder der spätvorexilischen Vorgeschichte der Zentralisationsgesetze zugehört, so der Rezensent (BZAW 284, 1999), oder der nachexilischen Nachgeschichte, so T. Veijola (ATD 8, 2004). Der Vf. geht einen »aristotelischen« Weg und plädiert für eine »frühexilische« Datierung, die er auf zwei Argumente stützt. Dtn 13 setze das Erste Gebot voraus, das wie Dtn 5,1–6,3 dtr sei, und unterbreche die Zentralisationsgesetze des vordtr Dtn. Dtn 28 sei dtr Anhang an das mit Dtn 26,16 vorexilisch abgeschlossene Dtn. So seien die vertragsrechtlichen Motive der spätvorexilischen Loyalitätseide in Dtn 13; 28 entpolitisiert auf die Gott-Mensch-Beziehung einer Bundes-­theologie übertragen worden. Der Vf. radikalisiert jüngsten Trends folgend die von L. Perlitt (WMANT 36, 1969) forschungsgeschichtlich einschlägig begründete These eines spätvorexilischen Ur­sprungs der alttestamentlichen Bundestheologie.
Die Studie besticht durch die Breite der traditionsgeschichtlichen Erkundung des ostmediterranen Vertragsrechts. Weniger breit angelegt sind die exegetischen Erkundungen der Literaturgeschichte des Deuteronomiums, die sich auf Dtn 13 und 28 be­schränken, so dass auch hier am ehesten Widerspruch sich melden wird, zumal der Vf. Grundkonsense der internationalen Deuteronomiumsforschung infrage stellt, was, das sei betont, die Argumente in der Diskussion im besten Sinne schärft. Dennoch sei an dieser Stelle auf einige Probleme der Thesenbildung des Vf.s aufmerksam gemacht. Einer vollen begrifflichen Ausbildung der Bundestheologie erst in der Exilszeit wird man nicht widersprechen, doch gehören Dtn 13 und 28 in ihre Vorgeschichte wie in die des Ersten Gebots und nicht in die Rezeptionsgeschichte des Letzteren.
So ist Forderung der Ausschließlichkeit des Herrn (bēlnīma bēlni) verbunden mit dem Eid, keinem anderen Herrn zu folgen (bēlam šanêm ul nisaḫḫur) in der altorientalischen Vertragstradition schon des 2. Jt.s verankert und findet sich noch in VTE § 17 (»ihr sollt keinen anderen Herrn bēlu šanûmma statt seiner ina muḫḫišu suchen«). Das Erste Gebot der Exilszeit hat eine spätvorexilische Vorgeschichte (s. auch Ex 22,19a) wie die exilische Bundestheologie in Dtn 5 und 26 in Dtn 13; 28. Dann entfällt auch die Notwendigkeit, mit judäischen Loyalitätseiden zu rechnen, die wir nicht haben, von denen Dtn 13; 28 aber beeinflusst worden seien. Die Integration aramäischer Vertragsmotivik bei der hebräischen Rezeption neuassyrischer Loyalitätseide ist zu erwarten, weil eher mit der Rezeption einer aramäischen als einer akkadischen Version der VTE zu rechnen ist (M. Krebernik, HBS 4, 1995, 27–36), wobei sich die Abweichungen der hebräischen Rezeption im Rahmen des in Bi- und Trilinguen und der Bezugnahmen in neuassyrischer Briefliteratur Üblichen bewegen. Über die Einordnung von Dtn 13 in die literarische Schichtung des Dtn entscheidet die Gerichtsordnung in Dtn 17,2–13. Dtn 17,2–7 ist, wie der Vf. einräumt, von Dtn 13 literarisch abhängig, ist aber, wie B. M. Levinson (Deuteronomy and the Hermeneutics of Legal Innovation, 1997, 109 ff.) im Anschluss an M. Weinfeld begründet hat, Teil der vorexilischen Gerichtsordnung (s. E. Otto, FS O. Kaiser, 1995, 142–155). Dtn 28 ist nicht mit dem Argument, Dtn 26,16 sei Abschluss des vorexilischen Dtn und also alles Folgende dtr-exilisch, pauschal spät zu datieren. Hier fehlt wie schon für Dtn 13 eine begründete Redaktionsgeschichte des Deuteronomiums, die zeigt, dass Dtn 26,16–17 ein Angelpunkt der dtr-exilischen Redaktion des Dtn ist.
Es kann an dieser Stelle nur auf einige Probleme der anregenden Studie hingewiesen werden, die eine ausführlichere Diskussion im Detail an anderer Stelle verdient. Zu fragen ist aber noch, warum in der deutschsprachigen Forschung so aufwändig um die Datierung von Dtn 13 und 28 gerungen wird, geht es doch um eine Differenz von wenigen Jahrzehnten zwischen einer spätvorexilischen und frühexilischen Datierung. Die Ursachen liegen in einem unterschiedlichen Religionsverständnis. Wird der Verlust des Kö­nigtums zur Voraussetzung einer Bundestheologie und ihrer Vor­-stufen gemacht, so verbindet sich damit der Gedanke, dass die Re­ligionsentwicklung auch in der Antike nur den politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen nachläuft. Rechnet man dagegen mit einer subversiven Rezeption der neuassyrischen Loyalitätsforderung als Akt der ideellen Emanzipation aus einer imperialen Funktionalisierung der Religion und Entwicklung einer eigenständigen religiösen Identität in spätvorexilischer Zeit, die in der Exilszeit sich mit der Formulierung des Ersten Gebots und der Bundestheologie Ausdruck verschafft und damit zur Voraussetzung des Überlebens judäischer Identität im Exil wird, so traut man der Religion zu, ihrerseits die politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse mitzuprägen.
Dafür, dass die unterschiedlichen theologischen Zugänge zum Deuteronomium als Mitte einer Theologie des Alten Testaments so deutlich in ihren exegetischen Fundamenten herausgestellt werden, sei dem Vf. gedankt. Der Rezensent möchte aber doch bei seiner abweichenden Meinung in dem Bewusstsein bleiben, dass, wer in der Wissenschaft eine Ansage macht, auch mit Widerspruch rechnen muss.